BT-Drucksache 16/8909

Oslo-Prozess zum Erfolg führen - Jegliche Streumunition ächten

Vom 23. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8909
16. Wahlperiode 23. 04. 2008

Antrag
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Markus Kurth, Thilo
Hoppe, Jürgen Trittin, Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Kerstin Andreae,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Dr. Uschi Eid, Kai Gehring, Anna
Lührmann, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock,
Dr. Harald Terpe, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Oslo-Prozess zum Erfolg führen – Jegliche Streumunition ächten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die von Norwegen initiierten internationalen Bemühungen um ein Verbot von
Streumunition haben durch den bis zum Jahresende 2008 abzuschließenden
Oslo-Prozess eine überraschende und positive Dynamik erhalten. Staaten wie
Belgien oder Österreich haben diesen Prozess durch ihre nationale Ächtung
jeglicher Streumunition im entscheidenden Maße befördert. Die „Acht-Punkte-
Position“ der Bundesregierung zu Streumunition (Juni 2006) ist mehr denn je
überholt. Deutschland darf nicht zum Bremser des Oslo-Prozesses werden.

Auf der Streumunitionskonferenz in Wellington haben sich im Februar 2008
mehr als 80 Staaten für ein weitreichendes Verbot von Streumunition ausgespro-
chen. Die Erarbeitung des Vertragsentwurfs befindet sich in einer kritischen und
entscheidenden Phase. Es hängt nicht zuletzt vom konstruktiven Verhalten der
Bundesregierung ab, ob der Oslo-Prozess zum Erfolg geführt werden kann.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. bis zum Inkrafttreten von nationalen und internationalen Verbotsregelungen
für Streumunition mit sofortiger Wirkung ein Moratorium zu beschließen,
welches den Einsatz, die Entwicklung, die Herstellung, die Modernisierung,
die Beschaffung, den Verkauf, die Vermittlung sowie die Ein-, Aus- und
Durchfuhr von Streumunition untersagt;

2. dem Bundestag unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher

a) den Gebrauch, den Besitz, die Entwicklung, die Herstellung, die Moder-
nisierung, die Beschaffung, die Lagerung, den Verkauf, die Ein- und Aus-
fuhr sowie den Transit von Streumunition verbietet,
b) die Bundesregierung verpflichtet, sicherzustellen, dass bei einer deutschen
Beteiligung an internationalen Militäreinsätzen von Partnernationen keine
Streumunition zum Einsatz kommt,

c) eine Vernichtung der deutschen Streumunitionsbestände umgehend, spä-
testens aber innerhalb von vier Jahren vorsieht,

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d) an vergleichbare ethische Investmentregelungen anderer Regierungen an-
knüpfend, das Investment in eine deutschem oder ausländischem Recht
unterliegende Firma verbietet, die Streumunition herstellt, zum Verkauf
anbietet, ein- oder ausführt bzw. befördert;

3. sich im Rahmen des Oslo-Prozesses und im Rahmen der VN-Waffenkonven-
tion mit allem Nachdruck für ein vollständiges und völkerrechtlich verbind-
liches Verbot einzusetzen,

a) das jeglichen Umgang mit Streumunition verbietet. Dieses Verbot muss
für Munition gelten, welche mit Submunition bestückt ist, die Explosiv-
stoff enthält und die dazu bestimmt ist, die Submunition über ein Gebiet
zu verteilen, um sie vor, beim oder nach dem Aufprall zur Detonation zu
bringen oder die durch Berührung, Gegenwart oder Nähe einer Person
explodieren kann bzw. hochtoxische Substanzen enthält,

b) das es den Vertragsstaaten grundsätzlich untersagt, sich an multilateralen
militärischen Operationen zu beteiligen, wenn von Seiten anderer Partner-
nationen Streumunition zum Einsatz kommt,

c) das die Vertragsstaaten verpflichtet, andere Staaten bei der Beseitigung
von Streumunitionsbeständen zu unterstützen und Hilfe in Bezug auf die
Fürsorge, Rehabilitation sowie die soziale und wirtschaftliche Wiederein-
gliederung der Opfer von Streumunition zu leisten;

4. sicherzustellen, dass die Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisatio-
nen weiterhin uneingeschränkt an den Verhandlungen im Rahmen des Oslo-
Prozesses und der VN-Waffenkonvention teilnehmen können;

5. im Bereich der humanitären Minenräumung und Opferhilfe national und in-
ternational verstärkte Anstrengungen zur Unterstützung der betroffenen Per-
sonen und der Räumung der kontaminierten Regionen zu ergreifen.

