BT-Drucksache 17/14229

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP - Drucksachen 17/13706, 17/14193 - Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten

Vom 26. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/14229
17. Wahlperiode 26. 06. 2013

Änderungsantrag
der Abgeordneten Monika Lazar, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic,
Jerzy Montag, Dr. Konstantin von Notz, Claudia Roth (Augsburg), Wolfgang
Wieland, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP
– Drucksachen 17/13706, 17/14193 –

Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Menschenhandels und
Überwachung von Prostitutionsstätten

Der Bundestag wolle beschließen:

1. Nach Artikel 3 wird folgender Artikel 4 eingefügt:

‚Artikel 4

Änderung des Aufenthaltsgesetzes

In § 25 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die
Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz) in der Fas-
sung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das zu-
letzt durch Artikel 2 Absatz 5 des Betreuungsgeldgesetzes vom 15. Februar
2013 (BGBl. I S. 254) geändert worden ist, werden die Absätze 4a und 4b
wie folgt gefasst:

„(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232, 233 oder
§ 233a des Strafgesetzbuches wurde, ist abweichend von § 11 Absatz 1, auch
wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis zu ertei-
len, wenn

1. seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafver-
fahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Straf-
gericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erfor-
schung des Sachverhalts erschwert wäre und

2. er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat
begangen zu haben, abgebrochen hat.
Darüber hinaus ist dem Opfer einer in Satz 1 genannten Straftat eine Aufent-
haltserlaubnis zu erteilen, wenn der Aufenthalt im Bundesgebiet zur Vermei-
dung einer Härte erforderlich ist. Hierbei sind das Kindeswohl und die per-
sönliche Situation des Opfers zu berücksichtigen. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt
entsprechend.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder
§ 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder

Drucksache 17/14229 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, ist abweichend
von § 11 Absatz 1, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen
vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn
seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren
wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für
sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des
Sachverhalts erschwert wäre. Die Aufenthaltserlaubnis soll auch erteilt oder
verlängert werden, wenn der Ausländer seine im Zusammenhang mit der Tat
entstandenen zivil- oder arbeitsrechtlichen Ansprüche noch nicht durchge-
setzt hat.“‘

2. Der bisherige Artikel 4 wird Artikel 5.

Berlin, den 25. Juni 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Die Umsetzung der Europaratskonvention gegen Menschenhandel erfordert
gesetzliche Neuregelungen in den Bereichen des Aufenthaltsgesetzes. Dabei ist
sicherzustellen, dass Opfern von Menschenhandel ein Aufenthaltsrecht zusteht,
unabhängig von der möglichen Beteiligung in einem Strafverfahren. Auch Ver-
treterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP
haben sich in der Vergangenheit für die Erteilung eines Aufenthaltstitels für
Opfer von Menschenhandel ausgesprochen. So sagte der Fraktionsvorsitzende
der CDU/CSU-Fraktion der Zeitung „Hannoversche Allgemeine“ im Interview
vom 3. Juni 2013, dass er „diesen Frauen ein Bleiberecht“ zusichern wolle. Der
innenpolitische Sprecher der Fraktion, Dr. Hans-Peter Uhl, meinte bereits am
17. Oktober 2012 gegenüber der Beilage „Christ und Welt“ der Zeitung „DIE
ZEIT“, diese Forderung sei in seiner Fraktion Konsens. Trotz dieser Ankündi-
gungen fehlt dieser Aspekt zur Bekämpfung von Menschenhandel und zur Stär-
kung der Opfer im vorliegenden Gesetzentwurf.

Einzelbegründung

Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach den Absätzen 4a und 4b wird als
Anspruchsnorm ausgestaltet.

Zu Absatz 4a

Die Neuregelung dient der Umsetzung von Artikel 14 Absatz 1 und 2 der Euro-
paratskonvention gegen Menschenhandel. Danach sind die Vertragsstaaten ver-
pflichtet, Opfern einen verlängerbaren Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn der
Aufenthalt aufgrund der persönlichen Situation des Opfers erforderlich ist oder
das Kindeswohl dies erfordert. Diesen Anforderungen wird der bisherige § 25
Absatz 4a, der den Erhalt der Aufenthaltserlaubnis allein von der Beteiligung
im Strafverfahren abhängig macht, nicht gerecht.

