BT-Drucksache 16/8784

Durchsetzung der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern - Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit

Vom 10. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8784
16. Wahlperiode 10. 04. 2008

Antrag
der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln),
Britta Haßelmann, Monika Lazar, Jerzy Montag, Silke Stokar von Neuforn,
Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler
und der Fraktion von Bündnis 90/DIE GRÜNEN

Durchsetzung der Entgeltgleichheit von Frauen und Männern – Gleicher Lohn
für gleichwertige Arbeit

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Auch 51 Jahre nach den Römischen Verträgen gibt es in jedem europäischen
Land deutliche Unterschiede zwischen den Löhnen von Frauen und Männern.
Diese Unterschiede variieren je nach Land. Deutschland belegt einen traurigen
Spitzenplatz – hinter der Slowakei, Estland und Zypern. Die Lohnungleichheit
nimmt in Deutschland im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen
Ländern nicht etwa ab, sondern sogar leicht zu (vgl. Bericht der Europäischen
Kommission zur Gleichstellung von Frauen und Männern 2006).

Durch eine Reihe rechtlicher Regelungen ist Deutschland zur Herstellung von
Entgeltgleichheit verpflichtet. Dazu gehört vor allem der Gleichberechtigungs-
grundsatz aus Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes. Darüber hinaus auch durch
das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau
(CEDAW), das in Artikel 11 Abs. 1 verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen
zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau im Berufsleben zu treffen, wozu
das Recht auf gleiches Entgelt, einschließlich sonstiger Leistungen, und auf
Gleichbehandlung bei gleichwertiger Arbeit sowie Gleichbehandlung bei der
Bewertung der Arbeitsqualität gehören. Auch gemäß EG-Vertrag (Artikel 141)
muss jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts
für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicherstellen.
Das Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) regelt das Verbot der Diskriminie-
rung von Teilzeit- und befristet Beschäftigten. Auch das Betriebsverfassungs-
gesetz und die Personalvertretungsgesetze sowie die Gleichstellungsgesetze für
den öffentlichen Dienst gehen auf die Entgeltgleichheit ein. Das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bestimmt erneut, dass Benachteiligungen u. a.
in Bezug auf „die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich
Arbeitsentgelt und Entlassungsbedingungen, insbesondere in individual- und

kollektivrechtlichen Vereinbarungen, unzulässig sind.

Dennoch kommt es nur selten zu Klagen wegen Entgeltdiskriminierung; das gilt
für den früheren § 611a ebenso wie für das AGG. So wurden in JURIS seit 1980
insgesamt nur 136 Klagen wegen des Gleichbehandlungsgebots dokumentiert.
Eine bessere Unterstützung der Akteure und Akteurinnen auch durch ein er-
weitertes Verbandsklagerecht ist erforderlich.

Drucksache 16/8784 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Frauen und Männern sind
komplex; gemeinsam ist ihnen jedoch allen, dass sie wesentlich auf traditionelle
Geschlechterrollen zurückgehen. Dazu gehört insbesondere die Vorstellung,
dass vor allem Mütter für die direkte Betreuung der Familie und der Kinder
zuständig sind, Vätern dagegen vor allem die Ernährerrolle zufällt. Erwerbs-
unterbrechungen aus familiären Gründen werden immer noch überwiegend von
Frauen vorgenommen. Ein System, was aber alle Gratifikationen an eine mög-
lichst ununterbrochene Vollzeiterwerbstätigkeit bindet, benachteiligt damit
Frauen. Das gilt insbesondere, wenn es keine Wahlfreiheit zulässt, weil bei-
spielsweise kein ausreichendes und qualitativ hochwertiges Kinderbetreuungs-
angebot vorhanden ist. Hinzu kommt die horizontale und vertikale Segregation
des Arbeitsmarktes, mit Branchen, Berufen und Hierarchiestufen, die insbeson-
dere Frauen oder Männern zugeschrieben werden. Das Berufswahlspektrum von
jungen Frauen ist trotz ihrer besseren Schulabschlüsse weiterhin eng. Mehr als
die Hälfte wählt aus nur zehn Ausbildungsberufen im dualen System – darunter
kein naturwissenschaftlich-technischer. Damit schöpfen sie weder ihre Berufs-
möglichkeiten noch ihre Fähigkeiten aus. Aber auch den Unternehmen fehlt
dieses Potenzial. Typischerweise werden die Berufe und Tätigkeiten, die über-
wiegend von Frauen ausgeübt werden, niedriger angesehen und bezahlt, auch
wenn es dafür keine objektiven Gründe gibt. Die derzeitige Debatte um
Mindestlöhne zeigt, dass in Branchen, in denen extrem schlecht bezahlt wird,
überwiegend Frauen arbeiten, wie in der Floristik (Frauenanteil: 91 Prozent)
oder dem Friseurhandwerk (89 Prozent). Mindestlöhne in diesen Branchen wür-
den daher überwiegend Frauen zugutekommen.

