BT-Drucksache 17/13224

Bessere Politik für einen starken Mittelstand - Fachkräfte sichern, Innovationen fördern, Rahmenbedingungen verbessern

Vom 23. April 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/13224
17. Wahlperiode 23. 04. 2013

Antrag
der Abgeordneten Andrea Wicklein, Rita Schwarzelühr-Sutter, Wolfgang Tiefensee,
Hubertus Heil (Peine), Ingrid Arndt-Brauer, Sabine Bätzing-Lichtenthäler,
Heinz-Joachim Barchmann, Doris Barnett, Klaus Barthel, Sören Bartol,
Dirk Becker, Uwe Beckmeyer, Lothar Binding (Heidelberg), Gerd Bollmann,
Klaus Brandner, Willi Brase, Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Marco Bülow,
Ulla Burchardt, Martin Burkert, Petra Crone, Dr. Peter Danckert, Martin Dörmann,
Elvira Drobinski-Weiß, Ingo Egloff, Siegmund Ehrmann, Petra Ernstberger,
Michael Gerdes, Martin Gerster, Iris Gleicke, Ulrike Gottschalck, Kerstin Griese,
Gabriele Groneberg, Michael Groß, Hans-Joachim Hacker, Bettina Hagedorn,
Klaus Hagemann, Rolf Hempelmann, Gustav Herzog, Gabriele Hiller-Ohm, Petra
Hinz (Essen), Dr. Eva Högl, Christel Humme, Josip Juratovic, Oliver Kaczmarek,
Johannes Kahrs, Dr. Bärbel Kofler, Anette Kramme, Angelika Krüger-Leißner,
Ute Kumpf, Gabriele Lösekrug-Möller, Kirsten Lühmann, Caren Marks, Katja Mast,
Petra Merkel (Berlin), Dr. Matthias Miersch, Franz Müntefering, Dietmar Nietan,
Manfred Nink, Aydan Özog˘uz, Thomas Oppermann, Holger Ortel, Heinz Paula,
Dr. Wilhelm Priesmeier, Sönke Rix, René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Michael Roth (Heringen), Marlene Rupprecht (Tiefenbach), Annette Sawade, Anton
Schaaf, Bernd Scheelen, Marianne Schieder (Schwandorf), Werner Schieder
(Weiden), Ulla Schmidt (Aachen), Silvia Schmidt (Eisleben), Carsten Schneider
(Erfurt), Swen Schulz (Spandau), Ewald Schurer, Frank Schwabe, Dr. Martin
Schwanholz, Rolf Schwanitz, Stefan Schwartze, Dr. Carsten Sieling, Kerstin Tack,
Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Ute Vogt, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Manfred
Zöllmer, Brigitte Zypries, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Bessere Politik für einen starken Mittelstand – Fachkräfte sichern, Innovationen
fördern, Rahmenbedingungen verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die deutsche Wirtschaft hat seit Ende der 90er-Jahre ihre Wettbewerbsfähigkeit

verbessert. Sie gilt wieder als Vorbild in Europa. Entscheidend dafür waren die
Leistungen der gut ausgebildeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, eine
kluge Unternehmenspolitik und ausgewogene Tarifabschlüsse der Sozialpartner.
Auch vorausschauende Reformen der sozialdemokratischen Politik haben einen
wichtigen Beitrag geleistet. Dass Deutschland im Vergleich zu anderen Volks-
wirtschaften besser durch die jüngsten Krisen gekommen ist, hängt ganz we-
sentlich mit dem hohen Industrieanteil der deutschen Wirtschaft und mit dem

Drucksache 17/13224 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Zusammenwirken von Großunternehmen und mittelständischen Betrieben zu-
sammen. Die stark ausgeprägte Verzahnung von kleinen und mittleren Unter-
nehmen (KMU) in Wertschöpfungsketten ist weltweit einmalig. Zudem spielt
das deutsche Handwerk – nicht zuletzt als „Ausbilder der Nation“ – eine ent-
scheidende Rolle für den Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Diese
Strukturen müssen erhalten und gestärkt werden.

