BT-Drucksache 16/3666

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -16/2969, 16/3638- Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes

Vom 29. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3666
16. Wahlperiode 29. 11. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Dr. Lothar Bisky,
Cornelia Hirsch, Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Dagmar Enkelmann,
Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Bodo Ramelow, Jörn Wunderlich, Katrin Kunert,
Elke Reinke, Jan Korte, Kornelia Möller, Dr. Ilja Seifert, Inge Höger-Neuling,
Dr. Dietmar Bartsch, Dr. Martina Bunge, Lutz Heilmann, Frank Spieth, Katja Kipping,
Dr. Barbara Höll, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen CDU/CSU, SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksachen 16/2969, 16/3638 –

Entwurf eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes

Der Bundestag wolle beschließen:

Die Bundesregierung wird aufgefordert, alle notwendigen Maßnahmen zu er-
greifen, damit auch künftig die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit
der früheren DDR zur Einsicht für Opfer uneingeschränkt zur Verfügung stehen
und sie unter Einbeziehung des Bundesarchivs wissenschaftlich vertieft und ver-
bessert aufgearbeitet werden können. Es bleibt beim Wegfall der Überprüfungen
von Personen hinsichtlich einer Tätigkeit für das ehemalige Ministerium für
Staatssicherheit der DDR zum Ende des Jahres 2006.

Berlin, den 29. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Drucksache 16/3666 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Begründung

Es steht außer Frage: Die Aufarbeitung soll weitergehen. Opfer der Ausspähung
durch das Ministerium für Staatssicherheit müssen weiterhin ein unein-
geschränktes Recht auf Einsicht in ihre Akten haben. Ebenso muss die wissen-
schaftliche Aufarbeitung garantiert sein, sogar erweitert und vertieft werden.

Die Aufgabe einer vertieften Aufarbeitung der Tätigkeit des Ministeriums für
Staatssicherheit kann auch durch das Bundesarchiv unterstützt werden, welches
die Unterlagen übernehmen sollte. Das Bundesarchiv zeichnet sich durch eine
hervorragende wissenschaftliche Bereitstellung für die Forschung aus. Durch
das 2005 novellierte Bundesarchivgesetz eignet es sich darüber hinaus auch für
private Nutzer, so dass der Zugang zu den Stasi-Unterlagen nach wie vor ge-
währleistet wäre.

Die Nutzung der Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit ist auch dann
möglich, wenn sie vom Bundesarchiv verwaltet und betreut werden. Die Zusam-
menführung der Akten würde viel größere Effekte für Forschung und Bildung
ermöglichen. Außerdem wäre der Grundgedanke der Freiheit von Forschung
und Wissenschaft in dieser Institution besser verwirklicht als in einer Behörde,
die beim Bundeskanzleramt angesiedelt ist. Die Erfahrungen der „Stiftung
Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR“ im Bundesarchiv und
die Zusammenführung dieser Bestände mit den Beständen der staatlichen
Einrichtungen in Berlin-Lichterfelde belegen das eindrucksvoll. Die einschlä-
gigen Rechtsvorschriften aus dem Bundesarchivgesetz sind bereits gegeben in
§§ 2, 2a, 3, 4, 5 ff.

Auf lange Sicht ist eine archivrechtliche Normalisierung des Aktenzugangs im
Sinne der geltenden Archivgesetze anzustreben. Dafür hat sich auch die Exper-
tenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes „Aufarbeitung der
SED-Diktatur“ ausgesprochen. Aus forschungspraktischer Perspektive wäre da-
bei wünschenswert, dass die Stasi-Unterlagen langfristig ungeteilt in die Obhut
des Bundesarchivs übergingen. In diesem Zusammenhang müsste auch neu über
die Perspektive, die Zuständigkeiten und die Zuordnung der Stasiunterlagenbe-
hörde entschieden werden.

Die geplante Verlängerung der Überprüfungen für bestimmte Personengruppen
hinsichtlich einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst verstößt gegen den
Willen des Gesetzgebers. Dieser hatte 1991 die Überprüfungen gemäß § 20
Abs. 10 Nr. 3 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes auf 15 Jahre nach Inkrafttreten des
Gesetzes, d. h. bis zum 29. Dezember 2006, befristet. Demnach darf nach Ab-
lauf der Frist die Tatsache einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst dem
Mitarbeiter im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nach-
teil verwertet werden.

Zum Rechtsstaat gehört der Rechtsgedanke der Verjährung – im Strafrecht und
im Zivilrecht. Die Zeit spielt dabei eine entscheidende Rolle. Selbst die Tat-
bestände der gefährlichen Körperverletzung oder der schweren Freiheits-
beraubung verjähren nach zehn Jahren. Bei schwerer Vergewaltigung ist die Tat
ebenfalls nach zehn Jahren verjährt und darf bei einer Einstellung in den Öffent-
lichen Dienst nicht einmal geprüft und ermittelt werden. Insofern verstößt die
Verlängerung über das Jahr 2006 hinaus eindeutig gegen den verfassungsrecht-
lichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da jede Überprüfung einen gravieren-
den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Individuums darstellt und dieser
Eingriff nach 15 Jahren für Verhaltensweisen, die noch viel länger zurückliegen
können, nicht mehr zu rechtfertigen ist. Dabei ist nicht zu vergessen, dass es in
der Regel nicht einmal um Straftaten geht.

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