BT-Drucksache 16/7917

Antihomosexuelle Seminare und pseudowissenschaftliche Therapieangebote religiöser Fundamentalisten

Vom 24. Januar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7917
16. Wahlperiode 24. 01. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Josef Philip Winkler, Hans-Christian
Ströbele, Birgitt Bender, Kai Gehring, Undine Kurth (Quedlinburg), Monika Lazar,
Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, Dr. Gerhard Schick, Silke Stokar von
Neuforn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Antihomosexuelle Seminare und pseudowissenschaftliche Therapieangebote
religiöser Fundamentalisten

Nicht nur in den USA, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland versu-
chen christlich-fundamentalistische Gruppen zunehmend, Lesben und Schwule
mit pseudowissenschaftlichen „Therapien“ von ihrer Homosexualität zu „hei-
len“.

Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von
der Leyen, hat die Schirmherrschaft für das „Christival 2008“ übernommen, das
vom 30. April bis 4. Mai 2008 in Bremen veranstaltet wird. In diesem Rahmen
sollte ein Seminar „Homosexualität verstehen – Chance zur Veränderung“ von
dem sog. Deutschen Institut für Jugend und Gesellschaft, OJC, stattfinden. In
der Seminarbeschreibung heißt es: „Viele Menschen leiden unter ihren homo-
sexuellen Neigungen. Im Seminar geht es um Ursachen und konstruktive Wege
heraus aus homosexuellen Empfindungen.“

Nach Protesten teilten die Veranstalter am 9. Januar 2008 mit, das Seminar sei
von den Referenten aufgrund der öffentlichen Diskussion abgesagt worden. Von
den Veranstaltern wird dies bedauert. Die Kritik an dem Seminar weist das
„Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft“ mit folgender Begründung zu-
rück: „Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen, die ihre homosexuellen Impulse
als unvereinbar mit ihren Wünschen, Überzeugungen und Lebenszielen erfah-
ren, selbstbestimmte Wege gehen können, die zu einer Abnahme homosexueller
Empfindungen führen.“

Die Beteuerung des „Instituts“, sich nur für „Selbstbestimmung“ und „Freiheit“
einzusetzen, wird durch zahlreiche Publikationen dieser Einrichtung konterka-
riert. Darin wird z. B. Homosexualität auf eine Stufe mit Alkoholismus gestellt
und das homosexuelle Leben durchweg als ein von psychischen Krankheiten
und Süchten gekennzeichnetes dargestellt. Die Ursache von Krisen, wie sie jun-
ge Homosexuelle während ihres Coming-outs häufig erleben, wird dabei nicht
in einer immer noch bestehenden gesellschaftlichen Ablehnung von Homo-

sexualität gesehen, sondern in der Homosexualität selbst bzw. in einer „Entfrem-
dung vom eigenen Geschlecht“ und dem Einfluss der Schwulenszene. Gegen
homosexuelle Empfindungen helfe eine „reparative Therapie“. Eltern werden
aufgefordert, sich nicht mit der Homosexualität ihrer Kinder abzufinden: „Viele
Eltern wollen ihren Sohn nicht einfach einem Lebensstil überlassen, der
schmerzhafte Anpassungen verlangt, der mit hoher Wahrscheinlichkeit zu pro-
misken Beziehungen führt, ein hohes Ansteckungsrisiko für ernsthafte und so-

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gar tödliche Krankheiten in sich birgt, der einen extremen Focus auf sexuelle
schwule Subkultur setzt und gesellschaftliche Belastungen mit sich bringt. Es ist
deshalb gut, wenn Sie als Eltern das tun, was Sie tun können, um Ihrem Kind
eine heterosexuelle Entwicklung zu ermöglichen.“ (Bulletin 10, Herbst 2005,
Sonderheft zum Thema Jugendliche und Homosexualität, S. 22).