Dabei steht der Wirtschaftsstandort Deutschland vor großen Herausforderungen:
Demografische Entwicklung, Klimawandel und globale Ressourcenknappheit,
steigende Energie- und Materialpreise, die andauernde Finanz- und Wirtschafts-
krise in Europa, der zunehmende internationale Innovationsdruck, aber auch die
Unterfinanzierung von wirtschaftsnaher Infrastruktur in den Bereichen Verkehr
und Kommunikation, prekäre Beschäftigungsverhältnisse und Ungleichheiten
im Lohngefüge verlangen zeitgemäße wirtschaftspolitische Antworten. Im Ver-
gleich zu größeren Betrieben haben der Mittelstand und das Handwerk bei der
Bewältigung der Herausforderungen besondere Chancen, aber auch spezifische
Schwierigkeiten zu bewältigen. Sie stehen mit den Großunternehmen in einer
harten Konkurrenz um Fachkräfte, haben einen eingeschränkteren finanziellen
Spielraum, zum Beispiel im Forschungsbereich, und sie sind vom bürokratischen
Aufwand vergleichsweise höher betroffen.

Obwohl die Auswirkungen des demografischen Wandels auf Personalplanung
und -entwicklung bereits heute spürbar sind, wird das bestehende Fachkräfte-
potenzial in Deutschland nicht annähernd ausgeschöpft. Nach Berechnungen der
Bundesagentur für Arbeit könnten bis 2025 zusätzlich bis zu 5,2 Millionen Fach-
kräfte im Inland gewonnen werden. Dazu bedarf es vor allem einer höheren
Frauenerwerbstätigkeit. Fast jede fünfte Führungskraft im Mittelstand ist weib-
lich. Diese Quote ist erfreulich, muss jedoch auch im Interesse der Betriebe noch
gesteigert werden. Ebenso werden ausländische Fachkräfte gebraucht. Die so
genannte Blue Card scheint sich nicht zu bewähren. Laut einer Studie der
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)
liegt die Zuwanderung von Fachkräften deutlich unter dem Niveau vergleich-
barer europäischer Nachbarn. Ein Grund ist demnach auch das als restriktiv
wahrgenommene Einwanderungssystem Deutschlands. Ein zentraler Baustein
zur Fachkräftesicherung ist die Beschäftigung Älterer. Viele Unternehmen haben
die Potenziale älterer Beschäftigter längst erkannt und eigene Initiativen gestar-
tet, um diese noch stärker zu erschließen. Klar ist auch, dass mittelständische
Unternehmen weiterhin ihren Beitrag leisten müssen: Der Bildungsbericht 2012
der Bundesregierung stellt fest, dass deutsche Unternehmen deutlich weniger in
Weiterbildungskurse investieren als andere Unternehmen im europäischen Ver-
gleich.

Neben der Fachkräfteproblematik gehört die Energiepolitik zu den zentralen
Fragen der Gegenwart. Die aktuelle Ausgestaltung der Energiewende schafft
Unsicherheiten durch die Unberechenbarkeit in der Energiepreisentwicklung,
und eine in ihrer Umsetzung nicht durchdachte und sich zum Teil widerspre-
chende Gesetzgebung. Daraus ergeben sich Risiken, zum Beispiel für den indus-
triellen Mittelstand, industrieorientierte Dienstleistungen, den Handel und
das Bauhaupt- und Ausbaugewerbe des Handwerks. Gleiches gilt für Dienst-
leistungsbranchen wie das Hotel- und Gaststättengewerbe. Die Chancen, die
sich aus der Energiewende ergeben, sind für KMU schwerer zu realisieren als
für große Unternehmen, wie das Energiewende-Barometer des Deutschen Indus-
trie- und Handelskammertages e. V. (DIHK) zeigt. Hinzu kommen Wettbewerbs-
verzerrungen, weil die schwarz-gelbe Bundesregierung die Ausnahmen von der
EEG-Umlage (EEG = Erneuerbare-Energien-Gesetz) zu Lasten von kleinen und
mittleren Betrieben, die davon nicht profitieren, stark ausgeweitet hat. Neben
der Steigerung der Energieeffizienz rückt auch die Steigerung der Ressourcen-

effizienz stärker in den Fokus der nationalen und internationalen Politik, weil
damit Kosten vermieden und endliche Ressourcen geschont werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/13224

