BT-Drucksache 17/11577

Lehrkräfte von Integrationskursen stärken und den Kurszugang erweitern

Vom 20. November 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11577
17. Wahlperiode 20. 11. 2012

Antrag
der Abgeordneten Memet Kilic, Josef Philip Winkler, Katja Dörner, Kai Gehring,
Markus Kurth, Brigitte Pothmer, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger,
Dr. Konstantin von Notz, Beate Müller-Gemmeke, Jerzy Montag, Claudia Roth
(Augsburg), Wolfgang Wieland und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Lehrkräfte von Integrationskursen stärken und den Kurszugang erweitern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die mit dem Zuwanderungsgesetz der damaligen rot-grünen Koalition einge-
führten Integrationskurse sind auf ein beispielloses Interesse gestoßen. Rund
800 000 Personen haben seit dem Jahr 2005 daran teilgenommen.

2. Bislang lehnt es die schwarz-gelbe Koalition ab, Unionsbürgerinnen und
-bürgern, subsidiär geschützten Personen und Bleibeberechtigten einen Teil-
nahmeanspruch zu gewähren sowie Geduldeten und Asylsuchenden den
Zugang zum Integrationskurs einzuräumen. Inzwischen machen neue Sach-
und Rechtsgründe hier eine Korrektur notwendig.

3. Unzureichend sind die Bemühungen der Bundesregierung, die soziale Situa-
tion der über 17 000 Lehrkräfte der Integrationskurse zu verbessern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine Rechtsgrundlage zur Einführung einer Mindestvergütung von Honorar-
lehrkräften in Integrationskursen zu schaffen und die Mindestvergütungs-
grenze für freiberufliche Integrationskurslehrkräfte auf 30 Euro festzulegen;

2. parallel dazu ein Konzept zu entwickeln, das die Gefahr der scheinselbststän-
digen Beschäftigung freiberuflicher Integrationskurs-Lehrkräfte bannt und
Wege aufzeigt, mit denen der Anteil festangestellter Lehrkräfte bei den Inte-
grationskursträgern erhöht werden kann;

3. generell Sorge dafür zu tragen, dass die sozialen Sicherungssysteme besser
auf die Bedürfnisse von Selbstständigen ausgerichtet werden, so dass diese
zuverlässigen und bezahlbaren Schutz erlangen können;

4. einen Gesetzentwurf zur Änderung von § 44 Absatz 1 des Aufenthaltsgeset-
zes (AufenthG) vorzulegen, der Unionsbürgerinnen und -bürgern, subsidiär

geschützten Personen sowie Bleibeberechtigten einen Anspruch auf Teil-
nahme am Integrationskurs einräumt;

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5. § 5 der Integrationskursverordnung (IntV) dahingehend zu ändern, dass auch
Asylsuchende und Geduldete zum Integrationskurs zugelassen werden kön-
nen.

Berlin, den 19. November 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Die diesjährige „Integrationskursgeschäftsstatistik“ des Bundesamtes für Migra-
tion und Flüchtlinge (BAMF) weist erneut auf zum Teil erhebliche Probleme bei
den Integrationskursen hin. Um dem regen Interesse der Eingewanderten an den
Kursen gerecht zu werden, muss die Qualität der Integrationskurse verbessert
werden. Bestehende Probleme wurden bereits in dem von der schwarz-gelben
Koalition abgelehnten Antrag „Qualität der Integrationskurse verbessern“ be-
nannt und Lösungen vorgeschlagen (Bundestagsdrucksache 17/7639).

Zu Abschnitt II Nummer 1

Obwohl die Integrationskurse gesetzlich vorgeschrieben sind und das BAMF bis
ins Detail Vorgaben zur Durchführung der Kurse macht, hält sich der Bund für
die dort herrschenden Arbeitsbedingungen aus Gründen des verfassungsrecht-
lichen Schutzes der Vertrags- und Berufsfreiheit für nicht zuständig. Die
Bundesregierung verweist darauf, dass die Lehrkräfte allein mit den Kursträgern
in einer rechtlichen Beziehung stünden. Damit versucht sich die Bundesregie-
rung zu einfach aus der Verantwortung zu stehlen.

