BT-Drucksache 17/12544

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/11293, 17/11873, 17/12526 - Entwurf eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes

Vom 27. Februar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12544
17. Wahlperiode 27. 02. 2013

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert
Behrens, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Roland Claus,
Katrin Kunert, Caren Lay, Sabine Leidig, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch,
Thomas Lutze, Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja Seifert,
Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/11293, 17/11873, 17/12526 –

Entwurf eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

„Ziel des Gesetzes ist es, Maßnahmen zu treffen, die darauf gerichtet sind, den
Einsatz von Antibiotika bei der Haltung von Tieren zu reduzieren“, heißt es in
der Begründung des Gesetzentwurfs auf Bundestagsdrucksache 17/11293. Die-
ses Ziel wird durch die Novelle des Arzneimittelgesetzes kaum erreichbar sein.
Sinnvolle Änderungsvorschläge des Bundesrates, beispielsweise die Antibio-
tika-Leitlinien der Bundestierärztekammer gesetzlich zu verankern, und kriti-
sche Anregungen aus der Anhörung der Expertinnen und Experten im Aus-
schuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Deutschen
Bundestages am 28. November 2012 wurden mit Verweis auf angeblich unver-
hältnismäßige Belastungen der tierhaltenden Betriebe ausdrücklich abgelehnt
oder ignoriert. Der Bundesverband praktizierender Tierärzte e. V. wies auf „zahl-
reiche Schwächen“ im Gesetzentwurf hin.

Mit der Gesetzesänderung wird lediglich ein erster zaghafter Zwischenschritt
zur notwendigen Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika in der Tierhaltung
gegangen. Dringend ist aber eine konsequente Abkehr von der Antibiotika-
anwendung als Betriebskonzept tierhaltender Betriebe, denn das ist Antibio-
tikamissbrauch. Eine aktuelle Erhebung in Putenmastanlagen im Bundesland
Mecklenburg-Vorpommern hat ergeben, dass in 33 der 34 untersuchten Agrar-
betriebe Antibiotika verabreicht wurden. Dabei lagen die meisten Betriebe bei
drei bis acht Behandlungen. Wirkliche Verbesserungen der Tiergesundheit in

den Ställen sind nur erreichbar, wenn Mängel bei der Bestandsbetreuung, beim
Stallklima und der Stallhygiene beseitigt werden. Dazu bedarf es einer abge-
stimmten und wirkungsvollen Antibiotikaminimierungsstrategie und einer Über-
prüfung aller Tierhaltungssysteme hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Tier-
gesundheit. Es darf nicht nur um eine bessere Dokumentation und Transparenz
der Probleme gehen, sondern um eine deutliche und reale Reduktion des Antibio-
tikaeinsatzes.

Drucksache 17/12544 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• zur Verbesserung der Tiergesundheit und zur Reduzierung des Antibiotika-
verbrauchs nicht nur das Arzneimittelgesetz zu ändern, sondern auch ent-
sprechende Gesetzentwürfe zur Änderung des Tiergesundheitsgesetzes und
des Tierschutzgesetzes vorzulegen. Die Tierhaltungsbedingungen sind dabei
so zu regeln, dass die Tierarzneimittelgaben messbar und dauerhaft reduziert
werden. Die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung ist entsprechend anzu-
passen und auf alle Nutztierarten zu erweitern;

• eine zentrale und bundesweite Antibiotikadatenbank beim Bundesamt für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) einzurichten und
einen Gesetzentwurf für eine Meldepflicht für Tierhalterinnen und Tierhalter
vorzulegen. Für die Datenbank sollten der Abgabebeleg des Tierarztes bzw.
der Tierärztin und der Anwendungsbeleg des tierhaltenden Betriebes heran-
gezogen werden. Die Datenbank muss über den Mastbereich hinausgehend
auch alle Haltungsstufen umfassen, so dass der gesamte Lebenszyklus der
Tiere, also auch die Zucht und Aufzucht, einbezogen wird. Haltungsbedin-
gungen, Mortalitätsrate, Schlachtbefunde, Häufigkeit der Anwendung und
Höhe der täglichen Dosierung und weitere Angaben sind in die Datenbank
einzuspeisen. Die Behandlung ganzer Bestände ist ausdrücklich auszuweisen.
Darüber hinaus sind auch aquatische Tierhaltungsanlagen zu dokumentieren.
Vorhandene Schnittstellen zu Datenbanken und Dokumentationen sind zu
nutzen, um den Bürokratieaufwand für die Tierhalterinnen und Tierhalter
auf das unvermeidliche Maß zu begrenzen;

• eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern von
Bund, Ländern und Wissenschaft unter Leitung des Bundes einzusetzen, die
Vorschläge für Maßnahmen zur Förderung der Tiergesundheit und für in der
Datenbank zu erfassende Tiergesundheitsparameter mit dem Ziel erarbeitet,
den Antibiotikaeinsatz zu senken;