Grundlagen für wirtschaftlichen Erfolg und individuellen Wohlstand sind die
persönlichen Leistungen von Unternehmerinnen und Unternehmern sowie
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Die Wirtschaftskraft eines Landes ist
zudem von vielen weiteren Faktoren abhängig, wie dem Grad des sozialen
Friedens, den Bildungschancen und einer leistungsfähigen Infrastruktur. Um
wirtschaftsfördernde Maßnahmen, wie Investitionen in Bildung und Infrastruk-
tur, finanzieren zu können, braucht es einen handlungsfähigen Staat. Die Ver-
bindung von wirtschaftlicher Leistung und gesichertem sozialen Fortschritt ist
das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft. Dies gilt auch im Hinblick auf die
Ausgestaltung des Steuersystems. Die zukunftssichernde Eigenkapitalbildung
von Unternehmen muss ebenso wie der Erhalt von Investitionsspielräumen
gewährleistet sein. Im Bereich der Mittelstandsfinanzierung sind zur Steigerung
der Attraktivität von Beteiligungsinvestitionen in neu gegründete, aber auch
etablierte mittelständische Unternehmen verlässliche und wettbewerbsfähige
rechtliche Rahmenbedingungen erforderlich. Die im Rahmen von Basel III
reformierten Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften für Kreditinstitute wer-
den auch die Finanzierungsbedingungen für den deutschen Mittelstand und das
Handwerk beeinflussen. Eine wichtige Rolle bei der Finanzierung mittelstän-
discher Investitionen spielt neben den „klassischen“ Mittelstandsfinanzierern,
wie den Sparkassen, Volks- und Genossenschaftsbanken, die staatseigene KfW
Bankengruppe. Die Förderung der inländischen Wirtschaft bildet einen Schwer-
punkt ihrer Aufgaben und macht sie zur unverzichtbaren Säule der Mittelstands-
finanzierung.

Der Mittelstand setzt eher auf gute Rahmenbedingungen, denn auf Förderpro-
gramme. Gleichwohl haben die regionale Wirtschaftspolitik und hier besonders
zielgenaue Förderprogramme maßgeblich dazu beigetragen, die wirtschaftliche
Situation vieler kleiner und mittlerer Unternehmen zu verbessern. Mit der Ge-
meinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW)
unterstützen Bund und Länder gemeinsam strukturschwache Regionen. Die Be-
deutung der Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur wächst – vor allem
auch durch das Auslaufen der Investitionszulage in Ostdeutschland und die ver-
änderten Förderbedingungen auf europäischer Ebene. Zur Förderung von Inno-
vationen ist das 2008 unter maßgeblicher Beteiligung der SPD gestartete „Zen-
trale Innovationsprogramm für den Mittelstand (ZIM)“ unerlässlich. Allein von
2008 bis 2010 wurden rund 9 000 Unternehmen mit ZIM-Mitteln gefördert. Die
gegenwärtige Förderlandschaft ist jedoch unübersichtlich: Zu den Förderpro-
grammen der einzelnen Bundesministerien betreiben die 16 Bundesländer weit
über 100 zusätzliche Förderprogramme – von Förderprogrammen auf europä-
ischer Ebene ganz zu schweigen. Diese Komplexität und der hohe bürokratische
Aufwand der Förderanträge schrecken insbesondere kleine und mittlere Unter-
nehmen ab und überfordern sie. Eine weitere Problematik gibt es im Hinblick
auf Genossenschaften: Während größere Genossenschaften häufig Probleme
mit der Finanzierung von Investitionen haben, weil Darlehen ihrer Mitglieder
nicht zulässig sind, scheitern Neuanmeldungen kleinerer Genossenschaften da-
ran, dass sie im Unterschied zu Kapitalgesellschaften keinen Zugang zu etablier-
ten Wirtschaftsförderprogrammen haben.

