BT-Drucksache 17/10951

Frauenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung am Beispiel Nigerias als Herkunftsland

Vom 9. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10951
17. Wahlperiode 09. 10. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ute Koczy, Monika Lazar, Josef Philip Winkler, Memet Kilic,
Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Agnes Brugger, Viola von Cramon-Taubadel, Ekin Deligöz, Ingrid Hönlinger,
Katja Keul, Tom Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus, Tabea
Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Ulrich
Schneider, Arfst Wagner (Schleswig) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Frauenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung am Beispiel Nigerias
als Herkunftsland

Laut United Nations Interregional Crime and Justice Research Institute
(UNICRI) werden jährlich mehr als 10 000 Frauen aus Nigeria nach Europa ver-
schleppt und zur Prostitution gezwungen. Seit der Jahrtausendwende steigen die
Zahlen der Betroffenen signifikant. Zu den wichtigsten Zielländern der Men-
schenhändler/Menschenhändlerinnen gehören laut UNESCO (United Nations
Educational, Scientific and Cultural Organization) Italien, Belgien, Spanien,
Großbritannien und Deutschland.

Die Verschleppung aus Nigeria verläuft bei den meisten Betroffenen ähnlich:
Die jungen Frauen werden mit falschen Versprechungen von Ausbildungs- und
Arbeitsplätzen von Bekannten nach Europa gelockt. Nichtregierungsorganisa-
tionen (NGOs) berichten von rituellen Praktiken vor der Abfahrt, die den Frauen
ein Schweigegelübde aufzwingen. In Europa werden die Betroffenen von nige-
rianischen Zuhältern/Zuhälterinnen, sogenannten Madams, in Empfang genom-
men und mit Blick auf ihre hohen Schulden für die Einschleusung zur Prostitu-
tion gezwungen.

Die Europäische Union hat auf die wachsende Bedeutung des Menschenhandels
für die organisierte Kriminalität in Europa am 19. Juni 2012 mit einer Fünf-Jah-
res-Strategie reagiert. Auf Vorschlag der Europäischen Kommission soll die im
Jahr 2011 angenommene EU-Richtlinie „zur Verhütung und Bekämpfung des
Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer“ um weitere Schwerpunktmaß-
nahmen ergänzt werden. Die neuen Maßnahmen fordern in Anlehnung an die
Richtlinie von 2011 unter anderem eine effizientere Vernetzung der Behörden
zwischen den Mitgliedstaaten sowie eine verpflichtende medizinische Versor-
gung für die Betroffenen. Des Weiteren wird eine stärkere nationale Unterstüt-
zung von Opferberatungsstellen verlangt.
Die Medien und NGOs werten die Initiative der Europäischen Kommission als
begrüßenswerten Schritt im Kampf gegen Menschenhandel zum Zweck der
sexuellen Ausbeutung. Der Erfolg hängt jedoch von der raschen und konsequen-
ten Durchführung in den Mitgliedstaaten ab. Gleichzeitig ist die Ursachenbe-
kämpfung, zum Beispiel in Nigeria, dem afrikanischen Land, dessen Täter-/
Täterinnen- und Opferzahlen seit Jahren zu den höchsten des Kontinents gehö-

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ren, entscheidend. Allein in Deutschland ist laut Bundeskriminalamt die Zahl
der Opfer von Menschenhandel aus Nigeria im Jahr 2008 im Vergleich zum Vor-
jahr 2007 um 32 Prozent gestiegen. Daran wird deutlich: Um dem Frauenhandel
zur sexuellen Ausbeutung Einhalt zu gebieten, müssen beide Seiten, Herkunfts-
und Ankunftsländer, in die Bekämpfung des Menschenhandels miteinbezogen
werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die bisherige bilaterale entwicklungspoli-
tische Zusammenarbeit mit Nigeria im Bereich der Frauenrechte?

a) In welchem finanziellen Umfang wird das Thema gefördert, und welche
Projekte und Programme werden auf bi- und multilateraler Ebene mit
deutschen Geldern unterstützt (bitte nach Titel, Jahren und finanziellen
Volumen auflisten)?

b) Welche Fortschritte lassen sich jeweils festhalten?

c) An welchen Stellen wurden Schwachstellen identifiziert?

