BT-Drucksache 16/3618

Illegitime Schulden von Entwicklungsländern streichen

Vom 29. November 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/3618
16. Wahlperiode 29. 11. 2006

Antrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Gesine
Lötzsch, Dr. Barbara Höll, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva
Bulling-Schröter, Roland Claus, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Lutz
Heilmann, Hans-Kurt Hill, Inge Höger-Neuling, Dr. Hakki Keskin, Katrin Kunert,
Michael Leutert, Dorothee Menzner, Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln),
Dr. Kirsten Tackmann, Alexander Ulrich, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine
und der Fraktion DIE LINKE.

Illegitime Schulden von Entwicklungsländern streichen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Regierung des Königreichs Norwegen kündigte im Oktober 2006 an,
mehreren Staaten insgesamt 80 Mio. US-Dollar an Schulden zu erlassen.
Darüber hinaus wird weiteren Staaten ein Schuldenerlass in der Höhe von
insgesamt über 300 Mio. US-Dollar in Aussicht gestellt. Die zu erlassenden
Schulden stammen aus Exportförderprogrammen der 1970er Jahre, die von
der heutigen norwegischen Regierung als entwicklungspolitischer Miss-
erfolg betrachtet werden. Die norwegische Regierung übernimmt ausdrück-
lich Mitverantwortung für die aus diesen Programmen entstandenen Schul-
den. Der Schuldenerlass wird deshalb auch nicht auf die Offizielle Entwick-
lungshilfe (Official Development Assistance, ODA) angerechnet.

2. Der Anteil der ODA am Bruttonationaleinkommen (BNE) (ODA-Quote)
Norwegens liegt auch ohne die Anrechnung von Schuldenstreichungen mit
0,93 Prozent des Bruttonationaleinkommens bereits über der nach dem EU-
Stufenplan bis 2015 anzustrebenden Quote von 0,7 Prozent und weit über der
aktuellen ODA-Quote der Bundesrepublik Deutschland. Der Anstieg der
deutschen ODA-Quote auf 0,35 Prozent in 2005 ist dagegen ausschließlich
auf Schuldenerlass zurückzuführen. Die Organisation für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (OECD) weist abzüglich der Entschuldungs-
leistungen sogar einen Rückgang der deutschen ODA um 9,8 Prozent aus.

3. In der Tageszeitung „taz“ war am 7. Oktober 2006 mit Blick auf die norwe-
gische Initiative zu lesen: „Auch die Bundesrepublik hat da einige Leichen
im Keller.“ Mit Hermes-Bürgschaften und Krediten der Kreditanstalt für

Wiederaufbau Bankengruppe (KfW) wurden jahrzehntelang Exporte und In-
vestitionen von zweifelhaftem entwicklungspolitischem Nutzen in Entwick-
lungs- und Schwellenländern abgesichert, auch dann, wenn die Kreditnehmer
Diktatoren waren und die versicherten bzw. kreditierten Projekte mittel- oder
unmittelbar der Aufrüstung (Indonesien) oder gar Kriegsvorbereitung (Irak)
dienten. Viele der mitfinanzierten oder abgesicherten Großprojekte entspra-

Drucksache 16/3618 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
chen nicht den Ansprüchen einer ökologisch und sozial nachhaltigen Ent-
wicklung.

4. Vor diesem Hintergrund muss auch in Deutschland dringend eine ernsthafte
Debatte über die Illegitimität von Schulden angeregt werden. Der Erlass von
Schulden, die von Kreditgeschäften herrühren, die nicht den Entwicklungs-
bedürfnissen der Kreditnehmer entsprechen, kann nicht als Entwicklungs-
hilfe gelten. In diesem Zusammenhang schließt sich der Deutsche Bundestag
den Forderungen vieler Entwicklungsorganisationen an, den Schuldenerlass
für den Irak und Nigeria nicht auf die ODA anzurechnen, da die fraglichen
Kredite erstens zu eher ungünstigen Konditionen (marktübliche Zinsen plus
Risikozuschlag) und zweitens an repressive Regimes ausgegeben wurden,
letztlich deren Herrschaftssicherung dienten und damit keinen Beitrag zur
Entwicklung der beiden Länder leisteten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– sich dem norwegischen Beispiel anzuschließen und die Illegitimität solcher
Schulden anzuerkennen, die aus Kreditgeschäften herrühren, die nicht den
Entwicklungsbedürfnissen der Kreditnehmer entsprechen;

– für die Bestimmung von Illegitimität transparente Kriterien zu entwickeln
und nach Einzelfallprüfung in einem solchen Zusammenhang aufgelaufene
Schulden zu streichen;

– dem norwegischen Beispiel folgend die Streichung dieser Schulden nicht als
offizielle Entwicklungshilfe zu deklarieren und mithin nicht auf die ODA-
Quote anzurechnen;

– insbesondere solche Schulden zu streichen, die von der Kreditierung von
Rüstungsgeschäften herrühren;

– die Frage der Illegitimität von Schulden auch auf die Tagesordnung des
G8-Gipfels in Heiligendamm 2007 zu setzen.

Berlin, den 28. November 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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