Es sind die Ideen der kleinen und mittleren Unternehmen für neuartige Produkte
und ihre Bereitschaft, die Unsicherheiten der Entwicklung in Kauf zu nehmen,
die ein Schlüssel zur globalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sind. Mit
über 30 000 forschenden und 110 000 hoch innovativen Unternehmen gibt der
deutsche Mittelstand das Entwicklungstempo vor. Allerdings ist laut einer in
diesem Jahr veröffentlichten Studie des Zentrums für Europäische Wirtschafts-
forschung GmbH (ZEW) der Anteil der Unternehmen der deutschen Wirtschaft,
die Produkt- oder Prozessinnovationen einführen konnten („Innovatoren“), im

Jahr 2011 auf 39,5 Prozent gesunken. Er lag damit um 3 Prozentpunkte unter
dem bereits niedrigem Niveau der Jahre 2009 und 2010. Kleine und mittlere Un-

Drucksache 17/13224 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

ternehmen können in der Regel Forschung und Entwicklung nicht allein aus
Eigenmitteln finanzieren: Zum einen haben viele Unternehmen zu wenig Eigen-
kapital und zum anderen treten häufig Schwierigkeiten bei der Beschaffung
externen Kapitals auf. Begründet liegt dies zum einen in den unsicheren Verwer-
tungsmöglichkeiten. Zum anderen bieten Innovationen an sich keine Sicherhei-
ten, die beispielsweise für eine Kreditfinanzierung herangezogen werden könn-
ten. Aufgrund dieser großen Unsicherheit greifen klassische Förderinstrumente
in solchen Fällen meist nicht. Dieses Marktversagen führt zu einer großen För-
derlücke. Um die Innovationsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen
nachhaltig zu unterstützen, werden in Ostdeutschland gemeinnützige externe
Industrieforschungseinheiten (IFE) gefördert, so genannte Forschungs-GmbHen.
Eine Evaluierung des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) zeigt, dass
der mit der Förderung angestrebte Transfer der IFE-Ergebnisse in Unternehmen
greift. Innovationen haben ihren Ursprung oftmals in jungen Unternehmen, de-
nen aber zu wenig privates Beteiligungskapital zur Verfügung steht. Alternative
Finanzierungsinstrumente wie private Wagniskapitalfonds oder auch Investitio-
nen durch sogenannte Business Angels werden zu selten in Betracht gezogen.

Die Gründung neuer Unternehmen und die Sicherung der Unternehmensnach-
folge sind für die Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland von zentraler
Bedeutung. Neue Unternehmen fördern Wettbewerb und Strukturwandel, ver-
wirklichen innovative Ideen und bieten neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Die
Kürzung des Zuschusses für Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit sowie
dessen Streichung als Pflichtleistung haben zu einem Rückgang der Geförderten
um über 90 Prozent von fast 11 000 (Juni 2011) auf 900 (Juni 2012) geführt.
Damit wurde eines der wirksamsten Förderinstrumente faktisch abgeschafft.
Die Gründer, die keinen Zuschuss bekamen, mussten zudem auf das Gründer-
Coaching der KfW Bankengruppe verzichten. Doch auch den innovativen Grün-
dungen, die als besonders förderwürdig gelten, fehlt es an adäquater Finanzie-
rung. Untersuchungen haben ergeben, dass die Rahmenbedingungen in
Deutschland für Investitionen in junge, innovative Unternehmen in mehrfacher
Hinsicht Defizite aufweisen. Eine besondere Form des Eintritts in die berufliche
Selbständigkeit stellt die Übernahme eines Unternehmens dar. Jährlich sind rund
300 000 Arbeitsplätze von den Unternehmensübergaben betroffen: In Deutsch-
land suchen pro Jahr durchschnittlich 22 000 Unternehmen einen Nachfolger
oder eine Nachfolgerin. Über ein Drittel der Unternehmer haben jedoch Pro-
bleme, einen geeigneten Nachfolger zu finden.

