BT-Drucksache 16/12991

Erinnerungsprojekt "Zug der Erinnerung" unterstützen

Vom 13. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12991
16. Wahlperiode 13. 05. 2009

Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Katrin Göring-Eckardt, Bettina Herlitzius,
Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter, Jerzy Montag, Hans-Christian Ströbele, Volker
Beck (Köln), Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Kai Gehring, Britta Haßelmann,
Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg),
Monika Lazar, Nicole Maisch, Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar von
Neuforn, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Erinnerungsprojekt „Zug der Erinnerung“ unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der „Zug der Erinnerung e. V.“ ist eine vorbildliche zivilgesellschaftliche
Initiative, deren ungewöhnliche Art des Gedenkens eine pädagogisch wertvolle
Möglichkeit der Auseinandersetzung mit dem NS-Terrorregime ist. Das Er-
innerungsprojekt ist ein wegweisender Ansatz zur Vermittlung von Geschichte
und Verantwortung, zumal es bald keine Zeitzeugen bzw. Überlebenden mehr
geben wird, die über diese Zeit berichten können. Mit ihrem großen bürger-
schaftlichen Engagement leisten der Verein „Zug der Erinnerung“ und seine
Unterstützer einen wertvollen Beitrag zum öffentlichen Gedenken unmittelbar
aus der Gesellschaft heraus sowie zur Prävention rechtsextremen Gedanken-
guts.

Seit 2007 bemüht sich der Verein „Zug der Erinnerung e. V.“ um die finanzielle
Unterstützung durch die Deutsche Bahn AG (DB AG) für das Erinnerungs-
projekt, da für die Nutzung des bundeseigenen Schienennetzes und den Auf-
enthalt auf den besuchten Bahnhöfen Trassen- und Stationsgebühren sowie
Energiekosten fällig werden.

Die DB AG lehnt jegliche Form der Hilfestellung für den „Zug der Erinnerung“
ab. Die DB AG hat den Aufenthalt des Ausstellungszugs in Berlin behindert
und in Hamburg die Einfahrt in den Hauptbahnhof untersagt. In München ist es
erst vor wenigen Tagen zu skandalösen Übergriffen gegen den Ausstellungszug
gekommen. Hinweisschilder im Bahnhof sind entfernt und Plakate von Be-
diensteten der DB AG abgerissen worden. In das Getriebe der Lokomotive
wurde Sand gestreut und die DB AG postierte bewaffnete Security-Kräfte di-
rekt vor dem Ausstellungszug.

Der Deutsche Bundestag hält die schon lange währende ablehnende Haltung
der DB AG gegenüber dem Projekt „Zug der Erinnerung“ für unangemessen
und zum Teil sogar zynisch. Es ist unerträglich, wenn sich das Gefühl verfes-
tigt, dass die DB AG diese Form der Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte
ablehnt.

Dabei könnte das Projekt des „Zuges der Erinnerung“ Modell dafür sein, wie
Erinnerung in Zukunft nicht nur „von oben“ verordnet, sondern „von unten“

Drucksache 16/12991 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

getragen wird. Die bahneigene Ausstellung „Sonderzüge in den Tod“ kann
nicht als Vorwand gelten, andere Formen des Gedenkens über dieses „dunkle
Kapitel“ der Bahngeschichte abzulehnen. Die DB AG steht in der historischen
Verantwortung für die intensive Beteiligung der Reichsbahn an den Deportatio-
nen, auch wenn das Unternehmen heute in Form einer modernen Aktiengesell-
schaft geführt wird.

Der Deutsche Bundestag hofft, dass mit dem Wechsel von Rüdiger Grube an die
Spitze des Vorstands der DB AG auch eine anderen Haltung gegenüber dem
„Zug der Erinnerung e. V.“ verbunden ist. Der Deutsche Bundestag erwartet,
dass die DB AG dem Anliegen des „Zuges der Erinnerung e. V.“ künftig ange-
messen Rechnung trägt.

Der Bund ist Alleineigentümer der DB AG.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– bei der DB AG darauf hin zuwirken, dass die DB AG dem Verein „Zug der
Erinnerung e. V.“ einen Betrag spendet, der der Höhe der anfallenden Tras-
sen- und Stationspreise für die Jahre 2007 bis 2009 entspricht. Alternativ
soll dem Projektträger durch den Bund eine Zuwendung in Höhe der von der
DB AG erhobenen Gebühren gewährt werden;

– bei der DB AG darauf hinzuwirken, dass der Zug mit der Ausstellung über
die Deportation von Kindern in Vernichtungslager nicht mehr – wie in Mün-
chen – behindert wird und auf Bahnhöfen an repräsentativen Orten gezeigt
und sichtbar beworben werden kann.

