BT-Drucksache 16/13568

Stärkere Verankerung sozialer Rechte in der EU

Vom 24. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13568
16. Wahlperiode 24. 06. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Brigitte Pothmer, Jürgen Trittin, Rainder
Steenblock, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Birgitt Bender,
Alexander Bonde, Dr. Uschi Eid, Britta Haßelmann, Thilo Hoppe, Ute Koczy,
Markus Kurth, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Irmingard Schewe-Gerigk und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stärkere Verankerung sozialer Rechte in der EU

Die Europäische Union verpflichtet sich in ihren Grundlagenverträgen auf so-
ziale Ziele wie den sozialen Fortschritt und ein hohes Beschäftigungsniveau.
Darüber hinaus betont sie die sozialen Grundrechte der Europäischen Sozial-
charta und der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitneh-
mer. Mit dem Vertrag von Lissabon und der Rechtsverbindlichkeit der Europäi-
schen Grundrechtecharta werden auch die sozialen Grundrechte gestärkt.
Zudem enthält der Vertrag von Lissabon eine soziale Querschnittsklausel und
stärkt die Rechte der Mitgliedstaaten, Regionen und Kommunen bei der Gestal-
tung von Leistungen der Daseinsvorsorge unter Einschränkung der Binnen-
marktsregeln.

Jüngste Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) haben jedoch gezeigt,
dass die Balance zwischen den sozialen Grundrechten und den Binnenmarktfrei-
heiten unausgewogen ist. Das Urteil in der Rechtssache Rüffert gesteht allein
allgemeinverbindlichen Tarifverträgen oder Mindestlöhnen zu, auch Mindest-
voraussetzungen für die Beschäftigung von entsendeten Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer zu setzen. Dabei definiert die dem Urteil zugrunde liegende
europäische Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsenderichtlinie)
explizit, dass die in ihr geregelten Voraussetzungen zur Feststellung von Min-
deststandards günstigere Regelungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
nicht aushebeln.

Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Laval beinhaltet dass die vier
Binnenmarktfreiheiten gegenüber den sozialen Rechten aus den europäischen
Verträgen abgewogen werden müssen. Der EuGH beantwortete diese Abwä-
gung zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und setzte günstigere
Regelungen außer Kraft.
Das Europäische Parlament hat am 22. Oktober 2008 den Initiativbericht zu
den Herausforderungen für Tarifverträge in der EU (2008/2085(INI)) – auch
Andersson-Bericht genannt – beschlossen, in dem es u. a. eine teilweise Über-
arbeitung der so genannten Entsenderichtlinie fordert. Dieser Bericht entstand
als Reaktion auf die oben genannten Urteile des EuGH.

Drucksache 16/13568 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Konsequenzen sollten nach Einschätzung der Bundesregierung aus
den oben genannten Urteilen des EuGH auf

– nationaler,

– europäischer und

– kommunaler Ebene

gezogen werden?

2. Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung nach einer teilweisen
Überarbeitung der so genannten Entsenderichtlinie, wie sie vom Europäi-
schen Parlament am 22. Oktober 2008 im so genannten Andersson-Bericht
gefordert wurde?

3. Setzt sich die Bundesregierung in den Gremien der Europäischen Union
für eine teilweise Überarbeitung der so genannten Entsenderichtlinie ein,
und wenn ja, mit welchem Ziel?

4. Welche Vorschläge hat die Bundesregierung in Reaktion auf die genannten
Urteile des EuGH und den so genannten Andersson-Bericht des Europäi-
schen Parlament auf europäischer Ebene eingebracht oder unterstützt, die
eine Verbesserung des Gleichgewichts zwischen den so genannten sozialen
Grundrechten und den Binnenmarktsfreiheiten zum Ziel haben?

5. Inwiefern vertritt die Bundesregierung die Position, dass die Entsende-
richtlinie im Zuge einer Überarbeitung auf eine doppelte Rechtsgrundlage
gestellt werden soll, so dass nicht nur wie bisher die Dienstleistungsfrei-
zügigkeit als Rechtsgrundlage für die Entsenderichtlinie dient, sondern
auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die Kritik an den Leitlinien zur Umset-
zung der Entsenderichtlinie, die das Europäische Parlament im Jahr 2006
in seiner Entschließung zur Anwendung der Richtlinie 96/71/EG über die
Entsendung von Arbeitnehmern (2006/2038(INI)) im Hinblick auf Kon-
trollmaßnahmen und Dokumentationspflichten dargelegt hat?

Sieht die Bundesregierung – wie das Europäische Parlament (EP) – Ände-
rungsbedarf an den Leitlinien, und wenn ja, welche?

7. Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung nach einer Erklärung des
Europäischen Rates und nachfolgend einer gemeinsamen Vereinbarung von
den Institutionen Europäisches Parlament, Europäische Kommission und
Rat, in der sich diese auf eine soziale Fortschrittsklausel verpflichten sollen,
wie es der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einem gemeinsamen
Papier mit sowohl der SPD als auch mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
fordert?

8. Setzt sich die Bundesregierung im Rat der Europäischen Union und/oder
im Europäischen Rat für die Verabschiedung einer sozialen Fortschritts-
klausel, beispielsweise in Form eines rechtlich verbindlichen Protokolls,
zum sozialen Fortschritt ein?

9. Wenn ja, welche Kriterien sollten aus Sicht der Bundesregierung in dieser
Klausel enthalten sein, und in welcher Form soll sie in die Verträge inte-
griert werden?

Wenn nein, warum setzt sich die Bundesregierung nicht für die Verabschie-
dung einer solchen Klausel ein?

10. Wie bewertet die Bundesregierung den von dem Europäischen Gewerk-

schaftsbund (EGB) vorgelegten Vorschlag für ein Protokoll zum „Sozialen
Fortschritt“?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13568

11. Wie bewertet die Bundesregierung die Erklärung des Europäischen Rates
am 18. und 19. Juni 2009 zur europäischen Sozialpolitik, bzw. zu Arbeit-
nehmerrechten in der EU, die im Rahmen einer Zusage an Irland im Zuge
des noch ausstehenden zweiten irischen Referendums über den Vertrag von
Lissabon entstanden ist?

12. Inwiefern war die Bundesregierung an der Vorbereitung dieser Erklärung
beteiligt?

13. Welche weiteren Schritte sollten nach Ansicht der Bundesregierung bezüg-
lich dieser Erklärung vollzogen werden, bzw. soll die Erklärung nach Ein-
schätzung der Bundesregierung in Zukunft mehr als eine bloße Absichts-
erklärung darstellen?

14. Welche Rolle spielt die Überarbeitung der Entsenderichtlinie für die Bun-
desregierung bei ihrer Sondierung eines Kandidaten/einer Kandidatin für
den Posten des künftigen deutschen Mitgliedes der Europäischen Kommis-
sion?

Berlin, den 24. Juni 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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