In einem weiteren Bulletin des „Instituts“ (Sonderheft Männliche Homosexua-
lität, S/2005, S. 24) empfiehlt es als „weiterführende Literatur für Männer und
Frauen, die Veränderung suchen, und für ihre Angehörigen und Freunde“ u. a.
das Buch „Das Drama des gewöhnlichen Homosexuellen“ von Gerard J. M. van
den Aardweg. Darin wird zur Beseitigung homosexueller Gefühle u. a. eine Me-
thode empfohlen, die der Autor „Durchprügeln“ nennt und die offenbar in einer
Art verbaler Selbstgeißelung besteht mit Worten wie: „,Ach, du Jammerfritze,
schnappe dir einen Teller mit Glasscherben und friss sie auf, aber schnell! Los,
hinunter mit der Flasche Blausäure, dann kannst du dich auf dem Boden wälzen,
dann weißt du wenigstens, wieso du hier herumschreist!‘ Oder: ,Ich habe große
Lust, dich zum Fenster hinauszuwerfen, dort unten in die Dornenbüsche, und
das tue ich jetzt auch! Hier bekommst du eins mit einem Rohr aus Blei über. Da
hast du einen Fußtritt, dass du mitten durchbrichst. Jetzt schütte ich dir Benzin
über den Kopf, und dann machen wir ein Feuerchen‘ usw.“ (Gerard J. M van den
Aardweg: Das Drama des gewöhnlichen Homosexuellen. Neuhausen-Stuttgart:
Hänssler 1985, S. 440).

Der Verein „Offensive Junger Christen“ versucht mit seinem so genannten In-
stitut für Jugend und Gesellschaft die Wissenschaftlichkeit seiner verbreiteten
Thesen zu suggerieren. Das Institut wirbt auf seiner Internetseite damit, dass es
vor vielen Jahren im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend tätig gewesen sein soll.

Für den Kongress „Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie“ im vergan-
genen Herbst in Graz war eine ähnliche Veranstaltung von „Wuestenstrom“ an-
gekündigt worden. Wegen vieler Proteste, die vom Lesben- und Schwulenver-
band in Deutschland (LSVD) mitinitiiert wurden, hat der Schirmherr des Grazer
Kongresses, der steirische Landeshauptmann Franz Voves der Uniklinik Graz
als Veranstalterin geschrieben, dass er seine Unterstützung zurückzieht, wenn
die kritisierten Gruppen nicht von der Veranstaltung ausgeschlossen werden.
Daraufhin hat „Wuestenstrom“ seine Teilnahme „abgesagt“ (siehe dazu „DER
SPIEGEL“ vom 17. Juli 2007: „Dämonen auf dem Psychiaterkongress“ und
„Die Presse“ vom 19. September 2007: „Religion und Psychiatrie: Homothera-
pie und Hagiotherapie?“). Fachleute warnen vor den psychischen Gefahren von
solchen Therapien.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung solche so genannten Therapieangebote
von Homosexualität aus wissenschaftlicher, psychotherapeutischer, gesell-
schaftspolitischer, rechtlicher und ethischer Sicht?

2. Inwiefern vertritt die Bundesregierung oder vertreten einzelne Mitglieder der
Bundesregierung die Auffassung, dass Homosexualität

a) einer Therapie bedarf und

b) einer Therapie zugänglich ist?

3. Welche Auswirkung hat hierbei die Tatsache, dass Homosexualität nicht als
Krankheit anzusehen ist und 1992 endgültig von der Weltgesundheitsorganisa-
tion aus dem International Classification of Diseases (ICD) gestrichen wurde?

4. Welche Stellungnahmen von psychologischen und sexualwissenschaftlichen
Fachorganisationen sind der Bundesregierung zur Behauptung Homosexua-

lität sei therapierbar bekannt, und zu welchen Ergebnissen kommen diese
Fachwissenschaftler und Fachwissenschaftlerinnen (vgl. www.gaynial.net)?

