BT-Drucksache 17/11878

Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte - Für eine starke europäische Bankenunion zur Beendigung der Staatshaftung bei Bankenkrisen

Vom 12. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11878
17. Wahlperiode 12. 12. 2012

Antrag
der Abgeordneten Peer Steinbrück, Joachim Poß, Ingrid Arndt-Brauer,
Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Lothar Binding (Heidelberg), Petra Ernstberger,
Martin Gerster, Iris Gleicke, Petra Hinz (Essen), Ute Kumpf, Thomas Oppermann,
Annette Sawade, Dr. Carsten Sieling, Manfred Zöllmer, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Dr. Thomas
Gambke, Lisa Paus, Birgitt Bender, Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel,
Katrin Göring-Eckardt, Sven-Christian Kindler, Oliver Krischer, Dr. Tobias Lindner,
Jerzy Montag, Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Dr. Harald Terpe und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte – Für eine starke europäische
Bankenunion zur Beendigung der Staatshaftung bei Bankenkrisen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Krise des Euroraums ist vor allem auf eine Krise der Banken und der Finanz-
märkte zurückzuführen.

Als Folge einer Risikoignoranz des Finanzsektors und verstärkt durch eine zu-
nehmende Orientierung an kurzfristigen Renditen, Deregulierung und Niedrig-
zinspolitik ließ sich nach dem Jahr 2000 global eine übermäßige Kreditvergabe
beobachten. Insbesondere kam es in einzelnen Ländern des Euroraums zu einem
starken Anstieg der privaten Verschuldung und zu Vermögensblasen auf den
Immobilienmärkten, finanziert durch massive Kapitalflüsse aus dem inner- und
außereuropäischen Ausland. Das Ansteigen der weltweiten Kredit- und Ver-
mögenspreisblasen hörte mit Ausbruch der Finanzkrise auf und verkehrte sich
danach in ein Absinken der Vermögenswerte und einen Anstieg der Kreditaus-
fälle. Diese rezessiven Entwicklungen führten und führen zu Solvenzproblemen
im Bankenbereich und einem allgemeinen Vertrauensverlust auf den Finanz-
märkten.

Die Politik musste erkennen, dass die Insolvenz einzelner sogenannter system-
relevanter Banken mit Dominoeffekten für das gesamte Banken- und Finanz-

system verbunden gewesen wäre und keine geeigneten Regelungen zur Abwick-
lung und Insolvenz von Banken existierten, um dies zu verhindern. Um die
Gesamtwirtschaft zu schützen und private Kundeneinlagen zu sichern, wurden
Banken zu Lasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gerettet. Der dadurch
verursachte Anstieg der öffentlichen Verschuldung führte auf den Finanzmärk-
ten zu einem Vertrauensverlust in die Zahlungsfähigkeit einzelner Länder und
den Zusammenhalt des Euroraums. Verbunden durch die gegenseitige finan-

Drucksache 17/11878 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

zielle Abhängigkeit werden Banken und Staaten immer tiefer in eine Abwärts-
spirale des Vertrauensverlustes gezogen. In den vergangenen zwei Jahren haben
entgegen allen Beteuerungen der Bundesregierung die Instabilität und der Ver-
trauensverlust in Europa immer weiter zugenommen. Hohe Jugendarbeitslosig-
keit, tiefe Rezessionen, Tendenzen der Verarmung breiter Schichten, weiter stei-
gende Staatsverschuldung und anhaltende Kapitalflucht aus Teilen der Eurozone
bedrohen inzwischen den Zusammenhalt Europas.

Um die seit der Finanzmarktkrise verlorene Stabilität in Europa zurückzugewin-
nen, um die Rezession zu überwinden und Staatsverschuldung auf Dauer zu sen-
ken, müssen wir die Ursachen der Krise, nicht nur ihre Symptome bekämpfen.
Um Vertrauen wiederzugewinnen, ist die Bändigung der Finanzmärkte unaus-
weichlich. Wer Risiken eingeht, muss auch haften. Erste Schritte sind ein euro-
päisches Abwicklungsregime und eine europäische Abwicklungsbehörde für
insolvente Banken sowie ein Bankenfonds, mit dem die Eigentümerinnen und
Eigentümer der Banken, die von Gewinnen profitieren, in Zukunft auch selbst
für die Kosten bei Restrukturierung und Rekapitalisierung aufkommen.

