BT-Drucksache 16/1125

Menschenhandel bekämpfen - Opferrechte weiter ausbauen

Vom 4. April 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1125
16. Wahlperiode 04. 04. 2006

Antrag
der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Josef Philip Winkler, Monika Lazar,
Dr. Uschi Eid, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Jerzy Montag, Winfried Nachtwei, Claudia
Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Silke Stokar von Neuforn, Hans-Christian
Ströbele, Jürgen Trittin, Wolfgang Wieland und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Menschenhandel bekämpfen – Opferrechte weiter ausbauen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Menschenhandel ist in erster Linie Frauenhandel. Laut einer Schätzung der Inter-
national Labour Organisation (ILO) sind ca. 70 Prozent aller Opfer von Men-
schenhandel Opfer sexueller Ausbeutung. In den meisten Fällen handelt es sich
um den „Verkauf“ von Frauen in die Zwangsprostitution. Mehr und mehr werden
sie aber auch in andere Ausbeutungsverhältnisse „vermittelt“. Unabhängig
davon, zu welchem Zweck Menschen verkauft und ausgebeutet werden:
Menschenhandel ist ein schwerwiegender Verstoß gegen die Menschenrechte.

Für die Händler ist es ein lukratives Geschäft, die Gewinne sind hoch, die Risi-
ken gering. Konkrete Zahlen liegen kaum vor. Laut Lagebericht des Bundes-
kriminalamtes wurden im Jahr 2004 972 Opfer von Menschenhandel in
Deutschland registriert. Allerdings werden viele Opfer in der Statistik nicht als
Menschenhandelsopfer sondern unter anderen Deliktgruppen (z. B. Körperver-
letzung oder Schleusung) erfasst. Zudem muss von einer hohen Dunkelziffer
ausgegangen werden, da zur Aufdeckung von Menschenhandel erhebliche
Ermittlungen erforderlich sind.

Entscheidend für einen erfolgreichen Kampf gegen den Menschenhandel ist die
Stärkung der Position der Opfer. Dafür müssen wir die Opferrechte dringend
weiter ausbauen. Es kann nicht weiter angehen, dass Aufenthaltsrechte ebenso
wie Möglichkeiten der Ausbildung oder Arbeitsaufnahme von jedem Bundes-
land nach eigenem Ermessen vergeben werden. Es ist unsere humanitäre
Pflicht, die Frauen, die eine derartige Menschenrechtsverletzung erlitten haben,
zu stärken und zu unterstützen. Opferrechte sind aber auch für die Strafverfol-
gung relevant. Das Risiko der Menschenhändler steigt mit der Aussagebereit-
schaft der Frauen. Jeder Anreiz für die Frauen, sich diesem oftmals riskanten
und anstrengenden Prozess auszusetzen, ist auch ein Beitrag zur Verfolgung der

Täter.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. im Bereich des Aufenthaltsrechts

a) Opfern von Menschenhandel regelmäßig eine Bedenkzeit von bis zu
sechs Monaten einzuräumen, in der sie entscheiden können, ob sie mit
den Ermittlungsbehörden zusammenarbeiten wollen;

b) traumatisierten Opfern von Menschenhandel einen Anspruch auf medizi-
nische Behandlung zu gewähren;

c) Opfern von Menschenhandel von einer Verteilung gemäß § 15a des Auf-
enthaltsgesetzes auszunehmen;

d) nach Ablauf der Bedenkfrist Opfern von Menschenhandel eine befristete
Aufenthaltserlaubnis von mindestens sechs Monaten zu erteilen, wenn sie
entweder zur Zusammenarbeit mit den Behörden bei den Ermittlungen
bereit sind oder der Verbleib des Opfers aufgrund seiner persönlichen
Situation erforderlich ist;

e) Opfern von Menschenhandel einen gleichrangigen Zugang zum Arbeits-
markt, zu Bildung und Ausbildung, zu Maßnahmen der beruflichen Qua-
lifizierung sowie zu Sprach- und Orientierungskursen zu gewähren;

f) in Härtefällen Opfern von Menschenhandel auch über das Strafverfahren
hinaus ein Aufenthaltsrecht zu erteilen;

g) vor der Rückführung gehandelter Menschen in ihr Herkunftsland obliga-
torisch den Rat einer Beratungsstelle einzuholen. Gegen Bedenken der
Beratungsstelle gegen eine Rückführung darf nur in nachprüfbar begrün-
deten Ausnahmefällen gehandelt werden;

h) minderjährige Opfer von Menschenhandel bei der Umsetzung der Opfer-
schutzrichtlinie besonders zu berücksichtigen;

