BT-Drucksache 16/2749

Zivilbevölkerung wirksamer schützen - Streumunition ächten

Vom 27. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2749
16. Wahlperiode 27. 09. 2006

Antrag
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Alexander Bonde, Volker Beck (Köln),
Dr. Uschi Eid, Britta Haßelmann, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Renate Künast,
Fritz Kuhn, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock,
Jürgen Trittin, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zivilbevölkerung wirksamer schützen – Streumunition ächten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Bundesregierung hält nach wie vor an der Option zum Einsatz von Streu-
munition fest und hält hierzu Millionen von Streumunitionen bereit. Der
Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Bundeswehr bislang keine Streumuni-
tion eingesetzt hat, auf Neubeschaffungen verzichtet und nach Alternativen
sucht, um künftig vollständig auf Streumunition verzichten zu können.

Der Deutsche Bundestag tritt für ein sofortiges Moratorium für den Einsatz,
die Verwendung, Herstellung, Beschaffung, Modernisierung und Weiterver-
breitung von Streumunition ein. Er befürwortet eine möglichst rasche Äch-
tung und Beseitigung jeglicher Streumunition. Der Deutsche Bundestag ist
bereit, dem Beispiel Belgiens zu folgen, und in dieser Legislaturperiode ein
Gesetz für ein vollständiges Verbot von Streumunition zu erarbeiten.

2. Ein Einsatz unterschiedslos wirkender Streumunition ist unter humanitären
Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigen. Er verursacht großes Leid, bedroht
den Wiederaufbau und hemmt die Entwicklung ganzer Regionen. Der Einsatz
von Streumunition stellt regelmäßig die Rechtmäßigkeit und Legitimation
des Streitkräfteeinsatzes insgesamt in Frage. Zahlreiche Staaten sind in den
vergangenen Jahren und Jahrzehnten hinsichtlich des Einsatzes von Streumu-
nition ihren Verpflichtungen nach dem Völkerrecht nicht nachgekommen. Sie
neigten z. T. wiederholt dazu, im Ernstfall den nach dem humanitären Völker-
recht gebotenen Schutz der Zivilbevölkerung und der zivilen Infrastrukturen
aus militärischen Beweggründen nachrangig zu bewerten und damit den Tod
und die Verwundung von Zivilisten in Kauf zu nehmen. Der Einsatz von
Streumunition läuft damit in der Praxis regelmäßig den Prinzipien des huma-
nitären Kriegsvölkerrechts zuwider. Dass diese Vergehen in der Regel nicht
sanktioniert werden, höhlt das Völkerrecht aus.
3. Streubomben und Streumunition gehören – wie die in der Ottawa-Konvention
geächteten Antipersonenminen – zu den unterschiedslos wirkenden Waffen.
Wegen der weiträumigen Verteilung, der hohen Stückzahl und des hohen Pro-
zentsatzes nicht explodierter Sprengkörper stellen sie nach der Kampfhand-
lung für die Zivilbevölkerung eine tödliche Gefahr dar. Auch technisch ver-
besserte Streumunition, die mit 99-prozentiger Sicherheit explodieren oder
sich nach einer gewissen Zeit selbst entschärfen soll, ist hochgefährlich. Nicht

Drucksache 16/2749 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

explodierte Streumunition kann jederzeit explodieren oder unbeabsichtigt
ausgelöst werden. Sie hat eine psychisch wie physisch mindestens ebenso ver-
heerende Wirkung wie Antipersonenminen. Noch heute gefährden Millionen
nicht explodierter Minen und Streumunitionen die Bevölkerung, den Wieder-
aufbau und die Entwicklung der betroffenen Kriegsregionen. Tausende von
Zivilisten, Kampfmittelräumern oder Wiederaufbauhelfern kamen nach dem
Ende des Kalten Krieges durch Streumunition ums Leben oder wurden ver-
letzt.

4. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass sich die Bundesregierung im Rahmen
des VN-Waffenübereinkommens (CCW) seit Jahren mit eigenen Vorschlägen
dafür eingesetzt hat, dass die mit dem Einsatz von Streumunition verbunde-
nen Probleme auf der rüstungskontrollpolitischen Tagesordnung der CCW
verbleiben. Der Deutsche Bundestag unterstützt die Bemühungen der Bun-
desregierung, im Rahmen des VN-Waffenübereinkommens zu substanziellen
Fortschritten zu kommen, die deutlich über den Status quo hinausgehen und
eine vollständige Ächtung der Waffen wahrscheinlicher machen.

