BT-Drucksache 16/9651

zu der Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Dr. Uschi Eid, Kai Boris Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -16/2084, 16/2800- Zur Lage der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender

Vom 18. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9651
16. Wahlperiode 18. 06. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Alexander
Bonde, Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Monika Lazar, Kerstin Müller (Köln),
Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln),
Dr. Uschi Eid, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
– Drucksachen 16/2084, 16/2800 –

Zur Lage der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und
Transgender

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In allen Ländern, die Mitglied im Europarat sind, ist die Strafbarkeit für Homo-
sexualität abgeschafft. Die Gewährleistung der Menschenrechte für Lesben,
Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle umfasst aber mehr als die-
sen Aspekt. Noch immer ist die Versammlungsfreiheit für Homosexuelle und
Transgender sowie die freie Meinungsäußerung zu Themen mit diesen Bezügen
nicht in allen Ländern des Europarates gewährleistet. Jedes in der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) formulierte Menschenrecht muss unab-
hängig von sexueller Orientierung und geschlechtlichen Identität gewährt wer-
den. In einigen Ländern Europas sind die bürgerlichen und politischen Rechte
und das Recht auf Privatheit, Familienleben und körperliche Unversehrtheit gar
nicht oder nur mangelhaft verwirklicht.

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) hat die Republik Polen im
Mai 2007 wegen der Diskriminierung von Schwulen und Lesben verurteilt. Der
Gerichtshof stellte fest, dass das 2005 vom damaligen Warschauer Bürgermeister
Lech Kaczynski ausgesprochene Verbot des „Christopher-Street-Day“-Umzuges
sowohl gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit als auch gegen das Dis-
kriminierungsverbot verstoßen habe. Ähnliche Verfahren sind derzeit gegen die
Russische Föderation anhängig, da in Moskau ein vergleichbarer Umzug 2006,
2007 und 2008 durch den Moskauer Bürgermeister Juri M. Luschkov verboten
wurde und die Demonstranten auch nicht durch die Ordnungsmacht bei den
spontanen Protesten gegen die Versammlungsverbote vor gewalttätigen Gegen-

Drucksache 16/9651 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

demonstranten geschützt wurden. Ähnliche Verbote wurden in den baltischen
Republiken ausgesprochen.

In Bezug auf den Schutz des Rechts auf Privatheit und Familienleben, insbe-
sondere auf die rechtliche Anerkennung homosexueller Partnerschaften, hinken
viele Länder des Europarates hinterher. So herrscht zum Beispiel in Deutsch-
land der Zwang zur Sterilisation und Ehelosigkeit als Voraussetzung für die
rechtliche Anerkennung der geschlechtlichen Identität transsexueller Menschen
in Form einer Personenstandsänderung nach dem Transsexuellengesetz. Nicht
zuletzt ist auch in Deutschland die volle rechtliche Anerkennung und rechtliche
Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe und den mit
ihr verbundenen Rechten und Pflichten nicht gewährleistet.

Die vollständige rechtliche Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartner-
schaft ist in Deutschland verfassungsrechtlich zulässig. Das Bundesverfas-
sungsgericht hat in seinem Urteil zum Lebenspartnerschaftsgesetz vom 17. Juli
2002 ausdrücklich festgestellt: „Der besondere Schutz der Ehe in Artikel 6
Abs. 1 GG hindert den Gesetzgeber nicht, für die gleichgeschlechtliche Lebens-
partnerschaft Rechte und Pflichten vorzusehen, die denen der Ehe gleich oder
nahe kommen“ (BVerfGE 105, 313). Das Gericht hat damit den Weg freige-
macht für die Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft im Sinne
des Lebenspartnerschaftsgesetzes mit der Ehe.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilte im Juli
2003 Österreich wegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot aus
Artikel 14 EMRK (Fall Karner, EGMR, Urteil vom 24. Juli 2003 – 40016/98).
Das Ziel, die traditionelle Familie zu schützen, könne eine unterschiedliche
Behandlung (von homosexuellen Partnerschaften) nur rechtfertigen, wenn
nachgewiesen werde, dass die unterschiedliche Behandlung notwendig sei, um
dieses Ziel zu erreichen. Ähnlich argumentierte der EGMR auch in seiner Ent-
scheidung Salguero da Silva Mouta (EGMR, Urteil vom 21. Dezember 1999 –
33290/96). Eine unterschiedliche Behandlung im Sinne von Artikel 14 EMRK
sei diskriminierend, wenn es für sie keine objektive und vernünftige Rechtferti-
gung gebe, das heißt, wenn kein legitimes Ziel verfolgt werde oder wenn zwi-
schen den eingesetzten Mitteln und dem angestrebten Ziel keine vernünftige
Relation bestehe.