Der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern liegt in Deutschland bei
22 Prozent und ist damit deutlich höher als der EU-Durchschnitt von 15 Prozent.
Nach einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der
Hans-Böckler-Stiftung (WSI) lassen sich in den westlichen Bundesländern
ein Drittel der geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede, in den ost-
deutschen Ländern ein Viertel, allein durch direkte Diskriminierung aufgrund
des Geschlechts erklären.

Die bestehenden Gesetze führen nicht dazu, dass sich der Entgeltunterschied
zwischen Frauen und Männern verringert. Auch andere Maßnahmen wie die
freiwillige Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Arbeitgeberverbänden
oder der Girls’ Day, der das Berufswahlspektrum von Mädchen erweitern soll,
haben keine Veränderungen gebracht. Das Gleiche gilt für das von der Bundes-
regierung geförderte Internetportal www.frauenmachenkarriere.de oder die
ebenfalls aus Bundesmitteln geförderte Etablierung der bundesweiten Gründe-
rinnenagentur (bga). Auch der Leitfaden „Entgeltgleichheit für Frauen und
Männer – Fair P(l)ay“ gibt zwar Hinweise, bleibt jedoch wirkungslos. Das AGG
bietet Unterstützung an; Benachteiligte können sich an die Antidiskriminie-
rungsstelle wenden. Das reicht jedoch nicht aus.

Bisher ist auch nicht zu erkennen, dass die Tarifparteien der Herstellung der Ent-
geltgleichheit einen hohen Wert beimessen. Daher muss die Bundesregierung
aktiv werden und kann sich nicht darauf zurückziehen, dass sie „nur unter-
stützend tätig werden“ kann (vgl. Bundestagsdrucksache 16/7237).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Eingruppierungskriterien für den Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst
im Wirkungsbereich des Bundes auf mittelbare und unmittelbare Diskrimi-
nierung zu überprüfen und diese unverzüglich abzubauen;

2. zügig eine umfassende Mindestlohnregelung vorzulegen, die die Voraus-
setzung für Mindestlöhne in allen Branchen schafft und damit auch einen

Schutz vor Lohndumping im Niedriglohnbereich, in dem vorwiegend Frauen
beschäftigt sind, herstellt;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8784

3. ein Verbandsklagerecht für Vereinigungen im Sinne von Artikel 9 Abs. 3 des
Grundgesetzes und rechtsfähige Verbände, die sich satzungsgemäß für die
Gleichstellung der Geschlechter einsetzen, einzuführen;

4. dem Deutschen Bundestag alle drei Jahre einen Bericht zur Berufs- und Ein-
kommenssituation von Frauen und Männern vorzulegen;

5. der Nationalen Antidiskriminierungsstelle ausreichende Mittel für die Er-
stellung eines Gutachtens zur Verfügung zu stellen, das insbesondere die
Ursachen direkter Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts deutlich
macht;

6. der Nationalen Antidiskriminierungsstelle ausreichende Mittel zur Ver-
fügung zu stellen, um mit einer umfassenden Kampagne in Erfüllung ihrer
Aufgaben nach § 27 AGG, auch in den Unternehmen für diskriminierungs-
freie Entlohnung zu werben;

7. dem Deutschen Bundestag einen Entwurf zur europarechtskonformen Aus-
gestaltung des AGG vorzulegen und darin insbesondere eine Anhebung der
Klagefristen sowie einen Ausbau der Regelungen zu Schadenersatz und Ent-
schädigung vorzusehen;

8. gemeinsam mit den Tarifparteien zu prüfen, ob die Lohnstrukturerhebung des
schweizerischen Statistischen Bundesamts ein sinnvolles Instrument zur
Feststellung von geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden sein kann und
übernommen werden sollte.

Berlin, den 10. April 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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