BT-Drucksache 16/13092

Zwangsverrentungen von SGB-II-Beziehenden und Folgen der Abschaffung der so genannten 58er-Regelung

Vom 20. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13092
16. Wahlperiode 20. 05. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. Barbara Höll, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina
Bunge, Diana Golze, Katja Kipping, Katrin Kunert, Kornelia Möller, Elke Reinke,
Volker Schneider (Saarbrücken), Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel
Troost, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Zwangsverrentungen von SGB-II-Beziehenden und Folgen der Abschaffung der
so genannten 58er-Regelung

Zu Jahresbeginn 2008 lief die so genannte 58er-Regelung aus. Diese Regelung
galt für Erwerbslose, die 2007 58 Jahre oder älter waren. Sie mussten dem
Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen und bekamen ihre jeweilige
finanzielle Unterstützung dennoch ungekürzt ausgezahlt. Sie galten damit auch
nicht mehr als „arbeitslos“ im Sinne der amtlichen Statistik. Wer diese Rege-
lung in Anspruch genommen hat, muss eine Rente nur beantragen, wenn diese
ohne Abschläge gewährt wird.

Daher schützt die 58er-Regelung die Menschen auch vor der Zwangsverren-
tung. Diese gilt seit dem 7. SGB-III-Änderungsgesetz für alle Langzeiterwerbs-
losen – sofern diese keinen Anspruch auf die 58er-Regelung haben. Keinen An-
spruch auf die 58er-Regel haben alle Menschen, die nach dem 1. Januar 2008
erwerbslos oder 58 Jahre alt werden. Sie müssen nunmehr ab dem 63. Lebens-
jahr vorzeitig in Rente gehen, wenn sie Arbeitslosengeld II (ALG II) beziehen
und ihre Rente vorzeitig beziehen können. Mit dem vorzeitigen Renteneintritt
sind dauerhafte Abschläge bei der Rente in Höhe von 0,3 Prozentpunkten pro
Monat verbunden. Die Zwangsverrentung ist damit nicht nur ein Eingriff in die
Persönlichkeitsrechte der Betroffenen – ihr Wille, ob sie weiter dem Arbeits-
markt zur Verfügung stehen wollen, spielt keine Rolle – sondern auch ein Ren-
tenkürzungsprogramm für ältere Erwerbslose. Die Fraktion DIE LINKE. hatte
daher Ende 2008 ein Gesetz in den Deutschen Bundestag eingebracht, das nach
nahezu einstimmiger Bewertung von Sachverständigen Zwangsverrentung aus-
geschlossen hätte (Anhörung der Ausschuss Arbeit und Soziales am 21. Januar
2008, 74. Sitzung). Dieser Gesetzentwurf fand keine parlamentarische Mehr-
heit.

Die Bundesregierung hält an der Zwangsverrentung fest. Der senkende Effekt
der 58er-Regel auf die Arbeitslosenstatistik wird mit dem neuen § 53a des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) fortgeführt. Danach werden ältere

erwerbsfähige Hilfebeziehende nicht mehr als arbeitslos gewertet, wenn ihnen
ein Jahr lang „keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten“
wurde. Gleichzeitig wurden die örtlichen Träger des SGB II verpflichtet, „er-
werbsfähige Hilfebedürftige, die das 58. Lebensjahr vollendet“ haben „unver-
züglich in Arbeit oder eine Arbeitsgelegenheit zu vermitteln“ (§ 3 Absatz 2a
SGB II).

Drucksache 16/13092 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welches Verfahren ist den Trägern des SGB II für den Verweis auf einen
vorzeitigen Rentenbezug vorgeschrieben, und wie wird der Vorgang und
sein Ausgang administrativ dokumentiert?

2. Sind Sanktionen – gegebenenfalls welche – vorgesehen, wenn eine Hilfe-
beziehende/ein Hilfebeziehender weiterhin dem Arbeitsmarkt zur Verfü-
gung stehen möchte und sich aus diesem Grund nicht verrenten lassen
möchte?

Gegebenenfalls welche anderen Folgen hat die Weigerung eines Hilfe-
berechtigten sich verrenten zu lassen?

