BT-Drucksache 16/6298

Folgen der Hartz-Reformen für die Förderung der Erwerbsintegration von Frauen und Müttern

Vom 5. September 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6298
16. Wahlperiode 05. 09. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Karin Binder, Dr. Lothar Bisky,
Diana Golze, Dr. Barbara Höll, Kornelia Möller, Elke Reinke, Volker Schneider
(Saarbrücken), Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann, Jörn Wunderlich und der
Fraktion DIE LINKE.

Folgen der Hartz-Reformen für die Förderung der Erwerbsintegration
von Frauen und Müttern

Die Erhöhung der Erwerbstätigenquote ist sowohl ein Ziel der deutschen als
auch der europäischen Politik. Im Rahmen der Hartz-Reformen sind sowohl in
dem Bereich des SGB II als auch im SGB III (SGB – Sozialgesetzbuch) neue
Regelungen eingeführt worden, die für die Ermöglichung von Erwerbstätigkeit
von Frauen, insbesondere Müttern, relevant sind.

Der Umbau der Bundesagentur für Arbeit (Hartz III) ging einher mit der Einfüh-
rung eines so genannten Handlungsprogramms, welches die Erwerbslosen in
vier verschiedene Klassen einteilt: Marktkunde, Beratungskunde (Aktivieren),
Beratungskunde (Fördern) sowie Betreuungskunde. Die durch die Vermittlungs-
fachkräfte der Agenturen erfolgende Einstufung hat erhebliche Folgen für das
von der Bundesagentur für Arbeit (BA) angebotene Spektrum an Leistungen.
Problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass so genannten Betreuungs-
kunden „keine oder nur marginale Unterstützung zukommt, weil in dieser Kon-
stellation das Erreichen der Wirkung nur mit wirtschaftlich nicht für vertretbar
gehaltenen Kosten verbunden wäre“ (so eine Evaluation des Umbaus der Bun-
desagentur für Arbeit im Auftrag des Bundesministeriums: Peter Ochs/iso: Or-
ganisatorischer Umbau der Bundesagentur für Arbeit. Evaluationsbericht 2006.
Saarbrücken, S. 183). Dieselbe Studie benennt nun zwei Konstellationen, in de-
nen das neue Handlungsprogramm sich nachteilig auf Frauen auswirkt: 1. die
spezifische soziale Situation von Frauen – insbesondere Müttern – führt dazu,
dass sie überproportional als Betreuungskunden eingestuft würden und insofern
nur unzureichenden Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen hätten,
2. Nicht-Leistungsbezieherinnen – entweder Berufsrückkehrerinnen oder
Frauen, die nach Auslaufen ihres Anspruchs auf Arbeitslosengeld I infolge der
Bedürftigkeitsprüfung keine Ansprüche mehr geltend machen können (a. a. O.
S. 187). Die Evaluationsstudie berichtet von Agenturen, in denen Nicht-Leis-
tungsbezieherinnen grundsätzlich nicht gefördert würden (a. a. O. S. 188).
Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe (Hartz IV) wurde
u. a. auch mit einer Verbesserung der Erwerbschancen von Frauen, insbeson-
dere (allein erziehenden) Müttern, gerechtfertigt. Der § 10 Abs. 1 Punkt 3
SGB II sieht vor, dass „erwerbsfähigen Erziehenden vorrangig ein Platz zur
Tagesbetreuung des Kindes angeboten werden wird“. § 16 Abs. 2 nimmt in den
Leistungskatalog der „weiteren Leistungen“ die Betreuung minderjähriger oder
behinderter Kinder oder die häusliche Pflege von Angehörigen ausdrücklich

Drucksache 16/6298 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

auf. Trotzdem sind Alleinerziehende nach Angaben des Leiters der Bundes-
agentur für Arbeit in Größenordnungen von 50 000 bis 60 000 Menschen nur
deshalb arbeitslos, weil keine Kinderbetreuungsmöglichkeit zur Verfügung
steht.

Wir fragen die Bundesregierung:

Hinsichtlich des SGB III:

1. Nach welchen konkreten Kriterien werden Erwerbslose als Betreuungs-
kunden eingestuft?

2. Bestätigt die Bundesregierung den Befund der zitierten Studie, wonach ins-
besondere Frauen und Mütter von der Einstufung als Betreuungskunden
betroffen sind, und welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

3. Ist es zutreffend, dass junge Mütter auf Grund ihrer spezifischen sozialen
Situation und Verantwortung für ihre Kinder als Betreuungskunden ein-
gestuft werden?

4. Führt die analoge soziale Situation eines jungen Vaters zu derselben Klassi-
fizierung, wenn nein, mit welcher Begründung?

