BT-Drucksache 17/1407

Neues SWIFT-Abkommen nur nach europäischen Grundrechts- und Datenschutzmaßstäben zu dem Entwurf der Europäischen Kommission für das Verhandlungsmandat eines neuen Abkommens zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Zahlungsver- kehrsdaten und deren Übermittlung für die Zwecke des Programms der USA zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus (kurz: SWIFT-Abkommen), Ratsdok. 7936/10 vom 24. März 2010 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes

Vom 20. April 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1407
17. Wahlperiode 20. 04. 2010

Antrag
der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Dr. Eva Högl, Gabriele Fograscher, Iris
Gleicke, Wolfgang Gunkel, Michael Hartmann (Wackernheim), Frank Hofmann
(Volkach), Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Kirsten Lühmann, Thomas
Oppermann, Axel Schäfer (Bochum), Dr. Angelica Schwall-Düren, Olaf Scholz,
Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion
der SPD

Neues SWIFT-Abkommen nur nach europäischen Grundrechts- und
Datenschutzmaßstäben

zu dem Entwurf der Europäischen Kommission für das Verhandlungsman-
dat eines neuen Abkommens zwischen der Europäischen Union und den
Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Zahlungsver-
kehrsdaten und deren Übermittlung für die Zwecke des Programms der
USA zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus (kurz: SWIFT-Ab-
kommen), Ratsdok. 7936/10 vom 24. März 2010

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Artikel 23
Absatz 3 des Grundgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 30. November 2009 unterzeichneten die Justiz- und Innenminister der Eu-
ropäischen Union das sog. SWIFT-Abkommen. Es sollte der Übermittlung von
Zahlungsverkehrsdaten an die USA für die Zwecke des Programms der USA
zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus dienen. Nach der Unterzeich-
nung konnte es ab dem 1. Februar 2010 bis zu seinem Inkrafttreten vorläufig
angewendet werden. Für das Inkrafttreten des Abkommens war jedoch die
Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich. Diese verweigerte das
Europäische Parlament in seiner Abstimmung am 11. Februar 2010. Somit
musste die vorläufige Anwendung beendet werden.

Die Bundesregierung hatte zuvor durch ihre Enthaltung bei der Abstimmung die
Annahme des ursprünglichen Abkommens im Rat ermöglicht, obwohl es die
von der Bundesregierung in der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU
und FDP genannten Voraussetzungen für eine Zustimmung nicht erfüllte. Dazu
zählten eine strikte Zweckbindung, Löschung der Daten, klare Regelungen

bezüglich der Weitergabe an Drittstaaten, effektiver Rechtsschutz und die Ver-
knüpfung der Übermittlung der Daten an Tatbestandsvoraussetzungen sowie
eine Bedrohungs- und Gefährdungsanalyse. Über das Erfordernis einer natio-
nalen Ratifizierung bestehen bis heute Meinungsverschiedenheiten.

Mit seiner Ablehnung hat das Europäische Parlament gegen eine Untergrabung
des Grundrechtschutzes gestimmt. Daneben beruhte die breite Ablehnung über
Fraktionsgrenzen hinweg auf der mangelnden Einbeziehung des Europäischen

Drucksache 17/1407 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Parlaments in den Verhandlungsprozess. Nicht nur die Entwürfe des Verhand-
lungsmandates, sondern auch das Abkommen und die dazugehörigen Gutachten
des Juristischen Dienstes des Rates waren dem Europäischen Parlament lange
vorenthalten worden. Erst am 20. Januar 2010 wurde der Beschluss des Rates
dem Europäischen Parlament übermittelt. Auch der Deutsche Bundestag wurde
über die Verhandlungen erst in einem späten Stadium informiert.