Berlin, den 23. April 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

1. Streumunition ist eine Terrorwaffe. Schätzungsweise 16 der 70 Staaten, die
Streumunition in ihrem Waffenbestand haben, haben diese in mindestens
22 Ländern eingesetzt. Etwa 98 Prozent der Opfer sind Zivilisten. Streu-
munition wurde von Streitkräften in der Vergangenheit auch in der Absicht
eingesetzt, nach Ende der Kampfhandlungen ganze Landstriche durch Blind-
gänger unzugänglich zu machen. Der Einsatz unterschiedslos wirkender
Streumunition ist unter humanitären Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen.
Er verursacht über Jahre hinweg großes Leid, bedroht den Wiederaufbau und
hemmt die Entwicklung ganzer Regionen.

2. Der israelische Streumunitionseinsatz im Libanon hat im Sommer 2006 die
Dringlichkeit eines Einsatzmoratoriums und einer völkerrechtlichen Ächtung
dieser Munition aller Welt vor Augen geführt. Bemühungen um ein Verbot
von Streumunition haben dadurch neuen Auftrieb und eine neue Dynamik
erhalten. Gleichzeitig wurde in den vergangenen zwei Jahren deutlich, dass
eine Unterscheidung zwischen gefährlicher und ungefährlicher Streu-
munition, wie sie die Bundesregierung in ihrem 8-Punkte-Plan und die Frak-

tionen der CDU/CSU und SPD in ihrem parlamentarischen Begleitantrag

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vorgenommen hatten, Deutschland nicht zum Vorreiter, sondern zum Brem-
ser internationaler Verbotsbestrebungen macht. Inzwischen haben Partner
wie Belgien und Österreich Streumunition national geächtet.

3. Die dritte Überprüfungskonferenz des VN-Waffenübereinkommens be-
schloss im November 2006 die Einsetzung einer CCW-Expertengruppe zu
Streumunition. Hoffnungen, im Rahmen der VN-Waffenkonvention Ver-
handlungen bezüglich eines Verbots von Streumunition aufzunehmen, sind
erwartungsgemäß gescheitert. Die 102 Vertragsstaaten verständigten sich im
November 2007 lediglich auf einen unverbindlichen Meinungsaustausch
über die Möglichkeiten der Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts in
dieser Frage. Der Meinungsaustausch soll dabei besonders die technische Zu-
verlässigkeit von Streumunition und die mit einem Einsatz dieser Waffen ver-
bundenen humanitären Konsequenzen thematisieren. Damit hat der Ansatz
der Bundesregierung, im Rahmen der VN-Waffenkonvention zwischen ge-
fährlicher und ungefährlicher Munition und zulässigen und unzulässigen
Einsatzgebieten zu unterscheiden und auf diesem Wege Staaten wie die USA
einzubinden, einen schweren Dämpfer erlitten. Das Auswärtige Amt hat in
einem aktuellen Bericht festgestellt, dass Staaten wie Russland, die USA,
China und Indien grundsätzlich keinen völkerrechtlichen Handlungsbedarf in
dieser Frage sehen. Diese Staaten haben bereits den Abschluss anderer Ab-
rüstungs- und Rüstungskontrollabkommen, wie das Ottawaer Antipersonen-
minen-Abkommen, boykottiert.

4. Da es im Rahmen der VN-Waffenkonvention bis Ende 2006 keine erkennba-
ren Fortschritte gab, entstand im Februar 2007 auf Initiative von Norwegen
der so genannte Oslo-Prozess. In einer ersten Erklärung verpflichteten sich
46 Staaten, bis Ende 2008 einen internationalen Vertrag über Streumunition
zu erarbeiten. Bis heute unterstützen mehr als 140 Staaten, inklusive
Deutschland, den Oslo-Prozess. Nachfolgekonferenzen fanden in Lima (Mai
2007), Wien (Dezember 2007) und Wellington (Februar 2008) statt. Die Ver-
handlungen über eine entsprechende Konvention sollen im Mai in Dublin
abgeschlossen und der Vertrag im Dezember 2008 in Oslo unterzeichnet
werden. In Wellington haben 85 der über 140 Oslo-Staaten die „Declaration
of the Wellington Conference on Cluster Munitions“ unterzeichnet und damit
dem Grundsatz eines Verbotes von Streumunition ohne Ausnahmen und ohne
Übergangsfrist zugestimmt.