Der Deutsche Bundestag begrüßt ferner, dass die Bundeswehr in den vergan-
genen Jahren den Bestand an Streumunition reduziert und erklärt hat, künftig
keine neue Streumunition zu beschaffen. Der Deutsche Bundestag misst der
schnellstmöglichen und umfassenden Beseitigung von Streumunition aus den
Beständen der Bundeswehr große Bedeutung bei.

5. Der Deutsche Bundestag begrüßt und unterstützt den Beschluss des Europa-
parlaments für ein sofortiges Moratorium in Bezug auf die Verwendung,
Lagerung, Herstellung, Verbringung und Ausfuhr von Streumunition. Es ist
erfreulich, dass immer mehr Staaten und gesellschaftliche Gruppen bereit
sind, sich der Forderung nach einem Moratorium oder einer restriktiveren
Streumunitionspolitik anzuschließen. So appellierten z. B. Anfang September
2006 Österreich, Irland, Mexiko, Neuseeland und der Vatikan für eine Äch-
tung von Streumunition.

Mit dem Anfang 2006 vom belgischen Parlament verabschiedeten Gesetz
zum Verbot von Streumunition hat erstmals ein Land ein gesetzliches Streu-
munitionsverbot erlassen. Streumunition gehört damit in Belgien zu den Waf-
fen, die weder hergestellt, verkauft, transportiert, gelagert, in Besitz gehalten
oder eingesetzt werden dürfen. Der Deutsche Bundestag sieht in dem belgi-
schen Vorgehen ein ermutigendes Beispiel, durch nationale parlamentarische
Schritte zu einem internationalen Verbot beizutragen. Eine Ächtung jeglicher
Streumunition in mehreren Staaten erhöht die Aussicht, zu einer breiten inter-
nationalen Ächtung, ggf. auch außerhalb der VN-Waffenkonvention, zu kom-
men.

II. Der Deutsche Bundestag erklärt,

1. schnellstmöglich, spätestens jedoch bis Ende 2007, einen fraktionsübergrei-
fend erarbeiteten, parlamentarischen Gesetzentwurf zum Verbot der Herstel-
lung, Lagerung, Weiterverbreitung und des Einsatzes von Streumunition in
den Deutschen Bundestag einzubringen und vor Ende dieser Legislaturperi-
ode zu verabschieden;

2. keinem Einsatz zuzustimmen, bei dem von Seiten der Bundeswehr oder der
Bündnispartner ein Einsatz von Streumunition in Erwägung gezogen wird;

3. keine weiteren Finanzmittel zur Beschaffung oder Modernisierung von Streu-
munition bereitzustellen;

4. der Ausmusterung und Vernichtung von Streumunition aus dem Bestand der

Bundeswehr eine vorrangige Bedeutung beizumessen und dafür Sorge zu tra-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2749

gen, dass hierfür durch Umschichtungen im Einzelplan 14 hinreichend finan-
zielle Vorsorge getroffen wird;

5. der Beseitigung von den explosiven Hinterlassenschaften des Krieges, zu de-
nen neben den Minen auch nicht explodierte Streumunition gehört, besondere
Bedeutung beizumessen und im Zuge der Haushaltsberatungen die Mittel zur
humanitären Minenräumung auf das Niveau von 2005 anzuheben;

6. im Rahmen internationaler Parlamentskontakte für ein Moratorium des Ein-
satzes und eine Ächtung von Streumunition zu werben.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Deutschen Bundestag bei der Umsetzung dieses Beschlusses, insbeson-
dere bei der Erarbeitung eines Gesetzes zum Verbot von Streumunition nach
Kräften zu unterstützen;

2. unverzüglich und so lange ein Moratorium für den Einsatz, die Verwendung,
Herstellung, Beschaffung, Modernisierung und Weiterverbreitung von Streu-
munition, einschließlich von Munitionsteilen, in Kraft zu setzen, bis eine ge-
setzliche oder international verpflichtende Regelung geschaffen ist, die Streu-
munition verbietet;

3. unverzüglich jegliche Streumunition, beginnend mit jenen Streumunitionsty-
pen, welche nicht über Selbstzerstörungsmechanismen oder eine zuverlässig
nachgewiesene Blindgängerquote von maximal 1 Prozent verfügen, aus dem
Bestand der Bundeswehr zu entfernen und schnellstmöglich – spätestens je-
doch bis 2012 – zu vernichten;

4. sich weiterhin im Rahmen des VN-Waffenübereinkommens für eine Rege-
lung einzusetzen, die im Interesse der Zivilbevölkerung die humanitären Pro-
bleme eines Streumunitionseinsatzes deutlich und wirksam minimiert und zu
einer Ächtung von Streumunition und einem signifikanten Abbau der Streu-
munitionsbestände beiträgt;

