BT-Drucksache 17/12823

Soziale Arbeitsbedingungen in der maritimen Wirtschaft fördern - Flaggenflucht verhindern

Vom 19. März 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12823
17. Wahlperiode 19. 03. 2013

Antrag
der Abgeordneten Herbert Behrens, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch,
Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus, Katrin Kunert,
Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze,
Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert, Kersten
Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair und der Fraktion DIE LINKE.

Soziale Arbeitsbedingungen in der maritimen Wirtschaft fördern – Flaggenflucht
verhindern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die deutsche Schifffahrt befindet sich in unruhigem Fahrwasser. In der Wirt-
schafts- und Finanzkrise seit 2008 hat die große Überkapazität der Handels-
flotte zu einem Verfall der Frachtraten geführt und insbesondere kleine und
mittelständische Reedereien stark getroffen.

Im November 2012 hat der Deutsche Bundestag eine Veränderung des Flaggen-
rechtsgesetzes (FlaggRG) beschlossen und damit die Ausflaggungspraxis in § 7
FlaggRG verändert. Während bis dahin ein Schiff nur ausnahmsweise in wirt-
schaftlicher Not befristet an einen ausländischen Reeder verchartert werden
konnte, kann dies nun mit einer geringen Ausgleichszahlung an den Ausbil-
dungs- und Lohnkostensubventionen erkauft werden. Die Befristung dieser Re-
gelung wurde gestrichen.

Die Gebühren zur Ausflaggung der Schiffe werden mit weiteren Subventions-
leistungen im Rahmen des Bündnisses für Ausbildung und Beschäftigung in der
deutschen Seeschifffahrt (Maritimes Bündnis) über eine Stiftung Schifffahrts-
standort Deutschland wieder der Branche zur Förderung der Ausbildung und
Beschäftigung bereitgestellt.

Die dafür zugesicherte Verpflichtung der Reeder, mindestens 600 Schiffe unter
deutscher Flagge fahren zu lassen, wurde von ihnen jedoch nicht eingehalten.
Aktuell fahren lediglich 309 Frachter unter deutscher Flagge, während 3 088
Handelsschiffe unter fremder Flagge fahren (Bundesamt für Seeschifffahrt und
Hydrographie, Stand: 28. Februar 2013). Circa 90 Prozent fahren unter soge-
nannter Billigflagge mit schlechten Arbeits- und Sozialbedingungen für die
Seeleute und geringen Kosten für die Reeder.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich innerhalb der EU dafür einzusetzen,

• dass für Schiffe der Mitgliedstaaten neben der nationalen Flagge ein einheit-
licher Rahmen im Sinne eines europäischen Flaggenregisters eingeführt
wird;

Drucksache 17/12823 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

• dass die europäische Schifffahrtsförderung mit neuen Leitlinien vereinheit-
licht und der derzeitige Subventionswettbewerb innerhalb der EU-Mitglied-
staaten um eine günstige Schifffahrtsförderung zum Ausbau der eigenen
nationalen Flotte beendet wird;

• dass als Fördervoraussetzung für die Sicherung von Ausbildung und Know-
how in den europäischen Flaggenstaaten die jeweiligen Bemannungsvor-
schriften einen Mindestanteil von EU-Seeleuten vorsehen müssen;

• dass steuerliche Bedingungen für die europäische Seeschifffahrt harmoni-
siert sowie arbeits- und sozialrechtliche Normen für die Besatzungen auf
den höchsten in den europäischen Flaggenstaaten entwickelten Standards
vereinheitlicht werden.

Berlin, den 19. März 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Das Bündnis für Beschäftigung und Ausbildung in der deutschen Seeschifffahrt
(Maritimes Bündnis) wurde 2003 zwischen der Bundesregierung, den Reedern
und Gewerkschaften gegründet, moderiert vom damaligen Bundeskanzler
Gerhard Schröder. Den Reedern wurden finanzielle Zuschüsse zu den Ausbil-
dungs- und Lohnnebenkosten zugesichert, damit diese im Gegenzug wieder
mehr Schiffe unter deutscher Flagge fahren lassen. Denn nur dann gelten an
Bord auch deutsches Recht, Tariflöhne und Arbeitsvorschriften.

