BT-Drucksache 16/12477

Abrüstung in Privatwohnungen - Maßnahmen gegen Waffenmissbrauch

Vom 25. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12477
16. Wahlperiode 25. 03. 2009

Antrag
der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck (Köln), Monika Lazar,
Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, Hans-Christian Ströbele,
Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler, Dr. Uschi Eid und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Abrüstung in Privatwohnungen – Maßnahmen gegen Waffenmissbrauch

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Bundestag und Bundesregierung stehen nach dem Amoklauf von Winnenden
in der Verantwortung, den Ursachen für dieses unfassbare Verbrechen nach-
zugehen und die erforderlichen und geeigneten Konsequenzen zu ziehen.

2. Die massive Verbreitung und Präsenz von funktionsfähigen Schusswaffen in
Privatwohnungen ist in hohem Maße Besorgnis erregend und eine Gefahr für
die Sicherheit. Das Waffengesetz muss wesentlich deutlicher als bislang die
Gewährleistung der persönlichen und öffentlichen Sicherheit in den Mittel-
punkt stellen.

3. Eine Änderung des Waffenrechts kann nur ein Teil des komplexen Prozesses
der Aufarbeitung von Amokläufen an Schulen sein. Es bleibt allerdings die
Tatsache, dass ohne die Verfügbarkeit von funktionsfähigen Schusswaffen
eine solche Tat nicht begangen werden kann. Alle Amoktäter der vergange-
nen Jahre hatten einen leichten Zugriff auf scharfe Waffen und Munition in
ihren Privatwohnungen.

4. Funktionsfähige Schusswaffen und Munition gehören grundsätzlich nicht in
private Haushalte. Die bestehenden gesetzlichen Schutzvorschriften für die
Lagerung von Waffen und Munition gewährleisten keinen Schutz vor einem
Missbrauch durch die Schützen selbst und ihre Angehörigen.

5. Es kann nicht länger hingenommen werden, dass es noch immer keine
zuverlässigen Erkenntnisse über die Zahl der legal in deutschen Haushalten
gelagerten Schusswaffen gibt. Das Fehlen eines nationalen Waffenregisters
erweist sich als schwerwiegendes Sicherheitsrisiko. Dieses Register muss
nach Artikel 4 Abs. 4 der EU-Richtlinie 2008/51/EG erst bis zum 31. Dezem-
ber 2014 eingerichtet werden.

6. Die Reform des Waffenrechts bleibt wirkungslos, wenn es nicht zu durch-

greifenden Verbesserungen beim Verwaltungsvollzug kommt. Wir brauchen
einheitliche Verwaltungsvorschriften und Standards in den Ländern und aus-
reichendes und qualifiziertes Personal für die Kontrolle der gesetzlichen Vor-
schriften.

Drucksache 16/12477 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

unverzüglich einen Gesetzentwurf zur Reform des Waffenrechts vorzulegen,
damit noch in der laufenden Wahlperiode folgende Neuregelungen in Kraft
treten können:

1. Die waffenrechtlichen Vorschriften über den Erwerb und Besitz von Schuss-
waffen und Munition durch Sportschützen nach § 14 des Waffengesetzes
(WaffG) sind mit dem Ziel zu verschärfen, die Aufbewahrung von funktions-
fähigen Schusswaffen und Munition in Privatwohnungen grundsätzlich zu
untersagen. Darüber hinaus ist das Bedürfnis zum Erwerb und Besitz von
Sportwaffen nach den Absätzen 2 und 3 mit dem Nachweis der Lagerungs-
möglichkeit für Munition und Waffen auf dem Gelände zu verbinden, auf
dem die jeweilige Sportdisziplin ausgeübt wird.

2. Die pauschale Anerkennung eines Bedürfnisses für Erwerb und Besitz von
Schusswaffen nach § 13 Abs. 1 WaffG sowie der unbeschränkte Erwerb und
Besitz von Munition für Langwaffen von Jägern sind zu korrigieren.

3. Besonders gefährliche Handfeuerwaffen wie die Neun-Millimeter-Beretta,
mit der in Winnenden 15 Menschen getötet wurden, dürfen als Sportwaffen
nicht zugelassen werden.

4. Es soll unverzüglich mit der Einrichtung des EU-rechtlich (EU-Waffenricht-
linie 2008/51/EG) bis 2014 vorgeschriebenen elektronischen zentralen Waf-
fenregisters begonnen werden.

5. Gemeinsam mit den Ländern und Kommunen soll sich die Bundesregierung
darum bemühen, dass in der Verwaltungspraxis wenigsten die bestehenden
gesetzlichen Regelungen tatsächlich eingehalten und die vorhandenen Voll-
zugsdefizite beseitigt werden.