Die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und die Staats- und Regierungschefs
der Eurozone haben es bislang nicht vermocht, die Hauptursache der Krise zu
bekämpfen: Der Infektionskanal aus dem Bankensektor in die Staatshaushalte
wurde nicht trockengelegt. Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler werden
nicht vor einer Sozialisierung privater Verluste geschützt.

Am 28./29. Juni 2012 haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU für
eine stärkere wirtschaftliche und monetäre Integration einschließlich einer Ban-
kenunion ausgesprochen. Die Kommission hat am 12. September 2012 Vor-
schläge zur Errichtung eines einheitlichen europäischen Aufsichtsmechanismus
vorgelegt. Einlagensicherungssysteme der Mitgliedstaaten sollen harmonisiert
und ein Rahmen für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten soll
vereinbart werden. Die Mitteilung der Kommission vom 12. September 2012
wiederholt außerdem das bereits in der Erklärung der Staats- und Regierungs-
chefs vom 28./29. Juni 2012 enthaltene Vorhaben, Banken in Zukunft direkt aus
dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu rekapitalisieren. Das be-
deutet: Man vertraut dem eigenen Vorschlag für eine Übernahme der Sanie-
rungskosten durch Eigentümer- und Gläubigerbeteiligung nicht hinreichend und
will über den ESM erneut die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für strau-
chelnde Banken in Haftung nehmen.

Die krisenhaften Entwicklungen der Finanzmärkte Europas zeigen, dass eine
europäische Aufsichtsbehörde nötig ist, um systemische Risiken für die Finanz-
marktstabilität frühzeitig aufzudecken und wirksam zu bekämpfen. Eine euro-
päische Aufsichtsbehörde kann grenzüberschreitend tätige, systemrelevante
Banken effektiver kontrollieren*. Die bisherige europäische Aufsichtsarchitek-
tur genügt diesen Anforderungen bei weitem nicht. Wir plädieren daher für eine
europäische Bankenaufsicht zur direkten Kontrolle grenzüberschreitend tätiger,
systemrelevanter Banken und zur Bekämpfung systemischer Risiken. Eine ein-
heitliche europäische Bankenaufsicht ist aber primär ein präventives Instrument.
Sie kann in Zukunft die Wahrscheinlichkeit von Krisen verringern, ist aber keine
Lösung der akuten Probleme. Insbesondere erwächst aus einer künftigen ge-
meinsamen europäischen Aufsicht keine Legitimation für die gemeinschaftliche
Haftungsübernahme bei Sanierungsfällen, die bereits unter nationaler Aufsicht
eingetreten sind.

*
Die Definition von Systemrelevanz muss dabei alle Banken umfassen, die bei einer Insolvenz aufgrund
ihrer Größe oder ihrer Vernetzung eine Gefahr für die Finanzstabilität eines oder mehrerer nationaler
Mitgliedstaaten bedeuten würden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11878

Die Einführung europaweit harmonisierter Mindeststandards für Einlagensiche-
rungssysteme und eines europaweit einheitlichen Sanierungs- und Abwick-
lungsregimes für Kreditinstitute können bei richtiger Ausgestaltung und konse-
quenter Umsetzung wichtige Bedingungen sein, um die Staatshaftung für den
Bankensektor zu beenden. Kernpunkt eines Sanierungs- und Abwicklungs-
regimes muss die glaubwürdige und tragfähige Gläubigerbeteiligung an den
Kosten einer Restrukturierung oder Abwicklung mittels Forderungsverzicht und
vorinsolvenzlicher Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital (Bail-in) sein. Als
weitere Instrumente einer Restrukturierung oder Abwicklung soll eine kom-
plette oder teilweise Unternehmensveräußerung, eine Übertragung der Ge-
schäftstätigkeit auf eine öffentliche Brückenbank oder eine Ausgliederung von
Vermögenswerten zum Einsatz kommen. Nationale Restrukturierungsfonds
können bei kleinen und mittelgroßen Instituten eine ergänzende Finanzierung
für ein Abwicklungs- und Restrukturierungsverfahren nach diesem Prinzip be-
reitstellen. Wir unterstützen die dahingehenden Richtlinienvorschläge der Euro-
päischen Kommission. Sie reichen aber nicht aus.

