BT-Drucksache 17/10014

Arbeit des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen

Vom 14. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10014
17. Wahlperiode 14. 06. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Josef Philip Winkler, Tom Koenigs,
Memet Kilic, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Agnes Brugger, Britta
Haßelmann, Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy,
Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Arbeit des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen

Am 19. Mai 2010 wurde basierend auf der Verordnung Nr. 439/2010 des Euro-
päischen Parlaments und des Rates in Valletta (Malta) das Europäische Unter-
stützungsbüro für Asylfragen (EASO) geschaffen. Laut Europäischer Kommis-
sion handelt es sich um eine Agentur in der Anlaufphase. Diese wird voraus-
sichtlich bis ins Jahr 2013 fortdauern. Seit der Aufnahme seiner Tätigkeit im Fe-
bruar 2011 ist das EASO hauptsächlich mit der Einstellung von Mitarbeitern
beschäftigt.

Das EASO hat die Aufgabe, die Union dabei zu unterstützen, ein Gemeinsames
Europäisches Asylsystem (GEAS) zu entwickeln, und dessen gemeinsame Um-
setzung durch die Mitgliedstaaten und ihre Asylbehörden zu erleichtern.

Die Entwicklung eines GEAS weist erhebliche Defizite auf. Auch der Rat für
Justiz und Inneres hat in einer Pressemitteilung vom 8. März 2012 mitgeteilt,
dass noch weitere Fortschritte gemacht werden müssen, um die im Stockholmer
Programm formulierte Verpflichtung einzuhalten, mit Ablauf des Jahres 2012
die Grundlagen für ein gemeinsames europäisches Asylsystem geschaffen zu
haben (EUCO 23/11).

Dabei kommt dem EASO eine grundlegende Bedeutung zur Information und
Ausbildung der entsprechenden Behörden in den Mitgliedstaaten entsprechend
den EU-Asylrichtlinien und Verfahrensstandards zu. Dies soll u. a. in Form von
Schulungen und praktischer Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit dem
EASO erfolgen.

Angesichts der gravierenden Verstöße einiger EU-Mitgliedstaaten gegen Asyl-
verfahrensstandards und Menschenrechte, wie etwa im Fall von Griechenland
(siehe den interfraktionellen Antrag „Menschenwürde ist nicht verhandelbar –
Bedingungen in griechischen Flüchtlingslagern sofort verbessern“, Bundestags-
drucksache 17/7979) oder im Fall von Italien (Europäischer Gerichtshof für
Menschenrechte, Hirsi Jamaa and others vs. Italy, Application No.: 27765/09),
werden dem EASO zusätzlich kurzfristige Aufgaben übertragen.
Mitgliedstaaten, die sich in einer „akuten Notlage“ befinden, soll das EASO
Hilfe leisten. Dies soll einerseits durch die Schaffung eines „Asyleinsatzpools“,
andererseits durch die Entsendung von Asylunterstützerteams in Krisengebiete
geschehen. Insbesondere Griechenland soll seit Mai 2011 im Rahmen des „grie-
chischen Aktionsplans zur Asylreform und Migrationsbewältigung“ diese Hilfe
erhalten.

Drucksache 17/10014 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

In den Schlussfolgerungen des Rates vom 9. März 2009 (EU-Ratsdokument
7485/12) werden dem EASO weitere Aufgaben zur Verwirklichung einer „ech-
ten und praktischen Solidarität“ übertragen. Demnach soll das EASO Instru-
mente zur Verfügung stellen, um einen Mechanismus für Frühwarnung, Vor-
sorge und Krisenbewältigung zu entwickeln, der auf Situationen aufmerksam
machen soll, bevor diese zu „Krisen großen Ausmaßes“ werden. Zudem soll das
EASO laut Rat jene Mitgliedstaaten, die mit einem hohen Migrationsdruck
konfrontiert sind, in ihren „besonderen Bedürfnissen“ gemeinsam mit der Euro-
päischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der
Mitgliedstaaten der EU FRONTEX unterstützen. Die Agenturen sollen dem-
nach „offen und eng zusammenarbeiten“.