Am 24. März 2010 hat die Europäische Kommission nunmehr einen Entwurf für
ein Verhandlungsmandat (Ratsdok. 7936/10) vorgelegt. Auf dieser Grundlage
soll ein neues Abkommen ausgehandelt werden. Das Verhandlungsmandat be-
darf der Zustimmung des Rates. Für die nun anstehenden Verhandlungen gilt:
Der Staat muss die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger schützen. Diese
Aufgabe nehmen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in gemeinsamer
Verantwortung wahr. Doch müssen sie dabei die grund- und menschenrecht-
lichen Garantien beachten, die zu den unverzichtbaren Rechtstraditionen der
Mitgliedstaaten zählen und in der Grundrechtecharta der Europäischen Union
verankert sind. Das geplante Abkommen muss also einen Beitrag zum Schutz
vor Terrorismus leisten und den effektiven Schutz der Grundrechte, insbeson-
dere des Datenschutzes, sicherstellen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. schon bei Beschlussfassung des Rates über das Verhandlungsmandat für das
neue Abkommen den Ratifizierungsbedarf des neuen Abkommens zu klären
und den Bundestag darüber ebenso wie über mögliche Änderungen des Rati-
fizierungsbedarfes aufgrund der Verhandlungen zu informieren;

2. den Bundestag unabhängig von einem möglichen Ratifizierungsbedarf fort-
laufend über die Verhandlungen zu informieren und in die Meinungsbildung
auf deutscher Seite einzubeziehen;

3. dafür Sorge zu tragen, dass das Abkommen und eventuelle Anhänge vollstän-
dig für die Öffentlichkeit zugänglich sind und

4. die Zustimmung zum Verhandlungsmandat ebenso wie zu dem Abkommen
selbst im Rat davon abhängig zu machen, dass die folgenden Maßstäbe als
wesentliche Belange i. S. d. § 9 Absatz 4 des Gesetzes über die Zusammen-
arbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten
der Europäischen Union (EUZBBG) eingehalten werden:

a) Das Abkommen soll einen wirksamen Beitrag zum Schutz vor Terroris-
mus leisten. Ebenso muss es den effektiven Schutz personenbezogener
Daten gewährleisten, wie er in Artikel 16 des Vertrages über die Arbeits-
weise der Europäischen Union, den Artikeln 7 und 8 der Charta der
Grundrechte der Europäischen Union, Artikel 8 der Konvention zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, im Europarats-Über-
einkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbei-
tung personenbezogener Daten (SEV Nr. 108) und im europäischen
Sekundärrecht garantiert ist.

b) Die Maßstäbe des deutschen Datenschutzes, wie sie von der Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf informationelle
Selbstbestimmung konkretisiert worden sind, sind in das Abkommen auf-
zunehmen.

c) Dabei ist insbesondere dafür Sorge zu tragen, dass

● die Anwendung des Abkommens auf die Society for Worldwide Inter-
bank Financial Telecommunication (SWIFT) als ausschließlichem
Anbieter von internationalen Zahlungsverkehrsnachrichten beschränkt

wird,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1407

● Art und Umfang der zu übermittelnden Daten genau und abschließend
begrenzt werden,

● keine Ausnahmeregelung für die Übermittlung so genannter Daten-
pakete geschaffen wird,

● die Daten nur übermittelt werden, wenn bestimmte Tatsachen den
Schluss zulassen, dass der begründete Verdacht oder die konkrete Ge-
fahr terroristischer Straftaten, Straftaten im Zusammenhang mit einer
terroristischen Vereinigung, Straftaten im Zusammenhang mit terroris-
tischen Aktivitäten oder der Anstiftung, der Mittäterschaft oder dem
Versuch hierzu im Sinne des Rahmenbeschlusses des Rates 2002/475/JI
vom 13. Juni 2002 (ABl. L 164 vom 22.6.2002, S. 3) besteht und die
Übermittlung zur Verhütung, Ermittlung, Feststellung oder Verfolgung
dieser Taten erforderlich ist, was in der Anfrage begründet werden
muss,

● eine Übermittlung der Daten ausschließlich in Bezug auf Finanztrans-
aktionen in Zusammenhang mit Personen, Vereinigungen und Körper-
schaften stattfindet, die von der EU – zuletzt durch den Gemeinsamen
Standpunkt 2008/586/GASP des Rates vom 15. Juli 2008 (ABl. L 188
vom 16.7.2008, S. 71) – als terroristisch eingestuft werden,

