BT-Drucksache 16/4552

Altersteilzeit fortentwickeln

Vom 6. März 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/4552
16. Wahlperiode 06. 03. 2007

Antrag
der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Klaus Ernst, Hüseyin-Kenan
Aydin, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge, Werner Dreibus, Diana Golze,
Katja Kipping, Elke Reinke, Dr. Ilja Seifert, Frank Spieth, Dr. Axel Troost, Alexander
Ulrich, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Altersteilzeit fortentwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Menschen brauchen nicht die Erhöhung einer starren Regelrentenalters-
grenze, sondern die Möglichkeit, flexibel bis zur Vollendung des 65. Lebensjah-
res in den Ruhestand zu gehen. Unter den derzeit herrschenden Arbeitsbedin-
gungen und anhaltender Massenerwerbslosigkeit ist eine Erhöhung des Regel-
renteneintrittsalters auf 67 faktisch eine weitere Rentenkürzung. Wer vorzeitig
in Rente gehen will, muss zusätzlich mit Abschlägen von 0,3 Prozent je Monat
rechnen. Es ist somit nicht akzeptabel, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre zu
erhöhen. Die Arbeits- und Lebenssituationen der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer werden immer differenzierter. Anhaltend hohe Erwerbslosigkeit,
veränderte Arbeitsbedingungen, gestiegene Anforderungen an Weiterbildung,
veränderte Arbeitsteilung innerhalb der Familie und unterschiedliche Lebens-
stile führen dazu, dass immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer flexi-
bel, auch vor Vollendung des 65. Lebensjahres, in den Ruhestand gehen wollen
oder müssen. Deshalb ist es notwendig, die bestehenden Altersteilzeitregelun-
gen, insbesondere die im Jahr 2009 auslaufende geförderte Altersteilzeit (ATZ),
fortzuführen und weiterzuentwickeln. Die im Altersgrenzenanpassungsgesetz
(„Rente mit 67“) getroffenen Bestimmungen haben erhebliche Auswirkungen
auf die derzeit (noch) bestehenden ATZ-Regelungen. So soll auch bei der ATZ
mit Beginn des Jahres 2012 das Eintrittsalter in die Regelaltersrente von bisher
65 schrittweise auf 67 Jahre angehoben werden. Dementsprechend würden die
Rentenabschläge bei vorzeitiger Inanspruchnahme für die noch verbleibenden
Rentenarten erheblich steigen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die aktuelle Regelaltersrente mit Vollendung des 65. Lebensjahres beizu-
behalten;
2. flexible Ausstiegsmöglichkeiten vor dem 65. Lebensjahr einzurichten bzw.
zu erhalten, d. h.

a) die Altersteilzeitregelungen im Blockmodell oder im Teilzeitmodell auch
über den 1. Januar 2010 hinaus fortzuführen;

b) die Altersteilzeit aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit (BA) bei Stel-
lenwiederbesetzung zu fördern;

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c) die Möglichkeit des Renteneintritts für langjährig Versicherte nach Voll-
endung des 62. Lebensjahres beizubehalten;

d) Menschen, die 40 Versicherungsjahre erreicht haben, jederzeit ohne Ab-
schläge in Rente gehen zu lassen;

e) neben Modellen der Beschäftigungsbrücke auch für einen erleichterten
Zugang zu Erwerbsminderungsrenten, die ohne Abschläge zu gewähren
sind, zu sorgen.

Berlin, den 6. März 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Ziel der großen Koalition der Fraktionen der CDU, CSU und SPD ist es, schritt-
weise die Rente mit 67 einzuführen, die Erwerbstätigenquote Älterer deutlich zu
erhöhen und die Praxis der „Frühverrentung“ zu beenden. Auch von Seiten der
Bundesagentur für Arbeit ist öffentlich betont worden, dass an einer Fortsetzung
geförderter Altersteilzeit kein Interesse besteht. Die Sachverständigengutachten
sowie die Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen
Bundestages am 26. Februar 2007 haben es deutlich gezeigt: Solange ältere
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kaum Chancen auf eine existenz-
sichernde Beschäftigung haben, führt ein höheres gesetzliches Renteneintritts-
alter zu mehr Erwerbslosigkeit, niedrigeren Renten und höherer Altersarmut.

Die Rente mit 67 trifft vor allem diejenigen hart, die es schon jetzt, aufgrund von
Belastungen am Arbeitsplatz oder gesundheitlichen Problemen, nicht schaffen
bis 65 Jahre durchzuhalten. Für Menschen vor allem in besonders belastenden
Berufen bedeutet Altersteilzeit, dass sie entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit
und Lebensplanung möglichst gesund aus dem Berufsleben ausscheiden kön-
nen.

Die Zahl der bewilligten Renten wegen Erwerbsminderung ist seit der letzten
Reform unter der SPD-geführten Bundesregierung drastisch gesunken. Die Kri-
terien wurden damals erheblich verschärft. Gab es 2000 noch 183 000 Neurent-
nerinnen und Neurentner mit einer vollen Erwerbsminderungsrente, waren es
2004 nur noch 138 000 Menschen.

Gleichzeitig werden Ältere oft diskriminiert: Die Arbeitsbedingungen sind nicht
altersgemäß. Teilweise wird von Älteren verlangt, den Arbeitsplatz für Jüngere
„frei zu machen“, ohne dass ein sozialverträglicher Ausstieg aus dem Arbeitsle-
ben gewährleistet ist. Auch Jugendliche stehen vor großen Problemen: Über
200 000 Ausbildungsplätze fehlen. Die Zahl jugendlicher Langzeitarbeitsloser
wächst. Auf der anderen Seite liegt die Langzeitarbeitslosigkeit der 50- bis 64-
Jährigen Ende 2004 bei 56 Prozent. Auch die Sachverständigenkommission des
5. Altenberichts der Bundesregierung kommt zu dem Ergebnis, dass eine gene-
relle Heraufsetzung des Renteneintrittsalters „nicht zielführend“ sei. Wegen der
nach wie vor sehr hohen Erwerbslosigkeit und wegen hoher körperlicher und ge-
sundheitlicher Belastungen können viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
nicht bis 65 Jahre oder gar darüber hinaus arbeiten. Die Ausschussanhörung hat
zudem gezeigt, dass die neue Rentenart, nach der besonders langjährig Ver-
sicherte bereits mit 45 Pflichtversicherungsjahren nach wie vor abschlagsfrei in
Rente gehen können, weder sachgerecht noch zielführend ist. Im Gegenteil:

Gerade diejenigen mit einer schwer belastenden Berufstätigkeit, denen diese

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Regelung zu Gute kommen soll, erreichen kaum die erforderlichen 45 Versiche-
rungsjahre. Nur 27 Prozent der Männer und nur ganze 4 Prozent der Frauen
konnten 2004 tatsächlich diese Hürde überwinden.

Bei einem Wegfall der geförderten ATZ-Regelungen ist somit ein dramatischer
Anstieg der Erwerbslosigkeit bzw. der Erwerbsminderung älterer Beschäftigter
zu befürchten. Gleichzeitig wird den Jüngeren der Weg in das Berufsleben
weiter erschwert, wenn nicht sogar verbaut. Erhebliche Folgekosten für den
Bundeshaushalt, die einzelnen Sozialversicherungszweige aber auch für Arbeit-
nehmerinnen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber wären dann nicht zu vermeiden.

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