BT-Drucksache 16/12774

Riester-Förderung - Subventionierung der Versicherungswirtschaft ohne praktische rentenerhöhende Wirkung für die Riester-Sparenden

Vom 22. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12774
16. Wahlperiode 22. 04. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Axel Troost, Klaus Ernst,
Karin Binder, Dr. Lothar Bisky, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Dr. Barbara Höll,
Katja Kipping, Katrin Kunert, Elke Reinke, Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Riester-Förderung – Subventionierung der Versicherungswirtschaft
ohne praktische rentenerhöhende Wirkung für die Riester-Sparenden

Nur ein vergleichsweise geringer Teil der staatlichen Förderungen zur Riester-
Rente kommt tatsächlich den einzelnen Riester-Sparenden zugute. Zu diesem
Ergebnis kommt der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Klaus Jaeger von der
Freien Universität Berlin. In seiner Fallstudie zur Frage, wer von den staatlichen
Subventionen der Riester-Rente profitiert (Versicherungswirtschaft 22/2008,
S. 1 874 ff.) hat Prof. Dr. Klaus Jaeger die Zahlen des Versicherungsunterneh-
mens CosmosDirekt analysiert, da dieser Anbieter bei nahezu allen Verbrau-
chertests mit sehr guten Ergebnissen abschneidet (vgl. z. B. Finanztest Spezial
zum Thema „Altersvorsorge“ vom Dezember 2007).

Weil die Lebenserwartung der Gesamtbevölkerung nach den Berechnungen des
Statistischen Bundesamtes sehr viel niedriger ist, als die von der Versicherung
an Hand eigener Sterbetafeln kalkulierte durchschnittliche Lebenserwartung,
profitieren mehrheitlich die Riester-Sparenden nicht von der Riester-Förderung.
Besonders benachteiligt wären demnach junge Sparende und einkommens-
schwächere Riester-Sparende. Erst in erheblich höherem Alter erhalten sie ihre
Eigenbeiträge in Form von Nettorenten zurück.

Prof. Dr. Klaus Jaeger berechnet, dass Riester-Sparende im Durchschnitt 90
Jahre alt werden müssten, soll sich das Riestern für sie lohnen. Denn erst ab Er-
reichen dieser Altersgrenze erhielten sie ihre selbst eingezahlten Beiträge in
Form von Netto-Renten zurück. Erst ab dann profitieren die Sparenden tatsäch-
lich von den staatlichen Zuschüsse in Form ausgezahlter Netto-Renten. Erst
wenn der Riester-Sparende ein Alter von 95 Jahren erreicht, kämen ihm 31,1
Prozent der staatlichen Zuschüsse als Nettorente zugute.

Laut den Berechnungen von Prof. Dr. Klaus Jaeger profitieren Riester-Spa-
rende im unteren Einkommenssegment (20 000 bis 30 000 Euro Brutto-Jahres-
einkommen) und Kinderlose wenig bis gar nicht von den staatlichen Zuschüs-
sen. Riester-Sparende mit Kindern profitieren zwar stärker von den staatlichen

Zuschüssen und da vor allem diejenigen, deren Kinder nach 2008 geboren
wurden. Dies liegt aber ausschließlich an der staatlichen Kinderzulage, die zu-
dem ab 2008 erhöht wurde.

Stimmen die Berechnungen von Prof. Dr. Klaus Jaeger, kann die Bundesregie-
rung ihre Behauptung, Riestern lohne sich gerade für Geringverdiener, nicht auf-
recht erhalten. Prof. Dr. Klaus Jaeger belegt vielmehr, dass kinderlose Erwerbs-

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tätige mit einem Jahreseinkommen zwischen 20 000 und 30 000 Euro, die mit
90 Jahren sterben, einen Verlust durch das Riestern zu verzeichnen haben, da sie
weniger an Nettorente erhalten, als sie an Eigenmitteln eingezahlt haben. Von
den staatlichen Zuschüssen profitieren sie gar nicht. Für die eigentliche Ziel-
gruppe der jungen Geringverdienenden macht demnach das Riestern überhaupt
keinen Sinn.