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages weist in einer Aus-
arbeitung vom 25. April 2012 darauf hin, dass Mindesthonorare für Lehrkräfte
derzeit lediglich deswegen unzulässig seien, weil es an einer entsprechenden
Rechtsgrundlage fehle (Az.: WD 7 – 3000 089/12, S. 6). Außerdem betont er,
dass Mindesthonorare für Honorarkräfte in Integrationskursen rechtsbegrifflich
keine „Mindestlöhne“ darstellten. „Zahlreiche Honorarordnungen sogenannter
freier Berufe werden als mit dem Grundgesetz vereinbar betrachtet und stellen
keinen verfassungswidrigen Eingriff in die Vertrags- oder Berufsfreiheit dar“, so
der Wissenschaftliche Dienst.

Schon mehrfach wurde die Bundesregierung auf die sozial prekäre Beschäfti-
gungslage der Lehrkräfte von Integrationskursen hingewiesen (vgl. u. a. Bun-
destagsdrucksache 17/7004). So werden die Integrationskurs-Lehrkräfte im
Hinblick auf vergleichbare Berufsgruppen nachweislich am schlechtesten ver-
gütet.

Die Bundesregierung hat jüngst versucht, die Vergütung der Lehrkräfte zu ver-
bessern. Am 27. Oktober 2011 informierte das BAMF die Integrationskursträger
in einem Rundschreiben darüber, dass die Träger nicht mehr 15 Euro, sondern
künftig 18 Euro pro Unterrichtseinheit an ihre Lehrkräfte bezahlen müssten, um
als Träger mehrjährige Kurslizenzen zu erhalten. Zu diesem Zweck wurde der
Kostenerstattungssatz des BAMF an die Kursträger von 2,35 Euro auf 2,54 Euro
angehoben.

Die vom BAMF angesetzten 18 Euro sind – selbst im Falle einer Vollzeit-
beschäftigung – für die Existenzsicherung der freiberuflichen Integrationskurs-
dozentinnen und -dozenten unzureichend. Absolute untere Vergütungsgrenze

wären – so die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in ihrem „Schwarz-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11577

buch 2 – Arbeit in Integrationskursen“ – vielmehr die hier geforderten 30 Euro
pro Unterrichtseinheit.

Zu Abschnitt II Nummer 2

Die Lehrkräfte dieser Integrationskurse sind zu rund 75 Prozent freiberuflich tä-
tig. Für viele von ihnen bedeutet das eine große Belastung: Sie haben zum einen
keine Sicherheit über ihre Stundenzahl und damit über ihre Einkommenshöhe.
Zum anderen erhalten sie keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bzw. in
Zeiten ohne Kursangebot. Darüber hinaus müssen sie ihre Sozialversicherungs-
beiträge allein tragen.

Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages kommt zu dem
Schluss, dass viele Indizien dafür sprechen, dass diese Honorarkräfte seitens
der Integrationskursträger häufig als Scheinselbstständige beschäftigt werden
(Az.: WD 6 3000 070/12, S. 8). Dafür sprechen insbesondere die vielfältigen und
verbindlichen Vorgaben, mithilfe derer das BAMF den Kursträgern detaillierte
Vorgaben macht, die unmittelbar in den betriebsinternen Arbeitseinsatz der
Integrationskursdozentinnen und -dozenten eingreifen. Es liegt im unmittel-
baren Verantwortungsbereich des Bundes, dass die Lehrkräfte der Integrations-
kurse, die ein öffentliches und sogar bundesgesetzlich vorgeschriebenes Anlie-
gen umsetzen, nicht länger Gefahr laufen, eine sozialrechtswidrige – weil
scheinselbstständige – Beschäftigung auszuüben.

