BT-Drucksache 16/13392

Zivile Krisenprävention und Friedensförderung brauchen einen neuen Schub

Vom 17. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13392
16. Wahlperiode 17. 06. 2009

Antrag
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Kerstin Müller (Köln), Ute Koczy, Dr. Uschi
Eid, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Alexander Bonde, Kai Gehring,
Thilo Hoppe, Jerzy Montag, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Manuel
Sarrazin, Rainder Steenblock, Silke Stokar von Neuforn, Jürgen Trittin, Josef
Philip Winkler, Wolfgang Wieland und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zivile Krisenprävention und Friedensförderung brauchen einen neuen Schub

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Bundesregierung hat es versäumt, den 1998 begonnenen Auf- und Aus-
bau einer Infrastruktur für zivile Krisenprävention und Friedensförderung
fortzusetzen. Den öffentlichen Bekenntnissen zu einer Politik der Krisenprä-
vention und „vernetzten Sicherheit“ sind keine substanziellen Taten gefolgt.
In der Praxis wurde die Unausgewogenheit zwischen zivilen und militäri-
schen Fähigkeiten weiter verschärft. Die zivile Säule ist weiterhin die ent-
scheidende Schwachstelle internationaler Friedensbemühungen, auch in der
deutschen Außenpolitik. Nicht zuletzt die Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr werden zu Lückenbüßern und Leidtragenden dieser Politik. Sie
müssen länger in Auslandseinsätzen bleiben und bekommen dazu noch ver-
stärkt Aufgaben von Polizei und zivilen Akteuren übertragen.

Die Bereitschaft, in eine effiziente Infrastruktur zur zivilen Krisenprävention
und Friedensförderung zu investieren, muss wiederbelebt werden. Hier ist
eine Kurskorrektur erforderlich. Zur militärischen Sicherheitsvorsorge setzt
die Bundesregierung auf eine Wehrpflichtarmee mit 250 000 Soldatinnen
und Soldaten, 100 000 Zivilbeschäftigten und milliardenteuren Rüstungspro-
jekten, die mehr industriepolitisch und weniger sicherheitspolitisch begrün-
det sind. Hier werden Schwerpunkte falsch gesetzt und Ressourcen vergeu-
det. Der Verteidigungshaushalt hat mit 31,2 Mrd. Euro eine Rekordhöhe
erreicht und ist damit der sechstgrößte Rüstungshaushalt weltweit. Im
Rüstungsexportbereich belegt Deutschland hinter den USA und Russland so-
gar den dritten Rang. Mit Rüstungsexporten in Krisenregionen wie Indien,
Pakistan und Staaten des Nahen Ostens unterstützt die Bundesregierung die
Gewaltspirale und das Wettrüsten. Dies widerspricht einer Politik, die der
zivilen Krisenprävention und Friedensförderung Vorrang einräumt.
2. Ziele der zivilen Krisenprävention und Friedensförderung sind die Gewalt-
verhütung und die friedliche Austragung und Regelung von Konflikten. Ne-
ben einer Politik der Bearbeitung von Konfliktursachen zielt zivile Krisen-
prävention im engeren Sinne auf die kurz- und mittelfristige Verhinderung
von Konflikt- und Gewalteskalationen, auf Einstellung offener Gewaltkon-
flikte und Friedenskonsolidierung. Der Vorrang der zivilen Krisenprävention,
Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung (im Folgenden: zivile Krisen-

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prävention) in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik resultiert aus dem
Friedensauftrag des Grundgesetzes und den Erfahrungen mit Kriseneskala-
tionen und Gewaltkonflikten auf dem Balkan und in Afrika insbesondere seit
den 1990er Jahren. Diese machten über die traditionelle Diplomatie, Integra-
tions- und Entwicklungspolitik hinaus neue Ansätze und Instrumente der zi-
vilen Krisenprävention notwendig. Seit 1998 entstanden deshalb unter der
damaligen rot-grünen Koalition neue Instrumente, Fähigkeiten und Kon-
zepte. Im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik
begann die EU ab 1999 mit dem Aufbau von Fähigkeiten zum zivilen Krisen-
management.

3. Die Stärkung der zivilen Krisenprävention, ihrer Fähigkeiten und Kapazitä-
ten sind heute notwendiger denn je. Das zeigen beispielhaft die ernüchtern-
den Erfahrungen mit multinationalen Krisenengagements und Friedensmis-
sionen in Afrika, Asien und anderswo. Von den Vereinten Nationen (VN)
geführte und VN-mandatierte Missionen sind heute so umfangreich wie nie
zuvor. Zugleich befinden sie sich in einer Wirksamkeits- und Akzeptanzkrise
und ist die Bereitschaft der Staaten, zu internationaler Friedenssicherung und
Schutzverantwortung beizutragen, rückläufig. Wir brauchen eine Kultur der
zivilen Krisenprävention, auch, um die internationale Schutzverantwortung
gegenüber Menschen, die schwersten Menschenrechtsverletzungen schutzlos
ausgeliefert sind, wirksam umzusetzen. Notorisch ist bei vielen Engagements
und Missionen die Kluft zwischen diplomatischen, zivilen, polizeilichen
Fähigkeiten, Kapazitäten und Anstrengungen einerseits und militärischen
andererseits.

