BT-Drucksache 17/13719

Mit einem einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn Lohndumping bekämpfen und fairen Wettbewerb schaffen

Vom 5. Juni 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13719
17. Wahlperiode 05. 06. 2013

Antrag
der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Kerstin Andreae, Beate Müller-Gemmeke,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Markus Kurth, Birgitt Bender, Kai Gehring, Priska
Hinz (Herborn), Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Dr. Tobias Lindner,
Lisa Paus, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Gerhard Schick, Dr. Harald Terpe, Beate
Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mit einem einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn Lohndumping bekämpfen
und fairen Wettbewerb schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Kaum ein anderes EU-Land hat einen so großen Niedriglohnsektor wie Deutsch-
land. Mehr als jeder Fünfte arbeitet heute im Niedriglohnsektor. Laut Eurostat
hatte Deutschland 2010 mit einem Anteil von 22,2 Prozent nach Estland und
Zypern den größten Niedriglohnsektor im Euroraum. Das bedeutet fast viermal
mehr Niedriglohnbeschäftigung als beispielsweise in Finnland oder Belgien.
6,8 Millionen Menschen in Deutschland arbeiteten 2010 für weniger als
8,50 Euro Stundenlohn. Darunter befinden sich 4 Millionen, die für unter 7 Euro
arbeiten und nahezu 1,4 Millionen bekamen sogar weniger als 5 Euro je Stunde
bezahlt.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung billigt diese Entwicklung. Mit Lippen-
bekenntnissen erweckt sie zwar öffentlich den Eindruck, gegen Lohndumping
vorgehen zu wollen. Tatsächlich bleibt sie aber untätig. Die von den Regierungs-
fraktionen vorgeschlagenen Lösungen sind zudem ungeeignet, wirksam gegen
niedrige Löhne vorzugehen. Eine allgemeine Lohnuntergrenze nur für jene Be-
reiche einzuführen, in denen ein tarifvertraglich festgelegter Lohn nicht exis-
tiert, würde für die rund 1 Million Beschäftigten, die unter einen Tarifvertrag fal-
len und weniger als 8,50 Euro Stundenlohn verdienen, keine Verbesserung ihrer
Lage bedeuten. Das Abstellen auf regionale und branchenspezifische Lohn-
untergrenzen würde zur Legitimierung und Verfestigung von Lohnarmut insbe-
sondere in Ostdeutschland führen.

Ein direkter Zusammenhang zwischen Mindestlohn und hoher oder wachsender
Arbeitslosigkeit besteht entgegen den Äußerungen der Bundeskanzlerin nicht.
So haben Länder wie Spanien, Portugal und Griechenland, in denen die Arbeits-

losigkeit aktuell in der EU am höchsten ist, die geringsten Mindestlöhne im EU-
Vergleich. Umgekehrt gehören Länder wie die Niederlande und Belgien, die im
Moment am wenigsten unter Arbeitslosigkeit leiden, zur Gruppe mit den höchs-
ten Mindestlöhnen in der EU. Richtig ist vielmehr, dass die in Deutschland herr-
schenden Missstände inzwischen grenzüberschreitende Wettbewerbsverwerfun-
gen erzeugen. Branchen in angrenzenden Ländern, wie zum Beispiel die belgi-
sche und dänische Schlachtbranche, geraten durch die deutsche Billigkonkur-

Drucksache 17/13719 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
renz in Existenznot und bauen fair entlohnte Arbeitsplätze ab. Die belgische
Regierung plant aus diesem Grund eine offizielle Beschwerde bei der Europä-
ischen Kommission gegen Deutschland.

Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro pro Stunde
ist die Mindestvoraussetzung, um als Alleinstehender von der eigenen Arbeit
leben und unabhängig von ergänzendem Arbeitslosengeld II die eigene Existenz
sichern zu können. So wird zudem verhindert, dass der Staat und damit die
Steuerzahlerinnen und -zahler weiter als Ausfallbürgen für Lohndumping her-
halten müssen. Ein allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn schafft faire Wettbe-
werbsbedingungen durch eine transparente, auf alle Beschäftigungsverhältnisse
anzuwendende unterste Grenze für das Arbeitsentgelt. So wird verhindert, dass
Schmutzkonkurrenz auf dem Rücken der Beschäftigten und mit negativen Fol-
gewirkungen für Unternehmen stattfindet, die faire Arbeitsbedingungen anbie-
ten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzent-
wurf vorzulegen, mit dem

1. umgehend ein flächendeckender, allgemeiner Mindestlohn von mindestens
8,50 Euro pro Stunde gesetzlich festgelegt wird, der für alle Beschäftigten
gilt und in keinem Arbeitsverhältnis unterschritten werden darf;

2. eine Mindestlohnkommission nach britischem Vorbild aus Vertretern der Ge-
werkschaften, der Arbeitgeber und der Wissenschaft eingerichtet wird, die
für die Festlegung und die Anpassung des Mindestlohnes verantwortlich ist;

3. die Tarifpartner in der Festlegung fairer Arbeitsbedingungen gestärkt und tarif-
liche Branchenmindestlöhne oberhalb des gesetzlichen Mindestlohns ermög-
licht werden, indem die Instrumente des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes
über den Kreis der elf bisherigen Branchen hinaus für alle Branchen zur Ver-
fügung gestellt werden und die Hürden der Allgemeinverbindlicherklärung
abgesenkt werden;

4. Equal Pay in der Leiharbeit eingeführt und die Umgehung von tariflichen
Löhnen durch Scheinwerkverträge und illegale Arbeitnehmerüberlassung
durch gesetzliche Regelungen und effektive Kontrollen konsequent verhin-
dert wird.

Berlin, den 4. Juni 2013

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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