BT-Drucksache 16/1201

Wohnungslosigkeit vermeiden - Wiedereinführung von Beihilfen und Übernahme von Mietschulden auch für Erwerbstätige mit niedrigem Einkommen und Arbeitslosengeld-I-Bezieher

Vom 6. April 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1201
16. Wahlperiode 06. 04. 2006

Antrag
der Abgeordneten Klaus Ernst, Katja Kipping, Heidrun Bluhm, Dr. Lothar Bisky,
Dr. Martina Bunge, Karin Binder, Diana Golze, Frank Spieth, Dr. Ilja Seifert,
Inge Höger-Neuling, Elke Reinke, Jörn Wunderlich, Kornelia Möller, Dr. Gregor
Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Wohnungslosigkeit vermeiden – Wiedereinführung von Beihilfen und
Übernahme von Mietschulden auch für Erwerbstätige mit niedrigem Einkommen
und Arbeitslosengeld-I-Bezieher

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Rahmen des Ersten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialge-
setzbuch (SGB II) wurde unter anderem die Übernahme von Mietschulden neu
geregelt. Wie verschiedene Sachverständige (Marlis Bredehorst von der Stadt
Köln, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitia-
tiven, die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V., das Diakoni-
sche Werk EKD sowie der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge
e.V.) in der Anhörung am 13. Februar 2006 gewarnt haben, wurden dadurch Er-
werbstätige mit niedrigem Einkommen sowie Bezieher von Arbeitslosengeld I,
die wegen Mietschulden von Wohnungslosigkeit bedroht sind, von der Über-
nahme von Mietschulden ausgeschlossen. Sie können nun weder nach SGB II
noch nach SGB XII Ansprüche geltend machen und fallen bei drohender Woh-
nungslosigkeit durch das soziale Netz.

Außerdem ist eine Übernahme von Mietschulden nur noch in der Form von Dar-
lehen vorgesehen. Diese Form der Erbringung ist bürokratisch aufwendig, teuer
und steht der Stabilisierung verschuldeter Haushalte entgegen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

1. Reglungen zu schaffen, die es auch Erwerbstätigen mit niedrigem Einkom-
men und Arbeitslosengeld-I-Beziehern ermöglichen, bei drohender Woh-
nungslosigkeit Hilfen bei der Übernahme von Mietschulden zu erhalten;

2. im Rahmen der zu schaffenden Regelungen sicherzustellen, dass Mietschul-
denübernahme für Leistungsbezieher und Menschen mit niedrigem Einkom-
men auch künftig in der Regel in der Form von Beihilfen gewährt wird;

3. sicherzustellen, dass im Fall der Gewährung von Mietschuldenübernahme als
Darlehen dieses bis zur Beendigung des Leistungsbezugs gestundet wird;

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4. regelmäßige bundesweite statistische Erhebungen über Umfang und Struktur
der Bedrohtheit von Wohnungslosigkeit durchzuführen und zu veröffentli-
chen, die u. a. nach Geschlecht und Alter differenziert sind.

Berlin, den 5. April 2006

Klaus Ernst
Katja Kipping
Heidrun Bluhm
Dr. Lothar Bisky
Dr. Martina Bunge
Karin Binder
Diana Golze
Frank Spieth
Dr. Ilja Seifert
Inge Höger-Neuling
Elke Reinke
Jörn Wunderlich
Kornelia Möller
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Zu Nummer 1

Durch das Erste Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
(SGB II) wurde die erst 1996 in das Bundessozialhilfegesetz eingeführte umfas-
sende Regelung zur Mietschuldenübernahme gegen den ausdrücklichen Rat der
Fach- und Spitzenverbände wesentlich begrenzt. Demnach haben Personen, die
nicht im Leistungsbezug des SGB II oder des SGB XII stehen und die bisher auf
Basis des BSHG bzw. des SGB XII Mietschuldenübernahme beantragen konn-
ten, keine Möglichkeit mehr, im Fall drohender Wohnungslosigkeit Hilfe bei
Mietschulden zu erhalten. Dieser Ausschluss von der Mietschuldenübernahme
wird zu vermehrter Obdachlosigkeit in dieser Personengruppe führen.