5. sich in der EU und anderen Foren wie den VN, der G8, OSZE oder NATO für
ein sofortiges Moratorium und für ein umfassendes, völkerrechtlich verbind-
liches und nachprüfbares Verbot aller Streumunition einzusetzen und diesbe-
zügliche Vorschläge und Initiativen zu unterstützen;

6. sich gemeinsam mit Partnern dafür einzusetzen, dass innerhalb der NATO und
EU, aber auch im Rahmen internationaler Friedenseinsätze, einheitliche, völ-
kerrechtskonforme und möglichst hohe Standards für die Anwendung mili-
tärischer Gewalt vereinbart werden, die die Verhältnismäßigkeit des Mittel-
einsatzes und den Schutz von Zivilisten und zivilen Infrastrukturen gewähr-
leisten;

7. sich dafür einzusetzen, dass künftig jeglicher Einsatz von Streumunition auf
die Vereinbarkeit mit dem humanitären Völkerrecht und die Folgen für die Zi-
vilbevölkerung untersucht wird und Rechtsverstöße verfolgt und sanktioniert
werden;

8. für eine Ratifizierung und eine Weiterentwicklung des V. Protokolls zum VN-
Waffenübereinkommen zu werben und dafür zu sorgen, dass Staaten, die
Streumunition eingesetzt haben, den darin enthaltenen Verpflichtungen zur
Beseitigung der Kampfmittelrückstände auch nachkommen;

9. die einschneidenden Haushaltskürzungen im Bereich der Humanitären Hilfe
und Humanitären Minenräumung wieder rückgängig zu machen und damit
verstärkt andere Nationen bei der Opferhilfe sowie bei der Räumung nicht ex-
plodierter Kampfmittelrückstände und der Vernichtung von Streumunition zu

unterstützen;

Drucksache 16/2749 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

10. dem Deutschen Bundestag fortlaufend über die Umsetzung dieses Beschlus-
ses und aktuelle Entwicklungen zu unterrichten.

Berlin, den 27. September 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

1. Schätzungsweise 16 der 70 Staaten, die Streumunition in ihrem Waffenbe-
stand haben, haben diese auch eingesetzt. Streumunition kam in mindestens
22 Ländern und Regionen, darunter dem Kosovo, Afghanistan, im Irak oder
jüngst im Libanon, zum Einsatz.

● In Serbien und im Kosovo sollen ca. 1 800 Streubomben mit ca. 300 000
Submunitionen eingesetzt worden sein. Die ersten im Kosovo-Einsatz ge-
töteten KFOR-Soldaten starben beim Entschärfen eines der ca. 20 000
Streubombenblindgänger.

● Die USA warfen 2001/2002 in Afghanistan vermutlich ca. 1 300 Bomben
mit ca. 250 000 Bomblets ab. Die schätzungsweise 13 000 Blindgänger ha-
ben nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen bislang mindestens
130 Zivilisten und zwei Minenräumern das Leben gekostet. Auch Russ-
land hat in großem Umfang Streumunition in Afghanistan und Tschetsche-
nien eingesetzt.

● Im Irak-Krieg 1991 haben die Alliierten Streitkräfte annähernd 50 Mil-
lionen Streumunitionen eingesetzt. Darunter waren M26-Raketen mit
ca. 11 Millionen Submunitionen des Typs M77. Laut Human Rights Watch
fielen mindestens 4 000 Zivilisten der eingesetzten Streumunition zum
Opfer.

● Im Irak-Krieg 2003 haben die USA und Großbritannien ca. 13 000 Streu-
bomben mit ca. zwei Millionen Submunitionen eingesetzt. Ein Großteil
der Streubomben wurde über bewohnten Gebieten abgeworfen. Human
Rights Watch geht von hunderten von zivilen Opfern und ca. 200 000
Blindgängern aus.

● Israel hat im Libanon wiederholt Streumunition eingesetzt. Nach Angaben
aus israelischen Militärkreisen wurden während des jüngsten Feldzuges im
Südlibanon wahllos ca. 1 800 M26-Raketen mit ca. 1,2 Millionen Sub-
munitionen (M77) verschossen. Die mit dem MLRS-Raketenwerfer ver-
schossene Munition, die sich auch im Bestand der Bundeswehr befindet,
hat eine hohe Blindgängerquote, die z. T. bei bis zu 40 Prozent liegen kann.
Darüber hinaus wurden auch Streubomben und Artilleriegeschosse mit
Streumunition eingesetzt. Nach VN-Angaben wurden ca. drei Millionen
Streumunitionen, davon 90 Prozent in den letzten drei Kriegstagen, einge-
setzt. Schätzungen gehen von mindestens 350 000 Blindgängern aus. In
den ersten vier Wochen nach dem Waffenstillstand wurden 25 000 Blind-
gänger geräumt, 80 Menschen durch Blindgänger verletzt und 14 getötet.