● eine Übermittlung der Daten nur mit Hilfe eines so genannten Push-
Systems erfolgt, bei dem auf Anfrage Daten an die USA geliefert wer-
den, statt dass die USA selber Zugriff auf die Daten haben,

● eine Übermittlung der Daten nur nach Prüfung durch eine im Abkom-
men zu benennende zuständige Behörde eines EU-Mitgliedstaates
erfolgt, deren Entscheidung richterlicher Kontrolle durch ein Gericht
eines europäischen Mitgliedstaates unterliegt,

● Überweisungen innerhalb des einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrs-
raumes (Single Euro Payments Area, SEPA) von der Datenübermitt-
lung ausgenommen sind,

● die zur Verarbeitung und Speicherung der übermittelten Daten berech-
tigten US-Behörden abschließend benannt werden und nur solche um-
fassen, die für die Verhütung, Ermittlung, Feststellung oder Verfolgung
der oben genannten Straftaten zuständig sind,

● die Verarbeitung und Speicherung der übermittelten Daten durch US-
Behörden ausschließlich zum Zweck der Verhütung, Ermittlung, Fest-
stellung oder Verfolgung der oben genannten Straftaten erfolgt,

● eine Übermittlung der übermittelten Daten durch die USA an Drittstaa-
ten ausgeschlossen wird,

● übermittelte Daten nicht durch so genanntes Data Mining, andere
Arten der algorithmischen oder automatischen Profilerstellung sowie
Verknüpfungen mit anderen Datenbanken ausgewertet werden,

● die USA zur Löschung der übermittelten Daten und daraus extrahierten
Daten spätestens nach Ablauf eines Jahres, vor Ablauf dieser Zeit
jedoch unverzüglich, falls sie für die festgelegten Zwecke nicht mehr
erforderlich sind oder wenn das Abkommen ausgesetzt oder gekündigt
wird, verpflichtet werden,

● die USA zu geeigneten und effektiven Sicherungsmaßnahmen gegen
die zufällige oder unbefugte Zerstörung, gegen zufälligen Verlust
sowie unbefugten Zugang, unbefugte Veränderung oder unbefugtes
Bekanntgeben der Daten zur Voraussetzung einer Übermittlung ver-

pflichtet werden,

Drucksache 17/1407 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
● den Betroffenen Informations- und Auskunftsansprüche in Bezug auf
die übermittelten Daten eingeräumt werden, sofern dadurch die Ver-
hütung, Ermittlung, Feststellung oder Verfolgung der oben genannten
Taten nicht behindert wird, wobei aus Gründen der Transparenz dafür
Sorge zu tragen ist, dass die für die Geltendmachung dieser Ansprüche
zuständige US-Behörde für die Betroffenen klar erkennbar ist,

● den Betroffenen effektive behördliche und gerichtliche Rechtsschutz-
möglichkeiten eingeräumt werden, wobei aus Gründen der Transpa-
renz dafür Sorge zu tragen ist, dass die für den Rechtsschutz zustän-
digen US-Behörden und Gerichte für die Betroffenen zweifelsfrei er-
kennbar sind,

● den Betroffenen Ansprüche in Bezug auf Berichtigung, Sperrung und
Löschung unrichtiger oder nicht mehr erforderlicher Daten eingeräumt
werden,

● das Abkommen bei Nichteinhaltung einer der Vertragsparteien fristlos
gekündigt oder vorübergehend ausgesetzt werden kann,

● eine Datenschutzkontrolle durch den Chief Privacy Officer des US
Department of Homeland Security gewährleistet ist und darüber hinaus
Datenschutzbeauftragten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union
die Befugnis eingeräumt wird, vor Ort selbst Datenschutzprüfungen
vorzunehmen oder durch einen Beauftragten durchführen zu lassen und

● die Europäische Kommission durch öffentlich zugängliche Berichte an
den Rat und das Europäische Parlament in regelmäßigen Abständen
über die Umsetzung des Abkommens berichtet.

Berlin, den 20. April 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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