Im Vergleich zu Konzernen stehen kleine und mittlere Unternehmen beim
Zugang zu ausländischen Märkten vor spezifischen Herausforderungen: Oft feh-
len Erfahrung, Geld und Personal, um sich auf den europäischen und internatio-
nalen Märkten zu bewegen. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass
es in Deutschland eine Reihe international erfolgreich agierender KMU gibt, die
trotz ihrer Weltmarktführerstellung öffentlich weitgehend unbekannt sind und
daher auch als „Hidden Champions“ bezeichnet werden. Um den Markteintritt
und - erfolg deutscher Unternehmen international zu fördern, kann Politik die
Rahmenbedingungen verbessern und insbesondere auf die Beachtung multi-
lateraler Regeln sowie den weiteren Abbau noch bestehender Marktzugangs-
schranken hinwirken. Zudem unterstützt der Bund Außenwirtschaftsförderung
und Standortvermarktung über die Auslandsvertretungen sowie über die bun-
deseigene Gesellschaft Germany Trade and Invest – Gesellschaft für Außenwirt-
schaft und Standortmarketing mbH. Das System der Außenwirtschaftsförderung
in Deutschland ist durch den Föderalismus und die Beteiligung von Einrichtun-
gen der privaten Wirtschaft gekennzeichnet. Die Koordinierung der Außenwirt-
schaftsförderung ist unzureichend.

Das Welthandelsvolumen wächst – ein Zeichen für die weiter zunehmende in-

ternationale Arbeitsteilung. Für die Einbindung Deutschlands in globale Pro-
duktionsketten braucht es vor allem eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/13224

Unsere öffentliche Infrastruktur leidet an Unterfinanzierung – das gilt für den
Verkehrssektor und ebenso für den Bereich Kommunikation. Die Arbeitswelt
von heute und morgen ist mehr denn je von der Digitalisierung geprägt. Wissen
und Information und damit auch der Zugang zum Internet entscheiden zuneh-
mend über den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen und die beruflichen
Perspektiven von Beschäftigten. Bei der Telekommunikationsinfrastruktur ist
Deutschland jedoch von einer flächendeckenden Breitbandversorgung noch
weit entfernt.

Um den Strukturwandel zu bewältigen, die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen
Mittelstands und Handwerks zu stärken und Innovationen zu fördern, braucht es
vor allem „Gute Arbeit“: Qualifizierung, faire Löhne und gute Arbeitsbedingun-
gen sind nicht allein Kernpunkte der Sozialpolitik. Sie sind unverzichtbare
Elemente der sozialen Marktwirtschaft und eine Grundlage unseres Wachstums,
das auch eine stabile Nachfrage voraussetzt. Zur Entfaltung von Unternehmer-
tum, Selbständigkeit und Existenzgründungen bedarf es einer besseren Politik
für einen starken Mittelstand.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. zur Fachkräftesicherung beizutragen und dazu unter anderem die Arbeits-
losenversicherung zu einer Arbeitsversicherung weiterzuentwickeln. Durch
berufsbegleitende Beratung und Weiterqualifizierung werden so die Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer auch im Interesse der Unternehmen vorsor-
gend abgesichert;

2. eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu fördern, auch um die
Frauenerwerbstätigkeit zu erhöhen. Das Betreuungsgeld muss zurückgenom-
men werden, um das Geld stattdessen in den Ausbau weiterer Kinderbetreu-
ungsplätze zu investieren;

3. sich bei der Verbesserung von Transparenz und Vergleichbarkeit der Berufs-
abschlüsse auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass deutsche Stan-
dards gewahrt werden. Dies gilt insbesondere für Abschlüsse der beruflichen
Aufstiegsfortbildung in Handwerk (z. B. Meisterbrief), Industrie und Handel;

4. zur Sicherung der Fachkräftebasis von kleinen und mittleren Unternehmen
Ausbildungsverbünde, Weiterbildungsnetzwerke und überbetriebliche Bil-
dungsberatung und Weiterbildungsberatung für Beschäftigte und Betriebe zu
stärken und damit eine langfristige Personalentwicklung zu unterstützen;

5. die Förderung der überbetrieblichen Lehrlingsunterweisung (ÜLU) im Hand-
werk und die Förderung der Investitionen in überbetriebliche berufliche Bil-
dungsstätten unter Einbeziehung der Sozialpartner fortzuführen;

