BT-Drucksache 16/9360

Kein uferloser Datenaustausch mit den USA

Vom 28. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9360
16. Wahlperiode 28. 05. 2008

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Alexander Bonde,
Monika Lazar, Jerzy Montag, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar von
Neuforn, Hans-Christian Ströbele, Jürgen Trittin, Josef Philip Winkler und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kein uferloser Datenaustausch mit den USA

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Das von Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, und der
Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, am 11. März 2008 parafierte
„Abkommen über die Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Verhinderung
und Bekämpfung schwerwiegender Kriminalität“ erlaubt einen weitgehen-
den Austausch sensibler Daten. Konkret werden der Austausch von Fund-
stellendatensätzen in den jeweiligen Fingerabdruck- und DNA-Datenbanken
im sogenannten Hit/no-hit-Verfahren für Prävention und Strafverfolgung
sowie der Austausch von personenbezogenen Daten beim Verdacht auf
terroristische Betätigung vereinbart.

2. Das Abkommen beinhaltet eine Reihe datenschutzrechtlicher Probleme

● Das niedrige Datenschutzniveau in den USA bietet keinen ausreichenden
Schutz für die Daten deutscher Bürgerinnen und Bürger. Schutzmechanis-
men, wie sie etwa der Prümer Vertrag vorsieht, greifen wegen der Rechts-
lage in den USA nicht. Die Bundesregierung hat kein separates Abkom-
men zum Datenschutz vereinbart, das etwa die Standards der Europa-
rats-Konvention 108 zum Schutz personenbezogener Daten von 1981
verbindlich machen würde.

● Es besteht nach dem Abkommen kein individueller Rechtsschutz und
keine unabhängige Kontrolle. Damit ist es Betroffenen unmöglich, Aus-
kunft über ausgetauschte Daten zu erlangen, Fehler korrigieren zu lassen
oder Daten sperren oder löschen zu lassen. Sie können nur ihre jeweilige
Regierung ersuchen, auf die andere Vertragspartei entsprechend ein-
zuwirken.

● Die Speicherfristen für Daten sind in den USA weit länger als in

Deutschland und betragen in der Praxis oftmals Jahrzehnte. Der Verweis
auf die Geltung des jeweiligen nationalen Rechts bietet also keinen aus-
reichenden Schutz.

Drucksache 16/9360 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

● Das für die Fingerabdruckdaten gewählte Hit/no-hit-Verfahren bietet
keinen ausreichenden Schutz durch Anonymisierung. So kann ein aus
Deutschland übersandter Fingerabdruck, der zunächst keinen Treffer er-
gibt, von den US-Behörden aber gespeichert wird, wegen der seit 2001
obligatorischen Abnahme aller Fingerabdrücke bei der Einreise in die
USA dann dem Betreffenden und einem Verdachtsmoment zugeordnet
werden.

● Zwar kann der übermittelnde Staat Beschränkungen für die Verwendung
der Daten festlegen, diese werden aber durch unbestimmte Klauseln wie
„dürfen … Daten ... verarbeiten … zur Verhinderung einer ernsthaften
Bedrohung ihrer öffentlichen Sicherheit“ (Artikel 13 Abs. 1) konter-
kariert.

3. Diese Mängel wiegen besonders schwer, da das Abkommen auch keine
Definition „terroristischer Straftaten“ oder „schwerwiegender Kriminalität“
beinhaltet und keine gemeinsame Definition existiert.

4. Die Übermittlung bestimmter im Abkommen genannter Daten erscheint
grundsätzlich unzulässig. Auch wenn sie besonderen Bedingungen unter-
liegt, ist nicht erkennbar, wie die Weitergabe von Daten etwa über politische
Anschauungen, die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft, die Gesundheit
oder gar das Sexualleben zur Erreichung der Ziele des Abkommens bei-
tragen kann. Diese Daten müssen von der Übermittlung ausgenommen
bleiben.

5. Der Deutsche Bundestag wurde nicht ausreichend über die Aushandlung des
Abkommens informiert. Die nur informatorische Einbeziehung des Bundes-
beauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit reicht eben-
falls nicht aus.

6. Ein solches Abkommen, dessen Ansatz der Datenverfügbarkeit dem euro-
päischen Vertrag von Prüm ähnelt, hätte Deutschland nicht im Alleingang
mit den USA abschließen dürfen. Die Bundesregierung verletzt die Solidari-
tät der Mitgliedstaaten der EU wie sie es in anderem Zusammenhang ande-
ren Mitgliedstaaten vorgeworfen hat, z. B. bei Vereinbarungen über Visa-
Waiver-Programme. Ein solcher Alleingang untergräbt die Verhandlungs-
macht der EU gegenüber den USA und führt für die Bürgerinnen und Bürger
der EU zu Rechtsunsicherheit.

7. Entgegen der im Abkommen geäußerten Erwartung taugt dieses Abkommen
nicht als Beispiel für vergleichbare Abkommen zwischen den USA und
anderen Mitgliedstaaten der EU. Solche bilateralen Abkommen sind auch
nicht wünschenswert.

8. Wenn die genannten Schwächen des Abkommens nicht erfolgreich neu im
europäischen Verbund verhandelt werden, wird der Deutsche Bundestag der
Ratifikation des Abkommens nicht zustimmen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Bedarf für ein solches Abkommen nochmals genau zu prüfen und es
nicht bilateral, sondern zusammen mit den anderen Mitgliedstaaten im
Rahmen der EU zu schließen;

2. die Gründe für die Zulässigkeit des Austauschs von Daten enger zu fassen.
Insbesondere müssen klare Definitionen oder Kataloge der Straftaten ge-
nannt werden, für deren Verfolgung die Datenübermittlung erlaubt wird;

3. den Umfang der ausgetauschten Daten enger zu begrenzen und auf die Über-

mittlung von Fingerabdruckdaten zum Zweck der Gefahrenabwehr ganz zu
verzichten;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9360

4. Regelungen zum Datenschutz festzuschreiben, die individuellen Rechts-
schutz ermöglichen und eine unabhängige Kontrolle gestatten;

5. die Verwendung der Daten wirksam und ausschließlich auf die Zwecke des
Abkommens zu beschränken.

Berlin, den 28. Mai 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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