Prof. Dr. Klaus Jaeger hat ebenfalls die Struktur der Risikogewinne untersucht.
Er kommt zu dem Ergebnis, dass pro Vertrag durchschnittlich 29 Prozent der bis
zum Rentenbeginn gezahlten Zuschüsse als Risikogewinne beim Versicherungs-
unternehmen anfallen – wiederum vorausgesetzt, der/die Versicherte stirbt mit
91 Jahren. Hochgerechnet auf alle zum Untersuchungszeitraum abgeschlosse-
nen ca. elf Millionen Riester-Verträge ergäbe dies ein Volumen von ca. 50 Mrd.
Euro an Gewinnen für die Versicherungsunternehmen. Sterben die Versicherten
hingegen vor dem 90. Lebensjahr, was gerade bei Menschen mit geringem Ein-
kommen häufig der Fall ist, erhöhen sich die Gewinne der Versicherungsunter-
nehmen entsprechend. Die Versicherungsunternehmen profitieren also sehr
stark von den Zuschüssen – am meisten jedoch bei Riester-Sparenden mit gerin-
gem Einkommen, weil diese regelmäßig sterben, bevor sich Riestern für sie
gelohnt hat. Prof. Dr. Klaus Jaeger ist deshalb der Ansicht, dass die staatlichen
Zuschüsse nichts weiter als eine Subventionierung der Versicherungswirtschaft
sind, die aber praktisch keinerlei rentenerhöhende Wirkung haben.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist aus Sicht der Bundesregierung die prinzipielle Vorgehensweise von Prof.
Dr. Klaus Jaegers Untersuchung sachlich und fachlich angemessen und rich-
tig (bitte begründen)?

2. Welche Konsequenzen zieht sie aus den Untersuchungsergebnissen für die
staatliche Subventionierung von privaten Rentenversicherungen, insbeson-
dere der Riester-Renten?

3. Stimmt sie der Kernaussage von Prof. Dr. Klaus Jaeger zu, dass in den ge-
schilderten Fällen die tatsächlich ausgezahlten Nettorenten erst ab deutlich
überdurchschnittlichen Lebenserwartungen die Profitschwelle der von den
Riester-Sparenden selbst aufgebrachten Eigenmittel überschritten wird (bitte
begründen)?

4. Trifft es zu, dass junge Menschen mit Riesterverträgen gegenüber älteren ver-
gleichbaren Einkommensgruppen hinsichtlich der Lebenserwartung benach-
teiligt sind und rund ein bis zwei Jahre länger leben müssen, um die von ihnen
selbst aufgebrachten Eigenmittel in Form von Nettorenten zurückzuerhalten,
und wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung dieses Untersuchungs-
ergebnis von Prof. Dr. Klaus Jaeger?

5. Wie bewertet sie die Tatsache, dass bei dem hier untersuchten Versicherungs-
vertrag durchschnittlich rund 9 300 Euro pro Vertrag an Risikogewinn für das
Unternehmen – bei einem durchschnittlichen Ableben des Sparenden im
Alter von ca. 91 Jahren – anfallen (S. 1 880)?

6. Kann sie die Untersuchungsergebnisse widerlegen, wonach die Risiko-
gewinne des Versicherungsunternehmens nichts anderes als Steuergelder
sind, die zunächst in das Unternehmen umgeleitet werden und lediglich zu
einem ganz geringen Teil aus staatlichen Zuschüssen resultieren (S. 1 880)?

7. Teilt sie die Schlussfolgerung der Untersuchung, wonach der Risikogewinn
nichts anderes sei, als eine staatliche Subvention des Unternehmens, die
praktisch keinerlei rentenerhöhende Wirkung aufweise (S. 1 880) (bitte be-

gründen)?

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8. Teilt sie die aus der Untersuchung gezogene Schlussfolgerung, wonach
sich eine Riester-Rente für die heute 25- bis 45-jährigen Singles ohne Kin-
der – über alle Einkommensklassen (20 000 bis 52 500 Euro) hinweg be-
trachtet – erst dann lohnt, wenn sie durchschnittlich wenigstens 91 Jahre
alt werden, da sie erst ab diesem Alter eine Netto-Rentenzahlung erhalten
haben werden, die über die während der Einzahlungsphase von ihnen
selbst aufgebrachten Eigenmittel hinausgehen wird (S. 1 180) (bitte be-
gründen)?

9. Teilt sie die aus der Untersuchung gezogene Schlussfolgerung, wonach sich
die Riester-Rente bei den heute 25- bis 45-jährigen Singles mit einem
unmittelbar vor 2008 geborenen Kind erst dann „lohnt“, wenn sie durch-
schnittlich über 87 Jahre alt werden sofern sie ein Einkommen von nur
20 000 bis 25 000 Euro aufweisen und sie wieder ca. 90 Jahre alt werden
müssten, sofern das Einkommen höher liegt (S. 1 180) (bitte begründen)?