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5. Teilt die Bundesregierung unsere Auffassung, dass „Therapien“ mit dem
Ziel einer Änderung gleichgeschlechtlicher Empfindungen ein diskriminie-
rendes Unwerturteil über Homosexualität zugrunde liegt und dass sie geeig-
net sind, insbesondere jungen Lesben und Schwulen in ihrer psychosozialen
Entwicklung erheblichen Schaden zuzufügen?

6. Was hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Dr. Ursula von der Leyen, bewogen, die Schirmherrschaft und den Kurato-
riumsvorsitz des „Christivals 2008“ zu übernehmen, in dessen Rahmen of-
fenkundig ein antihomosexuelles Seminar vorgesehen war?

7. War dem Ministerium das Programm des „Christivals 2008“ bekannt?

Wenn ja, warum hat sich die Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
gleichwohl zu Übernahme von Schirmherrschaft und Kuratoriumsvorsitz
entschieden?

Wenn nein, wäre sie bereit gewesen, ihre Schirmherrschaft zurückzugeben
oder auf eine Änderung des Programms hinzuwirken?

8. Ist der Bundesregierung bekannt, dass der erste Vorsitzende von „Christi-
val“, Roland Werner, auch Mitglied des sog. Wissenschaftlichen Beirates
des sog. Deutschen Instituts für Jugend und Gesellschaft ist?

9. Sind der Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen die Publikationen des
Vorsitzenden von „Christival“, Roland Werner, bekannt, in denen er Thesen
der Ex-Gay-Bewegung vertritt, einschließlich der Behauptung, homosexu-
elle Gefühle seien Symptome einer tieferliegenden Identitätskrise, und wie
beurteilt die Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen diese Aussagen
(Roland Werner: „Homosexualität und Lebenserneuerung“ in: Barbara
Kittelberger/Wolfgang Schürger/Wolfgang Heilig-Achnek, Hrsg.: „Was auf
dem Spiel steht“, München 1993; Roland Werner: „Christ und homosexu-
ell?“, Moers 1981; Roland Werner, Hrsg.: „Homosexualität – ein Schicksal?
Innere Heilung, Lebensbilder, Thesen zur Seelsorge, das Zeugnis der Bibel,
Moers“, 1988; Roland Werner, Hrsg.: „Homosexualität und Seelsorge“, mit
Beitrag von Gerard van den Aardweg, Moers 1993)?

10. Wie vertragen sich solche Thesen mit der Hoffnung der Schirmherrin, dass
das Christival „vom Geist des Respekts und der Toleranz gegenüber der
menschlichen Vielfalt geprägt ist“?

11. Inwiefern hält die Bundesregierung die Schirmherrschaft über antihomose-
xuelle Veranstaltungen für vereinbar mit einer glaubwürdigen Antidiskrimi-
nierungspolitik, die den Schutz vor Benachteiligung aufgrund der sexuellen
Orientierung einschließt und für deren Umsetzung das gleiche Ministerium
verantwortlich ist?

12. Inwiefern schließt die von der Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
auf der Homepage des „Christivals“ zum Ausdruck gebrachte besondere
Wertschätzung für die „wertvolle und wertgebundene Arbeit der christli-
chen Jugendverbände“ auch eine Wertschätzung der Unterstützung einiger
evangelikaler Verbände von antihomosexuellen „Therapien“ mit ein?

13. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das von der „Offensive
junger Christen“ (OJC) betriebene so genannte Deutsche Institut für Jugend
und Gesellschaft, und wie beurteilt sie dessen Seriosität?

14. Wie ist es zu bewerten, dass der Verein den Eindruck zu erwecken versucht,
es handele sich um ein wissenschaftliches Forschungsinstitut?

15. Ist das Institut berechtigt, entsprechende Therapien (Psychologische Psy-
chotherapie) durchzuführen oder zu bewerben?

