BT-Drucksache 16/5116

Zuzug von Hochqualifizierten erleichtern

Vom 25. April 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/5116
16. Wahlperiode 25. 04. 2007

Antrag
der Abgeordneten Dr. Thea Dückert, Kerstin Andreae, Josef Philip Winkler,
Birgitt Bender, Alexander Bonde, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Katrin
Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Priska Hinz (Herborn), Monika Lazar,
Brigitte Pothmer, Christine Scheel, Irmingard Schewe-Gerigk, Dr. Gerhard Schick,
Silke Stokar von Neuforn, Wolfgang Wieland, Margareta Wolf (Frankfurt) und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zuzug von Hochqualifizierten erleichtern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Ingenieur- und Fachkräftemangel wird zunehmend zu einer Gefahr für den
wirtschaftlichen Aufschwung in Deutschland. Insbesondere kleine und mittlere
Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau sowie in der Elektrotechnik
leiden unter dem Mangel an Fachkräften. Zunehmend sind aber auch Groß-
konzerne betroffen. Der Siemens-Konzern meldet 2 500 offene Stellen in
Deutschland, für die Nachwuchs-Fachkräften fehlen. Bei Airbus ist auch auf-
grund fehlender Ingenieurskapazitäten eine erfolgreiche parallele Entwicklung
von A380, A350 und M400 in Frage gestellt. Auch die ITK-Branche meldet
akuten Mangel an Fachkräften. Laut einer Umfrage des Branchenverbandes
BITKOM behindert bei 43 Prozent der Firmen Fachkräftemangel das Geschäft
(Presseinformation vom 3. Oktober 2006).

Laut dem Verein deutscher Ingenieure (VDI) können zurzeit 22 000 offene
Ingenieurstellen nicht besetzt werden (Pressemitteilung vom 7. Dezember
2006). Nach Umfragen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) wurden im
Jahr 2006 48 000 geplante Ingenieurstellen nicht besetzt, weil es nicht die geeig-
neten Bewerberinnen und Bewerber dafür gab. Jede besetzte Ingenieursstelle
zieht durchschnittlich noch einmal mehr als zwei weitere zusätzliche Arbeits-
plätze in den Bereichen Forschung und Handel nach sich. Insgesamt werden also
je nach Berechnung zwischen 70 000 und 150 000 Arbeitsplätzen nicht reali-
siert.

Die große Nachfrage nach Fachkräften zeigt sich auch auf dem Arbeitsmarkt:
Allein zwischen Juni 2005 und Juni 2006 ist die Zahl arbeitsloser Ingenieure in
den Bereichen Architektur, Bauingenieurwesen sowie im Maschinen- und Fahr-

zeugbau um rund 38 Prozent zurückgegangen. Innerhalb der letzten zehn Jahre
hat sich die Zahl der arbeitslosen Ingenieure halbiert, wohingegen die Zahl der
offenen Stellen allein im letzten Jahr um 20 Prozent gestiegen ist.

Der Mangel an Ingenieuren und Fachkräften gefährdet auch den Innovations-
standort Deutschland. Der Europäische Innovationsanzeiger 2006 benennt zu
geringe Abschlusszahlen von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern als eine
von vier Innovationsbremsen hierzulande. Deutschland liegt in dieser Kategorie

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deutlich unterhalb des Durchschnitts der EU-25. Angesichts der Wirtschafts-
struktur und der Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft kann es sich
Deutschland nicht leisten, bei Innovationen im Ingenieursbereich den interna-
tionalen Anschluss zu verlieren.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie hat jüngst einen For-
schungsauftrag „Fachkräftemangel in der deutschen Industrie – Handlungsmög-
lichkeiten zur Problemlösung, insbesondere durch die Unternehmen selbst“ aus-
geschrieben. So interessant die Ergebnisse der Studie auch sein werden, auch die
Bundesregierung muss endlich einen Beitrag zur Lösung des Problems leisten.

Zuwanderung, Ausbildung und Weiterbildung sind dabei parallele Strategien,
die nicht länger gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Zuwanderung ist kein
Ersatz für verstärkte Ausbildungs- und Weiterbildungsanstrengungen. In allen
drei Handlungsfeldern muss mehr getan werden. Zur Lösung des Ingenieur- und
Fachkräftemangels brauchen wir einen leichteren Zuzug ausländischer Fach-
kräfte. Die Betriebe müssen mehr Ausbildungsplätze anbieten, um ihren eigenen
Bedarf an Fachkräften zu decken und um jungen Schulabgängerinnen und
Schulabgängern eine berufliche und persönliche Perspektive zu geben. Die
Hochschulen müssen mehr Ingenieure und Naturwissenschaftler ausbilden, da-
bei müssen vor allem die Potenziale von Frauen und von Menschen mit Migra-
tionshintergrund besser gefördert werden. Die vorhandenen Ingenieurinnen und
Ingenieure müssen durch konsequente Fort- und Weiterbildung auf dem aktuel-
len Stand und somit auf den Arbeitsmarkt gebracht und auch dort gehalten wer-
den. Diese Aufgabe kommt nicht nur der Bundesagentur im Falle von Arbeits-
losigkeit zu, sondern muss im Zuge kontinuierlicher Weiterbildung auch von
den Betrieben und den Individuen geleistet werden.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales blockiert Erleichterungen beim
Zuzug ausländischer Spezialistinnen und Spezialisten. Dabei sind nach den
Regeln des Zuwanderungsgesetzes im Jahr 2005 gerade einmal 900 ausländi-
sche Fachkräfte nach Deutschland gekommen. Viel zu wenige. Im gleichen Jahr
verließen 145 000 Deutsche ihre Heimat, um im Ausland zu arbeiten und zu
leben. Auch wenn über die Qualifikationsstruktur der Auswanderer keine Daten
vorliegen, ist es doch wahrscheinlich, dass Deutschland insgesamt Fachkräfte
verliert. Die klassischen Einwanderungsländer, in die es auch den Großteil der
deutschen Auswandererinnen und Auswanderer zieht, verlangen Qualifizie-
rungsnachweise, so dass der Rückschluss möglich ist, dass vor allem beruflich
und akademisch gut Ausgebildete die Bundesrepublik Deutschland verlassen.
Dies ist eine alarmierende Situation für eine Volkswirtschaft, deren einzige
Ressource das Know-how in den Köpfen der Menschen ist.