4. Deutschland gehörte bis vor einigen Jahren gemeinsam mit den skandinavi-
schen Ländern und der Schweiz zu den Vorreitern beim Aufbau einer Infra-
struktur für zivile Krisenprävention. Das Zentrum Internationale Frie-
denseinsätze (ZIF), der Zivile Friedensdienst (ZFD), die krisenpräventive
Ausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit, das Institut für Menschen-
rechte, die Förderung zivilgesellschaftlicher Projekte durch das Programm
„zivik“, der Ausbau der Ausbildung für internationale Polizeieinsätze, die
Deutsche Stiftung Friedensforschung und der Aktionsplan „Zivile Krisenprä-
vention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ von 2004 sind Mark-
steine dieser Bemühungen und international hoch angesehen. Die hierbei
tätigen Friedenspraktikerinnen und Friedenspraktiker in Zivil und auch in
Uniform verdienen Dank und Anerkennung.

5. In ihrem Koalitionsvertrag von 2005 haben sich CDU, CSU und SPD zur
Umsetzung des Aktionsplans „Zivile Krisenprävention“, Konfliktlösung und
Friedenskonsolidierung bekannt. Ein Fortschritt war seitdem die Auf-
stockung der Finanzmittel für Krisenprävention und für den ZFD sowie das
„Sekundierungsgesetz“ zur sozialen Absicherung von Zivilexperten, die von
der Bundesregierung in internationale Einsätze zur Krisenprävention sekun-
diert werden. Darüber hinaus blieben die Aktivitäten der Bundesregierung
auf dem Feld der zivilen Krisenprävention weit hinter den gewachsenen
Anforderungen aber auch hinter den Anstrengungen von Ländern wie der
Schweiz, Großbritannien, Schweden, Kanada und inzwischen auch den USA
zurück. Während die Bundeswehr weiterhin für Kriseneinsätze transformiert
wird, herrscht bei der Politik der zivilen Krisenprävention weitgehend Still-
stand. Das zeigt sich im 2. Umsetzungsbericht zum Aktionsplan der Bundes-
regierung vom Mai 2008 und dem Desinteresse, das ihm entgegengebracht
wurde. Angesichts der Kosten, Wirksamkeitsprobleme und Opfer deutscher
Krisenengagements ist eine Vernachlässigung der zivilen Krisenprävention
kurzsichtig und verantwortungslos.
6. Der 2. Umsetzungsbericht präsentiert wie sein Vorgänger eine beeindruckende
Vielfalt an Handlungsfeldern und Maßnahmen insbesondere auch auf multi-

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lateraler Ebene. Er verdeutlicht, wie komplex zivile Krisenprävention ist.
Zugleich beinhaltet er wesentliche Defizite: Neben den dominierenden Be-
mühungen um Konfliktnachsorge und Friedenskonsolidierung findet die
Primärprävention kaum noch Beachtung. Unter dem Begriff der Krisenprä-
vention werden unterschiedslos auch alle Militäreinsätze der Bundesrepublik
Deutschland sowie die EU-Battle-Groups und die NATO Response Force
subsumiert. Die Zivil-Militärische Zusammenarbeit wird einseitig nur aus der
militärischen Perspektive beleuchtet. Die realen Probleme von Ressortzusam-
menarbeit und Kohärenz werden massiv verharmlost. Der Rückstand der
zivilen Krisenprävention wird nicht thematisiert. Auf die Formulierung ziviler
Planziele wird verzichtet – und damit auf eine systematische Stärkung ziviler
Fähigkeiten. Es fehlt eine Schwerpunktsetzung, die gerade angesichts der
Fülle von 161 „Aktionen“ vonnöten ist.

7. Eine intensivierte Kommunikation zwischen den Kulturen und der Aufbau
von kulturpolitischen Dialogstrukturen auf internationaler Ebene sind not-
wendig. So weist der 2. Umsetzungsbericht zu Recht auf die Bedeutung der
Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik für die zivile Krisenprävention hin.
Durch kontinuierlichen kulturellen Austausch, gezielte Förderung des inter-
kulturellen Verstehens und freiheitlich-moderner Bildungssysteme kann ein
Beitrag geleistet werden, Feindbilder abzubauen und Fähigkeiten zur fried-
lichen Konfliktbearbeitung zu vermitteln. Bislang fehlt jedoch eine wirk-
same, kohärente Strategie des interkulturellen Dialogs in der Krisenpräven-
tion. Voraussetzung hierfür wäre außerdem eine fundierte Evaluierung des
Kulturdialogs als Beitrag zur Konfliktbearbeitung – besonders im Hinblick
auf den Dialog mit der islamischen Welt –, der bisher versäumt wurde.