2. Die breitflächige sowie von Boden- und Klimaverhältnissen abhängige Wir-
kung von Streumunition und die hohen Blindgängerquoten machen einen
zielgenauen und berechenbaren Einsatz dieser Waffen kaum möglich. Aus
militärischer Sicht war und ist dies auch nicht immer erwünscht. Streumuni-

tion wirkt nicht nur direkt gegen unzureichend gepanzerte Menschen- und
Fahrzeugansammlungen. Die zahlreichen „Blindgänger“ sind gleichzeitig er-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/2749

wünschte, weil heimtückische Sperrmittel, die das Betreten des Gebiets ge-
zielt hemmen sollen. Wie bei dem Einsatz von Antipersonenminen soll das
kontaminierte Gebiet nur eingeschränkt und unter hohem Lebensrisiko ge-
nutzt werden können. Dies erschwert über Jahre und Jahrzehnte den Wieder-
aufbau von Wirtschaft und Infrastruktur.

3. In den vergangenen Jahren sind – nicht zuletzt durch die Arbeit international
vernetzter Nichtregierungsorganisationen – die Sensibilität und Aufmerk-
samkeit für die humanitären Folgen des Minen- und Streubombeneinsatzes
deutlich gewachsen. So wächst z. B. auch bei Banken und Fondsmanagern die
Bereitschaft, die Produktion von Antipersonenminen und Streumunition als
Ausschlusskriterium für ethisch verantwortbares Investment zu betrachten.
Die Ottawa-Konvention zur Ächtung von Antipersonenminen ist die bedeu-
tendste Rüstungskontrollvereinbarung der letzten Jahre.

Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen setzen sich seit Jahren für weitere
Fortschritte, insbesondere im Bereich der Blindgänger- und Streubombenpro-
blematik, ein. Im Rahmen des „Übereinkommens über das Verbot oder die
Beschränkung bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden
verursachen oder unterschiedslos wirken können“ – kurz VN-Waffenüberein-
kommen oder CCW – ist es 2003 gelungen, ein V. Protokoll zu verabschieden,
das die Verantwortung für explosive Kampfmittelrückstände (Explosive
Remnants of War – ERW) nach Konfliktende regelt. Das Protokoll verpflich-
tet die Vertragsstaaten u. a. zur Kennzeichnung und Beseitigung konven-
tioneller Blindgänger und von Fundmunition. Deutschland hat als einer der
ersten Staaten die Ratifizierungsurkunde hinterlegt.

4. Inwieweit es im Rahmen der im November 2006 stattfindenden 3. Überprü-
fungskonferenz zu VN-Waffenübereinkommen zu Fortschritten im Bereich
Streumunition kommen wird, ist noch offen. Eine Reihe von Staaten sieht kei-
nen oder nur minimalen Handlungsbedarf. Die Bundesregierung ist bestrebt,
dass die Vertragsstaaten ein Mandat für die Erarbeitung eines VI. Protokolls
zum VN-Waffenübereinkommen erteilen, das sich speziell der Streumunition
widmet. Die Bundesregierung will sich vorrangig für ein Verbot solcher
Streumunition einsetzen, deren „für Personen gefährliche (sic!) Blindgänger-
rate bei über einem Prozent liegt“. Gleichzeitig sollen zum Schutz von Zivilis-
ten verbindlichere Kriterien für Non-Firing- bzw. Restrictive-Firing-Areas
definiert werden. Eine solche Regelung wäre ein wichtiger Beitrag zur Be-
grenzung des Risikos für Zivilisten. Ein VI. Protokoll, welches sich auf tech-
nische Fragen beschränkt, kann eine umfassende Ächtung, wie sie z. B. im
Rahmen der Ottawa-Konvention für Antipersonenminen erfolgt ist, nicht er-
setzen.

