BT-Drucksache 17/1764

Gewerbesteuer stabilisieren - nicht abschaffen

Vom 19. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1764
17. Wahlperiode 19. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Britta Haßelmann, Lisa Paus, Dr. Gerhard Schick, Fritz Kuhn,
Alexander Bonde, Kerstin Andreae, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, Priska
Hinz (Herborn), Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Markus Kurth,
Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gewerbesteuer stabilisieren – nicht abschaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung lässt in einer Gemeindefinanzkommission den Ersatz der
Gewerbesteuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und einen kom-
munalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer mit eigenem
Hebesatz prüfen. Dabei soll laut Kabinettsbeschluss „auf die Vermeidung von
Aufkommens- und Lastenverschiebungen insbesondere zwischen dem Bund auf
der einen und Ländern und Kommunen auf der anderen Seite“ geachtet werden.
Ein solches Vorhaben wurde bereits im Jahr 2003 geprüft und aus guten Grün-
den von der von rot-grün eingesetzten Gemeindefinanzkommission verworfen.
Stattdessen wurde seinerzeit ein Kurs der Stabilisierung und Verstetigung der
Einnahmen aus der Gewerbesteuer empfohlen und auch in Teilen durch die Ge-
werbesteuerreformen der Jahre 2003 und 2008 eingeschlagen.

Die Gewerbesteuer ist besser als ihr Ruf. Sie hat durch vergangene Reformen
auf der Grundlage der Empfehlungen der Gemeindefinanzkommission in 2003
insbesondere durch die Berücksichtigung von Finanzierungsanteilen an Fremd-
kapitalfinanzierungen (wie z. B. der Zinsen) deutlich an Stabilität gewonnen. Da
Unternehmensgewinne stärker auf die Konjunktur reagieren als andere Ein-
künfte, ist die Gewerbesteuer als Unternehmenssteuer naturgemäß im Krisen-
jahr 2009 eingebrochen und zwar um 19 Prozent von 41 Mrd. Euro auf 33 Mrd.
Euro (brutto). Im Vergleich zur Körperschaftsteuer, die eine reine Gewinnsteuer
ist, erwies sich die Gewerbesteuer als relativ stabil. Die Körperschaftsteuer
stürzte dramatisch ab: von 15,9 auf 7,2 Mrd. Euro, also um rund 55 Prozent!

Die Gewerbesteuer erbrachte in den letzten fünf Jahren Einnahmen in Höhe von
durchschnittlich 37 Mrd. Euro. Sollte die Gewerbesteuer aufkommensneutral er-
setzt werden, brauchen die Kommunen – nach Abzug der Gewerbesteuerumlage
und Hinzurechnung der Mehreinnahmen aus der Einkommensteuer – zusätzlich

bis zu 29 Mrd. Euro. Um diesen Steuerausfall für die Kommunen zu kompensie-
ren, reicht eine Erhöhung der Körperschaftsteuer, von 15 auf 25 Prozent, wie es
die Fraktion der FDP vorschlägt, bei weitem nicht aus. Eine Erhöhung auf
25 Prozent würde Unternehmen, die heute mit 30 Prozent aus der Gewerbe- und
Körperschaftsteuer besteuert werden, um 5 Prozent entlasten. Zudem berück-
sichtigt die Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer keine Anteile an
Fremdkapitalfinanzierungen (z. B. der Zinsen) und ist damit in viel höherem

Drucksache 17/1764 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Maße konjunkturanfällig als die Gewerbesteuer. Ziel muss es aber sein, die Kon-
junkturabhängigkeit der kommunalen Einnahmen abzumildern. Für die Kom-
munen stellt ein Zuschlag auf die Körperschaftsteuer daher keine geeignete
Alternative zur Gewerbesteuer dar. Außerdem steht die konjunkturanfällige
Körperschaftsteuer nicht den Kommunen zu. Bund und Länder haben bislang
nicht erklärt, dass sie die nicht stabilen, da konjunkturanfälligen Mehreinnah-
men aus der Körperschaftsteuer von rund 13 Mrd. Euro an die Kommunen wei-
tergeben würden und zwar in Form von deutlich stabileren Anteilen am Auf-
kommen aus der Umsatzsteuer.