8. Zivile Krisenprävention und Friedensförderung brauchen einen neuen
Schub: konzeptionelle Klärung und Weiterentwicklung, ressortgemeinsame
Frühwarn-, Planungs- und Führungsstrukturen und eine Kultur der Zusam-
menarbeit zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren, Stär-
kung von Schlüsselfähigkeiten über zivile Planziele, eine angemessene
Ressourcenausstattung, Initiativen auf internationalen Ebenen, nicht zuletzt
eine Kommunikationsstrategie, um die strukturelle Unsichtbarkeit von zivi-
ler Krisenprävention zu überwinden. Die Auswirkungen von Kriegen auf die
Geschlechterbeziehungen sowie die Bedeutung einer geschlechtergerechten
Gestaltung von Nachkriegsgesellschaften müssen dabei berücksichtigt wer-
den. Nur darüber wird Deutschland in der Lage sein, im Kontext der VN, EU,
OSZE und NATO sowie regionalen Systemen kollektiver Sicherheit wie der
Afrikanischen Union angemessene Beiträge zu einer Krisenprävention und
Friedensförderung zu leisten, die den wachsenden und komplexen friedens-
und sicherheitspolitischen Herausforderungen gerecht werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dem Ausbau der zivilen Fähigkeiten zur Krisenprävention und Friedensför-
derung höchste politische Priorität beizumessen, den Leitgedanken der zivi-
len Konfliktbearbeitung konsequent als zentrales Handlungsprinzip und
Querschnittsaufgabe in allen dafür relevanten Politikfeldern zu verankern
und mit Nachdruck die Vorgaben des Aktionsplanes „Zivile Krisenpräven-
tion, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ umzusetzen;

2. die zivile Krisenprävention und Friedensförderung konzeptionell weiterzu-
entwickeln und dafür

a) eine unabhängige Evaluation zur Umsetzung des inzwischen fünfjährigen
Aktionsplanes „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedens-
konsolidierung“ in Auftrag zu geben;

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b) eine integrierte Friedens- und Sicherheitsstrategie mit dem Primat des
Zivilen zu entwickeln, die das bisherige ungeklärte Nebeneinander von
Aktionsplan und Weißbuch zur Sicherheitspolitik überwindet;

c) ressortübergreifende Teilkonzepte zu den Schlüsselfeldern Primärpräven-
tion, State Building, Rechtsstaatsförderung, Sicherheitssektorreform ein-
schließlich Demilitarisierung, Demobilisierung und Reintegration zu erar-
beiten;

d) den selbstreflexiven „Do no harm“-Ansatz – Vermeidung nichtbeabsich-
tigter negativer Folgen der eigenen Politik – des Aktionsplans wiederzu-
beleben;

e) sich aktiv im Rahmen der EU und der VN für die Ausformulierung und
wirksame Umsetzung der internationalen Schutzverantwortung (Respon-
sibility to Protect) mit dem Ziel einer Stärkung ziviler Krisenprävention
einzusetzen;

3. zur Förderung von Kohärenz und Wirksamkeit ressortgemeinsame Früh-
warn-, Planungs- und Führungsstrukturen für Krisenprävention und Frie-
denskonsolidierung aufzubauen und dafür

a) ein integriertes ressortübergreifendes Krisenfrühwarnnetz unter Einbezie-
hung zivilgesellschaftlicher Akteure aufzubauen;

b) den Ressortkreis Zivile Krisenprävention durch Steuerungskompetenzen,
eigene Finanzmittel und bessere Personalausstattung zu stärken und die
zivile Krisenprävention zur Aufgabe eines Staatsministers im Auswärti-
gen Amt zu machen;

c) zu bedeutsamen deutschen Krisenengagements in komplexen Konflikt-
regionen (z. B. Afghanistan) oder zu zentralen Querschnittthemen
(z. B. Wiederaufbau, Stabilisierung, State Building) ressortübergreifende
Arbeitseinheiten (Task Forces) zu bilden und die Erfahrungen anderer
Länder (z. B. Kanada, Niederlande, USA) zu beachten;

d) auf eine systematische Integration von kultur-, bildungs- und medienpoli-
tischen Instrumenten in eine krisenpräventiv ausgestaltete Außen- und
Entwicklungspolitik hinzuwirken;

e) ressortgemeinsame Finanzierungsinstrumente auszuweiten und in Anleh-
nung an die britischen Conflict Prevention Pools mit zusätzlichen Haus-
haltsmitteln thematisch gebundene Fonds bzw. Länderfonds einzurichten,
die ressortgemeinsam verwaltet werden;

f) darauf hinzuwirken, dass ressortgemeinsame Richtlinien und transparente
Verfahren der Mittelverwendung gelten und praktiziert werden;

g) einheitliche Kriterien für Evaluationen und Wirkungsanalysen von zivilen
wie militärischen Krisenengagements zu entwickeln sowie einen unab-
hängigen Evaluierungsmechanismus einzurichten und Auswertungen bis-
her ergriffener Maßnahmen im Bereich der Krisenprävention öffentlich-
keitswirksam darzustellen;

h) eine ressortübergreifende Datenbank zu Friedensmissionen und Krisenen-
gagements einzurichten, die gemeinsam von den Ressorts betreut und in
der sowohl von Praktikerinnen und Praktikern aus den Ressorts als auch
von wissenschaftlichen Einrichtungen Informationen eingespeist werden.
Dieses „institutionelle Gedächtnis“ soll die Auswertung von Krisen-
engagements verbessern und kontinuierliche Lessons Learned-Prozesse
ermöglichen;