Angesichts der fortdauernden Entwicklungsphase, in der sich das EASO befin-
det, bestehen erhebliche Zweifel daran, dass das EASO die ihm zugewiesenen
Aufgaben bereits erfüllen kann. So hat das EASO selbst auf der Tagung des Ra-
tes für Justiz und Inneres am 8. März 2012 in Brüssel infrage gestellt, über die
nötigen Kapazitäten für die ihm zugewiesenen Aufgaben zu verfügen. Im ge-
mischten Ausschuss am Rande dieser Tagung machte das EASO insbesondere
deutlich, dass weiter Personalverstärkungen notwendig seien.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Mitarbeiter arbeiten nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit für
das EASO in Valetta/Malta und in anderen Einsatzgebieten, und aus welchen
Ländern kommen sie (bitte im Einzelnen aufführen)?

2. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Ausschusses Bürgerliche
Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments, es seien
nicht genügend finanzielle Mittel für das EASO für das Jahr 2013 vorgesehen
(2012/2016(BUD))?

Wenn nein, mit welcher Begründung?

3. Kann das EASO aus Sicht der Bundesregierung die ihm zugewiesenen Auf-
gaben mit den derzeit tatsächlich zur Verfügung stehenden Kapazitäten, ins-
besondere finanziell und personell, bewältigen?

Wenn nein, warum setzt sie sich im Rat nicht für eine Stärkung ein, wie es
dieser in seinen Schlussfolgerungen vom 8. März 2012 (EU-Ratsdokument
7485/12) fordert?

4. a) Nach welchen Verfahren werden die Mitglieder des Verwaltungsrats, der
die Planungs- und Überwachungsinstanz des EASO ist, ernannt, und in
welcher Form ist die Bundesregierung an diesem Verfahren beteiligt?

b) Wie werden diese Entscheidungen parlamentarisch kontrolliert?

c) Welche zivilgesellschaftliche Beteiligung ist an der Arbeit des EASO vor-
gesehen, und wie bewertet die Bundesregierung das fehlende Stimmrecht
des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR)
im Verwaltungsrat des EASO?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die fehlende Kompetenz des EASO, ver-
bindliche Kriterien für die Anerkennung von Flüchtlingen zu erarbeiten, die
für ein GEAS unerlässlich sind?

6. Befürwortet die Bundesregierung den Vorschlag der Europäischen Kommis-
sion, dem EASO innerhalb des Aktionsplans für unbegleitete Minderjährige
eine zentrale Rolle zuzuweisen (KOM (2010)213), und wenn ja, mit welchen
personellen und finanziellen Kapazitäten soll das EASO diese Aufgabe er-
füllen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10014

7. a) Welche konkreten Instrumente soll das EASO nach Ansicht der Bundes-
regierung für den vom Rat am 8. März 2012 geforderten Mechanismus
für Frühwarnung, Vorsorge und Krisenbewältigung entwickeln?

b) Welche Änderungen sind nach Ansicht der Bundesregierung in der Dub-
lin-II-Verordnung notwendig, um den Mechanismus für Frühwarnung,
Vorsorge und Krisenbewältigung zu etablieren?

c) Welche politischen Verfahren und Unterstützungsmaßnahmen sollten
nach Ansicht der Bundesregierung die Europäische Kommission und die
Mitgliedstaaten ergreifen, wenn für Flüchtlinge unhaltbare Zustände in
einem Mitgliedstaat, unter anderem durch das EASO, festgestellt wurden?

8. a) Wie bewertet die Bundesregierung die Realisierungschancen eines vom
EASO zu organisierenden europäischen Schulungssystems für Ange-
stellte im Asylbereich?

b) Wie hoch sollte nach Ansicht der Bundesregierung die von der Europä-
ischen Kommission geforderte Quote an Angestellten im Asylbereich
sein, die das Schulungssystem absolvieren sollen (KOM(2011) 835)?

9. Befürwortet die Bundesregierung einen Informationsaustausch asylrecht-
licher Daten, der über den bloßen Austausch der in der Verordnung zu Mi-
grationsstatistiken und der EASO-Verordnung bereitgestellten Daten hi-
nausgeht, wie vom Rat am 8. März 2012 (EU-Ratsdokument 7115/12)
gefordert, wenn ja, mit welcher Begründung, und wenn nein, warum nicht?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit der EU, mit Hilfe des
EASO in Zukunft auf Flüchtlingsbewegungen effektiver und solidarischer
zu regieren, und welche Kapazitäten sind erforderlich, um die Einsatzfähig-
keit des EASO diesbezüglich sicherzustellen?