Mit einer Erhöhung der Körperschaftsteuer wäre das von der Bundesregierung
zu Recht gesetzte Ziel der Stabilisierung der Gemeindefinanzen bei weiterem
nicht erreicht. Um die Nettoeinnahmen der Gemeinden aus der Gewerbesteuer
von 29 Mrd. Euro gegen zu finanzieren, müssen weitere 16 Mrd. Euro aus neuen
Steuerquellen für die Kommunen generiert werden. Ein höherer Anteil der
Kommunen an der Umsatzsteuer ist wünschenswert aber in der Umsetzung im
gesamtstaatlichen Verteilungsgefüge nicht realistisch. So fordern die Länder für
sich selbst einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer für die notwendige Erhö-
hung der Bildungsausgaben ein. Die Steuersenkungen haben Bund, Länder und
Kommunen an ihre fiskalischen Grenzen geführt, so dass kaum Verteilungs-
spielräume zur Verfügung stehen. Ebenso ist aufgrund der Schuldenbremse
strengste Haushaltsdisziplin angesagt.

Bund und Länder werden absehbar kaum in der Lage sein, Umsatzsteueranteile
abzugeben, so dass die noch nicht finanzierte Deckungslücke von bis zu 16 Mrd.
Euro über kommunale Hebesätze auf die Körperschaftsteuer und die Einkom-
mensteuer generiert werden muss. Da die Körperschaftsteuer wegen ihrer Kon-
junkturanfälligkeit weniger geeignet ist, stabile Einnahmen für die Gemeinden
zu generieren, werden die Bürgerinnen und Bürger den Preis für die Entlastung
der Unternehmen durch die Abschaffung der Gewerbesteuer durch neue
kommunale Hebesätze auf die Einkommensteuer bezahlen müssen. Statt mit
Steuerentlastungen müssen die Bürgerinnen und Bürger mit einer deutlichen
Steuererhöhung rechnen.

Insbesondere in den Städten, die eine anspruchsvolle Infrastruktur finanzieren
müssen und am meisten von der Gewerbesteuer profitieren, würden die einkom-
mensteuerpflichtigen Bürgerinnen und Bürger überproportional durch Zu-
schläge auf die Einkommensteuer in Anspruch genommen. Steuerentlastungen
und die Abschaffung der Gewerbesteuer gehen nicht zusammen. Im Gegenteil:
Die Pläne der Bundesregierung, die Gewerbesteuer abzuschaffen, belasten die
Bürgerinnen und Bürger, bescheren den Städten und Gemeinden instabile Ein-
nahmen und forcieren den interkommunalen Wettbewerb.

Unternehmen profitieren in vielfältiger Weise von der kommunalen Infrastruk-
tur. Es ist daher richtig, dass Unternehmen einen Beitrag zur Finanzierung des
kommunalen Gemeinwesens leisten. Ungerecht, gestaltungsfällig und sachlich
nicht zu rechtfertigen ist allerdings, dass die freien Berufe von der Gewerbesteu-
erpflicht ausgenommen sind.

Der Deutsche Bundestag appelliert an die Bundesregierung, den bereits mit der
Gemeindefinanzreform im Jahr 2003 beschrittenen Kurs fortzusetzen und die
Gewerbesteuer weiter zu verstetigen durch einen stärkeren Einbezug gewinn-
unabhängiger Elemente (z. B. der Fremdkapitalzinsen) in die Bemessungs-
grundlage. Freibeträge und die Möglichkeit zur Verrechnung von Verlusten
sollen vor allem kleine und mittlere Unternehmen entlasten. Eine weitere Sta-
bilisierung muss die Gewerbesteuer durch den Einbezug von Freiberuflern
erfahren. Da diese die Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer anrechnen kön-
nen, würden sie im Regelfall nicht mehr belastet, aber künftig als selbständige

Unternehmer ihren Beitrag zur Finanzierung der kommunalen Infrastruktur leis-
ten.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1764

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Gemeindefinanzkommission zu beauftragen, die Weiterentwicklung der
Gewerbesteuer zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer, d. h. den Einzug von
Freiberuflerinnen und Freiberuflern und eine stärkere Anrechnung der ge-
winnunabhängigen Elemente zu prüfen;

2. die Verschuldung der öffentlichen Haushalte durch die Abschaffung der
Gewerbesteuer nicht noch mehr voranzutreiben, sondern Bund, Länder und
Gemeinden unter anderem durch eine Stärkung der Gewerbesteuer in die
Lage zu versetzen, nötige Zukunftsinvestitionen zu tätigen;

3. die Gewerbesteuer nicht durch kommunale Hebesatzrechte auf die Einkom-
men- und Körperschaftsteuer zu ersetzen und damit die Bürgerinnen und
Bürger in der Wirtschaftskrise mit einer regionalen Erhöhung der Einkom-
mensteuer zu belasten und die Kaufkraft zu schwächen.

Berlin, den 18. Mai 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.