5. Die kommenden Wochen und Monate sind für den Erfolg des Oslo-Prozesses
von entscheidender Bedeutung. Deutschland kommt dabei eine Schlüssel-
rolle zu. Im Bereich der Streumunitionspolitik wird die Bundesregierung in-
ternational zunehmend als aktiver Bremser wahrgenommen. Die Bundes-
regierung will sowohl im Rahmen der VN-Waffenkonvention als auch des
Oslo-Prozesses ein begrenztes Verbot von Streumunition erzielen. Die
Bundesregierung führt eine Gruppe von Staaten an, die im Rahmen des Oslo-
Prozesses versucht, substanzielle Ausnahmen für verschiedene Munitions-
typen durchzusetzen. Sie hat den Einfluss „unbedeutender“ Staaten sowie
von Nichtregierungsorganisationen auf den Oslo-Prozess kritisiert. Der von
der Bundesregierung im Mai 2007 vorgeschlagene Dreistufenplan sieht in
Anlehnung an die 8-Punkte-Position der Bundesregierung vor, vorerst ledig-
lich auf den Einsatz gefährlicher Streumunition mit einer Blindgängerrate
von mehr als 1 Prozent zu verzichten. Stattdessen soll für eine unbestimmte
Übergangszeit der Einsatz von als weniger gefährlich eingestufter Streumu-
nition mit Selbstzerstörungsmechanismen erlaubt bleiben, was ohne Ein-
schränkung auch für alternative Streumunition gelten soll. Außerdem tritt die
Bundesregierung dafür ein, dass sich die Vertragsstaaten an Militäroperatio-
nen beteiligen können, bei denen von anderen Partnerstaaten Streumunition

zum Einsatz kommt. Grundsätzlich wird von Seiten der Bundesregierung
eine Veröffentlichung von Testergebnissen für Streumunition abgelehnt, eine

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Risikoabschätzung für alternative Streumunition wurde bislang nicht vorge-
nommen.

6. Als erstes europäisches Land hat Belgien im Februar 2006 ein Gesetz zum
Verbot der Produktion, des Verkaufs und des Einsatzes von Streubomben ver-
abschiedet, das im Juni 2006 in Kraft trat. Im Dezember 2007 folgte Öster-
reich. Das österreichische und belgische Parlament beschlossen jeweils in-
nerhalb von drei Jahren alle im Besitz befindlichen Streumunitionen zu zer-
stören. Die Bundesregierung will derzeit weder ein Gesetz zum Verbot von
Streumunition noch ein entsprechendes Moratorium verabschieden. Die Ver-
nichtung von Altbeständen wird über viele Jahre gestreckt. Die Bundesregie-
rung will für den Fall, dass keine alternative Munition zur Verfügung steht,
an der Option zum Streumunitionseinsatz festhalten. Sie hat sich diese Ein-
satzoption 2006 von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD in einem bislang
beispiellosen Vorgang im Deutschen Bundestag bestätigen lassen. Der Deut-
sche Bundestag muss diese Entscheidung korrigieren und dazu beitragen,
dass Deutschland, wie im Falle der Anti-Personen-Minen, zu den Vorreitern
eines Verbots gehört.

7. Noch heute gefährden Millionen nicht explodierter Minen und Streumunitio-
nen die Bevölkerung vieler Staaten. Neben den vielen Todesopfern hat der
Einsatz von Streumunition auch zur Folge, dass viele Menschen mit zum Teil
schwersten Behinderungen nach einer Explosion leben müssen. Protokoll V
über explosive Kampfmittelrückstände des VN-Waffenübereinkommens
vom November 2006 verpflichtet Vertragsstaaten, in denen sich Munitions-
reste befinden, zur Markierung und Beseitigung von Blindgängermunition.
Die Zivilbevölkerung soll in internationaler Zusammenarbeit möglichst unter
Berücksichtigung internationaler Normen vor explosiven Kampfmittelrück-
ständen gewarnt werden. Nach Artikel 16 (Freiheit von Ausbeutung, Gewalt
und Missbrauch) des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit
Behinderungen (A/RES/61/106) müssen die Vertragsstaaten alle geeigneten
Maßnahmen treffen, um die körperliche, kognitive und psychische Genesung,
die Rehabilitation und die soziale Wiedereingliederung von Menschen mit
Behinderungen, die Opfer irgendeiner Form von Ausbeutung, Gewalt oder
Missbrauch werden, zu fördern, auch durch die Bereitstellung von Schutz-
einrichtungen. Artikel 11 (Gefahrensituationen und humanitäre Notlagen) so-
wie Artikel 32 (Internationale Zusammenarbeit) begründen eine Berücksich-
tigung behinderter Menschen bei allen humanitären und entwicklungspoliti-
schen Maßnahmen.

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