Das vom Europäischen Parlament geforderte Fondsvolumen für nationale Ein-
lagensicherungsfonds von 1,5 Prozent der gedeckten Einlagen ist in dieser Höhe
notwendig, um eine glaubwürdige Absicherung der privaten Einlagen auch für
den Fall der Insolvenz eines mittelgroßen Institutes sicherzustellen.

Für eine Restrukturierung oder Abwicklung sind darüber hinaus weitere Mittel
nötig, um die Finanzstabilität zu sichern und den Zahlungsverkehr aufrecht-
zuerhalten, ohne die nationalen Systeme der Einlagensicherung zu überlasten.
Die von der Kommission vorgeschlagene Doppelverwendung der Mittel natio-
naler Einlagensicherungsfonds nicht nur zur Sicherung der Einlagen, sondern
auch zur Finanzierung der Sanierung und Restrukturierung von Banken ist daher
zu streichen.

Verbleiben zudem – wie von der Kommission vorgeschlagen – Zuständigkeit
und Finanzierung von Abwicklungs- und Restrukturierungsmaßnahmen allein
auf der nationalen Ebene, verhindert dies eine glaubhafte Anwendung auch auf
grenzüberschreitend tätige, systemrelevante Bankengruppen. Das Erpressungs-
potenzial großer Banken und die Gefahr, die diese für die nationalen Haushalte
darstellen, werden so nicht verringert.

Nötig ist daher mehr als die von der Kommission vorgeschlagene Etablierung
eines einheitlichen europäischen Abwicklungsregimes:

1. die Errichtung einer europäischen Abwicklungsbehörde, um künftig grenz-
überschreitend tätige, systemrelevante Banken, die kurz vor einer Insolvenz
stehen, in einem grenzüberschreitenden Verfahren geordnet restrukturieren
oder abwickeln zu können;

2. die Einrichtung eines europäischen Bankenfonds, um die notwendigen ergän-
zenden Finanzierungsmittel für eine Restrukturierung oder Abwicklung
grenzüberschreitend tätiger, systemrelevanter Banken bereitzustellen, bei
welchen eine Eigentümer- und Gläubigerbeteiligung nicht ausreicht.

Abwicklungen und Restrukturierungen von Banken müssen vorrangig der Si-
cherung der Finanzmarktstabilität dienen und nach dem Prinzip der Kosten-
minimierung erfolgen. Die anfallenden Kosten sollen dabei in erster Linie von
den Anteilseignern und in zweiter Linie von den Gläubigern getragen werden.
Erst danach sollen die Mittel des Bankenfonds eingesetzt werden, um darüber-
hinausgehende notwendige Finanzierungsmittel bereitzustellen und die privaten
Einlagen zu schützen.

Drucksache 17/11878 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Der Bankenfonds soll gespeist werden durch eine substantielle Bankenabgabe,
deren individuelle Höhe sich nach der Größe, der Art der Finanzierung, der
Interdependenz und dem Systemrisiko der jeweiligen Bank richtet. So werden
gezielt diejenigen an den Kosten von Bankenrettungen beteiligt, die am meisten
davon profitieren: Die Banken selber. Um die Fehlanreize des „too big too fail“
zu beseitigen, muss eine Bankenabgabe mindestens die Refinanzierungsvorteile
abschöpfen, die große systemrelevante Banken derzeit aufgrund einer implizier-
ten Staatsgarantie als Gewinn vereinnahmen. Durch eine derartige „Besteue-
rung“ der Systemrelevanz können Fehlimpulse einer Subventionierung durch
implizite Staatsgarantien beendet werden und angemessene und ausreichende
Beiträge zum Aufbau eines schlagkräftigen europäischen Restrukturierungs-
fonds erhoben werden. Zur kurzfristigen Finanzierung und in der Aufbauphase
des Bankenfonds sollte dieser Anleihen emittieren können, die dann von den ab-
gabepflichtigen Banken erworben werden und zur Refinanzierung bei der Euro-
päischen Zentralbank (EZB) eingereicht werden können.