4. einem überzogenen Ressortdenken und Akteursegoismen entgegenzuwirken,
eine Kultur der Zusammenarbeit zwischen den Ressorts und staatlichen wie

zivilgesellschaftlichen, militärischen und zivilen Akteuren zu fördern und
dementsprechend

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/13392

a) bei Ausbildung und Einsatzvorbereitung von Diplomaten, Offizieren und
Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und Polizisten, Friedensfach-
kräften und Entwicklungsexpertinnen und -experten für Friedenseinsätze
die ressort- und akteursübergreifenden Komponenten und Phasen auszu-
bauen, um dadurch unnötige Kommunikations- und Kooperationshinder-
nisse abzubauen;

b) den Beirat Zivile Krisenprävention aufzuwerten, seine Handlungsfähig-
keiten zu verbessern und ihn mit eigenen finanziellen Ressourcen auszu-
statten;

c) dazu beizutragen, dass das Verhältnis zwischen zivilen und militärischen
Maßnahmen sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene und die
realen Differenzen, Probleme aber auch Kooperationschancen zwischen
militärischen und zivilen Akteuren mit den Partnern stärker thematisiert
und bei den Planungen von Krisenengagements berücksichtigt werden;

5. zentrale Fähigkeiten und Kapazitäten der zivilen Krisenprävention systema-
tisch zu stärken und dafür

a) mit Priorität Friedensbemühungen direkt vor Ort zu stärken sowie lokale
Versöhnungsprozesse zu fördern und die bestehenden Strukturen und
Ressourcen für die Förderung von Nichtregierungsorganisationen und
zivilgesellschaftlichen Initiativen vor Ort auszubauen sowie diese von
Anfang an in die Planung, Durchführung und Evaluation von Vorhaben
zur Friedenskonsolidierung einzubeziehen;

b) bisherige Risikoanalysen durch Chancenanalysen zu ergänzen, die in
Konfliktregionen Friedenspotenziale und -prozesse als Ansatzpunkte von
Friedensförderung identifizieren;

c) in Anlehnung an das „Zivile Planziel 2010“ der Europäischen Union und
dessen Umsetzungsstrategie nationale zivile Planziele für Schlüsselfähig-
keiten (z. B. Rechtsstaats- und Verwaltungsexpertinnen und -experten,
Polizeiausbilderinnen und -ausbilder und -beraterinnen und -berater, Frie-
densfachkräfte) zu definieren, die am Bedarf der Europäischen Union und
der Vereinten Nationen orientiert sind und auf Lessons Learned- und Best-
Practice-Erfahrungen anderer Staaten sowie Nichtregierungsorganisatio-
nen und Forschungseinrichtungen zurückgreifen;

d) in Abstimmung mit den europäischen Partnern eine stehende zivile Infra-
struktur voranzubringen und einen rasch einsatzfähigen und EU-kompa-
tiblen Personalpool von Experten und Expertinnen für den Polizei-, Justiz-
und Verwaltungsaufbau sowie den Aufbau von wirtschaftlichen und zivil-
gesellschaftlichen Strukturen einzurichten;

e) das Programm „Ziviler Friedensdienst in der Entwicklungszusammenar-
beit“ zu einem Instrument regional wirksamer Friedensförderung auszu-
bauen, die Zahl der Fachkräfte des ZFD im Einsatz auf 500 zu erhöhen,
zusätzlich angemessene Maßnahmen zur Professionalisierung und Profi-
lierung des Zivilen Friedensdienstes sowie zur Stärkung von Trägerorga-
nisationen zu ergreifen;

f) die Mittel für das Programm „Zivile Konfliktbearbeitung (zivik)“ des
Instituts für Auslandsbeziehungen e. V. (ifa) für zivilgesellschaftliche
Einzelprojekte weiter zu erhöhen und vor allem zu verstetigen;

g) die Rahmenbedingungen für die Entsendung von Zivilpersonal durch
Beseitigung von Entsendehindernissen, qualifizierte Ausbildung, Attrak-
tivitätssteigerung, verlässliche Einsatzbegleitung und Rückkehrerunter-
stützung zu verbessern. Hierzu auch das ZIF in Richtung Entsendeorgani-

sation weiterzuentwickeln, die Kapazitäten des ZIF in den Bereichen
Training, Rekrutierung/Entsendung und Ananlyse/Lessons Learned zu er-

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weitern und zu verbessern. Dem ZIF insbesondere weitere Verantwortung
für das Zivilpersonal zu übertragen und ihm mehr personelle und finan-
zielle Ressourcen zur Betreuung von Zivilpersonal und auch für die
Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung zu stellen;

6. auf europäischer und globaler Ebene auf wirksame Mechanismen abge-
stimmter und aufeinander bezogener Aktivitäten zur zivilen Krisenpräven-
tion, Konfliktregulierung und Friedenskonsolidierung hinzuwirken und

a) sich dafür einzusetzen, dass die EU vorrangig ihre zivilen Kapazitäten
ausbaut und die militärischen Fähigkeiten auf die Unterstützung der Ver-
einten Nationen und ihrer Regionalorganisationen hin entwickelt werden;

b) sich dafür einzusetzen, dass auf europäischer Ebene eine Koordinierungs-
stelle für zivile krisenpräventive Maßnahmen geschaffen wird;

c) die im Aktionsplan sowie während der EU-Ratspräsidentschaft vereinbar-
ten kontinuierlichen Dialoge mit nichtstaatlichen Akteuren zu Training/
Ausbildung, Rekrutierung und Planung von EU-Missionen nachdrücklich
zu fördern und zu unterstützen;

d) mit Vorrang die krisenpräventiven Fähigkeiten der Vereinten Nationen zu
stärken und das Department of Political Affairs (DPA), die VN Peace
Building Commission, den VN Peacebuilding Fund sowie den Vorschlag
zu einem United Nations Emergency Peace Service to Prevent Genocide
and Crimes Against Humanity (UNEPS) angemessen mit Ressourcen und
Fähigkeiten zu unterstützen;

