BT-Drucksache 16/1536

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/752, 16/1369, 16/1525- Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2006 (Haushaltsbegleitgesetz 2006 - HBeglG 2006)

Vom 17. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1536
16. Wahlperiode 18. 05. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Anja Hajduk, Alexander Bonde, Anna Lührmann, Kerstin
Andreae, Birgitt Bender, Ekin Deligöz, Dr. Thea Dückert, Hans-Josef Fell,
Priska Hinz (Herborn), Sylvia Kotting-Uhl, Jerzy Montag, Christine Scheel,
Dr. Gerhard Schick, Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/752, 16/1369, 16/1525 –

Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2006
(Haushaltsbegleitgesetz 2006 – HBeglG 2006)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt summiert sich auf rund 50 Mrd.
Euro. Um den Bundeshaushalt langfristig zu konsolidieren und für kom-
mende Generationen zukunftsfest zu gestalten, ist eine konsistente und
nachhaltige haushaltspolitische Strategie notwendig. Die Anhörung zum
vorliegenden Gesetz am 4. Mai 2006 hat unterstrichen, dass der Bundes-
regierung eine Strategie fehlt, perspektivisch die strukturellen Probleme im
Bundeshaushalt zu lösen.

2. Mit der Erhöhung des allgemeinen Umsatzsteuersatzes und des Regelsatzes
der Versicherungssteuer dreht die Bundesregierung an einem großen steuer-
politischen Rad, ohne die Strukturprobleme zu lösen. Es ist notwendig und
möglich, im Jahr 2007 auf die Erhöhung des allgemeinen Umsatzsteuersat-
zes und des Regelsatzes der Versicherungssteuer zu verzichten, gerade auch
weil die Wachstumsprognose für 2007 im Vergleich zu 2006 bereits heute
schlechter ausfällt. Das Vorgehen der Bundesregierung ist nicht nur haus-
haltspolitisch unseriös, sondern auch wirtschaftspolitisch inkonsequent, ver-
kehrt und riskant.

3. Die drei Prozentpunkte Erhöhung des allgemeinen Umsatzsteuersatzes und
des Regelsatzes der Versicherungssteuer fließen faktisch komplett in die
Haushaltslöcher, da die Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversiche-

rung durch eingeplante Beitragssatzsteigerungen und -risiken in der gesetz-
lichen Kranken- und Rentenversicherung aufgefressen wird. Die Bun-
desregierung dreht sich wie in einem Karussell um die eigentlichen
Strukturprobleme, ohne sie zu lösen: Sie steigt bei der Arbeitslosenver-
sicherung in eine Steuerfinanzierung ein und gleichzeitig bei der Gesetz-
lichen Krankenversicherung wieder aus. Dies ist konzept- und ziellos.
Anstatt eines aufwendigen Nullsummenspiels bei den Lohnnebenkosten ist

Drucksache 16/1536 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ein eindeutiges Signal für eine klare Steuerfinanzierung der sozialen Siche-
rungssysteme und im Besonderen der versicherungsfremden Leistungen der
Gesetzlichen Krankenversicherung geboten. Die Gesetzliche Krankenversi-
cherung wird durch die Absenkung des pauschalen Bundeszuschusses (bis
zu 4,2 Mrd. Euro pro Jahr) sowie durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer
für Arzneimittel und weitere Medizinprodukte in der Summe um jährlich
rund 5 Mrd. Euro belastet (rund 0,5 Beitragssatzpunkte). Zu diesem Bei-
tragssatzrisiko von 0,5 Prozentpunkten addieren sich die Steigerung der Bei-
träge in der Rentenversicherung um 0,4 Prozentpunkte und das Risiko in der
Pflegeversicherung. Trotz Mehrwertsteuererhöhung werden die Lohnneben-
kosten also voraussichtlich insgesamt nicht sinken, sondern eher steigen.

Um die angestrebten 40 Prozent Abgabenquote zu erreichen, ist es notwen-
dig, statt Einführung neuer Subventionstatbestände einen konsequenten
Subventionsabbau zu betreiben. Darüber hinaus müssen zahlreiche Steuer-
vergünstigungen abgebaut werden.

4. Das vorliegende Haushaltsbegleitgesetz 2006 ist nicht in der Lage, nach-
haltig den Bundeshaushalt zu konsolidieren. Es gefährdet im Gegenteil den
eingeschlagenen Wachstumspfad der deutschen Volkswirtschaft, indem
Steuererhöhungen zur Senkung von Defiziten verschleudert, notwendige
Ausgabenkürzungen nicht vorgenommen und Steigerungen der Sozialab-
gabenquote mit ihrer bekannten Wirkung der Verteuerung von Arbeit billi-
gend in Kauf genommen werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. Steuervergünstigen abbauen und Subventionen abschmelzen:

1. Die Steuervergünstigungen für das produzierende Gewerbe und die
Land- und Forstwirtschaft bei der Ökosteuer werden unter Berücksich-
tigung der Energiepreise und der branchenspezifischen Wettbewerbssitu-
ation schrittweise abgebaut.

