BT-Drucksache 17/11854

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Matthias W. Birkwald, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksachen 17/9431, 17/11666 - Alterssicherung und Altersarmut von Frauen in Deutschland

Vom 11. Dezember 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11854
17. Wahlperiode 11. 12. 2012

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina
Bunge, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia
Möhring, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Harald Weinberg,
Katrin Werner, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der
Abgeordneten Yvonne Ploetz, Matthias W. Birkwald, Diana Golze, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksachen 17/9431, 17/11666 –

Alterssicherung und Altersarmut von Frauen in Deutschland

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Um die Alterssicherung von Frauen in Deutschland ist es sehr schlecht bestellt.
Frauen verfügen im Durchschnitt über eigenständige Ansprüche auf eine gesetz-
liche Altersrente in Höhe von 520 Euro. Gut 46 Prozent aller Frauen haben eine
Rente, die unterhalb des Bruttobedarfs der Grundsicherung im Alter und bei Er-
werbsminderung liegt. Der so genannte Gender Pension Gap, der den Abstand
zwischen den eigenständigen Rentenansprüchen von Männern und Frauen
misst, liegt nach wie vor bei erschreckenden 59,6 Prozent. Das bedeutet: Frauen
beziehen um 59,6 Prozent geringere eigene Alterssicherungseinkommen als
Männer. Unter den Beziehenden der Grundsicherung im Alter sind sie mit einem
Anteil von zwei Dritteln deutlich überrepräsentiert. Auch die Armutsgefähr-
dungsquote von Frauen liegt deutlich über der der Männer.

Zwar verfügen Frauen im Alter im Schnitt über ein Haushaltsnettoeinkommen
von 1 027 Euro (Alterssicherungsbericht 2012, S. 101). Dies ist aber eben nur
ein Durchschnittswert, der die weit verbreitete Einkommensarmut von Frauen
im Alter verschleiert. Zudem liegt er um mehr als 600 Euro unter dem der Män-
ner. Für das Haushaltseinkommen vieler Seniorinnen spielen Witwenrenten
nach wie vor eine wichtige Rolle. Die Abhängigkeit von abgeleiteten Siche-

rungsansprüchen ist aber nicht nur aus Gründen der persönlichen Autonomie als
problematisch anzusehen. Im Zuge der Niveauabsenkung der gesetzlichen
Rente sowie auch bei Männern zunehmender Lücken in den Erwerbsbiografien
wird mit der Höhe der Rentenansprüche der Männer auch die Höhe der Ansprü-
che auf diese Art der Alterssicherung sinken. Bei den Ansprüchen auf Alters-
sicherungsleistungen aus privaten und betrieblichen Systemen sind Frauen deut-
lich unterrepräsentiert und beziehen, wenn sie über diese Einkommensarten ver-

Drucksache 17/11854 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

fügen, deutlich niedrigere Leistungen als Männer. Die eigenständigen Renten-
ansprüche von Frauen steigen zwar durch ihre zunehmende Erwerbsbeteiligung
sukzessive an. Die Zugewinne werden aber durch die weitere Absenkung des
Rentenniveaus weitgehend wieder zunichte gemacht.

Bereits heute, wo für die letzten Jahrgänge noch ein früheres Renteneintrittsalter
gilt, geht deutlich mehr als die Hälfte aller Frauen mit Abschlägen in Rente. Nur
11,7 Prozent der Frauen sind im Alter von 64 Jahren noch sozialversicherungs-
pflichtig beschäftigt, in Vollzeit nur 5,8 Prozent. Die Anhebung der Regelalters-
grenze auf 67 Jahre dürfte Frauen deshalb in besonderem Maße negativ betref-
fen. Sie müssen dann mit erhöhten Abschlägen leben.