7. zur Umsetzung der VN-Resolutionen 1325 (2000) und 1820 (2008) zur För-
derung der Partizipation von Frauen, zur Stärkung der Rechte und zum
Schutz von Frauen einen nationalen Aktionsplan und eine Gender-Monito-
ringstelle einzurichten sowie darauf zu achten, dass die für eine nachhaltige
Friedenssicherung entscheidende geschlechtergerechte Gestaltung von Nach-
kriegsgesellschaften realisiert wird;

8. die Haushaltsmittel für die Friedens- und Konfliktforschung substanziell aus-
zubauen, um u. a. konzeptionelle Lücken im Bereich der Krisenpräventions-
politik zu schließen sowie Friedenspotenziale und -akteure zu identifizieren
und zu analysieren. Außerdem darauf hinzuwirken, dass die personellen und
finanziellen Mittel für Regionalstudien an Universitäten und wissenschaft-
lichen Einrichtungen deutlich aufgestockt werden. Es ist erforderlich, die
Deutsche Stiftung Friedensforschung, die mit Bundesmitteln errichtet wurde
und 2010 auf ihr zehnjähriges Bestehen zurückblicken kann, endlich mit dem
ursprünglich vorgesehenen Mindestkapital (50 Mio. Euro) auszustatten, da-
mit sie ihren satzungsgemäßen Aufgaben, zu denen u. a. auch die Nach-
wuchsförderung gehört, gerecht werden kann;

9. eine wirksame Strategie des interkulturellen Dialogs in der Krisenprävention
zu entwickeln sowie ein mittelfristiges Gesamtkonzept vorzulegen und

a) eine Bilanzierung der Zielgruppen, Themenschwerpunkte, Strategien und
Leitziele sowie die Auswahlkriterien von Projekten im Rahmen des Son-
derprogramms europäisch-islamischer Kulturdialog vorzulegen und auf
dieser Grundlage den Dialog zu verbessern und strategisch auszurichten;

b) im Rahmen des Ressortkreises Zivile Krisenprävention für eine verstärkte
und konsequente Berücksichtigung kultureller Faktoren im Bereich der
Krisenprävention auch anderer Ressorts zu sorgen;

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10. der mangelhaften Wahrnehmung und Sichtbarkeit von ziviler Krisenpräven-
tion entgegenzuwirken und eine Kommunikationsstrategie zu entwickeln
und umzusetzen, die die Praxis der zivilen Krisenprävention, ihre Instru-
mente, Wirksamkeiten und Chancen breiter bekannt macht und damit einen
Beitrag zur überfälligen friedenspolitischen „Alphabetisierung“ leistet;

11. den Anspruch auf eine vernetzte Sicherheitspolitik und die Mitverantwor-
tung des Deutschen Bundestages auch dadurch zu untermauern, dass bei
künftigen Anträgen der Bundesregierung über Auslandseinsätze der Bundes-
wehr dem Parlament auch die zentralen zivilen und polizeilichen Aufgaben,
Maßnahmen und Mittelansätze zur Beschlussfassung vorgelegt werden.

Berlin, den 17. Juni 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

1. Bereits im Jahr 2000 hat der Deutsche Bundestag die „Förderung der Hand-
lungsfähigkeit zur zivilen Krisenprävention, zivilen Konfliktregelung und
Friedenskonsolidierung“ (Bundestagsdrucksache 14/3862) beschlossen. Der
unter Beteiligung von zehn Ressorts und unter Einbeziehung zivilgesell-
schaftlicher Fachleute erarbeitete und 2004 von der damaligen Bundesregie-
rung beschlossene Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung
und Friedenskonsolidierung“ ist das zentrale, international hoch anerkannte
Grundlagendokument für die krisenpräventive Politik der Bundesregierung.

Mit dem Aktionsplan hat die Bundesregierung ressortübergreifend einen um-
fassenden Handlungsrahmen zur zivilen Krisenbewältigung formuliert und
angekündigt, die Kohärenz und Handlungsfähigkeit in diesem Bereich weiter
ausbauen zu wollen. Der Aktionsplan nennt als strategische Ansatzpunkte

a) die Herstellung verlässlicher staatlicher Strukturen (Rechtsstaatlichkeit,
Demokratie, Menschenrechte und Sicherheit),

b) die Förderung von Friedenspotenzialen in Zivilgesellschaft, Medien, Kul-
tur und Bildung sowie

c) die Sicherung von Lebenschancen.