Wenn ja, auf welcher Rechtsgrundlage?
Wenn nein, welche Konsequenzen hat das für die Tätigkeit der OJC in die-
sem Bereich?

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16. Inwiefern trifft die auf der Homepage des „Deutschen Instituts für Jugend
und Gesellschaft“ zu findende Behauptung zu, es sei „von Bundes- und
Landesbehörden anerkannt“ (www.ojc.de)?

Besitzt das so genannte Institut eine staatliche Anerkennung oder Zertifizie-
rung?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung wissenschaftlich, psyhotherapeutisch,
ethisch und rechtlich das Konzept des abgesagten Seminars vor dem Hinter-
grund der einschlägigen Veröffentlichungen der Seminarleiter (Monika
Hoffmann: „Ego-dystone Homosexualität – Möglichkeiten der Verände-
rung“; Konstantin Mascher: „Geschlechtlos in die Zukunft?“)?

18. Wie bewertet die Bundesregierung folgende Aussage in einem Faltblatt des
„Instituts“, für das dessen Leiterin, Frau Dr. med. Christl Ruth Vonholdt ver-
antwortlich zeichnet und das den gleichen Titel trägt wie das inzwischen
abgesagte Seminar: „Die Aussage verschiedenster Kulturen durch alle Zeit-
alter, dass Homosexualität keine gesunde natürliche Alternative zur Hetero-
sexualität ist, wird durch wissenschaftliche Untersuchungen gestützt. Einem
Teenager zu sagen, seine oder ihre Gefühle für das gleiche Geschlecht seien
normal und ihn oder sie somit auf Homosexualität festzulegen, schadet sehr
viel mehr als es gut tut. Wenn sich jemand vom eigenen Geschlecht angezo-
gen fühlt, deutet das auf tiefliegende Verwirrung und Verletzungen der Ge-
fühlswelt hin.“ (www.ojc.de)?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Durchführung oder
Empfehlung von antihomosexuellen Veränderungsmaßnahmen durch fol-
gende weitere Gruppierungen und Organisationen, und wie beurteilt sie die-
se

a) „Campus für Christus“,

b) „wuestenstrom“,

c) „Pastoral Care Ministries Deutschland“,

d) „JASON Ex-Gay Ministry“,

e) „Freundschaftsnetzwerk.de“,

f) „Living Waters Berlin“,

g) „Weißes Kreuz“,

h) „Adventwohlfahrtswerk“?

20. Welche anderen Vereinigungen, die eine „Heilung“ oder „Veränderung“ von
Homosexualität propagieren oder entsprechende „Therapien“ anbieten, sind
der Bundesregierung bekannt?

21. Welche direkte oder indirekte, materielle oder ideelle Unterstützung erhal-
ten die genannten Gruppen (vgl. Fragen 13, 19, 20) von staatlicher Seite?

22. Wie sind die Angebote jeweils rechtlich zu bewerten?

23. In welcher Weise wird die Bundesregierung künftig dafür Sorge tragen, dass
eine Unterstützung von Vereinigungen durch staatliche Stellen unterbleibt,
die auf die „Überwindung“ von Homosexualität abzielen?

24. Was tut die Bundesregierung, um über fundamentalistische „Heilungs“-
Scharlatane aufzuklären und vor ihren fragwürdigen Methoden zu warnen,
um insbesondere homosexuelle Jugendliche vor Beeinträchtigungen zu be-
wahren?

25. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über antihomosexuelle The-

rapien oder Therapieangebote durch die Scientology Organisation?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/7917

26. Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über mangelnde „Grundgesetz-
fähigkeit“ einzelner dieser Gruppen (http://www.gaynial.net/pdf/gutachten_
heumann.pdf), und welche sind als manipulativ oder extremistisch einzustu-
fen?

27. Welche Erkenntnisse haben nach Kenntnis der Bundesregierung die Bun-
desländer über die angesprochenen Fragen?

Berlin, den 24. Januar 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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