Mit der Änderung erhalten Opfer von Menschenhandel eine Aufenthaltserlaub-
nis, wenn ihre Anwesenheit für ein Strafverfahren von der Staatsanwaltschaft
oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird und sie jede Verbindung zu
den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abge-
brochen haben. Hierbei ist zu beachten, dass Nummer 2 nicht jeden Kontakt

zwischen Opfer und Beschuldigten untersagt, sondern nur soweit er dem Opfer-
schutz oder dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse zuwiderläuft. Insbe-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/14229

sondere ist die Geltendmachung eigener Ansprüche des Opfers gegenüber dem
Beschuldigten kein Versagungsgrund. Nummer 3 wird gestrichen, weil die Be-
reitschaft, als Zeuge auszusagen, als Erteilungsvoraussetzung nicht erforderlich
ist. Denn nach den §§ 51, 70, 161a der Strafprozessordnung sind Zeugen zur
Aussage verpflichtet; auf ihre Bereitschaft kommt es nicht an.

Darüber hinaus ist dem Opfer von Menschenhandel nach Satz 2 eine Aufent-
haltserlaubnis zu erteilen, wenn der Aufenthalt in Deutschland zur Vermeidung
einer Härte erforderlich ist. Hierbei sind das Kindeswohl und die persönliche
Situation des Opfers zu berücksichtigen. Die Einführung einer Härtefall-
regelung ist notwendig, weil es gegen die Aussage im Strafverfahren nachvoll-
ziehbare Gründe geben kann, die Opfer aber schutzbedürftig bleiben. Zum Bei-
spiel können manche Opfer aus psychischen Gründen nicht aussagen, andere
wollen nicht aus Angst vor einer Gefährdung ihrer Angehörigen oder ihrer
selbst. Schließlich können die Täter nicht immer ermittelt werden.

Bei der Beurteilung der persönlichen Situation des Opfers sind insbesondere
Art und Ausmaß der psychischen oder physischen Belastung zu berücksichti-
gen sowie das Alter und die persönlichen Umstände des Opfers.

Eine Härte, die den Aufenthalt erfordert, liegt insbesondere bei Gefahr folgen-
der Situationen vor:

• keine ausreichende medizinische Versorgung, einschließlich psychologi-
scher oder psychotherapeutischer Behandlung im Herkunftsland;

• Geltendmachung und Durchsetzung eigener Rechtsansprüche bei Ausreise
in das Herkunftsland erschwert oder unmöglich;

• Stigmatisierung oder andere Formen der Belastung nach Ausreise in das
Herkunftsland wegen der Prostitutionstätigkeit.

Die o. g. Prüfungskriterien werden in die Allgemeine Verwaltungsvorschrift
zum Aufenthaltsgesetz aufgenommen.

Mit dem Verweis auf Absatz 1 Satz 4 erhalten Opfer von Menschenhandel die
gesetzliche Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit.

Zu Absatz 4b

Das Erfordernis der „besonderen Härte“ wird gestrichen. Die geltende Vor-
schrift bestimmt den Vorrang der Durchsetzung von Ansprüchen nach der
Rückkehr ins Herkunftsland vor der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in
Deutschland und verunmöglicht damit die Rechtsdurchsetzung für einen Groß-
teil der Betroffenen von schwerer Arbeitsausbeutung. Es ist für Betroffene in
der Regel mit besonderen Schwierigkeiten verbunden, ihre Ansprüche aus dem
Herkunftsland außerhalb der EU durchzusetzen. Die besondere Härte wird so-
mit eher der Regelfall als die Ausnahme sein. Menschen, die ohne Papiere in
Deutschland arbeiten, verfügen überwiegend nicht über ausreichende Ressour-
cen und ausreichendes Wissen für gerichtliche Auseinandersetzungen. Man-
gelnde Erfahrung mit dem deutschen Rechtssystem sowie die Entfernung des
Herkunftslandes erschweren es, notwendige Unterlagen und Dokumente für ein
gerichtliches Verfahren beizubringen.

Durch die Formulierung „seine im Zusammenhang mit der Tat entstandenen
zivil- und arbeitsrechtlichen Ansprüche“ wird klargestellt, dass nicht nur zur
Durchsetzung eines Lohnanspruchs, sondern auch zur Durchsetzung weiter-
gehender Ansprüche, z. B. aufgrund eines Arbeitsunfalls, gesundheitsschädi-
gender Arbeitsbedingungen oder auch psychischer Beeinträchtigungen, die
Aufenthaltserlaubnis in der Regel erteilt oder verlängert werden soll.

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