Der Aktionsplan zielt darauf ab, „vorhandene Institutionen und Instrumente
der Krisenprävention auszubauen oder neu zu schaffen und kohärent einzu-
setzen, um die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung in diesem Bereich
zu stärken“ (Aktionsplan, S. 1). Das Besondere am Aktionsplan ist, dass er
den Vorrang der zivilen Mittel betont und zivile Krisenprävention vom An-
spruch her als Querschnittsaufgabe in der Gesamtpolitik der Bundesregie-
rung postuliert. Ziel des Aktionsplanes ist die Bündelung der verschiedenen
Fähigkeiten und Instrumente, insbesondere der Außen-, Sicherheits- und
Entwicklungspolitik, um in Krisenregionen dem Ausbruch gewaltsamer
Konflikte bereits im Vorfeld vorzubeugen, Gewalt einzudämmen und Krisen-
regionen nach Gewaltkonflikten zu stabilisieren.

Mit seinen 161 Empfehlungen deckt der Aktionsplan die wesentlichen für
krisenpräventive Außenpolitik relevanten Politikfelder ab. Auch die im Ak-
tionsplan verankerte Kommunikation und Koordination zwischen staatlichen
und nichtstaatlichen Akteuren ist einzigartig. Auf diese Weise trägt der Ak-

tionsplan der Erkenntnis Rechnung, dass kohärentes Handeln von staatlichen

Drucksache 16/13392 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

und nichtstaatlichen Akteuren Voraussetzung für eine erfolgreiche und nach-
haltige Umsetzung krisenpräventiver Strategien und Maßnahmen ist. Mittler-
weile wurde eine beeindruckende Anzahl an Einzelinitiativen und Maß-
nahmen zur Stärkung krisenpräventiver Strukturen gestartet. Die Bundes-
regierung ist jedoch noch weit davon entfernt, den Anforderungen und Zielen
des Aktionsplanes gerecht zu werden.

2. Fünf Jahre nach der Verabschiedung des Aktionsplanes wartet dieser noch
immer auf seine konsequente Umsetzung. Die Bundesregierung bekennt sich
regelmäßig zum hohen Stellenwert der zivilen Krisenprävention als „priori-
täre Querschnittsaufgabe“ und zur Notwendigkeit ressortübergreifender Zu-
sammenarbeit. Allerdings fehlt es an konkreten Schritten, wie die Bundes-
regierung eine Verbesserung und mehr Kohärenz im Bereich ihrer Krisenprä-
ventionspolitik erreichen will. Angesichts der immer komplexeren friedens-
politischen Herausforderungen sind dringend neue Impulse sowohl zur
Verbesserung der Koordinierung der krisenpräventiven Politik der Bundes-
regierung als auch zur Verbesserung der Strategien, Instrumente und Fähig-
keiten notwendig. Der längst überfällige Ausbau der zivilen Infrastruktur er-
fordert in Deutschland aber auch auf europäischer Ebene die Bereitschaft zu
mehr ressort- und länderübergreifendem Zusammenwirken, weiteren organi-
satorischen Veränderungen, zusätzlichen personellen und finanziellen Res-
sourcen und entschiedene politische Steuerung. Ohne einen neuen Schub für
den Ausbau der zivilen Infrastruktur droht die zivile Krisenprävention in eine
Nischenexistenz abgedrängt und marginalisiert zu werden.

3. Die Bundesregierung hat sich dazu verpflichtet, den Aktionsplan „Zivile Kri-
senprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ weiter umzuset-
zen, die personellen und finanziellen Ressourcen auszubauen sowie infra-
strukturelle Defizite abzubauen. Für eine besser koordinierte und effiziente
Krisenpräventionspolitik der Bundesregierung wurde der Ressortkreis Zivile
Krisenprävention geschaffen, dem die Beauftragten für zivile Krisenpräven-
tion der beteiligten Bundesministerien angehören und der von einem sehr
kleinen Mitarbeiterstab unterstützt wird. Dieser ist bislang jedoch über den
Status eines Informations- und Abstimmungsgremiums nicht hinausgekom-
men. Dem Ressortkreis fehlt es an Steuerungskompetenz. Ohne eine institu-
tionelle Neuausrichtung und Stärkung des Ressortkreises ist mehr Kohärenz
und Effizienz in der krisenpräventiven Politik der Bundesregierung nicht zu
erreichen.

4. Zur Verankerung der zivilen Krisenprävention in allen Bereichen und auf
allen Ebenen (Mainstreaming) der Politik der Bundesregierung sind weitere
Schritte zur Herstellung von Kohärenz und Effizienz überfällig. Mittlerweile
wurden die finanziellen Mittel für Krisenprävention im Haushalt erhöht und
auch das vom Deutschen Bundestag verabschiedete Sekundierungsgesetz für
die Entsendung von Zivilpersonal in Auslandseinsätze ist ein wichtiger
Schritt. Ebenso zu begrüßen ist, dass die Mittel für den Zivilen Friedensdienst
erhöht wurden und die Förderung von „zivik“ fortgesetzt wird. Für eine Ver-
besserung und erhöhte Kohärenz der Krisenpräventionspolitik der Bundes-
regierung sind diese Schritte aber laut einhelliger Meinung von Experten und
Expertinnen bei weitem nicht ausreichend. Auch die im Koalitionsvertrag der
CDU, CSU und SPD von 2005 angekündigte „Zusammenführung vorhande-
ner finanzieller und personeller Ressourcen“ ist bislang nicht gelungen. Der
erfolgreiche Provincial Development Fund in Nordost-Afghanistan blieb eine
Ausnahme. Die Absicht, in Anlehnung an das britische Modell eines Global
Conflict Prevention Pool, einen gemeinsam von den Ressorts verwalteten
Fonds für Krisenprävention einzurichten, wird weiter durch Ressortinteres-
sen blockiert. Weder der Ressortkreis noch der Beirat Zivile Krisenpräven-

tion ist an der Mittelvergabe beteiligt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/13392