Ziel muss sein, Zahlungsverkehr und private Kundeneinlagen abzusichern, die
Finanzstabilität zu gewährleisten und das Erpressungspotenzial der Banken zu
verringern, um eine Steuerfinanzierung der Bankenrisiken auszuschließen und
eine Trennung von Staats- und Bankenrisiken zu vollziehen. Sowohl Steuerzah-
lerinnen und Steuerzahler als auch private Kundeneinlagen sollen vor den Risi-
ken einer Bankeninsolvenz geschützt werden. Der ESM darf nicht dazu dienen,
eine staatliche Haftung für Verluste des Bankensektors auf europäischer Ebene
festzuschreiben. Eine dauerhafte Rekapitalisierung von Banken durch externe
Finanzierungsquellen entlässt Bankensektor und Finanzaufsicht aus ihrer Ver-
antwortung und führt zu falschen Anreizen.

Die Kosten der Krise stellen eine Bedrohung für die Stabilität der öffentlichen
Haushalte dar. Eine nachhaltige Sanierung der Staatsfinanzen kann nur unter
Einsatz eines gemeinschaftlichen Altschuldentilgungsfonds gelingen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

2. sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass ein einheitlicher europä-
ischer Aufsichtsmechanismus entsteht, der einer parlamentarischen Kon-
trolle unterliegt und das Prinzip der Subsidiarität in der direkten Aufsicht der
Finanzinstitute wahrt;

3. bei einer Übernahme von Aufsichtsfunktionen durch die EZB sicherzustel-
len, dass die strikte Trennung von Geldpolitik und Aufsichtsfunktion gewähr-
leistet bleibt, und auf eine spätere Ausgliederung der Aufsichtseinheit in eine
eigenständige europäische Aufsichtsbehörde hinzuwirken;

4. unverzüglich den Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission vom
7. Juni 2012 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwick-
lung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen aufzugreifen und ein zu-
mindest zwischen den Eurostaaten einheitliches Restrukturierungs- und
Abwicklungsregime zu verabschieden, damit marode Banken systemgerecht
abgewickelt und bereits im Rahmen vorinsolvenzlicher Restrukturierungs-
verfahren Gläubigerinnen und Gläubiger beteiligt, Boni zurückgefordert und
Dividende einbehalten werden können;

5. sich im Europäischen Ministerrat dafür einzusetzen, dass der Kompromiss-
vorschlag des Europäischen Parlaments zur Richtlinie über Einlagensiche-
rungssysteme mit einem Volumen für den Einlagensicherungsfonds in Höhe
von 1,5 Prozent der gedeckten Einlagen angenommen wird;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11878

6. auf die Errichtung einer europäische Abwicklungsbehörde und eines europä-
ischen Bankenfonds für grenzüberschreitende, systemrelevante Bankengrup-
pen mit einem Zielvolumen von 200 Mrd. Euro (zusätzlich zum Volumen für
Einlagensicherungsfonds) hinzuwirken, der finanziert wird durch eine Ban-
kenabgabe, deren Höhe sich nach der Systemrelevanz, dem Risikoprofil und
dem Verschuldungsgrad der Banken richtet;

7. zu verhindern, dass der ESM dauerhaft zur Kapitalisierung von Banken ge-
nutzt werden kann;

8. die Einrichtung eines europäischen Schuldentilgungsfonds für Altschulden
der Eurostaaten gemäß den Vorschlägen des Sachverständigenrats zur Begut-
achtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Vereinbarung mit den
europäischen Verträgen umzusetzen.

Berlin, den 12. Dezember 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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