2. Sind in der derzeitigen Zusammenarbeit mit Nigeria im Rahmen der Stär-
kung von Frauenrechten auch Elemente zur Prävention von Menschenhandel
zum Zweck der sexuellen Ausbeutung Bestandteil?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung bezüglich des Stellenwerts
von Menschenhandel in der organisierten Kriminalität Nigerias?

4. Wie reagiert die Bundesregierung auf den signifikanten Anstieg der Fälle von
Verschleppungen nigerianischer Frauen nach Deutschland innerhalb des ver-
gangenen Jahrzehnts?

a) Inwiefern unterstützt die Bundesregierung Partner/Partnerinnen vor Ort,
NGOs oder Initiativen aus der Zivilgesellschaft, die im Bereich Präven-
tion und (Opfer-)Beratung arbeiten?

b) Welche Strategien hält die Bundesregierung zur Förderung einer besseren
Vernetzung von Ermittlungsgruppen und Opferberatungsstellen in Nigeria
für geeignet?

c) Welche best practices zur Prävention von Menschenhandel allgemein und
von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung spezifisch
sind der Bundesregierung aus anderen Länder bekannt?

5. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zum Thema Frauenhandel in
Deutschland seit 2003 gewonnen?

a) Welche Trends lassen sich identifizieren?

b) Wie lässt sich die Veränderung im Anteil der Betroffenen aus Drittstaaten
in den Opferzahlen bewerten?

6. Welche Ansätze verfolgt die Bundesregierung bei der Implementierung von
Maßnahmen im Rahmen der in der Fünf-Jahres-Strategie der Europäischen
Kommission genannten Prioritäten

a) Erkennung, Schutz und Unterstützung der Opfer des Menschenhandels;

b) Verstärkung der Präventionsmaßnahmen gegen Menschenhandel;

c) Verstärkung der strafrechtlichen Verfolgung der Menschenhändler/Men-
schenhändlerinnen;

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d) Verbesserung der Koordination und Kooperation zwischen den maßgeb-
lichen Akteuren sowie Kohärenz der Politiken und

e) Verbesserung der einschlägigen Kenntnisse und effiziente Reaktionen auf
neu auftretende Probleme im Zusammenhang mit allen Formen des Men-
schenhandels?

Wie steht die Bundesregierung zum von NGOs geforderten Ansatz, bundes-
weit flächendeckend muttersprachliche Beratungsstellen mit Fachpersonal
einzurichten, und inwieweit fördert sie diesen?

7. Welche Position hat die Bundesregierung zu dem im öffentlichen Fach-
gespräch des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des
Deutschen Bundestages vom 19. März 2012 von der agisra e. V. genannten
Ansatz eines Kölner Gesundheitsamtes, kostenlose und anonyme Gesund-
heitsversorgung für Menschen mit oder ohne Aufenthaltstitel anzubieten?

a) Wie schätzt die Bundesregierung die Chance einer bundesweiten Realisie-
rung eines solchen Systems ein?

b) Welche Position hat die Bundesregierung zu der Forderung des KOK-
Bundesweiten Koordinierungskreises gegen Frauenhandel und Gewalt an
Frauen im Migrationsprozess e. V. nach einer vollumfänglichen gesetzli-
chen Regelung, nach der Betroffene aus Drittstaaten Ansprüche auf Leis-
tungen aus dem Sozialgesetzbuch haben und nicht nur nach dem Asyl-
bewerberleistungsgesetz?

8. In Artikel 19 fordert die EU-Richtlinie „zur Verhütung und Bekämpfung des
Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer“ den Einsatz nationaler Be-
richterstatter/Berichterstatterinnen oder gleichwertiger Mechanismen. Ist die
Errichtung einer deutschen Berichterstatter-/Berichterstatterinnenstelle beab-
sichtigt?

a) Wie bewertet die Bundesregierung die Chancen der Etablierung des Pos-
tens eines Beauftragten für Menschenhandel?

b) Sind andere Regierungsstellen zum Thema geplant?

Berlin, den 9. Oktober 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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