2. Die EU-Energiesteuerrichtlinie wird genutzt, um die Steuerbefreiung von
Kerosin aufzuheben.

3. Die Steuerbefreiung der bei der Mineralölherstellung zur Aufrechterhal-
tung des Betriebes verwendeten Mineralöle wird aufgehoben (Hersteller-
privileg).

4. Die Verifikation der Kapitalerträge für die Besteuerung durch Kontrollmit-
teilungen (§ 23a des Einkommensteuergesetzes – EStG) wird eingeführt.

5. Die Bildung von Jubiläumsrückstellungen (§ 5 Abs. 4 EStG) wird nicht
weiter anerkannt. Die bisherigen Jubiläumsrückstellungen werden über
drei Jahre hinweg abgeschafft.

6. Die Pendlerpauschale wird auf 15 Cent je Entfernungskilometer gesenkt.

2. Steuervergünstigungen abbauen – Kinderbetreuung ausweiten:

1. Das steuerliche Privileg des Ehegattensplittings soll in eine Individual-
besteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag in Höhe von 10 000 Euro
für Unterhaltspflichten unter Ehe- und Lebenspartnern umgewandelt
werden. Aus den Mehreinnahmen wird die Einführung eines Rechtsan-
spruchs auf ganztägige Betreuung für Kinder ab dem vollendetem ersten
bis zum dritten Lebensjahr finanziert.

Berlin, den 17. Mai 2006
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1536

Begründung

I.

1. Laut 20. Subventionsbericht der Bundesregierung belaufen sich die Ausnah-
meregelungen bei der Ökosteuer im Jahr 2006 auf insgesamt 5,945 Mrd.
Euro. Nach Abzug ökologisch sinnvoller Ausnahmen, z. B. für Kraftwärme-
kopplung, Bus und Bahn, bleibt ein Volumen von 4,5 bis 5 Mrd. Euro. Die-
ser Betrag lässt sich mindestens zur Hälfte abbauen. Dabei können kurz-
fristig Mehreinnahmen von bis zu 400 Mio. Euro und mittelfristig von
mindestens 2,4 Mrd. Euro pro Jahr erzielt werden.

2. Eine Aufhebung der Steuerbefreiung für Kerosin in Deutschland würde laut
20. Subventionsbericht der Bundesregierung 397 Mio. Euro bringen. Durch
den Beginn des Vergünstigungsabbaus zum 1. Juli 2006 entstehen somit
Mehreinnahmen von bis zu 200 Mio. Euro in 2006 und 400 Mio. Euro für
die Jahre ab 2007.

3. Das so genannte Herstellerprivileg birgt eine Subventionierung in Höhe von
400 Mio. Euro. Durch den Beginn des Vergünstigungsabbaus zum 1. Juli
2006 werden Einnahmen von rund 200 Mio. Euro in 2006 und 400 Mio.
Euro für die Jahre ab 2007 erzielt. Durch entsprechende Fristen bei der Steu-
erzahlung können die Steuermehreinnahmen auch hier entsprechend niedri-
ger ausfallen.

4. Gemäß Bundestagsdrucksache 15/119 entstehen durch Verifikation der
Kapitalerträge für die Besteuerung durch Kontrollmitteilungen (§ 23a EStG)
beim Bund im Entstehungsjahr Mehreinnahmen von 454 Mio. Euro, bei den
Ländern 404 Mio. Euro und bei den Kommunen 142 Mio. Euro.

5. Durch die Nichtanerkennung der Bildung von Jubiläumsrückstellungen ent-
stehen nach Bundestagsdrucksache 15/119 Mehreinnahmen im Entstehungs-
jahr von 36 Mio. Euro beim Bund, 34 Mio. Euro bei den Ländern und
30 Mio. Euro bei den Kommunen. Durch die darüber hinaus gehende Auflö-
sung der bisherigen Jubiläumsrückstellungen über drei Jahre entstehen
Mehreinnahmen beim Bund im Entstehungsjahr in Höhe von 341 Mio.
Euro, bei den Ländern 353 Mio. Euro und bei den Kommunen 306 Mio.
Euro.