Seitdem erhält die Schifffahrt erhebliche Steuervergünstigungen wie die Tonna-
gesteuer, den Lohnsteuereinbehalt und Zuschüsse zu den Lohnnebenkosten
sowie eine Ausbildungsplatzförderung. Die Reeder kommen aber ihren Ver-
pflichtungen aus dem Maritimen Bündnis nicht nach. Aktuell sind ca. 6 900 deut-
sche Seeleute auf Schiffen unter deutscher Flagge beschäftigt (Bundestags-
drucksache 17/12567, S. 9) während bei deutschen Reedereien laut Angabe des
Verbandes Deutscher Reeder insgesamt über 73 000 Seeleute an Bord und
23 000 Mitarbeiter an Land beschäftigt sind (Bundestagsdrucksache 17/12567
S. 3). Während die Schifffahrtsausbildung hoch gefördert wird, gibt es kaum
Arbeitsplätze auf deutschen Schiffen. Ein nautisches Patent, das an einer See-
mannsschule erworben wurde, muss jedoch auch ausgefahren werden, um es zu
erhalten.

Die arbeitslos gemeldeten Seeleute in der Zentralen Heuerstelle Hamburg zei-
gen, wie mit ausgebildeten Seeleuten umgegangen wird. Über 500 Arbeit
suchenden Seeleuten stehen 56 Stellenangebote gegenüber (Bundesagentur für
Arbeit, Stand: 31. Dezember 2012).

Die Einführung der Tonnagesteuer im Jahr 2004 hat bis zum Jahr 2011 zu
4,965 Mrd. Euro weniger Steuereinnahmen geführt, aber nicht verhindert, dass
inländische Reeder ihre Schiffe weiter ausgeflaggt haben. Die Zahl der aus-
geflaggten Schiffe ist seit Einführung der Tonnagesteuer im gleichen Zeitraum
von 632 auf 3 103 gestiegen, die Zahl der unter deutscher Flagge fahrenden
Schiffe von 847 auf 437 gesunken.

Damit die EU diese Subvention genehmigt, ist in den Leitlinien der Gemein-
schaft für staatliche Beihilfen im Seeverkehr (Mitteilung C(2004)43 der Kom-
mission, ABl. C 13 vom 17.1.2004, S. 3) vorgeschrieben, dass die Reeder
60 Prozent der Schiffe eines Landes unter der Flagge eines EU-Mitgliedstaates

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12823

fahren lassen. Laut Auskunft der Bundesregierung auf Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. sind seit Erlass dieser Leitlinien diese Vorgaben nie erreicht worden und
bis 2011 ca. 74,3 Prozent der Handelsschiffe außerhalb der EU ausgeflaggt
(Bundestagsdrucksache 17/7701). Nach eigenen Angaben der Reeder sparen sie
durch die Ausflaggung pro Schiff bis zu 0,5 Mio. Euro jährlich (Waterkant 4/12,
S. 14).

Um die EU-Subventionsvorgabe einzuhalten, hat nun ein Hamburger Unter-
nehmer Anfang 2013 in der rumänischen Hauptstadt Bukarest das neue Flag-
genregister Romanian International Flag Administration (RIFA) eröffnet, um
bis zu 1 000 Schiffe unter rumänische Flagge zu bringen. Damit sollen die EU-
Vorgaben eingehalten werden, ohne dass strenge Arbeits- und Sozialbestim-
mungen gelten.

Die gültigen EU-Vorgaben werden weder eingehalten noch wurde ihr Ziel er-
reicht. Sie müssen daher überarbeitet, verschärft und vereinheitlicht werden.

Das Seearbeitsübereinkommen (MLC) der Internationalen Arbeitsorganisation
(ILO) wird nach sieben Jahren am 20. August 2013 international in Kraft treten
und einheitliche Mindeststandards für die Arbeitsbedingungen der 1,2 Millionen
Seeleute weltweit setzen. Innerhalb der EU sollten jedoch über die Mindest-
bedingungen hinaus gehende Regelungen geschaffen werden.

Während die nationale Flagge die Staatsangehörigkeit zum Flaggenstaat gemäß
den Artikeln 91 und 92 des Seerechtsübereinkommens völkerrechtlich begrün-
den soll, würde ein europäisches Flaggenregister die Grundlage für einheitliche
rechtliche Rahmenbedingungen innerhalb der EU schaffen können.

Damit könnten der Ausflaggungspraxis und dem Dumping der Mitgliedstaaten
um Schifffahrtssubvention zu Lasten der Steuerzahler und niedrige Rechtsvor-
gaben zu Lasten der Arbeitnehmer Einhalt geboten und einheitliche Mindest-
bedingungen auf dem Arbeitsmarkt der Seeschifffahrt erreicht werden.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.