Berlin, den 25. März 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Vorbemerkung

Die Gefahr durch die Vielzahl der in Privatbesitz befindlichen Schusswaffen ist
nicht zu verantworten. Nach Schätzungen des „Forums Waffenrecht“ besitzen
hierzulande etwa vier Millionen Bürgerinnen und Bürger (knapp zwei Millionen
Sportschützen, 350 000 Jäger, einige Tausend Sammler, zahlreiche Erben) legal
sieben bis zehn Millionen erlaubnispflichtige Waffen. Da ein nationales Waffen-
register fehlt, können diese Angaben allerdings nur auf Schätzungen beruhen.
Hinzu kommen bis zu 20 Millionen illegale Waffen.

Zu Nummer 1

Die Reform des Gesetzes muss dazu beitragen für die Zukunft zu vermeiden,
dass Privatleute eine praktisch unbegrenzte Zahl von Waffen besitzen und zu
Hause legal lagern dürfen. An Stelle der Lagerung von Waffen und Munition in
Privatwohnungen sollen insbesondere die Sportschützen ihre Waffen, insbeson-
dere aber die Munition, außerhalb ihrer Wohnung in den Schützenhäusern sicher
verwahren.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12477

Da die Umbaumaßnahmen in den oftmals im Außenbereich von Städten und
Gemeinden gelegenen Schießanlagen einige Zeit und Anspruch nehmen dürf-
ten, bietet es sich an, zunächst mit der Auslagerung der Munition aus den Privat-
haushalten zu beginnen. An den entsprechenden Orten werden teilweise bereits
heute Waffen sicher gelagert. Zur Lagerung bieten sich sichere Bereiche der
Sporteinrichtungen und Schützenvereine an. Da die verschiedenen Vereine
unterschiedliche Disziplinen anbieten und auch die Sportschützen selbst viel-
fach mehreren Vereinen angehören, sollte die Munition nur dort gelagert werden
dürfen, wo sie auch für die Ausübung der Sportdisziplin benötigt wird.

Zu Nummer 2

Der unbeschränkte Besitz von Waffen und deren Lagerung in Privathäusern
wirft nicht nur bei den Sportschützen, sondern auch bei den Jägern Probleme
auf. Die pauschale Anerkennung eines Bedürfnisses für Erwerb und Besitz von
Schusswaffen nach § 13 Abs. 1 WaffG sowie der unbeschränkte Erwerb und Be-
sitz von Munition für Langwaffen von Jägern ist unter Sicherheitsgesichtspunk-
ten nicht vertretbar.

Zu Nummer 3

Eine Neun-Millimeter-Beretta, mit der in Winnenden 15 Menschen umgebracht
wurden, ist eine gefährliche Handfeuerwaffe. Sie darf nicht länger als Sportgerät
eingestuft werden. Der private Besitz derart potenziell gefährlicher Schusswaf-
fen muss für Privatleute verboten werden.

Zu Nummer 4

Die Einrichtung eines zentralen Waffenregisters wird von Praktikern schon seit
langem gefordert. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatte bereits in
ihrem Antrag vom 7. November 2007 (Bundestagsdrucksache 16/6961) eine
entsprechende Forderung erhoben. Die große Koalition sah sich aber unter dem
Druck der Waffenlobby nicht in der Lage, das Projekt voranzutreiben.

Mit einem solchen Register hätten beispielsweise Polizeibeamte bessere Mög-
lichkeiten der Eigensicherung. Sie könnten sich vor einem Einsatz genauer da-
rüber informieren, ob eine Zielperson Waffen besitzt oder nicht. Die Einrichtung
soll unverzüglich erfolgen und sich nicht bis 2014 hinziehen. Die positiven
Erfahrungen der Freien und Hansestadt Hamburg sind als Vorbild für die prak-
tische Umsetzung sehr geeignet.

Zu Nummer 5

Die verschärften gesetzlichen Vorschriften über die sichere Lagerung von Waf-
fen und Munition müssen vor Ort besser kontrolliert und durchgesetzt werden.
Nötig ist ein Sofortprogramm zur Verbesserung der Arbeit der Kontrollbehör-
den. Die Verwaltung arbeitet vielfach noch personell völlig unterbesetzt mit
Karteikarten. Es ist angebracht, sich bei der Reform an der Praxis in Hamburg
zu orientieren. Die bestehenden gesetzlichen Vorschriften des § 36 WaffG
stellen durchaus strenge Anforderungen an die Waffenbesitzer. So schreibt § 36
Abs. 3 Satz 1 vor, dass der Besitzer die Einhaltung der Aufbewahrungs-
vorschriften auf Verlangen nachzuweisen hat. Absatz 5 wiederum schafft für die
Aufsichtsbehörden Gestaltungsspielräume. In der Praxis hapert es gerade an der
Umsetzung der bestehenden gesetzlichen Vorschriften.

Die überwiegenden Zuständigkeiten liegen bei den Bundesländern, die wie-
derum die Verwaltungszuständigkeiten für die Erteilung von Waffenscheinen
und Waffenbesitzkarten sowie die Kontrolle der gesetzlichen Vorschriften an die
örtliche Verwaltungsebene weitergegeben haben. Die Praxis vor Ort ist indes

vielfach antiquiert und ineffektiv.

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