2. in weiteren Rechtsbereichen

a) einen Gesetzentwurf vorzulegen, um in § 53 der Strafprozessordnung ein
Zeugnisverweigerungsrecht für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von
anerkannten Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel aufzu-
nehmen;

b) im Rahmen der Gesamtreform der Telekommunikationsüberwachung zu
Zwecken der Strafverfolgung zügig einen Gesetzentwurf vorzulegen, der
die Lücken bei der Zulässigkeit der Anordnung von Telefonüberwachung
in Fällen des Menschenhandels schließt;

c) ein Konzept zu der Frage vorzulegen, wie abgeschöpfte und an den Staat
fallende Gewinne aus dem Menschenhandel zur Unterstützung und Bera-
tung der Opfer ausgegeben werden;

3. auf Bundes- und Landesebene

a) sicherzustellen, dass die Länder die Finanzierung der spezialisierten Be-
ratungsstellen auskömmlich gewährleisten;

b) Justiz und Verwaltung weiter für die Situation der Betroffenen des Men-
schenhandels zu schulen und zu sensibilisieren;

c) zu prüfen, ob das Kooperationskonzept für die Zusammenarbeit zwischen
Polizei und Beratungsstelle flächendeckend umgesetzt ist und sich gege-
benenfalls für entsprechende Schritte einzusetzen;

4. auf internationaler Ebene

a) eine europaweite Notrufnummer als Anlaufstelle für Opfer von Frauen-

handel einzurichten;

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b) auf internationaler Ebene die Zusammenarbeit weiter zu verstärken. Die
bereits bestehenden Möglichkeiten von Europol und Eurojust müssen
konsequenter von allen Ländern genutzt werden. Hierzu gehören eine
Verbesserung des Informationsflusses und eine verstärkte Einbeziehung
von Europol in nationale Ermittlungen;

c) die bi- und multilaterale polizeiliche Zusammenarbeit beim Frauenhandel
weiter zu intensivieren. Besonders wichtig ist es hierbei, bereits in den
Herkunftsländern den Menschenhandel zu bekämpfen;

d) an den EU-Außengrenzen verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, um
potenzielle Opfer von Menschenhandel, insbesondere unbegleitete Min-
derjährige, besser zu erkennen;

e) dafür Sorge zu tragen, dass die deutschen Botschaften bei der Visaver-
gabe auch Hinweise auf die Gefahren sexueller Ausbeutung bereithalten;

f) mit Armutsbekämpfung und Aufklärungskampagnen in den Herkunfts-
ländern einem präventiven Ansatz zu folgen;

g) die Unterstützungsmöglichkeiten für freiwillig zurückkehrende Opfer
von Frauenhandel über die bisherigen finanziellen Starthilfen hinaus aus-
zuweiten.

Berlin, den 4. April 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

1. Allgemein

Um Menschenhandel zu bekämpfen, genügt es nicht, sich allein auf die Straf-
verfolgung zu konzentrieren. Es bedarf eines umfassenden Konzepts, das
Prävention, Verfolgung und Opferschutz gleichermaßen berücksichtigt. In den
letzten Jahren hat die damalige Bundesregierung eine ganze Reihe von Maß-
nahmen ergriffen und angestoßen, mit denen sie die Situation der Opfer ver-
bessert und die Verfolgung der Täter erleichtert hat:

Im Dezember 2004 hat der Deutsche Bundestag eine umfassende Reform der
Straftatbestände gegen Menschenhandel beschlossen, mit der internationale
und EU-Vorgaben in deutsches Recht umgesetzt wurden. Unter anderem wurde
die Verfolgung der Schleuser und ihrer Hintermänner erleichtert, die Rechte der
Opfer wurden gestärkt.

Das Opferrechtsreformgesetz, seit dem 1. September 2004 in Kraft, bringt Ver-
besserungen in Strafverfahren. Insbesondere sind künftig auch die Opfer in
weiterem Umfang als bisher zur Nebenklage berechtigt und dadurch mit beson-
deren Mitwirkungsrechten ausgestattet.