Nach einer Untersuchung der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und
Sozialplanung e. V. (GISS) im Rahmen des vom Bundesministerium für Bil-
dung und Forschung geförderten Forschungsverbundes „Hilfe in Wohnungsnot-
fällen“ aus dem Jahr 2005 macht die Gruppe der Niedrigeinkommens- und Ar-
beitslosengeld-I-Bezieher 40 Prozent der von Wohnungsverlust bedrohten Men-
schen aus. Vor dem Hintergrund der schlechten Entwicklung der Löhne und
Gehälter der unteren Einkommensgruppen, der Verschuldungssituation der pri-
vaten Haushalte sowie der politisch forcierten Ausdehnung des Niedriglohnsek-
tors ist außerdem davon auszugehen, dass diese Gruppe weiter wachsen wird.

Eine (Wieder-)Einbeziehung dieser Gruppe in die Möglichkeit der Mietschul-
denübernahme ist daher dringend geboten, um Wohnungslosigkeit zu verhin-
dern. Auch aus fiskalpolitischen Überlegungen ist eine umfassende Regelung
der Mietschuldenübernahme sinnvoll, werden doch die Kosten für eine Unter-
bringung in Notunterkünften von Vertretern der Kommunen 7,5-mal höher ge-
schätzt als für die Übernahme von Mietschulden.

Zu den Nummern 2 und 3

Die Regelung, dass eine Mietschuldenübernahme von Leistungsbeziehern nach
SGB II künftig in der Form von Darlehen erfolgen soll, muss ebenfalls revidiert

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1201

werden. Nach Erfahrungen der Sozialbehörden übersteigen Verwaltungskosten
und -aufwand der Darlehensgewährung die der Beihilfegewährung bei weitem.
Außerdem wird die Darlehensgewährung der Situation der betroffenen Haus-
halte nicht gerecht. Sie sind in der Regel überschuldet. Eine Rückzahlung aus
dem ohnehin zu knapp bemessenen Regelsatz ist kaum möglich. Die Verlage-
rung der Rückzahlung in die Phase nach dem Leistungsbezug steht einer dauer-
haften Stabilisierung der Haushalte entgegen. Es ist daher gesetzlich sicherzu-
stellen, dass die Mietschuldenübernahme auch im Regelfall als Beihilfe gewährt
werden kann. Für den Fall, dass die Übernahme in der Form von Darlehen er-
folgt, ist abzusichern, dass das Darlehen bis zur Beendigung des Leistungs-
bezugs gestundet wird.

Zu Nummer 4

Da von amtlicher Seite keine Daten über die Bedrohtheit von Wohnungslosig-
keit und die Zahl der Räumungsklagen erhoben werden, lässt sich die Zahl der
vom Ausschluss aus der Möglichkeit der Mietschuldenübernahme betroffenen
Personen nur schätzen. Nach Aussagen der Bundesarbeitsgemeinschaft Woh-
nungslosenhilfe e.V. dürfte sie aber erheblich sein. Der Umstand, dass zu einem
solch gravierenden sozialen Problem wie der Bedrohtheit durch Wohnungslo-
sigkeit keine bundesweiten Daten verfügbar sind, zwingt den Gesetzgeber, auch
in diesem Bereich zu handeln und dafür Sorge zu tragen, dass regelmäßig bun-
desweite statistische Erhebungen über Umfang und Struktur der Bedrohtheit
von Wohnungslosigkeit durchgeführt und veröffentlicht werden. Da es sich hier-
bei um personenbezogene Daten handelt, müssen diese gemäß Kapitel H.3 der
Aktionsplattform der vierten Internationalen Frauenkonferenz 1995 nach Ge-
schlecht und Alter aufgeschlüsselt erfasst, zusammengestellt, analysiert und prä-
sentiert werden.

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