BT-Drucksache 17/12102

Die "Pille danach" rezeptfrei machen

Vom 16. Januar 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 17/12102
17. Wahlperiode 16. 01. 2013

Antrag
der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Dr. Martina Bunge, Cornelia Möhring,
Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping,
Jutta Krellmann, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler,
Harald Weinberg, Katrin Werner, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Die Pille danach rezeptfrei machen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

„Eltern verfügen über das grundlegende Menschenrecht, frei und eigenverant-
wortlich über Anzahl und Geburtenabstand ihrer Kinder zu entscheiden.“ Mit
diesem Satz ist das Menschenrecht auf reproduktive Selbstbestimmung in der
Abschlussdeklaration der UN-Menschenrechtskonferenz 1968 in Teheran for-
muliert worden. Das Recht auf sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung
basiert auf dem Menschenrecht auf ein höchstmögliches Maß an Gesundheit,
körperliche Unversehrtheit und Nichtdiskriminierung. Mit der Ratifikation des
UN-Sozialpakts (CESCR) hat sich Deutschland verpflichtet, diese Rechte um-
zusetzen. Reproduktive Gesundheit bedeutet, dass Frauen und Männer die Frei-
heit haben zu entscheiden, ob und wann sie sich fortpflanzen sowie das Recht,
informiert zu sein und Zugang zu sicheren, effektiven, bezahlbaren und geeig-
neten Methoden der Familienplanung ihrer Wahl zu haben (nach UN-Commit-
tee on Economic, Social and Cultural Rights: „Reproductive health means that
women and men have the freedom to decide if and when to reproduce and the
right to be informed and to have access to safe, effective, affordable and accep-
table methods of family planning of their choice.“).

Die „Pille danach“ ist ein hormonelles Notfallkontrazeptivum. Sie kann eine
Schwangerschaft verhindern, wenn sie rechtzeitig nach einem ungeschützten
Geschlechtsverkehr eingenommen wird. Präparate mit dem Wirkstoff Levonor-
gestrel sind in 28 europäischen Staaten rezeptfrei erhältlich. In Frankreich, dem
europäischen Land mit der längsten Erfahrung mit der rezeptfreien „Pille
danach“, wird sie in höheren Schulen bei Bedarf kostenfrei abgegeben.

Neben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat auch der Sachverständigen-
ausschuss für Verschreibungspflicht beim Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM) empfohlen, die „Pille danach“ aus der Rezeptpflicht

zu entlassen. Die Einnahme ist sicher, auch eine schädigende Wirkung bei einer
bereits bestehenden Schwangerschaft gibt es laut WHO nicht (vgl. 2010 – Edi-
torial in the Bulletin of the World Health Organization Volume 88 No. 4).

Auch die Bundesregierung gibt zu, dass „bei isolierter Betrachtung des Risiko-
profils der betreffenden Arzneimittel […] aus der Sicht der zuständigen Bundes-
oberbehörde keine durchschlagenden Argumente gegen eine grundsätzliche Ent-
lassung von Notfallkontrazeptiva mit dem Wirkstoff Levonorgestrel aus der Ver-

Drucksache 17/12102 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

schreibungspflicht“ existieren (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/10557). Auf
die Frage nach einer entsprechenden Initiative der Bundesregierung führt sie
lediglich an, es zeichne sich keine Mehrheit dafür im Bundesrat ab. Eine eigene
Position bleibt sie schuldig.

Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass entgegen den Befürchtungen
einiger Kritiker und Kritikerinnen der Gebrauch regelmäßiger Verhütungsmit-
tel nicht sank, nachdem die „Pille danach“ rezeptfrei erhältlich war. Weder ein
Anstieg von sexuell übertragbaren Krankheiten noch von riskantem Sexualver-
halten sind beobachtet worden. Studien aus anderen Staaten zeigen, dass die
Einnahme der „Pille danach“ auch ohne ärztliche Begleitung korrekt erfolgt.

Die Entlassung aus der Verschreibungspflicht bedeutet keine Freiverkäuflich-
keit. Die Apothekenpflicht bliebe erhalten und damit eine Möglichkeit, durch
fachkundige Beratung einen sachgerechten Umgang mit dem Arzneimittel zu
gewährleisten. Die Pflicht zur proaktiven Beratung in der neuen Apotheken-
betriebsordnung zeigt hier klar Pflicht und Chance für die Apotheken auf. Das
bestehende Notdienstsystem der Apotheken gewährleistet den Zugang rund um
die Uhr in akzeptablem Aufwand.