Auch bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU hält die Bundesregie-
rung an ihrer Politik der Abschottung des deutschen Arbeitsmarktes fest. Dies
obwohl andere Länder erklärt haben auf eine Verlängerung der Zugangs-
beschränkung zu verzichten und die EU-Kommission dies auch für Deutschland
empfiehlt. Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufs-
forschung (IAB) zeigt, dass das Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum in
Deutschland bei realisierter Freizügigkeit höher liegen würde als bei einer Bei-
behaltung der Zugangsbeschränkung. Die Forscher empfehlen, „die Öffnung
des Arbeitsmarktes nicht auf das Jahr 2011 zu verschieben“ (IAB Kurzbericht
6/2007).

Aktuell droht die Bundesregierung bei der Frage des Zuzugs ausländischer
Fachkräfte, die Weichen falsch zu stellen. Sie unterlässt einen wichtigen Schritt
in die richtige Richtung, wenn sie, wie von der Bundesregierung am 28. März
2007 mit ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asyl-
rechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vorgeschlagen, das Zuwande-

rungsgesetz reformiert, ohne den Zuzugs von Hochqualifizierten zu erleichtern.
Genauso falsch ist es, dass die Bundesregierung die Beschränkung der Frei-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/5116

zügigkeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus den mittel- und osteu-
ropäischen EU-Staaten verlängern will.

Die Bundesregierung muss ihre wachstumsfeindliche Politik bei der Frage des
Zuzugs ausländischer Spezialistinnen und Spezialisten endlich beenden. Eine
Politik der Abschottung des deutschen Arbeitsmarktes ist nicht mehr zeitgemäß.
Vielmehr stellt sich heute die Frage, ob und wie ausländische Fachkräfte für eine
Arbeit in Deutschland gewonnen werden können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, zur Umsetzung
folgender Maßnahmen Vorschläge vorzulegen:

1. die Einführung und Erprobung einer Zuwanderungsmöglichkeit im Punkte-
system, wie es von der rot-grünen Bundesregierung vorgeschlagen worden
war, um – in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Süßmuth-Kom-
mission und der Herzog-Kommission der CDU – demografische Zuwan-
derung in den deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Hierzu soll in einer
ersten Phase ein Auswahlverfahren mit zunächst geringen Zuwanderer-
kontingenten erprobt werden, so wie dies z. B. im Zuge der Neuordnung der
jüdischen Einwanderung nach Deutschland geplant ist;

2. die Beseitigung von Hindernissen für den Zugang qualifizierter Zuwanderer
und ausländischer Absolventen deutscher Hochschulen unterhalb der (ab-
zusenkenden) Einkommensschwelle und das Schaffen von Anreizen für die
Zuwanderung dieser Gruppen. Hierzu sollen insbesondere folgende Ins-
trumente eingesetzt werden:

a) Definition bestimmter Berufsgruppen (Ingenieure etc.) in denen ein
besonderer Bedarf besteht und in denen deshalb weder eine bürokratische
Arbeitsmarktprüfung im Einzelfall noch die individuelle Prüfung des
„öffentlichen Interesses“ erforderlich ist und

b) sofortige Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltstitels (Niederlassungs-
erlaubnis) an diese Gruppen, um ihnen attraktive Bedingungen für ihren
Aufenthalt anzubieten;

3. die Erleichterung des Zuzugs von übrigen Hochqualifizierten durch Ab-
senkung der Einkommensschwelle in Höhe des Doppelten der Beitrags-
bemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung (rund 85 000
Euro) auf die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung (ca. 60 000 Euro);

4. die Freizügigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus den neuen
EU-Staaten nicht länger zu beschränken und das Entsendegesetz auf alle
Branchen auszuweiten;

5. den Zuzug von Selbstständigen zu erleichtern. Über die vorgesehene Absen-
kung der im Regelfall verlangten Investitionssumme auf 500 000 Euro bzw.
die Schaffung von mindestens fünf Arbeitsplätzen hinaus ist klarzustellen,
dass grundsätzlich auch jenseits des Regelbeispiels ein wirtschaftliches
Interesse an zuwandernden Selbständigen besteht und deshalb die allgemei-
ne Schwelle (§ 21 Abs. 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes) abzusenken ist.
Ergänzt werden muss dies durch ein explizit auf gründungswillige Migran-
tinnen und Migranten zugeschnittenes Beratungs- und Informationsangebot;

6. ausländischen Absolventen deutscher Hochschulen während des Jahres, das
ihnen zur Suche eines angemessenen Arbeitsplatzes zur Verfügung steht,
uneingeschränkten Zugang zum gesamten Arbeitsmarkt zu geben;

7. die Verhandlungen zur geplanten EU-Richtlinie über die Bedingungen für die

Einreise und den Aufenthalt hochqualifizierter Arbeitnehmerinnen und

Drucksache 16/5116 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Arbeitnehmer konstruktiv zu führen und eine zuwanderungsfreundliche Aus-
gestaltung anzustreben.

Berlin, den 24. April 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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