BT-Drucksache 16/12434

Verlängerung der Frist für die gesetzliche Altfallregelung

Vom 25. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12434
16. Wahlperiode 25. 03. 2009

Antrag
der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Birgitt Bender,
Kai Gehring, Markus Kurth, Monika Lazar, Jerzy Montag, Claudia Roth (Augsburg),
Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar von Neuforn, Hans-Christian Ströbele,
Dr. Harald Terpe, Wolfgang Wieland und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verlängerung der Frist für die gesetzliche Altfallregelung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Ein wichtiges aufenthaltsrechtliches Vorhaben der großen Koalition – die sog.
Altfallregelung – droht zu scheitern: Nicht nur, dass bislang gerade einmal
24 Prozent aller in Frage kommenden Duldungsfälle eine Aufenthaltserlaubnis
nach den §§ 104a, 104b des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) erhalten haben –
durch die gesetzliche Stichtagsregelung in §104a Abs. 5 AufenthG, die durch
das Bundesverwaltungsgerichtsurteil (1 C 32.07) vom 26. August 2008 ver-
schärften Anforderungen an die Lebensunterhaltssicherung und die sich drama-
tisch verschärfenden Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt besteht die akute
Gefahr, dass ein Großteil der 23 334 Personen, die bisher eine „Aufenthaltser-
laubnis auf Probe“ erhalten haben, diese nicht werden verlängern können und
infolgedessen wieder in die Duldung zurückfallen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die Gültigkeit der Aufenthaltser-
laubnis auf Probe über die in § 104a Abs. 5 AufenthG genannte Frist
(„31. Dezember 2009“) hinaus angemessen verlängert wird, sowie

2. den Entwurf für die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz zu den
§§ 104a, 104b AufenthG im Bereich der Anforderungen an die Lebens-
unterhaltssicherung so zu ändern, dass der Übergang von der Aufenthaltser-
laubnis auf Probe in die Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG vor
dem Hintergrund der oben beschriebenen aktuellen Entwicklungen deutlich
erleichtert wird.

Berlin, den 25. März 2009
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Drucksache 16/12434 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

Im Rahmen des sog. Richtlinienumsetzungsgesetzes wurde im Sommer 2007
mit den §§ 104a, 104b AufenthG eine Bleiberechtsregelung für langjährig ge-
duldete hier lebende Menschen geschaffen. Die Fraktionen der CDU/CSU und
SPD hatten diese Regelung als „Richtungswechsel“ gefeiert: Integrationswillige
Ausländerinnen und Ausländer, die lange Jahre bei uns mit einer Duldung in
Angst vor Abschiebung und Ausweisung gelebt hätten, würden nun eine realis-
tische Chance erhalten, eine eigenständige wirtschaftliche Existenz in ihrer
neuen Heimat aufzubauen.

Bereits frühzeitig geäußerte Befürchtungen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN (vgl. Bundestagsdrucksache 16/3340 und 16/5103) scheinen sich nun
zu bestätigen: Die gesetzliche Altfallregelung – eines der innenpolitischen Kern-
vorhaben der großen Koalition – droht zu scheitern: Nicht nur, dass bislang
lediglich nur rund ein Viertel aller in Frage kommenden Duldungsfälle ein vor-
läufiges Bleiberecht erhalten haben – es besteht die akute Gefahr, dass ein Groß-
teil derjenigen, die eine „Aufenthaltserlaubnis auf Probe“ erhalten haben, diese
Ende 2009 nicht werden verlängern können und infolgedessen wieder in die
Duldung zurückfallen werden.

Zu Abschnitt II Nummer 1

1. In §104a Abs. 5 AufenthG heißt es: „Die Aufenthaltserlaubnis wird mit einer
Gültigkeit bis zum 31. Dezember 2009 erteilt. Sie soll (…) verlängert wer-
den, wenn der Lebensunterhalt des Ausländers bis zum 31. Dezember 2009
überwiegend eigenständig durch Erwerbstätigkeit gesichert war oder wenn
der Ausländer mindestens seit dem 1. April 2009 seinen Lebensunterhalt
nicht nur vorübergehend eigenständig sichert.“

2. In Deutschland leben derzeit insgesamt 133 121 Personen mit einer Duldung
oder einer Aufenthaltsgestattung – davon 97 488 Personen (73 Prozent) seit
zehn Jahren. Eine Aufenthaltserlaubnis nach der sog. Altfallregelung (§§ 104a,
104b AufenthG) haben bislang 31 102 Personen erhalten (Stand: 30. Septem-
ber 2008) – das sind gerade einmal 24 Prozent aller für eine Bleiberechts-
regelung in Frage kommenden Duldungsfälle. Hinzu kommt, dass in nicht
weniger als 23 334 Fällen (75 Prozent) diese Aufenthaltserlaubnis gemäß
§ 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nur „auf Probe“ erteilt worden ist (weil der
Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit noch nicht gesichert war; Quelle:
Bundestagsdrucksache 16/10986).