6. in Zusammenarbeit mit den Ländern einen „Lotsendienst“ für ausländische
Fachkräfte zu erarbeiten. In einem ersten Schritt werden die wichtigsten For-
mulare in englischer Sprache zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus soll die
Unterstützung der ersten Organisationsschritte aus einer Hand erfolgen;

7. das Anerkennungsgesetz des Bundes für ausländische Fachkräfte zu verbes-
sern. Notwendig sind dabei vor allem die Einführung eines Beratungsanspru-
ches sowie eine Neugestaltung der Gebühren nach sozialen Aspekten. Zudem
muss unter anderem ein angemessenes Förderangebot für erforderliche Maß-
nahmen zur Nachqualifizierung sichergestellt werden;

8. einen „Deutschen Rat für Fachkräftesicherung“ einzuführen, in dem sich
Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik gemeinsam auf konkrete Maßnah-
men und Verantwortlichkeiten verständigen;

9. zur Dämpfung der Strompreisentwicklung als Sofortmaßnahme die Strom-

steuer zu senken, um Verbraucherinnen und Verbraucher sowie den Mittel-
stand zu entlasten;

Drucksache 17/13224 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

10. dem Investitionsstau bei der Modernisierung und dem Neubau von konven-
tionellen Kraftwerken wirkungsvoll zu begegnen. Hierzu bedarf es eines
neuen Ordnungsrahmens für den Strommarkt, der sowohl die erneuerbare
als auch die konventionelle Stromerzeugung umfasst;

11. das EEG zu reformieren und die Befreiung von Unternehmen von der EEG-
Umlage und den Netzgebühren auf den Kreis der Unternehmen zu konzen-
trieren, die mit hohen Energiekosten im internationalen Wettbewerb stehen;

12. das Programm der KfW Bankengruppe zur energetischen Gebäudesanie-
rung mit jährlich 2 Mrd. Euro im Haushalt festzuschreiben. Von den
Bauaufträgen profitieren vor allem örtliche Handwerksbetriebe aus dem
Mittelstand. Die Mittel sollen zweckgebunden mit geringem Verwaltungs-
aufwand zur Verfügung gestellt werden;

13. für den Bereich der nichtenergetischen Rohstoffe die Programme zur Siche-
rung des Rohstoffbezugs, zum effizienten Einsatz von Ressourcen sowie zur
Wirtschaftlichkeit des Recycling von Rohstoffen zielgruppenorientiert aus-
zurichten. Dabei ist eine Abstimmung mit Unternehmen, Kommunen und
kommunalen Spitzenverbänden, Kammern und Verbänden erforderlich;

14. bislang unabgestimmte staatliche Regulierungen zur Förderung der Ressour-
ceneffizienz auf ihre nachhaltige Wirkung und ihre Mittelstandsfreundlich-
keit zu evaluieren und gegebenenfalls zu modifizieren. Sie müssen der Art
der Produktion angemessen und in ihrer Umsetzung technologieoffen sein;

15. zur Verbesserung der Wagniskapitalbeteiligung den Verkauf von Unterneh-
mensbeteiligungen („Exits“) zu erleichtern. Um verlässliche Rahmenbedin-
gungen für den Erwerb und den Verkauf von Beteiligungen zu schaffen, ist
auf eine schnelle Klärung der offenen beihilferechtlichen Fragen zur Ver-
lustverrechnung auf europäischer Ebene im Sinne von KMU hinzuwirken;

16. sich für eine mittelstandsfreundliche Ausgestaltung von Basel III einzuset-
zen. Dazu ist es insbesondere erforderlich, dass die geringe Systemrelevanz
mittelständischer Kredite bei der Festsetzung der zusätzlichen Eigenkapi-
talpuffer adäquat bewertet wird;

17. durch eine Stärkung des Instruments der Mittelstandsanleihe die Finanzie-
rungsbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen zu verbessern. Um
die Emission zu erleichtern, sollte eine staatlich unterstützte Ratingagentur
für Mittelstandsanleihen eingerichtet werden;

18. Leasing als ein sinnvolles Instrument zur Finanzierung größerer Investitio-
nen für den Mittelstand zu fördern und die rechtlichen Rahmenbedingungen
für den Verkauf von Forderungen („Factoring“) zu erleichtern;