Die wesentlichen Ursachen für die geringen eigenständigen Rentenansprüche
und die Altersarmut von Frauen liegen in Unterbrechungen der Erwerbsbio-
grafie, die durch die Erziehung von Kindern und die Pflege von Angehörigen
sowie Phasen der Erwerbslosigkeit entstehen. Diese führen dazu, dass Frauen
im Schnitt nur auf knapp 30 Versicherungsjahre kommen, verglichen mit gut
41 Jahren bei den Männern und damit weit hinter dem Idealbild der Rentenver-
sicherung – dem Durchschnittsverdiener mit 45 Versicherungsjahren – bleiben.
Obgleich in der Statistik nicht ganz vergleichbar, haben Frauen im Osten mit fast
39 Versicherungsjahren mehr als neun Jahre längere Versicherungszeiten als die
Frauen im Westen. Auch ihre Rentenzahlbeträge sind deutlich höher. Dies zeigt,
dass in der Ermöglichung weitgehend geschlossener Erwerbsbiografien ein
Schlüssel für die Verbesserung der eigenständigen Rentenanwartschaften von
Frauen liegt. Allerdings wird sich die Situation in Ostdeutschland perspektivisch
gravierend ändern, wenn die Frauen in Rente gehen, die in den Jahren nach 1990
Brüche in ihrer Erwerbsbiografie haben und länger arbeitslos waren und/oder
schlecht bezahlt wurden.

Niedriglöhne und Entgeltungleichheit sind weitere wichtige Gründe dafür, dass
viele Frauen nur geringe eigenständige Rentenansprüche erwerben können.
70 Prozent der Niedriglohnbeziehenden sind weiblich, unter den Minijobbenden
sind es zwei Drittel. Der Lohnabstand zwischen Frauen und Männern beträgt
immer noch 22 Prozent und ist einer der höchsten in Europa. Fast die Hälfte der
regulär teilzeitbeschäftigten Frauen würde die vereinbarte Arbeitszeit gerne
deutlich ausweiten, sieht sich aufgrund mangelnder Betreuungsmöglichkeiten
für ihre Kinder sowie eines familienunfreundlichen Klimas in der Arbeitswelt
jedoch nicht dazu in der Lage.

Die Situation der Frauen in Hinsicht auf ihre eigenständigen Rentenansprüche
und ihr Einkommen im Alter muss durch engagiertes und umfassendes gesetz-
geberisches Handeln dringend verbessert werden. Für die Frauen, die weite
Strecken ihres Erwerbslebens noch vor sich haben, müssen die Rahmenbedin-
gungen dafür geschaffen werden, dass sie ausreichend eigenständige Renten-
ansprüche aufbauen können, die sie im Alter unabhängig von familiären und
staatlichen Unterstützungsverhältnissen machen. Für die Frauen, die bereits in
Rente sind oder am Ende ihres Erwerbsleben stehen, muss gewährleistet wer-
den, dass sie im Alter frei von Armut und in Würde leben können, und ihre
Lebensleistung auch jenseits der Erwerbsarbeit in der Rente in angemessener
Weise anerkannt wird. Dazu müssen Renten- und Arbeitsmarktpolitik zusam-
mengedacht und -gebracht werden.

Die Pläne der Bundesregierung leisten dies in keiner Weise. Bei der Herstellung
einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch den Ausbau der Kin-
dertagesbetreuung droht sie, selbst an ihren eigenen bescheidenen Zielen einer
35-prozentigen Versorgungsquote für die ein- bis dreijährigen Kinder zu schei-
tern. Mit dem Betreuungsgeld setzt sie einen neuen Anreiz für Mütter, ihre Er-
werbsarbeit für einen längeren Zeitraum zu unterbrechen – ungeachtet der nega-

tiven Folgen, die dies für ihre weitere Erwerbs- und Rentenbiografie hat. Bei der
familienfreundlichen Gestaltung der Arbeitswelt kommt die Bundesregierung

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11854

nicht über wohlfeile Appelle hinaus. Die gerade im Sinne der Frauen dringend
notwendige Reregulierung des Arbeitsmarktes durch die Einführung eines ge-
setzlichen Mindestlohns, die Gleichstellung von Minijobs mit sozialversiche-
rungspflichtiger Arbeit und die Eindämmung prekärer Beschäftigungsformen
wird von der Bundesregierung trotz der deutlich sichtbaren eklatanten Verwer-
fungen am Arbeitsmarkt nach wie vor verweigert.

