BT-Drucksache 17/1569

Keine Zwangsrückführungen von Minderheitenangehörigen in das Kosovo

Vom 5. Mai 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1569
17. Wahlperiode 05. 05. 2010

Antrag
der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Memet Kilic,
Marieluise Beck (Bremen), Viola von Cramon-Taubadel, Ingrid Hönlinger,
Uwe Kekeritz, Katja Keul, Tom Koenigs, Jerzy Montag, Kerstin Müller (Köln),
Dr. Konstantin von Notz, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Zwangsrückführungen von Minderheitenangehörigen in das Kosovo

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Auch zehn Jahre nach dem Ende des Krieges macht besonders die Situation der
Minderheiten deutlich, dass es im Kosovo noch zu keinem stabilen Frieden ge-
kommen ist. Aktuelle Berichte von Menschenrechtsorganisationen beschreiben
die Sicherheitslage nach wie vor als fragil und insbesondere für ethnische Min-
derheiten unvorhersehbar. Auch kommt es nach wie vor zu inter-ethnischen
Zwischenfällen. In Deutschland drohen ca. 11 000 Personen aus den Kreisen der
Roma, Ashkali und Ägyptern die Abschiebung in das Kosovo. Viele der von Ab-
schiebung Bedrohten sind hier aufgewachsen oder geboren.

Es gibt nach wie vor im Kosovo keine ausreichende Aufnahme- und Integra-
tionskapazität für Minderheiten, Kranke oder Rückkehrer, die mittellos sind. Es
gibt für Abgeschobene kaum Unterstützung im Kosovo, weder von kosovari-
schen noch von internationalen Institutionen. Abgeschobene Flüchtlinge sind
völlig auf sich selbst gestellt, bzw. auf Unterstützung aus dem Familienverbund
angewiesen. Das von Bund und vier Bundesländern finanzierte Rückkehrprojekt
URA 2 bietet lediglich für einen begrenzten Zeitraum wenige Notunterkünfte.
Hinzukommt, dass das Projekt nur für Flüchtlinge zuständig ist, die aus Nieder-
sachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern oder Baden-Württemberg stammen.
Roma und andere ethnische Minderheiten haben häufig keine Unterkunftsmög-
lichkeit und finden keine Arbeit.

Die ohnehin nicht ausreichende Sozialhilfe muss an dem Ort beantragt werden,
an dem die Person im Kosovo vor der Ausreise zuletzt ihren Wohnsitz hatte. Per-
sonen, die auf derartige Leistungen angewiesen sind, können sich also nicht frei
an anderen Orten im Kosovo niederlassen.
Aus diesen Gründen hat der Menschenrechtskommissar des Europarates, Tho-
mas Hammarberg, bei seiner Rede vor der Parlamentarischen Versammlung am
28. April 2010, Deutschland und andere europäische Regierungen erneut dazu
aufgerufen, keine Roma in den Kosovo zurückzuführen.

Drucksache 17/1569 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich gegenüber den Bundesländern für eine sofortige Aussetzung der Ab-
schiebungen von Minderheitenangehörigen aus dem Kosovo gemäß § 60a
Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) einzusetzen;

2. sich gegenüber den Bundesländern für eine Aufenthaltsgewährung aus
humanitären Gründen für Minderheitenangehörige aus dem Kosovo einzu-
setzen;

3. das deutsch-kosovarische Rückübernahmeabkommen für Minderheitenange-
hörige aus dem Kosovo auszusetzen.

Berlin, den 4. Mai 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Der Antrag greift die Forderungen von Bundestagsabgeordneten und Menschen-
rechtlern für einen Abschiebungsschutz von Roma und Minderheitenangehö-
rigen aus dem Kosovo auf. Zum 8. April 2010, dem Internationalen Tag der
Roma, hatten sie einen entsprechenden Aufruf an Bundesregierung und Bundes-
länder gerichtet. Zu den Unterstützern des Appells gehören neben den Initiato-
ren (Prof. Dr. Christian Schwarz-Schilling, Claudia Roth, Rainer Eppelmann,
Ernst-Dieter Kottnick, Barbara Lochbihler, Dr. Hermann Otto Solms) weitere
20 aktive und 19 ehemalige Bundestagsabgeordnete, Vertreter von Flüchtlings-
organisationen, Kirchen- und Wohlfahrtsverbänden sowie Romani Rose, Bärbel
Bohley, Hans Koschnick und weitere Prominente. Mit ihrem Appell fordern sie,
den Roma-Flüchtlingsfamilien „endlich einen rechtmäßigen Aufenthalt aus
humanitären Gründen zu erteilen und sie so vor einer Abschiebung zu schützen
und von ihrer existentiellen Angst zu befreien“.

Für Minderheitenangehörige – insbesondere Roma aus dem Kosovo – galt bis
Anfang 2009 aufgrund der Sicherheitslage für diesen Personenkreis im Kosovo
ein faktischer Abschiebestopp, der durch die Innenministerkonferenz regelmä-
ßig verlängert wurde. Trotzdem konnten die Roma aus dem Kosovo von den seit
2007 in Deutschland existierenden Bleiberechtsregelungen nicht profitieren.
Durch die hohen Hürden z. B. bei der Lebensunterhaltssicherung sind gerade
Roma strukturell benachteiligt, da sie häufig viele Kinder haben und dadurch die
geforderte wirtschaftliche Unabhängigkeit nur schwer erreichen können. Inter-
nationale Organisationen wie UNICEF, UNHCR, der Menschenrechtskommis-
sar des Europarates, Thomas Hammarberg, die OSZE und viele Menschen-
rechtsorganisationen warnen seit langem vor einer weiteren Diskriminierung
und Verfolgung von Roma und anderen Minderheitenangehörigen im Kosovo.

Das Zustandekommen des Rücknahmeabkommens mit Kosovo hat überdies
einen schalen Beigeschmack. Es ist eng gekoppelt mit den Verhandlungen des
Kosovo über die Visa-Erleichterungen für die Einreise in die EU sowie die Un-
terstützung, die die kosovarische Regierung sich diesbezüglich von der deut-
schen Seite erhofft.

Es steht zu befürchten, dass Probleme wie die hohe Arbeitslosigkeit und der be-
grenzte Wohnraum durch eine große Zahl von Rückkehrern verschärft werden.
Zwei Jahre nach der Unabhängigkeit ist die Situation im Kosovo geprägt von

extrem hoher Arbeitslosigkeit (nach offiziellen Angaben ca. 45 Prozent, tatsäch-
lich ist sie viel höher) und wirtschaftlicher Abhängigkeit von Transferleistungen

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1569

der Migrantinnen und Migranten aus dem Ausland. Im Kosovo existiert eine
Nachkriegsgesellschaft, in der Roma zum Spielball zwischen albanischer Regie-
rung und serbischen Minderheiten werden, die sie für ihre jeweiligen Konflikte
instrumentalisieren. Roma sind im Kosovo weiterhin Opfer massiver Diskrimi-
nierung. Ihr Zugang zu elementaren Lebenschancen ist damit faktisch verhin-
dert.

Gerade die Situation von abgeschobenen Roma-Kindern, die weder albanisch
oder serbisch sprechen und deshalb im Kosovo nicht in die Schule gehen kön-
nen, ist besonders ausweglos.

Die wiederholt geäußerte Forderung des Menschenrechtskommissars des Euro-
parates, Thomas Hammarberg, Zwangsrückführungen von Minderheitenange-
hörigen in die humanitäre Katastrophe zu vermeiden, kann nur unterstützt wer-
den.

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