Gemäß ihrer Zulassung ist die „Pille danach“ ein Notfallverhütungsmittel. Sie
ist zur seltenen Anwendung bestimmt und kann keine regelmäßige Verhütungs-
methode ersetzen. Sie wirkt umso besser, je früher sie nach dem ungeschützten
Geschlechtsverkehr eingenommen wird.

Die Verschreibungspflicht baut unnötige Hemmnisse bei der Beschaffung der
„Pille danach“ auf und läuft daher einem rationalen Gebrauch entgegen. Frauen
stoßen vor allem am Wochenende auf erhebliche Schwierigkeiten, an ein Re-
zept für die „Pille danach“ zu kommen. Oft sind sie auf Rettungsstellen von
Krankenhäusern angewiesen, doch in vielen konfessionellen Krankenhäusern
ist es den Ärztinnen und Ärzten untersagt, diese Rezepte auszustellen. So hätte
es etwa in Regensburg zeitweise kein einziges Krankenhaus gegeben, in dem
Frauen die „Pille danach“ erhalten konnten (vgl. regensburger-nachrichten.de,
3. April 2012).

Die Rezeptpflicht widerspricht auch dem nachvollziehbaren Wunsch, die Men-
schen frei auszuwählen, mit denen über die eigene Sexualität gesprochen wird.
Das erlangt besondere Bedeutung etwa bei sexualisierter Gewalt und ist nicht
zuletzt eine Frage der Würde der betroffenen Frau. In einer Befragung von pro
familia sagten 38 Prozent der Frauen, eine befürchtete moralische bzw. abschät-
zige Bewertung durch das medizinische Personal hindere sie an der Beschaf-
fung eines Rezepts.

Das Verbot der Werbung in der breiten Öffentlichkeit gilt nur für verschrei-
bungspflichtige Arzneimittel. In seinem „Gintec-Urteil“ hat der Europäische
Gerichtshof im Jahr 2007 entschieden, dass die EU-Richtlinie 2001/83/EG
(sog. Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel) und hier explizit das Heil-
mittelwerberecht als Vollharmonisierung anzusehen sind. Der Regelungsinhalt
darf von den Nationalstaaten nicht unter-, aber auch nicht überschritten werden.
Es ist daher fraglich, ob es eine Möglichkeit gibt, kommerzielle Werbung für
die „Pille danach“ in Deutschland gesetzlich zu unterbinden, wenn sie nicht
mehr rezeptpflichtig ist. Das gestärkte Selbstbestimmungsrecht der betroffenen
Frauen und die positiven Erfahrungen aus dem Ausland rechtfertigen dennoch,
die Hürden für die Anwendung der „Pille danach“ zu senken.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/12102

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der

1. durch Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung Levonorgestrel-
haltige Arzneimittel zur postkoitalen Kontrazeption (Notfallverhütung) aus
der Verschreibungspflicht entlässt und

2. durch Änderung des § 24a Absatz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
klarstellt, dass die Erstattungsfähigkeit der „Pille danach“ weiterhin der Ver-
hütungspille gleichgesetzt bleibt, die gegenwärtig für Frauen bis zum vollen-
deten 20. Lebensjahr grundsätzlich von den Krankenkassen erstattet wird;

3. eine Evaluierung dieser Maßnahmen vorsieht.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich auf EU-Ebene für eine Änderung des Artikels 90 der Richtlinie 2001/
83/EG einzusetzen, die insbesondere verhindert, dass in einer Werbung für
die „Pille danach“ suggeriert wird, man könne aufgrund der Verfügbarkeit
der „Pille danach“ auf vorhergehende Verhütung verzichten;

2. Möglichkeiten zur nationalen Beschränkung von kommerzieller Werbung
für die „Pille danach“ zu prüfen und weitestgehend umzusetzen;

3. über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung verstärkt und ziel-
gruppenorientiert über Wirkung, Anwendung und Risiken der „Pille da-
nach“ zu informieren.

Berlin, den 16. Januar 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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