19. sich für die Einführung einer Vermögensteuer einzusetzen, um den Ländern
die notwendige Erhöhung der Bildungsinvestitionen zu ermöglichen. Die
Vermögensteuer muss der besonderen Situation des deutschen Mittelstan-
des, von Personengesellschaften und Familienunternehmen Rechnung tra-
gen, eine zukunftssichernde Eigenkapitalbildung gewährleisten und darf
ihre Investitionspielräume nicht belasten;

20. das ZIM über das Jahr 2014 hinaus fortzuführen. Auch die Programme der
Programmfamilie „Unternehmen Region“, wie das Forschungsprogramm
„Zwanzig20 – Partnerschaft für Innovation“, müssen finanziell verstetigt
werden. Dadurch werden überregionale Verbünde zur Entwicklung neuer
Produkte maßgeblich unterstützt;

21. die Kürzungen der GRW-Mittel für die kommenden Jahre zurückzuneh-
men, damit strukturschwache Regionen weiterhin effektiv unterstützt wer-

den können;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/13224

22. die Förderlandschaft in Zusammenarbeit mit den Ländern und den Landes-
förderbanken zu straffen und effektiver zu gestalten. Förderanträge für
kleine und mittlere Unternehmen sind so zu gestalten, dass die bürokra-
tische Belastung sowohl für den Antragsteller als auch für die Verwaltung
verringert wird;

23. Genossenschaften die Möglichkeit der Finanzierung von Investitionen
durch Mitgliederdarlehen zu eröffnen;

24. Genossenschaften wie andere Existenzgründungen zu fördern und dafür
ggf. neue geeignete Förderinstrumente zu entwickeln;

25. genossenschaftliches Wirtschaften speziell in der Kultur- und Kreativ-
wirtschaft, bei Energiegenossenschaften und bei der Sicherung der Daseins-
vorsorge zu unterstützen. Voraussetzung dafür sind erheblich reduzierte
Rechtsformkosten;

26. neben der Projektförderung eine Form der steuerlichen Forschungsförde-
rung zu etablieren, die kleinen und mittleren Unternehmen zugute kommt.
Dabei müssen Mitnahmeeffekte vermieden und auch jene Unternehmen un-
terstützt werden, die mangels Gewinnen keine Steuergutschriften erhalten
können;

27. sich dafür einzusetzen, kleineren Unternehmen den Zugang zu Darlehen des
ERP-Innovationsprogramms (ERP: European Recovery Program) zu er-
leichtern;

28. das Programm INNO-KOM-Ost zu verlängern und zu prüfen, ob das in Ost-
deutschland bewährte Programm auch auf strukturschwache Regionen in
Westdeutschland ausgeweitet werden kann;

29. einen Innovationsfonds in Stiftungsform einzurichten, der die organisatori-
sche und inhaltliche Unterstützung von Forscherinnen und Forschern im
Rahmen von Validierungsprojekten, der Finanzierung ebensolcher Projekte
und die Koordination mit Unternehmern und Risikokapitalgebern zur Auf-
gabe hat;

30. die Kürzung des Zuschusses für Existenzgründer zurückzunehmen und als
gesetzliche Pflichtleistung wieder einzuführen;

31. eine praxisgerechte und für Anleger attraktive Fondsstruktur z. B. durch
Förderung der Beratungsleistung von Business Angels oder die Einrichtung
einer europaweiten Technologiebörse für Anteile an jungen, innovativen
Unternehmen zu erreichen. Auch Steuerfreibeträge bei Investitionen in
Venture-Capital-Fonds sollen geprüft werden;

32. Vermittlungsplattformen für die Unternehmensnachfolge, wie z. B. die von
den Kammern betriebene „nexxt change“, zu unterstützen und weiter aus-
zubauen;

33. die unterschiedlichen Initiativen zur Außenwirtschaftsförderung auf Bun-
des- und Landesebene besser zu koordinieren, um die Interessen der deut-
schen Unternehmen bestmöglich und einhellig vertreten zu können;