6. Die Absenkung der Pendlerpauschale auf 15 Cent je Entfernungskilometer
führt zu Mehreinnahmen von rund 900 Mio. Euro pro Jahr. Durch den Be-
ginn der Maßnahme zum 1. Juli 2006 entstehen somit Mehreinnahmen beim
Bund in Höhe von rund 450 Mio. Euro.

II.

Die Neuregelung des Ehegattensplittings soll in gleicher Weise für Ehepaare und
gleichgeschlechtliche Paare nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz gelten. So
soll bei unterschiedlichen Einkommen beider Ehegatten oder Lebenspartner ein
Teil des Einkommens des einen Ehegatten oder Lebenspartner auf den anderen
Ehegatten oder Lebenspartner steuerfrei übertragbar sein. Alle einkommen-
steuerpflichtigen Personen werden in Höhe ihres individuell erzielten Einkom-
mens besteuert.

Durch den übertragbaren Höchstbetrag werden die Unterhaltspflichten
zwischen Ehe- und Lebenspartnern steuerlich berücksichtigt und das verfas-
sungsrechtliche Gebot der sozialrechtlichen Einstandspflicht in der Ehe ein-
gehalten. Die Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag hat den
Effekt, dass für einkommensstarke Haushalte mit entsprechend unterschiedlich

hohen Einkommen der beiden Ehegatten die bisherige Ersparnis aus dem
Ehegattensplitting sinkt.

Drucksache 16/1536 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Es ist sozial gerecht, den Effekt des Ehegattensplittings für einkommensstarke
Haushalte, in denen mehr oder weniger nur eine Person erwerbstätig ist, zu
Gunsten einer verstärkten Förderung von Familien mit Kindern zu begrenzen.

Der maximale Splittingvorteil tritt im Alleinverdienerfall ein und kann derzeit
bis zu 8 349 Euro pro Jahr inklusive Solidaritätszuschlag betragen (Monats-
bericht des Bundesministeriums der Finanzen September 2005, S. 61 und
eigene Berechnung). Der maximal mögliche Splittingvorteil wird durch das
vorgeschlagene Modell der Individualbesteuerung eingeschränkt. Der Vorteil
verringert sich nach diesem Vorschlag bei einem zu versteuernden Einkommen
von 45 000 Euro pro Jahr für einen Alleinverdiener um 784 Euro oder 18 Pro-
zent und bei einem sehr hohen Einkommen von 120 000 Euro pro Jahr um
4 316 Euro oder 52 Prozent. Für kleine Einkommen entsteht kein finanzieller
Nachteil.

Die Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag von 10 000 Euro
pro Jahr berücksichtigt das steuerliche Existenzminimum von 7 664 Euro.
Daneben soll der Aufbau einer eigenständigen Altersvorsorge auch für den ge-
ringer verdienenden Ehegatten oder Lebenspartner möglich sein. Der für diese
eigenständige Altersvorsorge notwendige Übertragungsbetrag orientiert sich an
den Steuervorteilen der Riester-Rente. Dort sind Altersvorsorgebeiträge bis zu
2 100 Euro pro Jahr (ab 2008) steuerfrei.

Die neue Individualbesteuerung führt zu Steuermehreinnahmen von 4 bis 5 Mrd.
Euro pro Jahr. Diese Mehreinnahmen sollen den Ausbau ganztägiger Betreuung
für Kinder ab dem vollendetem ersten bis zum dritten Lebensjahr finanzieren,
denn das System der Kindertagesbetreuung in Deutschland bedarf eines quan-
titativen und qualitativen Ausbaus. Der größte Handlungsbedarf besteht beim
Angebot für unter Dreijährige. Anknüpfend am hierbei wegweisenden Tages-
betreuungsausbaugesetz (TAG) geht es nun darum, einen Rechtsanspruch auf
ganztägige Betreuung für Kinder ab vollendetem ersten bis zum dritten Lebens-
jahr im Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) einzuführen.

Die Kommunen sollen mit dieser wichtigen Aufgabe nicht alleine gelassen wer-
den. Deshalb wird eine Kinderbetreuungskarte eingeführt. Die damit verbun-
dene Geldleistung erhalten Eltern vom Bund zur Inanspruchnahme von Kinder-
tagesbetreuung. Sie fließt über die Eltern in die Regelfinanzierung der öffentlich
bereitgestellten Kindertagesbetreuung. Damit wird eine realistische Zukunfts-
perspektive für das System der Kindertagesbetreuung, wie sie im SGB VIII nie-
dergelegt ist, eröffnet.

Durch die Umwandlung des Ehegattensplittings entstehen auch bei den Ländern
Mehreinnahmen in Höhe von rund 2 Mrd. Euro, ebenfalls bei den Kommunen
750 Mio. Euro. Auch diese Mittel sollten in die Kinderbetreuung fließen.

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