BT-Drucksache 16/2539

Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nach Aufgriff durch die Bundespolizei

Vom 6. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2539
16. Wahlperiode 06. 09. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt,
Irmingard Schewe-Gerigk, Volker Beck (Köln), Monika Lazar, Silke Stokar von
Neuforn, Jerzy Montag, Grietje Bettin, Kai Boris Gehring, Britta Haßelmann,
Priska Hinz (Herborn) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
nach Aufgriff durch die Bundespolizei

Im Rahmen des Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes (KICK)
änderte die damalige rot-grüne Bundesregierung auch § 42 des Achten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB VIII), der die vorläufige Maßnahme der Inobhutnahme
von Kindern und Jugendlichen durch das Jugendamt regelt. Das Gesetz trat im
Oktober 2005 in Kraft.

Während nach alter Rechtslage eine Inobhutnahme unbegleiteter minderjähriger
Flüchtlinge unter der Voraussetzung einer individuellen Kindeswohlgefährdung
zu verfügen war, ist unter Geltung des neuen Rechts in § 42 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII
die unbegleitete Einreise von Minderjährigen bis 18 Jahre als eigenständiges In-
obhutnahmekriterium ausdrücklich festgeschrieben.

Eine Risikoabschätzung muss nicht mehr erfolgen. Einem unbegleiteten minder-
jährigen Flüchtling bis 18 Jahre wird eine die Inobhutnahme auslösende, das
Kindeswohl gefährdende Situation per se unterstellt.

Das örtlich zuständige Jugendamt hat nach § 42 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII unver-
züglich die Bestellung eines Vormundes oder Pflegers zu veranlassen. Das
Jugendamt hat bis zur Übernahme der Verantwortung durch einen Vormund oder
Pfleger dem häufig physisch und psychisch stark belasteten Kind oder Jugend-
lichen Erstversorgung, sozialpädagogische Betreuung und ggf. auch therapeu-
tische Hilfe zu gewähren.

Für die tatsächliche Umsetzung der Neuregelung des § 42 SGB VIII im Interesse
der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge ist die unverzügliche Meldung der
von der Bundespolizei aufgegriffenen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge
beim jeweils örtlich zuständigen Jugendamt entscheidend.

Ist ein minderjähriger Flüchtling von der Bundespolizei als unbegleitet identifi-
ziert, ist er oder sie dementsprechend von der Bundespolizei dem örtlich zustän-
digen Jugendamt zur Inobhutnahme zu melden.
Einen Rechtsanspruch auf Inobhutnahme haben aber nicht nur Flüchtlinge, die
jünger als 18 Jahre sind und die einen Asylantrag stellen, sondern auch

● Jugendliche, die unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland einreisen, kei-
nen Asylantrag stellen wollen oder können (z. B. Fälle nach dem Dubliner
Übereinkommen) und deshalb von der Bundespolizei aufgefordert werden,
Deutschland zu verlassen sowie

● Jugendliche, die auf Veranlassung der Bundespolizei in Abschiebehaft ge-
nommen werden.

Drucksache 16/2539 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wurden von der Bundes-

polizei im Zeitraum vom 1. Oktober 2005 bis 31. Juni 2006 in Deutschland
aufgegriffen (bitte den Aufgriff nach Bundesländern aufschlüsseln)?
a) Wie viele dieser unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge waren unter

16 Jahre alt?
Wie viele davon waren Mädchen?

b) Wie viele dieser unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge waren zwischen
16 und 18 Jahre alt?
Wie viele davon waren Mädchen?

2. Wurden alle in Frage 1 genannten aufgegriffenen unbegleiteten minderjähri-
gen Flüchtlinge bis 18 Jahre, die einen Asylantrag stellen wollten, von der
Bundespolizei den jeweils örtlich zuständigen Jugendämtern zur Inobhut-
nahme gemeldet?
a) Wenn ja, wie viele dieser unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wur-

den den örtlich zuständigen Jugendämtern von Oktober 2005 bis Juni 2006
gemeldet?
Wie viele davon waren über 16 Jahre?

b) Wenn nein, wie viele wurden aus welchen Gründen von der Bundespolizei
den örtlich zuständigen Jugendämtern nicht gemeldet?

3. Wie viele der in Frage 1 genannten aufgegriffenen unbegleiteten minderjähri-
gen Flüchtlinge wurden von der Bundespolizei von Oktober 2005 bis Juni
2006 an Erstaufnahmeeinrichtungen für Asylbewerberinnen und -bewerber
verwiesen?

4. Wie wird mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge verfahren, die zwi-
schen 16 und 18 Jahre alt sind und die einen Asylantrag stellen wollen?

5. Werden von der Bundespolizei aufgegriffene unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge, die unerlaubt in Deutschland eingereist sind und keinen Asyl-
antrag stellen wollen oder können (z. B. Fälle nach dem Dubliner Überein-
kommen), von der Bundespolizei dem jeweils örtlich zuständigen Jugendamt
zur Inobhutnahme gemeldet?
Wenn ja, wie viele dieser unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wurden
den örtlich zuständigen Jugendämtern von Oktober 2005 bis Juni 2006 durch
die Bundespolizei gemeldet?
Wenn nein, warum nicht?

6. Werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die in Abschiebehaft genom-
men werden sollen, vorher von der Bundespolizei den örtlich zuständigen
Jugendämtern zur Inobhutnahme bzw. zwecks Prüfung milderer Mittel ge-
meldet?
Wenn ja, wie viele dieser unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wurden
den örtlich zuständigen Jugendämtern von Oktober 2005 bis Juni 2006 gemel-
det?
Wenn nein, warum nicht?

7. Wie viele dieser unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wurden auf Veran-
lassung der Bundespolizei von Oktober 2005 bis Juni 2006 in Abschiebehaft
genommen?

8. Wie viele dieser unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge wurden – nach
Kenntnis der Bundesregierung – nach Prüfung milderer Mittel nicht in Ab-
schiebehaft genommen, sondern in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht?

Berlin, den 5. September 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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