10. Teilt sie die aus der Untersuchung gezogene Schlussfolgerung, wonach bei
den heute 25- bis 45-jährigen Singles mit höherem Einkommen und einem
unmittelbar nach 2008 geborenem Kind sich die Riester-Rente erst „lohnt“,
wenn die Riester-Sparenden durchschnittlich älter als 90 Jahre werden müs-
sen, um von den staatlichen Zulagen zu profitieren (S. 1 180) (bitte begrün-
den)?

11. Teilt sie die Einschätzung von Prof. Dr. Klaus Jaeger, wonach zumindest
fraglich ist, ob Sicherheitsmargen von bis zu zwölf Jahren gegenüber den
Prognosen für die Gesamtbevölkerung, wie sie das Statistische Bundesamt
(…) verwendet, adäquat sind (S. 1 180) (bitte begründen)?

12. Wie bewertet sie die aus der Untersuchung gezogene Schlussfolgerung,
dass einkommensschwächere Sparende (bis zu 30 000 Euro Brutto-Ein-
kommen), die die weitaus stärkste Gruppe bei den Riester-Verträgen bilden
und eine signifikant kürzere Lebenserwartung aufweisen als „Gutverdie-
nende“, durch die hohen Sicherheitsmargen überproportional benachteiligt
sind (S. 1 180) (bitte begründen)?

13. Greift nach Auffassung der Bundesregierung die Argumentation der Ver-
sicherungsunternehmen, wonach Riester-Sparende dem „Risiko der Lang-
lebigkeit unterliegen“ auch dann noch, wenn die Risikogewinne zum größ-
ten Teil bei den Versicherungsunternehmen verbleiben (bitte begründen)?

14. Hält sie es für gerechtfertigt, dass sich aus den bei der Untersuchung
verwendeten Fallkonstellationen hochgerechnet Risikogewinne von knapp
90 Mrd. Euro ergeben würden (S. 1 180) (bitte begründen)?

15. Warum besteht bei der Verwendung der anfallenden Risikoüberschuss-
beteiligung der Unternehmen keine verbindliche gesetzliche Regelung, ob
überhaupt und wenn, in welchem Umfang Risikoüberschüsse an welche
Tarifgruppen weiterzugeben sind?

16. Was hält die Bundesregierung bei der Verwendung der anfallenden Risi-
koüberschussbeteiligung der Unternehmen für „angemessen“ nach § 153
des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) (bitte begründen)?

17. Teilt sie die Schlussfolgerung des Untersuchungsergebnisses von Prof.
Dr. Klaus Jaeger, wonach die Riester-Sparenden einen Teil der staatlichen
Zuschüsse in Form von Steuern während der Rentenphase zurückzahlen
und der überwiegende Anteil der staatlichen Zuschüsse bei den Versiche-
rungsunternehmen „versickert“ und folgt sie dem Fazit von Prof. Dr. Klaus
Jaeger, dass sie „staatlichen Zuschüsse, d. h. Steuergelder nicht zweckori-
entiert verwendet, sondern – wie leider häufig – schlicht verschwendet“

(S. 1 184) (bitte begründen)?

Drucksache 16/12774 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
18. Wie bewertet sie das von Prof. Dr. Klaus Jaeger gezogene Fazit, dass ange-
sichts der Untersuchungsergebnisse „Single ohne Kinder mit Jahresein-
kommen von 20 000 Euro und mehr bei einem geplanten Rentenbeginn von
65 Jahren besser nicht riestern (sollten) – es sei denn, sie rechnen damit,
mindestens 92 alt zu werden“ und dies vor allem für junge Sparende in den
unteren Einkommensklassen gelte (S. 1 184)?

19. Welche Rückschlüsse zieht sie aus den Untersuchungsergebnissen für die
Versicherungsverträge anderer Anbieter, die bei Verbrauchertests schlech-
ter abgeschnitten haben als das hier untersuchte Versicherungsunternehmen
CosmosDirekt?

20. Bleibt die Bundesregierung angesichts der Untersuchungsergebnisse bei
ihrer Behauptung, dass sich die Riester-Rente gerade für Geringver-
dienende lohnt (bitte begründen)?

Berlin, den 21. April 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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