BT-Drucksache 16/4617

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD und der Bundesregierung -16/3794, 16/4372, 16/4420, 16/4583- Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz)

Vom 7. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4617
16. Wahlperiode 07. 03. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Hüseyin-Kenan
Aydin, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge, Werner Dreibus, Diana Golze,
Katja Kipping, Elke Reinke, Dr. Ilja Seifert, Frank Spieth, Dr. Axel Troost,
Alexander Ulrich, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
und der Bundesregierung
– Drucksachen 16/3794, 16/4372, 16/4420, 16/4583 –

Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die
demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen
der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit der Anhebung der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung (GRV) auf 67 Jahre will die Bundesregierung auf die demografische
„Herausforderung“ reagieren. Zu allererst aber ist die Anhebung keine sozial-
politisch notwendige Wohltat zur Rettung der Rentenversicherung, wie von der
Bundesregierung suggeriert, sondern eine massive Rentenkürzung. Gleichzeitig
ignoriert die Bundesregierung die katastrophale Lage auf dem Arbeitsmarkt,
wenn sie behauptet, eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit um zwei Jahre
wäre kein Problem. Tatsächlich ist die Erwerbslosigkeit der über 50-Jährigen er-
heblich. So liegt die Langzeitarbeitslosigkeit der 50- bis 64-Jährigen Ende 2004
bei 56 Prozent, die Erwerbsquote der Frauen zwischen 60 und 64 Jahren nur bei
etwa 13 Prozent. Das IAB hat berechnet, dass die Anhebung des Rentenalters
um zwei Jahre zusätzlicher 1,2 bis 3 Millionen sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse bedarf, soll die Erwerbslosigkeit nicht noch weiter
ansteigen. Vor diesem Hintergrund die Regelaltersgrenze anzuheben, bewirkt
einen weiteren Anstieg der Erwerbslosigkeit sowie niedrigere Rente durch
höhere Abschläge.
Zwar fordert die Bundesregierung, die Lebensarbeitszeit müsse verlängert wer-
den. Gleichzeitig organisiert sie jedoch die Zwangsverrentung älterer Langzeit-
erwerbsloser, indem Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II vor-
zeitig in Rente gezwungen werden. Dies ist mit sehr hohen Abschlägen verbun-
den und benachteiligt systematisch Langzeiterwerbslose. Hier offenbaren die
Koalitionsparteien CDU, CSU und SPD, dass sie lediglich eine Rentenkürzung
sowie allgemeine Ausgabensenkungen zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer anstreben. Ziel ist nicht eine Verbesserung der Situation der Be-

Drucksache 16/4617 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

schäftigten und Erwerbslosen, sondern die Beitragsbegrenzung für Arbeitgeber
und Einsparungen für den Bundeshaushalt durchzusetzen.

Ebenso wenig hat die Bundesregierung im Blick, dass die Belastungen und Leis-
tungsansprüche am Arbeitsplatz kontinuierlich steigen. Die wenigsten Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer sind in der Lage, bis zum Alter von 65 Jahren
durchzuarbeiten, geschweige denn bis 67. Stattdessen müssen viele vorzeitig
mit Abschlägen in Rente gehen. Mit der Anhebung des Rentenalters wird sich
dieses Problem weiter verschärfen. Die Belastungen führen aber auch zu einer
steigenden Zahl an Erwerbsminderungsrenten, die mit hohen Abschlägen behaf-
tet sind und daher oft nicht zum Lebensunterhalt reichen. Wird die Altergrenze
angehoben, werden sich die Probleme auf dem Arbeitsmarkt sowie die Belastun-
gen für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weiter verschärfen. Da-
durch werden noch mehr Personen als bisher bereits vorzeitig in Rente gehen
müssen und aufgrund der steigenden Abschläge in Altersarmut gedrängt.

Zwar führen die Rentenkürzungen durch die Anhebung der Altersgrenzen zu
Einsparungen bei der GRV. Diese belaufen sich aber lediglich auf 0,3 bis
0,5 Beitragspunkte bis 2030, so dass das eigentliche Ziel einer deutlichen Bei-
tragssatzsenkung verfehlt wird. Die Finanzierungsprobleme der gesetzlichen
Rentenversicherung sind jedoch nicht primär – schon gar nicht ausschließlich –
auf die demografische Entwicklung zurückzuführen, wie stets behauptet, son-
dern einerseits auf die Politik der Beitragssatzbegrenzung, andererseits auf die
seit Jahren ansteigende Massenerwerbslosigkeit sowie stagnierende Löhne. Eine
steigende Produktivität versetzt eine Gesellschaft in die Lage, mit immer weni-
ger Menschen für immer mehr Menschen einen auskömmlichen Unterhalt zu er-
wirtschaften. Also stellt eine steigende Zahl an Rentnerinnen und Rentnern kein
Problem dar, sofern die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch steigende
Löhne an der Produktivität beteiligt werden. Dies hat auch der Sachverständige
Herr Prof. Dr. Bert Rürup, neben vielen weiteren Sachverständigen, in der
Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zum RV-Altersgrenzen-
anpassungsgesetz am 26. Februar 2007 im Bundestag bestätigt. So bleibt bei
dieser Betrachtung noch unberücksichtigt, dass nicht nur Ältere zu versorgen
sind, sondern eben auch Erwerbslose und Kinder, was die Entwicklung weiter
entschärft. Also nicht eine längere Lebensarbeitszeit kann die Finanzierungs-
grundlage verbessern, sondern nur eine vernünftige Lohn- und Wirtschaftspoli-
tik, die auf die Schaffung existenzsichernder, sozialversicherungspflichtiger
Arbeitsplätze setzt. Auch der Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung
zeigt, dass die Beitragseffekte einer steigenden Beschäftigten- und Lohnquote
deutlich größere sind, als durch eine Anhebung des Rentenalters auf 67. Das
RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz wird daher sowohl aus arbeitsmarkt- und
sozialpolitischen Gründen als auch wegen seines generell falschen Lösungs-
ansatzes abgelehnt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der folgende Punkte beinhaltet:

1. Der Übergang in die Rente wird durch den Ausbau der Altersteilzeit sowie
die Schaffung von Möglichkeiten für tarifliche und/oder betriebliche Verein-
barungen zum vorzeitigen abschlagsfreien Rentenbezug ermöglicht.

2. Der Zugang zur Erwerbsminderungsrente wird erleichtert sowie auf jede
Form von Abschlägen verzichtet.

3. Das Beitragssatzdogma in der GRV ist aufzugeben und die Lebensstandard-
sicherung muss wieder allein über die GRV gewährleistet sein.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/4617

4. Die Beiträge, die vom Bund für Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen und -Be-
zieher an die GRV gezahlt werden, sind wieder auf den Mindestbeitrag zur
GRV anzuheben.

5. Die Möglichkeit im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, nach der eine Person in
eine abschlagsbehaftete Altersrente gezwungen werden kann, wird ersatzlos
gestrichen.

6. Die Beschäftigungssituation und Arbeitsbedingungen älterer Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer und die Teilhabe am Erwerbsleben sind durch die
Förderung von Weiterbildung und lebenslangem Lernen, einen besseren Ar-
beits- und Gesundheitsschutz, das Einwirken auf die betriebliche Einstel-
lungs- und Personalpolitik sowie die Schaffung öffentlich geförderter Be-
schäftigung deutlich zu verbessern.

Berlin, den 6. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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