5. Als wichtige Schnittstelle zwischen Bundesregierung und Zivilgesellschaft
hat der Ressortkreis einen Beirat einberufen, der den Ressortkreis fachlich
begleiten und beraten soll. Dieser kann jedoch weder seine Möglichkeiten
ausschöpfen noch eigene Akzente setzen. Damit werden Chancen leichtfertig
vertan, eskalationsgefährdende Konflikte besser zu erkennen und zu koordi-
nieren. In seiner Stellungnahme zum 2. Umsetzungsbericht des Aktions-
planes stellt der Beirat fest, dass mittlerweile zwar die Kommunikation zwi-
schen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren verbessert werden konnte,
allerdings fand eine Koordinierung nicht statt. Dazu mangelt es laut Beirat an
Durchsetzungskraft und Operationsfähigkeit des Ressortkreises. Auch die
Empfehlungen des Beirates in seinem Tätigkeitsbericht haben bislang keinen
erkennbaren Niederschlag gefunden.

6. Der Aktionsplan sieht vor, dass die Bundesregierung Parlament und Öffent-
lichkeit alle zwei Jahre über den Stand der Implementierung des Aktionspla-
nes unterrichtet. Mittlerweile hat die Bundesregierung ihren 2. Umsetzungs-
bericht zum Aktionsplan vorgelegt. Weder der 1. noch der 2. Umsetzungsbe-
richt hat die notwendige öffentliche und parlamentarische Aufmerksamkeit
erfahren. Es fehlt an einer professionellen Kommunikationsstrategie, mit der
zivile Krisenprävention und deren Erfolge für Öffentlichkeit und Parlament
sichtbar und wahrnehmbar gemacht werden. Wie bereits der 1. Umsetzungs-
bericht zeigt auch der 2. Bericht eine beeindruckende Vielzahl von krisenprä-
ventiven Aktivitäten. Allerdings fehlt ein übergreifender Ansatz, der die ver-
schiedenen Maßnahmen und Einzelinitiativen zusammenführt und zu einer
Vision verknüpft. Auch die Schlüsselfragen nach der Wirksamkeit von Maß-
nahmen ziviler Krisenprävention sowie nach dem Bedarf an Fähigkeiten und
Ressourcen werden im Bericht fast vollständig ausgeklammert. Der Rück-
stand ziviler Fähigkeiten im Bereich des deutschen Krisenengagements wird
erst gar nicht thematisiert. Im Bericht wird lediglich festgestellt, dass sich die
nationalen Strukturen der Krisenprävention bewährt hätten und im Einzelnen
weiterentwickelt und konsolidiert worden seien. Welche konkreten Schritte
die Bundesregierung aber in Richtung gemeinsame Planung oder gemein-
same Haushaltsmittel gehen will, wird im Bericht verschwiegen. Hinzu
kommt, dass im 2. Umsetzungsbericht der Präventionsgedanke sichtbar an
Bedeutung verliert. Im Gegensatz zum Aktionsplan taucht der „Do no harm“-
Ansatz, das heißt der Grundsatz, dass das eigene Eingreifen keine kontrapro-
duktiven Folgen haben darf, im Umsetzungsbericht nicht mehr auf. Damit
wird der für Krisenprävention wichtige Grundsatz, den Konflikt fördernde
oder verlängernde Wirkungen und Folgen der eigenen Politik zu beachten und
zu meiden, ausgeklammert. Gleichzeitig wird der Einsatz militärischer Mittel
und Kapazitäten unterschiedslos unter dem Begriff der Prävention subsumiert.
Der pauschalen Feststellung der Bundesregierung, dass der Begriff der zivilen
Krisenprävention im Grunde unterschiedslos jedes militärische Krisenengage-
ment einschließe, wird mit Nachdruck widersprochen.

