BT-Drucksache 16/1660

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung -16/1507, 16/1649- Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation EUFOR RD CONGO zur zeitlich befristeten Unterstützung der Friedensmission MONUC der Vereinten Nationen während des Wahlprozesses in der Demokratischen Republik Kongo auf Grundlage der Resolution 1671 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2006

Vom 31. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1660
16. Wahlperiode 31. 05. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Dr. Uschi Eid,
Ute Koczy, Jürgen Trittin, Hans-Christian Ströbele, Kerstin Andreae, Marieluise
Beck (Bremen), Grietje Bettin, Dr. Thea Dückert, Kai Boris Gehring, Priska Hinz
(Herborn), Thilo Hoppe, Markus Kurth, Claudia Roth (Augsburg), Krista Sager,
Rainder Steenblock, Silke Stokar von Neuforn, Wolfgang Wieland und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 16/1507, 16/1649 –

Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der EU-geführten Operation EUFOR RD CONGO zur zeitlich befristeten
Unterstützung der Friedensmission MONUC der Vereinten Nationen
während des Wahlprozesses in der Demokratischen Republik Kongo
auf Grundlage der Resolution 1671 (2006)
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 25. April 2006

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Als Mitglied der Vereinten Nationen und der Europäischen Union hat die
Bundesrepublik Deutschland das Interesse und die Verpflichtung, einen ange-
messenen langfristigen Beitrag zur Stabilisierung und Verstetigung des Friedens-
prozesses in der Demokratischen Republik Kongo zu leisten. Die langjährige
und hoch angesehene deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist dafür eine
gute Basis und muss ausgebaut werden.

Das Land steht an einem Scheideweg. Nach Jahrzehnten der Mobutu-Diktatur
und zwei anschließenden Bürgerkriegen 1996/97 und 1998 bis 2003, die mehr
als 3,8 Millionen Menschen das Leben gekostet haben, vereinbarten die Bür-
gerkriegsparteien im Dezember 2002 mit dem Vertrag von Pretoria und im
April 2003 mit dem Vertrag von Sun City einen Friedensprozess. Dieser sah die

Integration der ehemaligen Bürgerkriegsfraktionen in eine Übergangsregierung
vor, die im Juni 2003 ihre Arbeit aufnahm. Nach fast drei Jahren im Amt fällt
die Bilanz der Übergangsregierung ‚gemischt‘ aus: Wichtige politische und
ökonomische Reformen – u. a. Sicherheitssektorreform und Justizreform – wur-
den nur zögerlich angegangen, und die Implementierung verabschiedeter
Reformvorhaben trifft bis heute auf den Widerstand früherer Kriegseliten, die
ihre Partikularinteressen bedroht sehen. Dies manifestiert sich unter anderem in

Drucksache 16/1660 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

systemischer Korruption, der andauernden Existenz von Parallelstrukturen in
den Sicherheitsapparaten und wiederkehrender Eskalation lokaler Gewalt, vor
allem in den östlichen Provinzen (Kivu Provinzen und Ituri Distrikt) und in
Katanga. Als Erfolge der Übergangsregierung sind zu verbuchen, dass keine
der Parteien den formalen Übergangsprozess verlassen hat, dass die Verab-
schiedung einer Verfassung erfolgte und die Vorbereitung der nationalen Wah-
len (wenn auch verspätet) voran schreitet. Nachdem die Kongolesen im
Dezember 2005 in einem Referendum mit überwältigenden 84,3 Prozent der
abgegebenen Stimmen die neue Verfassung angenommen haben, sind nun die
anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen der formale Abschluss
dieses Übergangsprozesses. Die Wahlen sind eine entscheidende Voraussetzung
für eine weitere Befriedung des Landes und den Wiederaufbau staatlicher
Strukturen – die Erwartungen der Bevölkerung und der aktiven kongolesischen
Zivilgesellschaft an die ersten freien Wahlen seit 1960 sind enorm hoch. Jedoch
ist die Sicherheits- und Menschenrechtslage angesichts von Übergriffen auf die
Zivilbevölkerung durch kongolesische Sicherheitskräfte sowie marodierender
Milizen vor allem im Osten des Landes teilweise dramatisch schlecht. Über-
fälle auf Dörfer mit Morden, Verschleppungen und Vergewaltigungen gesche-
hen nahezu täglich und infolge von Binnenvertreibungen sterben Tausende
auch an ‚einfachen‘ Krankheiten. Zudem behindern einflussreiche Eliten mit
eigenen Milizen einen erfolgreichen Wahlverlauf bzw. könnten versucht sein,
das Wahlergebnis gewaltsam in Frage zu stellen, was zu neuen bewaffneten
Auseinandersetzungen und mittelfristig sogar zu einem erneuten Bürgerkrieg
führen könnte.