Statt an die wesentlichen Ursachen der Altersarmut von Frauen heranzugehen – an
zu niedrige Löhne, mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie das
sinkende Rentenniveau –, plant die Bundesregierung weitgehend wirkungslose
Maßnahmen gegen Altersarmut, die den Betroffenen wie ein Hohn erscheinen
müssen. Die Hürden für die im Koalitionsausschuss vereinbarte sog. Lebensleis-
tungsrente sind so hoch gesetzt, dass die wenigsten der von Altersarmut be-
drohten Frauen sie erfüllen werden. 40 Beitragsjahre und private Vorsorge sollen
Voraussetzung dafür sein, dass die eigenen Rentenansprüche maximal auf 10 bis
15 Euro oberhalb des Grundsicherungsniveaus aufgestockt werden. Da es sich
dabei offenbar um einen Bruttobetrag handeln soll, werden die meisten nach Ab-
zug der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge weiterhin auf aufstockende
Fürsorgeleistungen aus der Grundsicherung im Alter angewiesen sein. Außer-
dem soll Partnereinkommen vollständig auf die neue Rentenleistung angerech-
net werden, wodurch selbst Frauen, die die restriktiven Voraussetzungen erfül-
len, nicht viel von diesem neuen, vermeintlich eigenständigen Rentenanspruch
haben werden. Die Lebensleistung von Menschen, die Kinder erzogen und An-
gehörige gepflegt haben, soll nach Vorstellungen der zuständigen Bundesminis-
terin bei der neuen Rentenart höher bewertet werden als die von Menschen, die
das nicht getan haben. Die „kinderbezogene Höherbewertung“ kommt aber nur
denjenigen Frauen zugute, die die hohen Anspruchsvoraussetzungen erfüllen
und die damit ohnehin nur in seltenen Fällen eine Lebensleistungsrente bekom-
men würden. Die Kindererziehungszeiten werden dagegen in ihrer Wirkung ent-
wertet. Die gerade Frauen besonders nützende Rente nach Mindestentgeltpunk-
ten, mit der eigene Rentenansprüche um das 1,5-Fache auf bis zu Dreiviertel des
Durchschnittsverdienstes aufgewertet werden, wenn 35 Jahre rentenrechtliche
Zeiten vorliegen und die nicht bedürftigkeitsgeprüft ist, will die Bundesregie-
rung dagegen auslaufen lassen.

Die gerade für die Mütter der älteren Generation, die – vor allem im Westen
Deutschlands – noch nicht über die Rahmenbedingungen verfügten, neben der
Erziehung von Kindern erwerbstätig zu sein, dringend überfällige Verbesserung
der Anerkennung von Kindererziehung in der Rente hat die Bundesregierung
per Prüfauftrag auf die lange Bank geschoben. Damit wird die dringend gebo-
tene Gleichstellung der Kindererziehungszeiten unabhängig vom Geburtszeit-
punkt des Kindes verhindert.

Die für diese Wahlperiode versprochene Vereinheitlichung der Rentensysteme
in Ost und West hat die Bundesregierung gleich gänzlich abgesagt. Den Frauen
im Osten, die in der Regel fast durchgehend erwerbstätig waren, wird damit
auch 22 Jahre nach der deutschen Einheit die gleiche Anerkennung für ihre sol-
chermaßen erbrachte Lebensleistung verweigert.

Statt die gesetzliche Rente auch mit Blick auf die Herstellung von Geschlechter-
gleichheit konsequent in dem Sinne zu reformieren, dass sie wieder den Lebens-
standard im Alter sichern kann und langjährige Beitragszahlerinnen und -zahler
vor Armut schützt, setzt die Bundesregierung weiter auf das Drei-Säulen-Prin-
zip der Alterssicherung, das längst als gescheitert gelten muss und dessen Ver-
sprechen der Kompensation des Rückbaus der gesetzlichen Rentenversicherung
gerade für Frauen nicht aufgehen wird.

