BT-Drucksache 17/11709

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP - Drucksachen 17/10771, 17/11610 - Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes

Vom 28. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11709
17. Wahlperiode 28. 11. 2012

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn,
Roland Claus, Katrin Kunert, Caren Lay, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch,
Thomas Lutze, Kornelia Möller, Jens Petermann, Ingrid Remmers, Dr. Ilja
Seifert, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Alexander Süßmair und der
Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
– Drucksachen 17/10771, 17/11610 –

Entwurf eines Elften Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutz-
gesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Lärm macht krank – physisch und psychisch. Das gilt insbesondere für hohe
Spitzenlärmwerte in der Nacht, aber auch für anhaltenden Lärm am Tage. Die
gesundheitlichen Schäden für die Menschen sind wissenschaftlich nachge-
wiesen. Dazu gehören unter anderem Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Brust-
krebs, psychische Störungen und Entwicklungsverzögerungen bei Kindern.
Lärm ist eine Form der Umweltverschmutzung, bei der die Betroffenenzahlen
am schnellsten steigen. Das Leiden der Betroffenen und die Folgekosten für die
gesamte Gesellschaft sind erheblich.

Alle Menschen in Deutschland haben Anspruch auf Schutz vor Verkehrslärm,
unabhängig davon, ob sie an einer Autobahn, an einem Schienenweg, im Ein-
zugsbereich eines Flughafens oder an stark frequentierten Wasserstraßen
wohnen, unabhängig davon, ob sie in einer Stadt oder in einem ländlichen
Raum leben, und unabhängig davon, ob sie an einem bereits bestehenden Ver-
kehrsweg wohnen oder dort, wo ein Verkehrsweg neu entstehen oder ausgebaut
werden soll.

Deshalb ist es die Aufgabe der Politik, Lärm durch Schutzmaßnahmen so weit

zu mindern, dass Anwohnerinnen und Anwohner keinem unzumutbaren Lärm
ausgesetzt sind. Das gilt in besonderem Maße nachts. Aktiver Lärmschutz – ins-
besondere die Reduzierung der Lärmentstehung – ist dabei immer dem passiven
Lärmschutz vorzuziehen. Passiver Lärmschutz, zum Beispiel durch Lärm-
schutzfenster mit Belüftungseinrichtungen, ist mit erheblichen Beeinträchtigun-
gen verbunden. Den Lärm in seiner Entstehung zu reduzieren, hilft, direkte
Folgekosten durch hohe bauliche Aufwendungen für passiven Lärmschutz und

Drucksache 17/11709 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

indirekte Folgekosten in den Kommunen, bei den Krankenkassen und den
Trägern von Renten- und Pensionskassen zu vermeiden.

Der Schienengüterverkehr bietet mit Blick auf die Umwelt und das Klima ge-
genüber dem Transport auf der Straße und in der Luft erhebliche Vorteile. Dies
ist aber kein Grund dafür, den Schutz vor Schienenverkehrslärm zu vernach-
lässigen. Insbesondere an sehr stark frequentierten Strecken wie an Mittel- und
Oberrhein müssen besonders große Anstrengungen unternommen werden,
Schienenverkehrslärm auf ein erträgliches Maß zu reduzieren.

Die Abschaffung des Schienenbonus bei den Lärmberechnungen ist ein kleiner
Schritt auf dem Weg zu einem umfassenden Schutz der Menschen vor Ver-
kehrslärm. Dadurch, dass diese Abschaffung nicht sofort erfolgt, sondern erst
nach Verabschiedung des nächsten Bedarfsplans für die Schienenwege des
Bundes – was voraussichtlich nicht vor dem Jahr 2016 der Fall sein wird –, wird
aus diesem kleinen Schritt ein sehr kleiner Schritt. Die Abschaffung des Schie-
nenbonus gilt dann nur für alle Strecken, für deren Planung noch keine öffent-
liche Bekanntmachung erfolgt ist. Das heißt, voraussichtlich nicht vor dem Jahr
2020 wird die erste Strecke in Betrieb gehen, die ohne Schienenbonus geplant
wurde. Die Ausnahmeklausel im Hinblick auf die Strecke im Oberrheintal
ändert an dieser Einschätzung nur wenig. So erfreulich es ist, dass den Anwoh-
nerinnen und Anwohnern dort mehr Lärmschutz zuteil wird, so unerfreulich ist
es, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Denn wenn der Gesetzgeber
erkennt, dass der Schienenbonus hinfällig ist, dann muss dessen Anwendung bei
allen Schienenstrecken gleichermaßen bzw. nach einheitlichen Kriterien entfal-
len – und nicht nach Finanzkraft des jeweiligen Bundeslandes. Bau und Betrieb
der Schienenwege des Bundes sind zudem unstreitig eine Aufgabe des Bundes.
Deren Kofinanzierung durch die Bundesländer oder Private stößt auf verfas-
sungsrechtliche Bedenken.