Solange die Staaten der Afrikanischen Union noch nicht über wirksame eigene
Sicherheitsinstrumentarien verfügen, muss in dieser kritischen Situation die in-
ternationale Gemeinschaft der kongolesischen Bevölkerung, deren übergroße
Mehrheit die Wahlen dringend wünscht, unterstützend zur Seite stehen. Der
VN-Sicherheitsrat hat mit Resolution 1671 einstimmig eine vorübergehende
Unterstützung der größten VN-Peacekeeping Mission, MONUC, durch eine
EU-Truppe (EUFOR DRC) beschlossen. Die von der EU zugesagte Truppe ist
ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Wahlen. Das VN-Mandat für EUFOR
DRC umfasst neben der Unterstützung von MONUC auch den Schutz von
Zivilisten, denen unmittelbare physische Gewalt droht. Die Bundesregierung
darf diesem Auftrag der Vereinten Nationen nicht künstliche Beschränkungen
auferlegen. Akute Nothilfe der Bundeswehr darf nicht an der Stadtgrenze von
Kinshasa enden. Zudem muss EUFOR DRC seitens der EU und der Bundes-
republik Deutschland von verstärkten zivilen Maßnahmen der Wahlabsiche-
rung begleitet werden und Bestandteil einer über die Wahlen hinaus reichenden
Verpflichtung gegenüber der Demokratischen Republik Kongo sein.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

anlässlich der Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo

– sich angesichts von etwa 53 000 teils schwer erreichbaren Wahllokalen für
deutlich mehr als die bisher geplanten 140 zivilen EU-Wahlbeobachter ein-
zusetzen,

– den geschätzten 1 000 internationalen wie den mehreren Zehntausend ein-
heimischen Wahlbeobachtern Transport- und Kommunikationsmittel für
eine effektive Koordinierung ihrer Arbeit zur Verfügung zu stellen,

– Wahlaufklärungsmaßnahmen zivilgesellschaftlicher kongolesischer Organi-
sationen und der katholischen Kirche sowie insbesondere Wahlteilnahme
und Kandidaturen von Frauen verstärkt zu unterstützen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1660

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung des Weiteren auf, ihr
bisheriges Engagement bei der Umsetzung des Friedensabkommens von Pretoria
vor allem in folgenden vier Bereichen auszubauen und zu verstetigen:

1. DDR-Prozess (Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung
ehemaliger Kämpfer und Kindersoldaten in die Gesellschaft) und Sicher-
heitssektorreform (Polizei, Armee, Aufbau von Zoll- und Grenzpolizei),

2. Wiederaufbau von Verkehrsinfrastruktur und administrativen Kapazitäten
des Staates,

3. gute Regierungsführung, Aufbau einer unabhängigen Justiz und Korruptions-
bekämpfung sowie

4. Rückgewinnung der staatlichen Kontrolle über die Bodenschätze zugunsten
der Bevölkerung.

Dazu ist die Bundesregierung aufgefordert,

– die bisher geringe deutsche Beteiligung am UN Humanitarian Action Plan
vom Februar 2006 deutlich aufzustocken und damit dem bisher erschreckend
niedrigen internationalen Zahlungswillen entgegenzuwirken,

– einen stärkeren personellen Beitrag zur Polizeiausbildung durch die zivile
EU-Polizeimission EUPOL und zur Armeereform durch die EU-Mission
EUSEC zu leisten sowie sich in der EU für eine dauerhafte Ausweitung der
Programme einzusetzen,

– sich für eine schnelle personelle und finanzielle Aufstockung des EU-finan-
zierten Chain of Payment Programms zur Kontrolle der Soldzahlungen und
Ressourcenflüsse in der kongolesischen Armee einzusetzen,

– die deutsche Botschaft in Kinshasa, die die EU im Internationalen Komitee
zur Begleitung des Übergangsprozesses (CIAT) vertritt, mit zusätzlicher Fach-
expertise auszustatten und darauf hinzuwirken, dass die Koordinationsarbeit
von CIAT nach Amtsantritt einer gewählten Regierung in der bisherigen
oder einer neuen institutionellen Form weitergeführt wird,