• zur Orientierung der tierhaltenden Betriebe politisch ambitionierte Minimie-
rungsziele für den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung festzulegen,
die auf der Grundlage eines jährlich öffentlich vorzulegenden Fortschritts-
berichts angepasst werden. Diese dürfen der notwendigen Behandlung er-
krankter Bestände oder Einzeltiere nicht im Wege stehen, aber Orientierung
für notwendige rechtliche, exekutive und bauliche Änderungen und Verbes-
serungen im Bestandsmanagement geben;

• den Gebrauch von Human- und Veterinärantibiotika so weit wie möglich zu
trennen. Dabei sind entsprechende Therapienotstände bei einzelnen Tierar-
ten zu berücksichtigen;

• die integrierte veterinärmedizinische Bestandsbetreuung zur Verbesserung
der Tiergesundheit rechtlich im Tiergesundheitsgesetz vorzuschreiben.
Klare Regelungen zu Besuchsfrequenzen sind vorzuschreiben;

• am tierärztlichen Dispensierrecht festzuhalten;

• zu prüfen, ob bei nachgewiesener Bestechlichkeit oder grob fahrlässigem
Handeln Tierärztinnen und Tierärzten die Approbation entzogen werden
kann;

• eine Nachweisführung für Restmengen von Antibiotika im Besitz des tier-
haltenden Betriebes einzuführen;

• die Antibiotika-Leitlinien der Bundestierärztekammer im Sinne der Einhal-
tung der tierärztlichen Sorgfaltspflicht verbindlich zu regeln und ihre regel-
mäßige Aktualisierung zu initiieren;
• den Behörden der Bundesländer verbesserte Kontroll- und Sanktionsmög-
lichkeiten einzuräumen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12544

• die Verpflichtung der Behörden, Inspektionsberichte den überprüften Betrie-
ben, Einrichtungen und Personen als Entwurf zur Stellungnahme mitzutei-
len, nur auf die Überwachung von Arzneimittelherstellern zu beschränken
(§ 64 Absatz 3h Satz 2 des Arzneimittelgesetzes);

• den Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Antibiotikaresistenzen
und der Abgabe von verschreibungspflichtigen Tierarzneimitteln (insbeson-
dere Antibiotika) durch Onlinehandel kritisch zu überprüfen und dazu ggf.
empirische Daten erheben zu lassen;

• die Forschung zum Verbleib und zu den ökologischen Auswirkungen von
Arzneimittelrückständen und ihrer Metabolite aus der Nutztierhaltung in
Böden, Gewässern und Grundwasser sowie im Trinkwasser zu intensivieren;

• die Forschung zu tiergerechten Haltungsformen, Züchtung und Tierschutz
zu intensivieren.

Berlin, den 26. Februar 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Antibiotika werden zu oft regelwidrig zur Verhütung von Infektionen, zur un-
gezielten Steigerung der Tiergesundheit oder auf Verdacht verabreicht. Beson-
ders in den Ställen, in welchen es an Hygiene oder Betreuung mangelt, steigt
das Risiko von Infektionskrankheiten. Wo viele Tiere auf engem Raum mit vie-
len Kontaktmöglichkeiten gehalten werden, steigt das Risiko schwerwiegender
Bestandserkrankungen.

Statt Haltungs- und Betreuungsmängel zu beseitigen, wird mit umfangreichen
Antibiotikaanwendungen die Bestandsgesundheit erhalten. Dies ist rechtlich
fragwürdig, aber dennoch gängige Praxis, wie aktuelle Studien zur Häufigkeit
von Antibiotikaanwendungen zeigen. Eine Nutztierhaltung, welche nur mit
häufigen Medikamentengaben funktioniert, ist weder nachhaltig noch tierschutz-
gerecht.

Es gibt nach wie vor zu hohe Infektionshäufigkeiten durch mangelnde Hygiene
und Missmanagement im Stall. Antibiotika werden einerseits zu häufig oder
andererseits nicht lange genug eingesetzt. Das vergrößert das Risiko der Resis-
tenzentwicklung, die zur partiellen oder vollständigen Unwirksamkeit der Anti-
biotika gegen gefährliche bakterielle Infektionen führt. Da es keine Trennung
zwischen antibiotischen Wirkstoffen in der Human- und Veterinärmedizin gibt,
könnte dies perspektivisch das Problem multiresistenter Bakterien verstärken.

Auch die Belastung der Umwelt durch Humanarzneimittel muss reduziert wer-
den. Dafür sind ebenfalls entsprechende Änderungen am Arzneimittelgesetz
notwendig (vgl. Bundestagsdrucksache 17/11897).

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