11. a) Wie bewertet die Bundesregierung den bisherigen Einsatz des EASO im
Rahmen des „griechischen Aktionsplans zur Asylreform und Migra-
tionsbewältigung“?

b) Wie ist es aus Sicht der Bundesregierung zu erklären, dass in Griechen-
land im Februar dieses Jahres von den ursprünglich geplanten 700 Neu-
einstellungen im Asylbereich lediglich elf vorgenommen wurden (so der
Bericht zur Durchführung des griechischen Aktionsplans vom März
2012)?

c) Wie bewertet es die Bundesregierung, dass dem EASO laut dem Bericht
zur Durchführung des griechischen Aktionsplans gegenüber dem Ein-
satzbereich der bestehenden FRONTEX-Mission im Land eine weitaus
geringere Bedeutung zukommt?

d) Wer soll nach Ansicht der Bundesregierung angesichts dieses Missver-
hältnisses europäische Standards im Sinne eines GEAS in Griechenland
durchsetzen, die insbesondere die Aufnahmebedingungen und den Zu-
gang zu einem fairen Asylverfahren betreffen?

12. a) Wie definiert die Bundesregierung die in den Schlussfolgerungen des
Rates vom 8. März 2012 (EU-Ratsdokument 7485/12) festgelegte „enge
und offene“ Zusammenarbeit des EASO mit FRONTEX?

b) Hält die Bundesregierung es für die Etablierung eines funktionsfähigen
GEAS für sachgemäß, dass FRONTEX im Jahr 2013 insgesamt 79 500 Mio.
Euro, das EASO hingegen, wie dem EU-Haushaltsentwurf für 2013 zu
entnehmen ist, nur 12 Mio. Euro erhalten soll?

13. Warum findet sich die von der Europäischen Kommission geforderte stärkere

Zusammenarbeit des EASO mit der EU-Grundrechteagentur nicht in den
Ratsschlussfolgerungen vom 8. März 2012 (EU-Ratsdokument 7115/12)

Drucksache 17/10014 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
wieder, und mit welcher Begründung setzt sich die Bundesregierung nicht
für eine solche verstärkte Kooperation ein?

14. Wie wird die Arbeit des EASO fortlaufend evaluiert, um ggf. das Mandat an
aktuelle Herausforderungen im EU-Flüchtlingsschutz anzupassen (Berichts-
entwurf des Europäischen Parlaments vom 15. Mai 2012 (2012/2032(INI))?

15. Welche Aufgaben sollte das EASO nach Ansicht der Bundesregierung bei
der Planung und Durchführung von EU-Resettlement-Programmen konkret
übernehmen?

16. Wie soll nach Ansicht der Bundesregierung das EASO Drittstaaten dabei
unterstützen, ihre Asylsysteme und einzelstaatlichen Asylvorschriften zu
stärken (Ratsschlussfolgerungen vom 8. März 2012, EU-Ratsdokument
7485/12), und welche Kapazitäten sind dafür erforderlich?

17. a) Was sieht der gemeinsame Rahmen „zur echten und praktischen Solida-
rität“ gegenüber von Migrationsbewegungen besonders belasteten Mit-
gliedstaaten konkret vor (EU-Ratsdokument 3072/12)?

b) Wie soll nach Ansicht der Bundesregierung, abgesehen von Solidarität in
kurzfristigen Notsituationen, in den Mitgliedstaaten ein dauerhaftes Sys-
tem der Solidarität in Flüchtlingsfragen etabliert werden, und welche
Rolle soll das EASO hierbei einnehmen?

c) Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung seit März 2012
ergriffen, um die bestehenden Solidaritätsmechanismen auf bilateraler
Ebene auszubauen, wie in der Übersicht zur Umsetzung der Ratsschluss-
folgerungen gefordert (EU-Ratsdokument 10062/12)?

Berlin, den 14. Juni 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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