Einige wichtige Verbesserungen der damaligen Bundesregierung für die Opfer
von Menschenhandel werden bis heute durch Verwaltungsvorschriften aus dem
Bundesministerium des Innern konterkariert: Zum einen wurde im Zuwande-
rungsgesetzes die Möglichkeit geschaffen, dass Opfer von Menschenhandel für
die Dauer der Teilnahme an einem Strafverfahren eine befristete Aufenthalts-
erlaubnis erhalten können. Aber vorläufige Anwendungshinweise zum Gesetz
verhindern diese Möglichkeit de facto. Dagegen hat die Fraktion BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN bereits am 24. Januar 2006 den Entwurf eines Gesetzes zur Ver-

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besserung der sozialen Situation von Ausländerinnen und Ausländern, die ohne
Aufenthaltsstatus in Deutschland leben (Bundestagsdrucksache 16/445) einge-
bracht.

Bis zum Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes sorgten Anwendungshinweise
zum Aufenthaltsgesetz dafür, dass die Bundesländer den Opferzeuginnen eine
Arbeitserlaubnis und zumindest einen vierwöchigen Abschiebeschutz gewähren
mussten. Diese Verwaltungsvorschriften wurden vom Bundesministerium des
Innern bei der Abfassung der vorläufigen Anwendungshinweise zum Zuwande-
rungsgesetz nicht übernommen. Auch entsprechende EU-Vorgaben – sowohl
durch die EU-Opferschutzrichtlinie vom 29. April 2004 (2004/81/EG) als auch
durch die von Deutschland unterzeichnete Europaratskonvention zur Bekämp-
fung des Menschenhandels vom Mai 2005 – wurden bisher nicht umgesetzt.
Daher agieren die Bundesländer derzeit höchst unterschiedlich. In einigen
Ländern werden die Frauen in ihrer Rolle als Zeuginnen im Strafverfahren
gegen die Täter sehr unterstützt, in anderen wird ihnen nicht einmal die Bedenk-
frist gewährt. Diese Situation ist nicht haltbar, sichere und flächendeckende
Opferrechte sind erforderlich.

Auch unterhalb der gesetzlichen Ebene hat die damalige Bundesregierung zahl-
reiche Maßnahmen ergriffen, um die Opfer in ihrer schwierigen Situation zu
stärken und Anreize geschaffen, damit sie gegen die Menschenhändler aus-
sagen. Dazu gehören Schulungen von Akteurinnen und Akteuren, die mit den
Opfern Kontakt haben, z. B. von Behörden oder der Polizei. Auch wurden
Informationsmaterialien für Frauen in den Herkunftsländern herausgegeben,
die durch Nichtregierungsorganisationen und die deutschen Botschaften verteilt
werden. Für die Zusammenarbeit zwischen Polizei und Beratungsstellen wurde
ein Kooperationskonzept erstellt, das viele Bundesländer inzwischen übernom-
men haben. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
(BMFSFJ) richtete 1999 das Koordinierungsbüro des Bundesweiten Koordi-
nierungskreises gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationspro-
zess e. V. (KOK) ein.

2. Zu den Maßnahmen im Bereich des Aufenthaltsrechts

Die Entscheidung darüber, ob sie als Zeuginnen in einem Strafverfahren gegen
die Täter auszusagen bereit sind, wiegt für das persönliche Schicksal der Opfer
schwer. Oftmals sind sie traumatisiert und brauchen Zeit, um von dem Erlebten
Abstand zu gewinnen. Für ihre Entscheidung muss ihnen daher eine ange-
messene Erholungs- und Bedenkzeit zugestanden werden. Auch die von der
Bundesregierung umzusetzende EU-Opferschutzrichtlinie vom 29. April 2004
(2004/81/EG) fordert dies in Artikel 6: „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass
den betroffenen Drittstaatsangehörigen Bedenkzeit zugestanden wird, in der sie
sich erholen und dem Einfluss der Täter entziehen können, so dass sie eine
fundierte Entscheidung darüber treffen können, ob sie mit den zuständigen
Behörden zusammenarbeiten.“ In dieser Bedenkzeit sollen die Opfer gemäß
Artikel 7 der EU-Opferschutzrichtlinie Mittel zur Sicherstellung ihres Lebens-
unterhalts ebenso erhalten wie den Zugang zu medizinischer Notversorgung
einschließlich angemessener psychologischer Hilfe. Die Dauer dieser Bedenk-
zeit können die Mitgliedstaaten selber festlegen. Wir halten es für sinnvoll, hier
dem Vorschlag des KOK zu folgen, der eine Bedenkzeit von bis zu sechs
Monaten empfiehlt.