7. Mit dem im Aktionsplan explizit formulierten Primat des Zivilen erkennt die
Bundesregierung den Vorrang ziviler Mittel zur Krisenprävention an. Mittler-
weile ist sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene die Er-
kenntnis gewachsen, dass es weitaus kostengünstiger ist, in zivile Maßnah-
men zur rechtzeitigen Vorbeugung und Verhinderung von Gewalt zu investie-
ren, als nachträglich in Gewalteskalationen zu intervenieren. Zwischen zivi-
len und militärischen Fähigkeiten klafft jedoch sowohl auf nationaler als auch
auf internationaler Ebene noch immer eine erhebliche Fähigkeitslücke. Defi-
zite bei den personellen und finanziellen Ressourcen zur zivilen Krisenprä-
vention verhindern nicht nur ein frühzeitiges wirksames Eingreifen zur Ver-
hütung von Gewalt oder zur Beseitigung von strukturellen Konfliktursachen,

sondern unzureichende zivile Fähigkeiten tragen auch dazu bei, dass Streit-
kräfte zu Lückenbüßern werden, die jahrelang ohne nachhaltige Wirkung im

Drucksache 16/13392 – 10 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Einsatz sind. Im Rahmen kollektiver Friedenssicherung kann der Einsatz von
Streitkräften zur Gewalteindämmung und Gewaltverhinderung erforderlich
sein. Streitkräfte können zur zivilen Krisenprävention jedoch keinen substan-
ziellen Beitrag leisten, sondern nur Zeiträume für politische Lösungen offen-
halten. In komplexen Stabilisierungseinsätzen kommt es auf ein Zusammen-
wirken von zivilen, polizeilichen und militärischen Akteuren an. Dies erfor-
dert eine enge Kooperation und Koordination der unterschiedlichen Maßnah-
men und Akteure. Entscheidend ist dabei aber, dass zivile Akteure und
Maßnahmen, insbesondere der Entwicklungszusammenarbeit und von Nicht-
regierungsorganisationen, ihre Eigenständigkeit bewahren und nicht zum Er-
füllungsgehilfen von militärischen Krisenengagements werden. Bei der Ko-
ordinierung und Kooperation müssen die komparativen Vorteile der verschie-
denen Akteure aufrechterhalten und gewährleistet bleiben.

8. In den vergangenen Jahren gab es vielfältige nationale und internationale An-
sätze, der zivilen Krisenprävention und Konfliktbewältigung eine größere
Bedeutung zukommen zu lassen. Insbesondere im Bereich der Europäischen
Union hat es einen deutlichen Entwicklungsschub gegeben. Hierzu haben die
zivilen Planziele der EU erheblich beigetragen. Bereits im Juni 2001 hat sich
die Europäische Union in ihrem Göteborg-Programm für umfassende Maß-
nahmen im Bereich ziviler Krisenprävention, Konfliktregelung und Frie-
denskonsolidierung ausgesprochen. Mittlerweile ist die EU zu einem wichti-
gen zivilen Akteur der internationalen Krisenbewältigung im Rahmen der
Vereinten Nationen geworden. Von den 23 Missionen, die die EU bislang
durchgeführt hat, sind allein 17 zivile Missionen. Mit dem Stabilitätsinstru-
ment Ende 2007 hat die EU einen wichtigen Schritt in Richtung zu mehr zi-
vilen Krisenmanagementfähigkeiten gemacht. Allerdings ist sie noch weit
davon entfernt, auf eine handlungsfähige zivile Infrastruktur zurückgreifen
zu können. Hierfür sind dringend neue Anreize und Impulse notwendig. Um
die Koordination zwischen den relevanten Akteuren zu verbessern und die
zivilen Strategien und Kapazitäten der EU weiterzuentwickeln, sind die Ein-
richtung einer europäischen Friedensagentur und der Aufbau eines europäi-
schen Friedensdienstes zur Förderung der Friedensentwicklung von „unten“
notwendig. Die Ergebnisse und Empfehlungen des auf finnische Initiative
2005 gestarteten RoCS-Prozesses (Role of Civil Society in the European
Civilian Crisis Managment) sind eine gute Basis für eine verbesserte Zusam-
menarbeit zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren. Der Dialog
mit zivilgesellschaftlichen Organisationen muss aber weiter institutionali-
siert und dafür ein Mechanismus geschaffen werden, der regelmäßige Dia-
loge gewährleistet. Dafür sind Impulse der Bundesregierung notwendig.

9. Zivile Krisenprävention ist in einem immer schärferen Konkurrenzkampf um
das knappe Gut „Aufmerksamkeit“ medial besonders schwer „verkäuflich“.
Sie ist leiser, langsamer, eher prozessorientiert und komplex. Sie findet zu-
dem oft hinter den Kulissen statt. Ihre Wirkungen und Erfolge sind weniger
sichtbar und schwer nachweisbar: Der verhinderte „Großbrand“ hat keinen
Nachrichtenwert, der „Feuerwehreinsatz“ umso mehr. Es bedarf besonderer
Anstrengungen, neben der „natürlichen“ Anziehungskraft des Militärischen,
von „Gewalt- und Bad-News“ generell, die zivile Krisenprävention und Frie-
densförderung sichtbar zu machen. Das zu schaffen ist von ausschlaggeben-
der Bedeutung, damit die zivile Krisenprävention auch Rückhalt in der Be-
völkerung und in der Politik bekommt. Mit dem Aufbau neuer Instrumente
der zivilen Krisenprävention seit 1998 entwickelten sich auch neue Ansätze
einer Friedensberichterstattung. Vorbildhaft war dabei das Peace-Counts-
Projekt, das einem breiteren Publikum die Aktivitäten von sog. Friedens-
macherinnen und Friedensmachern weltweit nahe brachte. Bisher fehlt es

aber von Seiten der Bundesregierung an Bemühungen, das komplexe Politik-
feld der zivilen Krisenprävention anschaulich zu vermitteln.

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