Zu Abschnitt II Nummer 3

Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Während das „Normalarbeitsverhält-
nis“ zurückgeht, nehmen prekäre und risikoreiche Beschäftigungsformen zu.
Zudem nehmen Wechsel zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäf-
tigung zu, oft auch unterbrochen von Phasen der Arbeitslosigkeit. Vor allem
Soloselbstständige, deren Anzahl in den vergangenen Jahren besonders stark ge-
stiegen ist, unterliegen dabei einem hohen Armuts- und Beschäftigungsrisiko.
Für sie ist eine soziale Absicherung besonders wichtig. Die neue Flexibilität in
der Arbeitswelt bedarf einer verlässlichen und erweiterten Form der Risiko-
absicherung. An diesen Bedarf müssen die sozialen Sicherungssysteme ange-
passt werden.

Zu Abschnitt II Nummer 4

Die Einwanderung aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) nach
Deutschland nahm allein im Jahr 2011 um 34 Prozent zu. Insbesondere zogen
viele Menschen aus den EU-Ländern, die von der Finanz- und Schuldenkrise
schwer betroffen sind, nach Deutschland (Griechenland + 90 Prozent und
Spanien + 52 Prozent; vgl. Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom
16. Mai 2012). Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben gemäß § 4 Absatz 1
Satz 1 Nummer 3 IntV nur einen nachrangigen Zugang zu freigebliebenen Kurs-
plätzen. Zu Recht hat die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung daher in
ihrem Neunten Lagebericht einen Teilnahmeanspruch auch für Unionsbürge-
rinnen und Unionsbürger gefordert (Bundestagsdrucksache 17/10221, S. 133).

Auch so genannte subsidiär geschützte Personen haben nach § 4 Absatz 1 Satz 1
Nummer 3 IntV nur einen nachrangigen Zugang zum Integrationskurs. Bislang
hatten die Mitgliedstaaten hier gemäß Artikel 33 Absatz 2 der sog. Qualifika-
tions-Richtlinie der EU (2004/83/EG) einen weiten Gestaltungsspielraum. Sie
brauchten subsidiär geschützten Personen nur dann Zugang zu Integrations-
programmen zu gewähren, wenn sie dies „für sinnvoll erachten“. Inzwischen hat
sich die europarechtliche Lage in diesem Punkt grundlegend geändert. Nach
Artikel 34 der im Dezember 2011 neugefassten Qualifikations-Richtlinie (2011/

95/EU) müssen die Mitgliedstaaten Personen mit subsidiärem Schutzstatus nun-

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mehr denselben Zugang zu Integrationsprogrammen „garantieren“ wie Perso-
nen mit Flüchtlingsstatus.

Die 7. Integrationsministerkonferenz der Länder forderte am 21./22. März 2012
einstimmig, dass auch Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis gemäß den
§§ 22, 23 Absatz 1, dem § 23a Absatz 4 Satz 2 und Absatz 5, dem § 25a Absatz 2
AufenthG einen Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs nach § 44
Absatz 1 AufenthG erhalten sollten. Zur Schaffung entsprechender Teilnahme-
ansprüche ist eine Änderung von § 44 Absatz 1 AufenthG nötig.

Zu Abschnitt II Nummer 5

Anders als vom Gesetzgeber ursprünglich angenommen, leben Asylsuchende
und Geduldete nicht nur kurzfristig in Deutschland. Sie leben regelmäßig lang-
fristig hier, ohne dass dies Berücksichtigung in ihrem Aufenthaltsstatus findet.
Insofern ist ihre tatsächliche Situation vergleichbar mit der von Personen mit
Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen. Eine Schlechterstellung beim Zu-
gang zum Integrationskurs lässt sich daher nicht rechtfertigen. Die 7. Integra-
tionsministerkonferenz der Länder forderte am 21./22. März 2012 ebenfalls
einstimmig, dass Asylsuchende und Geduldete Zugang zum Integrationskurs
haben sollten. Hierfür muss § 5 der Integrationskursverordnung entsprechend
verändert werden.

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