3. Es zeichnet sich ab, dass es aus Gründen – die nicht in der Person der/des
Bleiberechtskandidatin/-kandidaten liegen – für viele potentiell Begünstigte
der Altfallregelung unmöglich sein wird innerhalb der gesetzlichen Frist
(31. Dezember 2009) die Vorgaben des § 104a Abs. 5 AufenthG zu erfüllen:

● Zum einen bestand jahrelang ein Arbeitsverbot für geduldete Menschen,
so dass es sich größtenteils um Arbeitskräfte handelt, die sich nicht ohne
weiteres dauerhaft auf dem Arbeitsmarkt integrieren werden.

● Zum anderen sind die Jobs am unteren Ende der Lohnskala oft nicht
lebensunterhaltssichernd (s. u.).

● Spät – nämlich erst Ende Juni 2008 – hat die große Koalition ihr „Bundes-
programm zur arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberechtigte
und Flüchtlinge mit Zugang zum Arbeitsmarkt“ aufgelegt. Auch hierüber
werden Begünstigte der Altfallregelung die geforderte Lebensunterhalts-
sicherung nicht bis Ende 2009 nachweisen können (vgl. Bundestagsdruck-
sache 16/11361).
● Und schließlich: Bislang sind – soweit erkennbar – in Deutschland ar-
beitende Zuwanderinnen und Zuwanderer im Zuge der gegenwärtigen

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12434

Finanz- und Wirtschaftskrise (noch) nicht stärker von Entlassungen be-
troffen als ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen. Im Hinblick aber auf
die allgemeine Lage am Arbeitsmarkt (wozu auch die in diesem Zusam-
menhang relevante Fragestellung der Neueinstellung von Arbeitskräften
zählt) zeigt die Erfahrung, dass ausländische Arbeitskräfte in Zeiten wirt-
schaftlicher Umbrüche oder Krisen zu den großen Verlierern gehören.
Dies gilt für Arbeitlose wie auch für Ausländerinnen und Ausländer, die
erst seit kurzer Zeit wieder einen Arbeitsplatz gefunden haben.

Zu Abschnitt II Nummer 2

1. §104a Abs. 5 AufenthG schreibt vor, dass eine Aufenthaltserlaubnis nach
§104a AufenthG nach dem 31. Dezember 2009 nur dann verlängert werden
kann, „wenn der Lebensunterhalt des Ausländers bis zum 31. Dezember 2009
überwiegend eigenständig durch Erwerbstätigkeit gesichert war oder wenn
der Ausländer mindestens seit dem 1. April 2009 seinen Lebensunterhalt
nicht nur vorübergehend eigenständig sichert“.

2. Bislang orientierte sich die diesbezügliche Verwaltungspraxis an den Vor-
läufigen Anwendungshinweisen des Bundesministeriums des Innern zu § 2
Abs. 3 AufenthG. Darin heißt es: „Der Bedarf für den Lebensunterhalt ist nach
den besonderen Umständen des Einzelfalles unter dem Gesichtspunkt eines
menschenwürdigen Daseins und der persönlichen Lebenssituation (…) zu er-
mitteln (…) Als Anhaltspunkt für die Bedarfsermittlung kann der Regelsatz
der Sozialhilfe zuzüglich eines Aufschlages für Sonderbedarfe herangezogen
werden“.

3. Am 26. August 2008 hat nun das Bundesverwaltungsgericht in einem
Grundsatzurteil in einem Fall des Familiennachzugs (1 C 32.07) die Voraus-
setzungen für die Sicherung des Lebensunterhalts deutlich verschärft: Der
Lebensunterhalt ist demzufolge nur dann gesichert, wenn das gemäß
Zweitem Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) anrechenbare (und nicht das
Netto-)Einkommen so hoch ist, dass kein ergänzender SGB-II-Anspruch
mehr besteht. Regelungen zu sog. Absetz- und Freibeträgen (vgl. § 11 Abs. 2
und § 30 SGB II) sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG)
auch im Aufenthaltsrecht anwendbar. Ob diese Leistung tatsächlich in An-
spruch genommen wird oder ob man aus Gründen der – vermeintlichen –
Aufenthaltssicherung darauf verzichtet, ist nach dem Urteil gänzlich uner-
heblich. Infolge dieses Grundsatzurteils ist nunmehr ein deutlich höheres (Er-
werbs-)Einkommen erforderlich, um den Lebensunterhalt zu decken.

4. „Aus Sicht der Bundesregierung ergibt sich aus dem [o. g.] Urteil des
BVerwG kein unmittelbarer gesetzgeberischer Handlungsbedarf“ (Bundes-
tagsdrucksache 16/10986). Es bestehen aber unstreitig untergesetzliche
Handlungsmöglichkeiten des Bundes – namentlich auf der Ebene der Verwal-
tungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz.

5. In dem Entwurf dieser Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz
wäre – vor dem Hintergrund des o. g. BVerwG-Urteils – eine Klarstellung er-
forderlich, die Anforderungen an die Lebensunterhaltssicherung in Fällen der
§§ 104a, 104b AufenthG so zu handhaben, dass Härtefälle vermieden wer-
den.

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