– eine kohärentere Position des CIAT (bzw. der Nachfolgeinstitution) anzu-
streben, um die Zusammenarbeit mit der jetzigen und der zukünftigen
kongolesischen Regierung effektiver zu gestalten und in Fällen von schlech-
ter Regierungsführung und Korruption auch verstärkt Druck auf die Regie-
rung auszuüben,

– Initiativen zur erfolgreicheren Umsetzung und Überwachung des Waffen-
embargos zu unterstützen,

– MONUC längerfristig mit Logistik und zivilem wie militärischem Füh-
rungspersonal zu unterstützen, sich bei den VN-Sicherheitsratsmitgliedern
für eine bedarfsgerechte Dimensionierung und Ausstattung der Mission ein-
zusetzen und dabei insbesondere Möglichkeit und Fähigkeit von MONUC
zu stärken, Waffenlager aufzuspüren und die zahlreichen Milizen – darunter
für den Völkermord in Ruanda verantwortliche Hutu-Milizen – endlich zu
entwaffnen,

– sich sowohl im Rahmen der CIAT, der EU als auch bilateral gegenüber der
kongolesischen Regierung für eine baldige parlamentarische Behandlung
des Lutundula-Berichts der entsprechenden kongolesischen Parlamentskom-
mission zur Ressourcenkontrolle einzusetzen und auf Umsetzung der Hand-
lungsempfehlungen des Berichts zu drängen,

– sich für über die Extractive Industries Transparency Initiative (EITI) und die
OECD-Leitlinien für multinationale Unternehmen hinausgehende verbind-

liche Kontrollmechanismen für ausländische Investoren sowie für deren
Umsetzung auf internationaler Ebene einzusetzen,

Drucksache 16/1660 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
– sich für die bestehenden UN-Strafmaßnahmen gegen einzelne Verantwort-
liche für Menschenrechtsverletzungen, d. h. deren Verhaftung und straf-
rechtliche Verfolgung aktiv einzusetzen,

– unabhängige zivilgesellschaftliche Gruppen – insbesondere Frauen- und
Menschenrechtsorganisationen und solche, die sich gegen die Ressourcen-
plünderung des Landes engagieren – sowie die Weiterentwicklung unabhän-
giger Medien aktiv zu unterstützen.

IV. Der kongolesische Friedensprozess ist eine wichtige Voraussetzung für
eine dauerhafte Beilegung gewaltsamer Konflikte in der gesamten zentralafri-
kanischen Region der Großen Seen und somit von zentraler afrikapolitischer
Bedeutung. Die Unterstützung der Demokratischen Republik Kongo muss Teil
einer kohärenten und partnerschaftlichen Außen-, Sicherheits- und Entwick-
lungspolitik gegenüber den Staaten unseres südlichen Nachbarkontinents
Afrika sein. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– sich als Mitglied der Freundesgruppe, im Rahmen der EU sowie bilateral bei
der im Herbst vorgesehenen nächsten Internationalen Konferenz für Frieden,
Sicherheit und Entwicklung in der Region der Großen Seen für eine reale
Umsetzung der bereits getroffenen Beschlüsse einzusetzen und die regionale
Integration weiter zu unterstützen,

– die regionale wirtschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen der SADC und
insbesondere die Umsetzung des Strategic Indicative Plan for the Organ
(SIPO) von 2004, die Fortentwicklung eines handlungsfähigen Krisenprä-
ventions- und Krisenreaktionsmechanismus und die Bemühungen zur Auf-
stellung regionaler Kriseninterventionskräfte (SADCBRIG) zu unterstützen,

– im Rahmen der im Dezember 2005 beschlossene strategischen EU-Partner-
schaft mit Afrika, die Afrikanische Union über die Entsendung eines Ver-
bindungsoffiziers ins Potsdamer Hauptquartier und Beteiligung an EUPOL
hinaus, aktiv in Entscheidungsprozesse und Umsetzung der europäischen
Stabilisierungsbemühungen in der Demokratischen Republik Kongo zu be-
teiligen,

– Peacekeeping Missionen der Vereinten Nationen in Afrika verstärkt durch
finanzielle Mittel, ziviles und militärisches Fachpersonal und Logistik zu
unterstützen,

– den Ressortkreis Zivile Krisenprävention der Bundesregierung verstärkt und
frühzeitiger in die politischen Abstimmungsprozesse einzubeziehen.

Berlin, den 30. Mai 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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