BT-Drucksache 17/150

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -17/41, 17/137 - Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch

Vom 2. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/150
17. Wahlperiode 02. 12. 2009

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Britta Haßelmann, Markus Kurth, Dr. Gerhard Schick, Lisa Paus,
Dr. Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, Kai Gehring, Katrin
Göring-Eckardt, Sven Kindler, Maria Klein-Schmeink, Stephan Kühn, Beate
Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Elisabeth Scharfenberg, Christine Scheel,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/41, 17/137 –

Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches
Sozialgesetzbuch

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Ein wichtiges Ziel bei der Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosen-
hilfe zum Arbeitslosengeld II (ALG II) war es, die Kommunen bei den Sozial-
ausgaben dauerhaft um 2,5 Mrd. Euro jährlich zu entlasten. In einem späteren
Kompromiss haben sich der Bund und die Länder im Jahr 2006 darauf geeinigt,
die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft für ALG-II-Beziehende
aufgrund einer neuen Anpassungsformel vorzunehmen. Diese Regelung führt
jedoch dazu, dass das Entlastungsziel nicht erreicht wird und die Kommunen
stattdessen belastet werden. Denn der Anpassungsmechanismus für den Bun-
desanteil orientiert sich nicht an den tatsächlich anfallenden Unterkunftskosten,
sondern an der Entwicklung der Zahl der Bedarfsgemeinschaften in der Vergan-
genheit. Bund und Länder einigten sind in 2006 außerdem darauf, den Bundes-
anteil künftig nicht mehr auf alle Bundesländer gleich zu verteilen, sondern die
Bundesländer Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz durch Sonderquoten zu
begünstigen. Seither entfällt ohne einen sachlich nachvollziehbaren Grund auf
die übrigen 14 Bundesländer ein geringerer Bundesanteil.

Im kommenden Jahr ist aufgrund der Wirtschaftskrise mit einem außergewöhn-
lich starken Anstieg der Arbeitslosengeld-II-Beziehenden zu rechnen. Nach
einer Projektion des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) soll
die Zahl der arbeitslosen ALG-II-Beziehenden bis 2010 um knapp ein Fünftel

von 2,25 Millionen im Jahr 2008 auf 2,6 Millionen 2010 ansteigen. In der Folge
werden sich auch die Gesamtausgaben für die Unterkunftskosten der ALG-II-
Beziehenden voraussichtlich von 14 Mrd. Euro in 2009 auf 15,8 Mrd. Euro im
kommenden Jahr erhöhen.

Vor diesem Hintergrund ist nicht nachzuvollziehen, dass die Bundesregierung
im dritten Jahr in Folge den Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft absenkt,
von durchschnittlich 31,8 Prozent in 2007 auf dann 23,6 Prozent im Jahr 2010.

Drucksache 17/150 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die neuerliche Absenkung hätte zur Folge, dass die kommunalen Ausgaben im
nächsten Jahr um 17 Prozent von 10,3 Mrd. Euro auf rund 12,1 Mrd. Euro stei-
gen. Die Absenkung basiert zudem auf dem Rückgang der Bedarfsgemeinschaf-
ten in der Vergangenheit, nämlich im Zeitraum zwischen Juli 2007 und Juni
2008. Sie weist eine unsachgemäße Zeitverzögerung auf, die den aktuellen An-
stieg der Hilfeempfänger aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise in keiner
Weise berücksichtigt.

Durch die Senkung des Bundesanteils kann der Bund in 2010 seinen Haushalts-
ansatz für die Kosten der Unterkunft auf 3,7 Mrd. Euro trotz einer steigenden
Zahl von Langzeitarbeitslosen stabilisieren. Die Kommunen hingegen werden
1,8 Mrd. Euro mehr für die Unterkunftskosten zahlen müssen als in diesem Jahr.
In der Folge wird der krisenbedingte Ausgabenanstieg einseitig den Kommunen
auferlegt. Dabei sind die Städte und Gemeinden von der Wirtschaftskrise beson-
ders betroffen. Im Vergleich zu Bund und Ländern tragen die Kommunen die
größeren Verluste der drastischen Einbrüche bei den Steuereinnahmen bei
gleichzeitig steigenden Ausgaben für Sozialleistungen. Während Bund und Län-
der ein Minus von 5 Prozent bzw. 6,7 Prozent bei den Steuereinnahmen hinneh-
men müssen, vollzieht sich die Krise bei den Kommunen mit einem Minus von
10 Prozent wesentlich dramatischer.