Die Abschaffung des Schienenbonus und die Einführung von Grenzwerten für
Bestandsstrecken müssen durch weitere Maßnahmen ergänzt werden, insbeson-
dere durch die zügige Umrüstung von Güterwagen. Dadurch wird die Ein-
haltung der neuen, strengen Grenzwerte wesentlich kostengünstiger, als wenn
sie allein durch bauliche Maßnahmen wie Lärmschutzwände und -fenster er-
folgen müsste.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

bis zum Frühjahr 2013 dem Deutschen Bundestag einen Entwurf für eine No-
vellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) und der Sech-
zehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
(16. BImSchV) vorzulegen, in dem – verbunden mit Fristenregelungen – die
Grenzwerte der 16. BImSchV auch auf Bestandsstrecken von Schienenwegen
und öffentliche Straßen ausgedehnt werden. Dabei ist vorzusehen,

a) dass der sog. Schienenbonus in § 3 und in Anlage 2 16. BImschV (Korrektur
um minus 5 dB(A) zur Berücksichtigung der behaupteten geringeren Stör-
wirkung des Schienenverkehrslärms) nicht erst mit Inkrafttreten des nächs-
ten Bedarfsplans für die Schienenwege des Bundes, sondern ab Inkrafttreten
des neuen Gesetzes nicht mehr gilt,

b) dass der nächtliche Immissionsgrenzwert für Kerngebiete, Dorfgebiete und
Mischgebiete (§ 2 Absatz 1 Nummer 3 16. BImschV) dem von allge-
meinen Wohngebieten und Kleinsiedlungsgebieten (§ 2 Absatz 1 Nummer 2
16. BImschV) gleichgestellt wird,

c) dass bei Schienenwegen für die Ermittlung insbesondere des nächtlichen
Lärms analog zum Fluglärmgesetz auch Einzelschallereignisse und nicht

ausschließlich Dauerschallpegel (Mittelungspegel) berücksichtigt werden,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11709

d) dass spätestens im Jahr 2023 an den Schienenwegen des Bundes und an
Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes die Werte der 16. BImSchV
eingehalten werden müssen,

e) dass 20 Prozent der am höchsten belasteten Abschnitte an bestehenden Schie-
nenstrecken bis zum Ende des Jahres 2017 einer Lärmsanierung zu unter-
ziehen sind,

f) dass für Verkehrswege, die sich nicht in der Baulast des Bundes befinden,
andere Übergangsfristen möglich sind und

g) dass in der Planung für den Haushalt 2014 mindestens eine Verdopplung der
jeweiligen Mittel für die Lärmsanierung an Bundesfernstraßen und Schie-
nenwegen des Bundes vorgenommen wird und zukünftig auf die gegen-
seitige Deckungsfähigkeit dieser Titel mit anderen investiven Titeln ver-
zichtet wird.

Berlin, den 28. November 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Alle Anwohnerinnen und Anwohner von Verkehrswegen haben den gleichen
Anspruch auf Schutz vor Lärm. Es gibt keinen sachlichen Grund, lediglich den
Anwohnerinnen und Anwohnern von solchen Verkehrswegen, die ausgebaut
werden sollen bzw. die neu gebaut werden sollen, einen anspruchsvollen Lärm-
schutz zu gewähren. Die bestehende Rechtslage gewährt einen relativ an-
spruchsvollen Lärmschutz an Verkehrswegen nur dann, wenn die 16. BImSchV
zur Anwendung kommt, d. h. beim Neubau von Verkehrswegen oder einem
erheblichen baulichen Eingriff. Für die Anwohnerinnen und Anwohner be-
stehender Trassen gibt es lediglich freiwillige Programme zur Lärmsanierung an
Bundesfernstraßen und Schienenwegen des Bundes.

Auf diese haben Anwohnerinnen und Anwohner entlang bestehender Verkehrs-
wege – anders als bei der 16. BImSchV – keinen Rechtsanspruch. Nach Ansicht
einiger Bürgerinitiativen wird dieser Zusammenhang sogar als Druckmittel
gegen Anwohnerinnen und Anwohner eingesetzt, die sich gegen den geplanten
Ausbau eines Verkehrsweges wehren. Ihnen wird mehr Lärmschutz nur dann in
Aussicht gestellt, wenn der Ausbau des Verkehrsweges realisiert werden kann.
Der Zusammenhang von Ausbau und Rechtsanspruch auf Schutz vor Ver-
kehrslärm führt offenkundig auch dazu, dass beim Ausbau von Schienenwegen
auf die Abschnitte in den Städten, die besonders große Lärmschutzmaßnahmen
zur Folge hätten, verzichtet wird, so z. B. bei den in Berlin gelegenen Ab-
schnitten der Strecken Berlin–Frankfurt (Oder) und Berlin–Cottbus (siehe
Antwort der Bundesregierung zu Frage 16 der Kleinen Anfrage der Fraktion
DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/4548).

Zu begrüßen ist, dass mit dem Bundeshaushalt 2010 die Auslöswerte für das frei-
willige Lärmsanierungsprogramm an Bundesfernstraßen um jeweils 3 dB(A)
gesenkt wurden. Bedauerlicherweise erfolgte dies nicht für das freiwillige Lärm-
sanierungsprogramm an Schienenwegen des Bundes.

Innerhalb der nächsten zehn Jahre sollen alle bestehenden Schienenwege des
Bundes und Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes die Grenzwerte der

16. BImSchV einhalten. Die 16. BImSchV ist entsprechend zu novellieren.
Dies hat einen Mittelmehrbedarf zur Folge. Zu berücksichtigen ist dabei auch

Drucksache 17/11709 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
die umgehende gänzliche Streichung des sog. Schienenbonus, der zu einem Ab-
schlag von 5 dB(A) auf die errechneten Lärmimmissionen führt. Nach heutigem
Stand der Lärmmedizin ist der Schienenbonus insbesondere auf hoch frequen-
tierten Strecken nicht zu rechtfertigen.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.