Berlin, den 13. Mai 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Der Zug der Erinnerung ist eine „rollende Ausstellung“ die auf intensive Weise
die Geschichte der Deportationszüge erklärt und in Erinnerung ruft. Durch den
Fokus auf die Deportation von mehreren hunderttausend Kindern und Jugend-
lichen aus Deutschland und dem übrigen Europa die mit der Deutschen Reichs-
bahn in die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager ge-
bracht wurden, soll besonders der jungen Generation die innerliche Identifizie-
rung mit den Opfern des Nationalsozialismus erleichtert werden. Zudem wird
an Hand einzelner Biografien von unterschiedlicher Entscheidungsträgern wie
z. B. Mitarbeitern des Reichsverkehrsministeriums, Logistikplanern der
Reichsbahn (zum Lauf und der Kostenabrechnung der Sonderzüge) und Ange-
hörigen der SS deren Mittäterschaft bei den Deportationen dokumentiert.

Zusätzlich finden vor Ort Veranstaltungen statt und gesellschaftliche Initiativen
haben Gelegenheit zu eigenen, ergänzenden Darstellungen. Diese ungewöhn-
liche Darstellungsform und der einfache Bezug zwischen Vergangenheit und
Gegenwart, der im Bahnhof, dem früheren wie heutigen Handlungsort, her-
gestellt werden kann, macht die Präsentation gerade für Jugendliche gut nach-
vollziehbar. Bundesweit stieß der „Zug der Erinnerung“ auf große Resonanz.
Mittlerweile besuchten bereits 280 000 Menschen die Ausstellung. Seit März
2009 wird die Ausstellung auf Grund der zahlreichen Einladungen von Landes-
und Kommunalpolitikern, Verbänden und Institutionen fortgesetzt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12991

Getragen wird das Erinnerungsprojekt des Ausstellungszuges durch den 2007
gegründeten gemeinnützigen Verein „Zug der Erinnerung e. V.“, der sich aus-
schließlich auf der Basis von Spenden finanziert. Die DB AG ist nicht an der
Ausstellung beteiligt.

Trotz des großen nationalen und internationalen Renommees steht das gemein-
nützige Erinnerungsprojekt seit 2007 vor einem großen finanziellen Problem.
Da der Zug die bundeseigene Schieneninfrastruktur nutzt, berechnen die Infra-
strukturunternehmen der DB AG den Initiatoren des Projektes für die Fahrt und
den Aufenthalt auf den Bahnhöfen Trassen- und Stationspreise gemäß Eisen-
bahninfrastruktur-Benutzungsverordnung wie auch gegenüber anderen Zu-
gangsberechtigten. Nach Angaben des Vereins belaufen sich diese auf mittler-
weile ca. 150 000 Euro. Deshalb bemüht sich der Verein „Zug der Erinnerung
e. V.“ seit 2007 darum, dass die DB AG den Ausstellungszug von diesen Ge-
bühren freistellt. Die DB AG lehnt dies unter Hinweis auf gesetzliche Regelun-
gen formal ab.

Doch auch der Bitte, das Projekt „Zug des Erinnerung“ anderweitig zu unter-
stützen, wird von der DB AG nicht entsprochen. Stattdessen wird auf die the-
matisch ähnlich gelagerte, aber eben ganz andere bahneigene Ausstellung „Son-
derzüge in den Tod“ verwiesen, die von Unternehmensseite als ausreichender
Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Rolle der Reichsbahn bei den Deporta-
tionen angesehen wird. Dabei könnte die DB AG eine entsprechende Spende
problemlos aus ihrem Werbeetat aufbringen, wie der Aufsichtsratsvorsitzende
Dr. Werner Müller am 1. April 2008 in einem Brief an die verkehrspolitischen
Sprecher der Bundestagsfraktionen erklärte. Diese wolle man aber „statt dem
‚Zug der Erinnerung e. V.‘ einer international renommierten gemeinnützigen
jüdischen Einrichtung“ zukommen lassen.

Zahlreiche Politikerinnen und Politiker aller Parteien aus Bund, Ländern und
Gemeinden, Vertreterinnen und Vertreter von Verbänden, Gewerkschaften,
Religionsgemeinschaften und anderen Institutionen sowie der Bundesminister
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung haben die DB AG im Laufe dieser
öffentlich geführten Kontroverse zu einem sensibleren Umgang mit der eigenen
Geschichte aufgefordert und auf die besondere Verantwortung als Unter-
nehmen der öffentlichen Hand und dessen besondere gesellschaftliche Verant-
wortung hingewiesen.

Eine rechtlich unbedenkliche Lösung und aus Sicht des Deutschen Bundestages
angemessene Vorgehensweise wäre eine Spende der DB AG Holding an den
Verein „Zug der Erinnerung e. V.“ in Höhe der zu erhebenden Gebühren. Diese
Erwartung haben bereits fraktionsübergreifend Mitglieder des Deutschen
Bundestages, des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
sowie der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages öffentlich geäußert.

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