5. Bestätigt die Bundesregierung den Befund der oben zitierten Studie, dass
Betreuungskunden aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen heraus weni-
ger arbeitsmarktpolitische Leistungen – insbesondere berufliche Bildungs-
maßnahmen – angeboten bekommen, wenn nicht, warum nicht?

6. Wie verteilt sich die Einstufung auf „Kunden“typen nach den Geschlech-
tern?

Wie hoch ist jeweils der Frauenanteil, und welche Ursachen sieht die
Bundesregierung dafür?

7. Hält die Bundesregierung den Einsatz von 10 Prozent des Eingliederungs-
titels für Nicht-Leistungsbeziehende für berechtigt und hinreichend?

8. Inwieweit ist diese Vorgabe in den vergangenen Haushaltsjahren umgesetzt
worden?

Wie hoch ist der Anteil der Geförderten in Relation zu der Zahl der Nicht-
Leistungsbeziehenden?

9. Hat die Bundesregierung Kenntnis von Agenturen, die grundsätzlich keine
Nicht-Leistungsbezieherinnen durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen
fördern?

Wie hoch schätzt die Bundesregierung deren Anteil?

10. Plant die Bundesregierung in deren Geschäftspraxen korrigierend ein-
zugreifen, wenn nein, warum nicht?

Hinsichtlich des SGB II:

11. Wie bewertet die Bundesregierung generell die bisherige Eingliederungs-
bilanz nach dem SGB II in Bezug auf Frauen und Mütter (bitte nach Fami-
lienstand differenziert antworten)?

12. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich der Betrof-
fenheit von Frauen und Männern vom „Nicht-Leistungsbezug“ wegen der
Anrechnung von Einkommen anderer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft
(Partner und Partnerinnen) vor (bitte nach Geschlecht, Alter und Familien-
stand differenzieren)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6298

13. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass durch die Konstruktion
der Bedarfsgemeinschaft erwerbsfähige und erwerbswillige Menschen von
dem Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Leistungen faktisch ausgeschlos-
sen sind – und hiervon Frauen in besonderer Weise betroffen sind (wenn
nein, bitte mit ausführlicher Erläuterung)?

Wenn ja, welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

14. Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Anteil von Frauen in der so
genannten stillen Reserve, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen wollen?

15. Mit welchem Erfolg sind die §§ 10 Abs. 1 Punkt 3 und 16 Abs. 2 SGB II
– Vermittlung von Kinderbetreuung – bisher umgesetzt worden?

16. In wie vielen Fällen wurde Müttern durch die örtlichen Träger des SGB II
eine Kinderbetreuungsgelegenheit vermittelt (bitte nach Kindern älter und
jünger als drei Jahre sowie nach Familienstand der Mutter aufschlüsseln)?

17. In wie vielen Fällen hat diese Maßnahme zu der Aufnahme einer Beschäfti-
gung geführt?

18. Welche arbeitsmarktpolitischen Förderinstrumente sind in welchem Um-
fang und mit welchem Erfolg für Frauen im SGB-II-Bezug eingesetzt wor-
den (bitte nach Familienstand und Kind über und unter drei Jahren diffe-
renzieren)?

19. Wie hoch ist der Anteil von Teilzeitmaßnahmen unter der Gesamtzahl der
Maßnahmen, die in besonderer Weise den Bedürfnissen von Erziehenden
gerecht werden (nach Maßnahmenart differenzieren)?

20. Wie gewährleisten das BMAS (Bundesministerium für Arbeit und Sozia-
les) und die BA, dass bei der örtlichen Umsetzung des SGB Erstaus-
bildung, Qualifizierung sowie Weiterbildung vor Arbeitsgelegenheiten
gewährt werden?

21. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass durch die Zumutbarkeits-
kriterien insbesondere Frauen in nicht Existenz sichernde Beschäftigungs-
verhältnisse gedrängt werden, wenn nein, warum nicht?

22. In wie vielen Fällen war bei Frauen und Müttern mit der Aufnahme einer
Beschäftigung eine Beendigung eines Leistungsbezugs nach dem SGB II
verbunden, und in wie vielen Fällen blieben die betroffenen Personen als
Aufstockerinnen im Leistungsbezug (bitte nach Geschlecht sowie nach
Familienstand aufgliedern)?

23. In wie vielen örtlichen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende
gibt es eine eigene Anlaufstelle für Alleinerziehende und Mütter, in denen
fachlich ausgebildetes Personal auf die spezifischen Bedarfe dieser Grup-
pen eingehen?

Berlin, den 3. September 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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