Der Deutsche Bundestag begrüßt zwar, dass die Bundesregierung sich weiterhin
dem Ziel verpflichtet fühlt sicherzustellen, dass die Kommunen durch das Vierte
Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (Hartz IV) um 2,5 Mrd.
Euro entlastet werden sollten. Dieses Ziel wurde jedoch zu keinem Zeitpunkt er-
reicht. Zwar wurden durch die Arbeitsmarktreform die erwerbsfähigen, kommu-
nal finanzierten Sozialhilfe-Beziehenden in die Leistungen des neuen Arbeits-
losengeldes II integriert. Diese Reform führte jedoch nicht wie erwartet zu einer
Entlastung der Kommunen von ihren Ausgaben für die Sozialhilfe. Zwar sind
die Ausgaben für die so genannte Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem alten
Bundessozialhilfegesetz von 8,7 Mrd. Euro im Jahr 2004 auf 0,6 Mrd. Euro nach
dem neuen Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) im Jahr 2005, also um
8,1 Mrd. Euro gesunken. Die mit dem Systemwechsel zum SGB II neu geschaf-
fenen Kosten der Unterkunft für ALG-II-Beziehende waren in 2005 jedoch be-
reits höher als die vermeintliche Kostenersparnis. Wesentliche Ursache hierfür
war, dass mehr Personen in den ALG-II-Bezug kamen als ursprünglich erwartet
worden waren. Abzüglich des Bundeszuschusses mussten die Kommunen be-
reits für das Jahr 2005 8,7 Mrd. Euro für Unterkunftskosten aufwenden. So er-
fuhren die Städte und Gemeinden schon mit Beginn der Arbeitsmarktreform
nicht die von Bund und Ländern versprochene Entlastung um 2,5 Mrd. Euro. Im
Gegenteil: Höhere und kontinuierlich gestiegene Unterkunftskosten belasten die
kommunalen Haushalte. Der kommunale Anteil an den Unterkunftskosten
wuchs von ursprünglich 8,7 Mrd. Euro in 2005 auf voraussichtlich 10,3 Mrd.
Euro in 2009. Im Falle einer weiteren Reduzierung des Bundesanteils wird er in
2010 sogar 12,1 Mrd. Euro betragen.

Der Kostenanstieg bei den Kosten der Unterkunft ist nicht nur auf die Wirt-
schaftskrise zurückzuführen. Weitere Ursachen sind steigende Energiepreise,
aber auch der wachsende Niedriglohnsektor, dem nach Angaben des Statisti-
schen Bundesamtes inzwischen 22 Prozent der Beschäftigten zuzurechnen sind.
Da aufgrund dieser Entwicklung immer mehr Menschen nicht mehr von ihrem
Gehalt leben können, stieg auch die Zahl der Menschen kontinuierlich an, die
ergänzend ALG II beziehen. Die Kosten dieser sog. Aufstocker bzw. Aufstocke-
rinnen werden überwiegend von den Kommunen getragen, da die Aufstockerin-
nen und Aufstocker in der Regel lediglich einen Anspruch auf Kosten der
Unterkunft haben. Da die neue Bundesregierung keinerlei Anstrengungen unter-
nimmt, den wachsenden Niedriglohnsektor zu bekämpfen und einen Mindest-

lohn einzuführen, werden die Städte und Gemeinden weiter steigende Belastun-
gen zu tragen haben. Die Zahl der primär von den Kommunen finanziell zu

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/150

tragenden Aufstockerinnen und Aufstocker wird sich in den nächsten Jahren
noch deutlich erhöhen. Denn durch die von der Bundesregierung geplanten
höhere Hinzuverdienstgrenzen im ALG II werden Dumpinglöhne zusätzlich
subventioniert werden, statt mit Mindestlöhnen und mit einer Senkung der
Abgabenlast kleine Einkommen zu stärken.

Aufgrund der aus mehreren Gründen mangelhaften Abbildung der tatsächlichen
Belastungen der Kommunen durch die Kosten der Unterkunft und wegen des
Verfehlens des Entlastungsziels von 2,5 Mrd. Euro jährlich ist eine Korrektur der
Anpassungsformel in § 46 Absatz 7 SGB II dringend erforderlich.

Der Deutsche Bundestag begrüßt deshalb die Stellungnahme der Bundesländer
zu diesem Gesetzentwurf – Bundesratsdrucksache 748/09 – die auf eine Initia-
tive des Landes Nordrhein-Westfalen zurückgeht, und fordert mit den Ländern
die Bundesregierung auf,

1. die Bundesbeteiligung entsprechend der tatsächlichen Entwicklung der Aus-
gaben für Unterkunft und Heizung nach § 22 Absatz 1 SBG II zu berechnen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung außerdem auf,

2. die seit dem Jahr 2007 geltenden Sonderquoten für die Bundesländer Baden-
Württemberg und Rheinland-Pfalz aufzuheben und in Zukunft wieder den
Bundesanteil auf alle Bundesländer gleich zu verteilen;

3. durch die zügige Einführung von Mindestlöhnen und die Absenkung der
Sozialversicherungsbeiträge für kleine Einkommen dafür zu sorgen, dass
Menschen mit geringerem Einkommen in Zukunft nicht mehr auf ergänzen-
des ALG II angewiesen sind und die Kommunen von den erheblichen Lasten
der Unterkunftskosten der so genannten Aufstockerinnen/Aufstocker befreit
werden.

Berlin, den 2. Dezember 2009

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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