3. Wie viele Personen über 63 Jahre im SGB II-Bezug haben nach den Er-
kenntnissen der Bundesregierung die Voraussetzungen erfüllt, um vorzeitig
in Rente zu gehen?

4. Wie viele Personen davon fallen derzeit noch unter den Vertrauensschutz
der 58er-Regelung und werden aus diesem Grund nicht zwangsverrentet?

5. Wie viele Hilfebedürftige sind seit Jahresbeginn 2008 von den Trägern des
SGB II auf einen vorzeitigen Rentenbezug zur Vermeidung sowie Beendi-
gung einer Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II verwiesen worden?

6. Welche sonstigen Maßnahmen kann die Bundesregierung für SGB II-Be-
ziehende über 63 Jahre seit Jahresbeginn 2008 dokumentieren?

Wie vielen Personen ist eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
angeboten worden?

Wie viele Personen sind in Arbeit vermittelt worden, und welche arbeits-
marktpolitischen Instrumente wurden in welchem Umfang eingesetzt?

7. Wie viele Menschen haben sich im Anschluss an ein Arbeits- bzw. Maß-
nahmenangebot selbst aus dem Leistungsbezug des SGB II abgemeldet und
eine vorgezogene Rente mit Abschlägen beantragt?

8. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über die soziale Lage der ver-
renteten Personen?

9. Spielt die erwartete Rentenhöhe eine Rolle bei dem Verweis auf eine vor-
gezogene Rente?

10. Wie hoch sind die Abschläge im Durchschnitt, und welche Rentenhöhe
wird erzielt?

11. Wie viele erwerbsfähige Personen im SGB II Bezug sind älter als 58 Jahre,
und wie hat sich die Zahl seit 2005 entwickelt?

12. Wie hoch ist der Anteil dieser Altersgruppe an allen erwerbsfähigen Hilfe-
beziehenden, und wie hat sich dieser Anteil seit 2005 entwickelt?

13. Wie viele erwerbsfähige Personen im SGB II über 58 Jahre gelten statis-
tisch als arbeitslos, und wie hat sich diese Zahl seit 2005 entwickelt?

14. Aus welchen Gründen gelten andere erwerbsfähige SGB II-Beziehende
über 58 Jahre nicht als arbeitslos (bitte jeweiligen anderen Status mit jähr-
licher Entwicklung seit 2005 angeben)?

15. Wie viele erwerbsfähige Personen im SGB II über 58 Jahre gelten als lang-
zeitarbeitslos?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13092

16. Wie viele erwerbsfähige Personen im SGB II über 58 Jahre gelten nicht als
langzeitarbeitslos, obwohl sie seit mehr als

a) ein,

b) zwei,

c) drei und mehr Jahre ohne Unterbrechung Leistungen beziehen?

17. Wie viele erwerbsfähige Personen im SGB II über 58 Jahre sind seit 2005
in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vermittelt worden und
haben dadurch die Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II überwunden (ab
Januar 2008 bitte monatlich ausweisen)?

18. Wie viele erwerbsfähige Personen im SGB II über 58 Jahre sind seit 2005
in eine a) Arbeitsgelegenheit „vermittelt“ worden?

Welchen Anteil hatten dabei b) Arbeitsgelegenheiten an allen arbeitsmarkt-
politischen Maßnahmen (ab Januar 2008 bitte monatlich ausweisen)?

19. Wie hoch ist der Anteil der Neuzugänge im SGB II seit Januar 2008 bei der
Gruppe der erwerbsfähigen Personen älter als 58 Jahre, die „unverzüglich“
in

a) eine Arbeit oder

b) eine Arbeitsgelegenheit vermittelt wurden?

20. Wie viele erwerbsfähige Personen im SGB II über 58 Jahre gelten nicht als
arbeitslos, weil ihnen ein Jahr lang keine sozialversicherungspflichtige Ar-
beit angeboten wurde?

21. Mit welcher sachlichen Rechtfertigung wird ein solcher erwerbsfähiger
älterer Mensch im SGB II-Bezug statistisch als nicht arbeitslos bewertet,
obwohl er weiterhin dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, Leistungen der
„Grundsicherung für Arbeitsuchende“ bezieht und schließlich auch den
Sanktionsapparat des SGB II unterworfen bleibt?

Berlin, den 18. Mai 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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