Da das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt hat, dass zur Gewährleis-
tung des Schutzes der Ehe eine Benachteiligung der Lebenspartnerschaft
gegenüber der Ehe nicht erforderlich ist, ist ein Festhalten an dieser Benach-
teiligung nach Europäischem Recht auch nicht mehr zulässig, da unverhältnis-
mäßig. Ebenso hat der Europäische Gerichtshof in der Sache Maruko gegen
Deutschland entschieden, dass gleichgeschlechtliche Lebenspartner bei der be-
trieblichen Absicherung nicht schlechter gestellt werden sollen als Eheleute.
Der EuGH stellte in seinem Urteil fest, dass es keine unmittelbare oder mittel-
bare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 der Richtlinie 2000/78/EG
aufgeführten Gründe geben darf und eine Regelung die bezüglich der Hinter-
bliebenenversorgung für den Lebenspartner eine weniger günstige Behandlung
als für den überlebenden Ehepartner vorsieht, eine Diskriminierung wegen der
sexuellen Ausrichtung darstellt.

Die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet eine Diskriminierung
von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Die Mitgliedstaaten des
Europarates sind frei in der Gestaltung ihrer Partnerschaftsgesetze. Jedoch
muss im Vergleich zur Ehe gelten: gleiche Rechte, gleiche Pflichten.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9651

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Iden-
tität nicht länger zu diskriminieren und ihnen in Bezug auf Ehe und Fami-
lienleben durch Vorlage von Gesetzesentwürfen alle Rechte einzuräumen, so
wie es durch die Europäische Menschenrechtskonvention gefordert wird;

2. zu prüfen, in welcher Weise die Mechanismen des Europarates für die
Sicherstellung der Menschenrechte der Lesben, Schwulen, Transgendern
und Intersexuellen genutzt werden können;

3. sich dafür einzusetzen, dass das Gebot der Nichtdiskriminierung von Les-
ben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen in die OSZE-
Standards aufgenommen wird;

4. durch Thematisierung in den Staatenkonsultationen zu Toleranz und Nicht-
diskriminierung und durch Beteiligung und Unterstützung informeller Ver-
anstaltungen in der OSZE Sensibilität für die gravierende Diskriminierung
von Lesben und Schwulen in der OSZE zu schaffen und den politischen Wil-
len aller OSZE-Teilnehmerstaaten zu fördern, entsprechende Standards zu
setzen;

5. in ihren bilateralen Gesprächen, insbesondere mit Russland, der Türkei, den
osteuropäischen Staaten und den baltischen Staaten die Versammlungs-,
Vereinigungs- und Pressefreiheit für Lesben, Schwule, Transgender und
Intersexuelle und den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen
Orientierung und geschlechtlichen Identität einzufordern;

6. die Ratifizierung des zwölften Zusatzprotokolls der Europäischen Men-
schenrechtskonvention durch die Vorlage eines Gesetzesentwurfs vorzu-
bereiten;

7. eine Antidiskriminierungsrichtlinie im Ministerrat zu unterstützen, die die
Schutzwirkungen der Richtlinie 2000/43/EG vom 29. Juni 2000 auf alle Kri-
terien von Artikel 13 des Amsterdamer EU-Vertrages erweitert;

8. die Anerkennungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in
Asylverfahren ist so zu gestalten, dass sowohl die staatliche als auch die
nichtstaatliche Verfolgung aufgrund von Homosexualität oder aufgrund
einer gelebten Transsexualität (z. B. das Tragen gegengeschlechtlicher Klei-
dung) ein Grund für die Anerkennung als Flüchtling ist, und zu diesem
Zweck regelmäßig zu berichten, in welchen Ländern Homosexualität straf-
rechtlich verfolgt wird oder Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und
Intersexuelle vor nichtstaatlicher Verfolgung und Gewalt nicht ausreichend
geschützt werden;

9. sicherzustellen, dass keine Abschiebung von Homosexuellen oder Transgen-
der in Länder erfolgt, in denen Homosexualität oder gelebte Transsexualität
strafrechtlich oder nichtstaatlich verfolgt werden.

Berlin, den 18. Juni 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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