Drucksache 17/11854 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die Möglichkeiten von Frauen, aus-
reichende eigenständige Ansprüche auf eine gesetzliche Rente zu erwerben, ent-
schieden und nachhaltig verbessert werden.

Dieser muss folgende Bestandteile umfassen:

1. die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch den Ausbau
gebührenfreier, bedarfsgerechter, qualitativ hochwertiger Ganztagesbetreu-
ung für Kinder sowie eines flächendeckenden und bedarfsgerechten ganz-
tägigen Schulangebots;

2. die familienfreundliche Umgestaltung der Arbeitswelt durch die Verbesse-
rung von Rückkehrrechten in den Beruf, die Erweiterung der rechtlichen
Möglichkeiten zur Gestaltung familienfreundlicher Arbeitszeiten sowie die
Verbesserung des Kündigungsschutzes für Eltern;

3. die Beseitigung steuerlicher und familienpolitischer Anreize für eine Ein-
schränkung der Erwerbstätigkeit von (verheirateten) Frauen durch die Ab-
schaffung des Ehegattensplittings zugunsten einer Individualbesteuerung so-
wie die Abschaffung des Betreuungsgelds;

4. ein Paket von Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeits-
markt und zur Herstellung von Entgeltgleichheit, das gesetzliche Vorgaben
zum Abbau diskriminierender Entgeltsysteme, ein Gleichstellungsgesetz für
die Privatwirtschaft sowie die Ergänzung des Allgemeinen Gleichbehand-
lungsgesetzes um den Grundsatz der Entgeltgleichheit sowie ein Verbands-
klagerecht beinhaltet;

5. die Schaffung guter Arbeit, auch für Frauen, durch die Einführung eines flä-
chendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 10 Euro in der Stunde sowie
die Erweiterung der Möglichkeiten zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung
von Tarifverträgen, die Eindämmung prekärer Beschäftigungsformen wie
Leiharbeit und befristeter Beschäftigung sowie die Umwandlung von Mini-
jobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung;

6. eine Rentenreform, die die gesetzliche Rente wieder lebensstandardsichernd
macht, den Solidarausgleich stärkt und zur Bekämpfung von Altersarmut
eine solidarische Mindestrente einführt und die die folgenden Elemente be-
inhaltet:

a) Wiederanhebung des Rentenniveaus (Sicherungsniveau vor Steuern) von
derzeit ca. 50 Prozent auf mindestens 53 Prozent und Stabilisierung auf
diesem Niveau, Angleichung des aktuellen Rentenwerts Ost an das West-
niveau sowie die Rücknahme der Erhöhung der Regelaltersgrenze auf
67 Jahre und die Abschaffung der Abschläge auf Erwerbsminderungs-
renten;

b) Stärkung des Solidarausgleichs in der gesetzlichen Rentenversicherung
durch

– die Entfristung der Rente nach Mindestentgeltpunkten,

– die Ausweitung der dreijährigen Kindererziehungszeit auf Zeiten vor
1992,

– die Verbesserung der Beiträge für die Pflege von Angehörigen sowie
die Ausbildungszeiten und

– die Zahlung von Rentenbeiträgen für Langzeiterwerbslose (Arbeits-
losengeld-II-Beziehende) auf der Basis des halben Durchschnittsver-
dienstes der Versicherten;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/11854

c) Einführung einer einkommens- und vermögensgeprüften solidarischen
Mindestrente, auf die alle in Deutschland lebenden Menschen auf indivi-
dueller Basis und unter Berücksichtigung gesetzlicher Unterhaltsansprü-
che, unabhängig von vorheriger Beitragsleistung, einen Rechtsanspruch
haben und mit der ein Nettoeinkommen von 900 Euro durch Zuschläge
garantiert wird. Dieses Einkommen wird schrittweise auf 1 050 Euro an-
gehoben.

Berlin, den 11. Dezember 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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