Nach § 15a des Aufenthaltsgesetzes werden unerlaubt eingereiste Auslände-
rinnen und Ausländer auf die Länder verteilt. Betroffene von Menschenhandel
sind oftmals illegal in die Bundesrepublik Deutschland gekommen. Der Stel-
lungnahme des KOK zum Referentenentwurf des Bundesministeriums des
Innern zur Umsetzung der EU-Opferschutzrichtlinie zufolge ist die Verteilung

für die Opfer von Menschenhandel sehr nachteilig. Die Frauen brauchen einen
geschützten Raum, der in Gemeinschaftsunterkünften naturgemäß nicht gege-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/1125

ben ist. Ebenso ist eine qualifizierte psychosoziale Betreuung dort nicht mög-
lich. Da pro Bundesland meist nur eine zentrale Einrichtung besteht, sind die
Frauen in hohem Maße gefährdet, da die Täter sie dort leicht ausfindig machen
können. Die bestehende Praxis widerspricht auch der EU-Opferschutzricht-
linie, nach der diesen Menschen „in Anbetracht ihrer Schutzbedürftigkeit“
ermöglicht werden soll „sich zu erholen und dem Einfluss der Täter zu ent-
ziehen.“ Ebenso ist „den Sicherheits- und Schutzbedürfnissen der Opfer des
Menschenhandels gebührend Rechnung zu tragen“.

Artikel 8 Abs. 2 der EU-Opferschutzrichtlinie schreibt dem nationalen Gesetz-
geber vor, den Opfern von Menschenhandel ein Aufenthaltsrecht zu erteilen,
wenn das Opfer „seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit eindeutig bekundet
hat“. Diese Aufenthaltserlaubnis ist auf eine Frist von mindestens sechs Mona-
ten festzusetzen und zu verlängern, sofern die Voraussetzungen für die erstma-
lige Erteilung weiterhin vorliegen. Nach Abschluss eines Strafverfahrens ist die
Aufenthaltserlaubnis zumindest für den Zeitraum zu verlängern, der für die Pla-
nung und Durchführung einer sicheren Rückkehr in das Herkunftsland erfor-
derlich ist. Artikel 14 der von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten
Europaratskonvention zur Bekämpfung des Menschenhandels sieht den Auf-
enthaltstitel außerdem vor, „wenn die zuständige Behörde der Auffassung ist,
dass der Verbleib des Opfers aufgrund seiner persönlichen Situation erforder-
lich ist.“ Dies kann sich aus gesundheitlichen Gründen wie aus der Gefähr-
dungssituation im Herkunftsland ergeben.

Die Opfer erweisen dem Staat mit ihrer Aussage einen wertvollen Dienst. Da
sich die Prozesse oft über mehrere Jahre hinziehen, muss es den Frauen mög-
lich sein, in dieser Zeit eine neue Perspektive zu entwickeln. Artikel 12 der EU-
Opferschutzrichtlinie sieht für die Opfer von Menschenhandel einen Anspruch
auf Zugang zu Maßnahmen für die Rückkehr in ein normales soziales Leben
vor, einschließlich Lehrgängen zur Verbesserung der beruflichen Fähigkeiten.
Auch sollte den Opfern Zugang zu den Sprach- und Orientierungskursen des
Aufenthaltsgesetzes gewährt werden. Weiterhin ist der Zugang zum öffent-
lichen Bildungssystem zu gewährleisten, dies gilt in besonderem Maße für
minderjährige Opfer.

3. Zu den Maßnahmen in weiteren Rechtsbereichen

Bei der Information und Betreuung der Menschenhandelsopfer kommt den
Fachberatungsstellen eine zentrale Rolle zu. Die Opfer scheuen oft den Kontakt
zur Polizei. Den nichtstaatlichen Fachberatungsstellen bringen sie eher Ver-
trauen entgegen. In der Praxis stellt sich jedoch das Problem, dass die Mitarbei-
terinnen, die in der Regel staatlich anerkannte Sozialarbeiterinnen sind und der
Schweigepflicht unterliegen, kein der Schweigepflicht korrespondierendes
Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 der Strafprozessordnung haben. Dies ist
für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses sehr hinderlich. Denn die Opfer
geben nicht nur Einzelheiten aus ihrer Intimsphäre (Tätigkeit als Prostituierte,
Vergewaltigungen) preis, sondern müssen eventuell auch eigenes strafbares
Verhalten (illegale Einreise, illegale Arbeit) offenbaren. Ein Zeugnisverweige-
rungsrecht für die Mitarbeiterinnen würde die vertrauensvolle Zusammenarbeit
und damit auch die Entscheidung für eine Aussage im Prozess erleichtern.