34. die deutschen Auslandshandelskammern (AHK) weiterhin bei ihrem Enga-
gement für mittelständische Unternehmen zu unterstützen und den Bundes-
zuschuss zu verstetigen. Das Informations- und Beratungsangebot der AHK
sollte auf die finanziellen und personellen Ressourcen der jeweiligen Unter-
nehmensgröße zugeschnitten werden;

35. exportorientierte deutsche Unternehmen auch in Zukunft bei der Absiche-
rung des Außenhandels durch sogenannte Hermesdeckungen zu unterstüt-

zen. Die Export- und Projektfinanzierung der KfW Bankengruppe für mit-
telständische Unternehmen muss fortgeführt werden;

Drucksache 17/13224 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
36. von der im Jahreswirtschaftsbericht 2013 angestrebten Abschöpfung der
Gewinne der KfW Bankengruppe zugunsten des allgemeinen Bundeshaus-
halts anstelle der Stärkung des Mittelstandsgeschäfts dauerhaft Abstand zu
nehmen;

37. an einer vernünftigen Banken- und Finanzmarktregulierung zu arbeiten, um
die Mittel wieder zuvorderst in die Realwirtschaft anstatt in Spekulationen
zu lenken;

38. eine klare Prioritätensetzung in der Planung und Finanzierung der Verkehrs-
infrastruktur vorzunehmen. Die Bundesverkehrswegeplanung muss zu
einer Bundesverkehrsnetzplanung umgebaut werden, die verkehrsträger-
übergreifend vorgeht und statt einer isolierten Betrachtung einzelner Pro-
jekte das verlässliche Funktionieren des Verkehrsnetzes als Ganzes in den
Mittelpunkt rückt;

39. eine flächendeckende Versorgung mit schnellen Internetanschlüssen sicher-
zustellen. Neben einer Breitbandgrundversorgung für alle Nutzerinnen und
Nutzer, die über einen Universaldienst sichergestellt werden soll, muss auch
der weitere privatwirtschaftliche Ausbau der Hochgeschwindigkeitsnetze
vorangetrieben werden;

40. einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro
einzuführen, um Vollzeitbeschäftigten ein Existenz sicherndes Einkommen
zu gewährleisten. Er muss in allen Branchen und für alle Arbeitgeber und
Beschäftigten gleichermaßen gelten und soll künftig von einer Mindest-
lohnkommission bestimmt werden;

41. gesetzlich zu regeln, dass Männer und Frauen die gleiche Entlohnung für
gleiche und gleichwertige Arbeit erhalten;

42. für den „Equal Pay“-Grundsatz in der Leiharbeit einzutreten, nach dem
Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer bei gleicher Qualifikation das
gleiche verdienen sollten wie ihre Stammarbeitskolleginnen und -kollegen.
Arbeitsverträge dürfen nicht für die Dauer eines Einsatzes im Entleihbetrieb
befristet werden. Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer müssen auch in
Zeiten ohne Arbeitseinsatz weiter im Arbeitsverhältnis stehen und entlohnt
werden. Der Missbrauch von Werkverträgen muss verhindert werden;

43. die Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung weiterzuent-
wickeln. Ein wichtiges Ziel ist es, dass versicherte Selbständige ihren Ein-
kommen entsprechende Rentenanwartschaften erzielen, um das Risiko der
Altersarmut zu minimieren;

44. den Bürokratieabbau voranzutreiben, z. B. indem Kommunen, die das
bundesweite Gütezeichen „Mittelstandsorientierte Kommunalverwaltung“
haben, angeboten wird, mit dem Normenkontrollrat im Rahmen eines
Pilotvorhabens zusammenzuarbeiten. So kann der Erfüllungsaufwand
vorab ermittelt und Lösungsansätze zur Reduzierung erarbeitet werden.
Mittelfristig sollte eine Ausweitung des Kreises der zertifizierten Kommu-
nen angestrebt werden;

45. die nationale und die europäische Rechtsetzung von Vornherein auf den
Mittelstand auszurichten und sich dafür einzusetzen, einen Normenkon-
trollrat auch auf europäischer Ebene einzuführen.

Berlin, den 23. April 2013

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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