5. Eine Ächtung jeglicher Streumunition ist der Modernisierung von Streumu-
nition vorzuziehen. Modernere Munitionstypen mit Wirkzeitbegrenzung,
Selbstzerlegungsmechanismen und einer zuverlässigen Blindgängerrate von
unter 1 Prozent sollen die humanitären Folgeschäden eines Einsatzes ein-
dämmen und die Akzeptanz der umstrittenen Streumunition erhöhen. Die
Verfügbarkeit „ungefährlicher Streumunition“ senkt damit auch die psycho-
logische Einsatzschwelle. Eine niedrigere Blindgängerrate allein bietet keine
Gewähr, dass die Zahl der Opfer zurückgeht und der Blindgängerterror be-
endet wird. Streumunition wird weiterhin wahllos verteilt. Je nach Anzahl der
abgeworfenen Streumunition und Streudichte bleibt das statistische Risiko
gleich. Auch technisch modernisierte Streumunition mit einer angeblichen
Blindgängerrate von unter 1 Prozent stellt eine permanente tödliche Gefahr
und Bedrohung dar. Für die Menschen ist nicht erkennbar, ob in der Erde
Blindgänger lauern oder ob einer der nicht explodierten Findlinge mit 40-, 10-

oder 1-prozentiger Wahrscheinlichkeit bei Berührung oder Erschütterung ex-
plodiert. Jede Streumunition kann tödlich sein. Auch vermeintlich „ungefähr-

Drucksache 16/2749 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

liche“ Streumunition muss unter größter Vorsicht geräumt und vernichtet wer-
den.

6. In einer „Acht-Punkte-Position zu Streumunition“ (Juni 2006) haben das
Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung festgehalten,
auch künftig keine Neubeschaffung von Streumunition mehr vorzunehmen
sowie mittel- und langfristig alternative Wirkmittel zu suchen und einzu-
führen.

Die Bundeswehr hat angekündigt, die vor Jahren begonnene Ausphasung und
Vernichtung einzelner Streumunitionstypen (Streubombe BL-755, Artillerie-
munition DM 602 und DM 612) bis 2009 abgeschlossen zu haben. Für die
„Verwertung und Entsorgung“ werden in den kommenden fünf Jahren ins-
gesamt 13,4 Mio. Euro eingeplant. Laut Acht-Punkte-Position soll die für
2008 vorgesehene Beschaffung von Alternativen (GMLRS-SMArt/GMLRS-
Unitary) Vorrang vor der Vernichtung haben. Nach derzeitigem Stand geht die
Bundesregierung von Beschaffungskosten in Höhe von ca. 230 Mio. Euro
aus.

Die Bundeswehr will weiterhin große Mengen an Streubomben und Streumu-
nition, darunter auch solche, die über eine Blindgängerquote von deutlich
mehr als 1 Prozent verfügen, im Bestand halten. Sie hat angekündigt, zu Ein-
satzzwecken auch weiterhin an der Mehrzweckwaffe MW-1, der Artillerie-
munition DM 642 und DM 652 und „bei zwingendem Erfordernis“ auch am
Einsatz der Artilleriemunition DM 632 und der M26-Rakete festzuhalten.
Letztere verfügt über keine Wirkzeitbegrenzung und keinen Selbstzerle-
gungsmechanismus und eine Blindgängerquote, die bis zu 40 Prozent reichen
kann. Nach Angaben des Aktionsbündnisses Landmine.de hat die Bundes-
wehr ca. 40 000 M26-Raketen mit ca. 24 Millionen Submunitionen des Typs
M77 im Bestand.

7. Innerhalb der Staatengemeinschaft zeichnet sich hinsichtlich des Einsatzes
von Streumunition allmählich ein Umdenkungsprozess ab. Die Bereitschaft
wächst, sich für ein Moratorium, eine Begrenzung der humanitären Folge-
schäden sowie die umfassende Ächtung einzusetzen. In einer Entschließung
vom 28. Oktober 2004 (P6_TA-PROV(2004)0048) hat sich das Europaparla-
ment für ein sofortiges Moratorium in Bezug auf die Verwendung, Lagerung,
Herstellung, Verbringung und Ausfuhr von Streumunition ausgesprochen.
Das Moratorium soll nach Auffassung des EP so lange gelten, bis ein inter-
nationales Übereinkommen ausgehandelt ist, das den Einsatz dieser Waffen
regelt, einschränkt oder verbietet. Australien verkündete im April 2003, dass
es keine Streumunition mehr einsetzen würde; der Vatikan unterstützte im
August 2005 ein sofortiges Moratorium über den Gebrauch von Streumuni-
tion und rief zu deren Beseitigung auf. Belgien, das 1995 als erstes Land der
Welt ein Verbot von Antipersonenminen beschlossen hatte, ist mit dem im
Februar 2006 verabschiedeten Gesetz zum Verbot von Streumunition erneut
zum Vorreiter geworden.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.