Menschenhandel findet meist in Strukturen organisierter Kriminalität statt, die
mit offenen Ermittlungsmethoden schwer zu durchbrechen sind. Die Überwa-
chung und Aufzeichnung von Telefongesprächen spielt in der Praxis bei Men-
schenhandelsverfahren eine große Rolle. Bisher darf die Telekommunikations-
überwachung jedoch nur bei schwerem Menschenhandel angeordnet werden,
nicht aber bei einfachem Menschenhandel. Diese Lücke muss geschlossen wer-
den.

Drucksache 16/1125 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die kriminellen Gewinne aus dem Menschenhandel dürfen nicht bei den Tätern
verbleiben. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begrüßt daher Ansätze,
das System der Vermögensabschöpfung bei Straftaten zu verbessern. Der erste
Schritt ist der Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Stärkung der
Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten (Bundes-
tagsdrucksache 16/700), der noch unter der damaligen Bundesregierung aus-
gearbeitet wurde. Hierbei dürfen wir aber nicht stehen bleiben. Wo die krimi-
nellen Gewinne nicht den Opfern ausgezahlt werden können und dem Staat
zufallen, muss dieser sie zumindest teilweise wieder den Opfern zugute kom-
men lassen, indem er sie für Betreuung und Unterstützung der Menschen-
handelsopfer einsetzt. Hierbei ist eine mit den Ländern abgestimmte Lösung zu
finden.

4. Zu den Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene

Ohne die Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel wäre die Identifizie-
rung der Opfer, ihre Beratung, ihre psychosoziale Versorgung und Unterstützung
nicht zu gewährleisten. Die Praxis vieler Bundesländer, die finanzielle Unter-
stützung dieser Stellen immer weiter zu kürzen, ist daher äußerst kontraproduktiv
für die Bekämpfung des Menschenhandels. Es ist im Interesse des Bundes, sich
für den Erhalt der Beratungsstellen einzusetzen. Justiz und Behörden müssen
besser geschult werden. Dazu gehört das Bewusstsein der menschenrechtlichen
Dimension von Menschenhandel, eine genderspezifische Herangehensweise auf-
grund der überwiegend weiblichen Opfer sowie die Berücksichtigung aller pro-
zessualen Opferschutzmöglichkeiten, um z. B. ein Zusammentreffen von Opfer
und Täter zu vermeiden. Auch die Kooperation zwischen Beratungsstellen und
Polizei ist in einigen Bundesländern noch verbesserungswürdig.

5. Zu den Maßnahmen auf internationaler Ebene

Die Ursachen des Menschenhandels sind vielfältig. Zugrunde liegen vor allem
die Armut und der Mangel an Perspektiven in den Herkunftsländern und die
Nachfrage in den Zielländern. Dazu kommen oft schwerwiegende Verletzungen
der Menschenrechte in den Herkunftsländern, die für viele Frauen Auslöser
ihrer Entscheidung zur Migration sein können. Die Möglichkeit, in Deutsch-
land zu arbeiten oder auch vorübergehend der Prostitution nachgehen zu kön-
nen, erscheint vielen Frauen als Verbesserung ihrer Lebenssituation. Hier muss
bereits präventiv angesetzt werden. In den Herkunftsländern müssen Armuts-
bekämpfung und die Schaffung von Perspektiven, gerade für die potenziellen
Opfer, von den Zielländern deutlich stärker unterstützt werden. Auch Informa-
tion und Öffentlichkeitsarbeit spielen eine wichtige Rolle im Kampf gegen den
Menschenhandel. Die internationale Verbrechensbekämpfung muss schon in
den Herkunftsländern ansetzen und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit
verstärkt werden.

Freiwillig zurückkehrende Opfer bedürfen noch besserer Unterstützung als
bisher. Längerfristige Reintegrationsmaßnahmen im Heimatland, wie sie bei-
spielsweise vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung oder der International Organization for Migration (IOM) durch-
geführt werden, bieten den Betroffenen eine Zukunftsperspektive.

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