BT-Drucksache 16/11044

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 16/9900, 16/9902, 16/10416. 16/10423, 16/10424, 16/10425 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009 (Haushaltsgesetz 2009) hier: Einzelplan 17 Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Vom 24. November 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11044
16. Wahlperiode 24. 11. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Petra Pau, Ulla Jelpke, Jan Korte, Dr. Gesine Lötzsch, Klaus
Ernst, Dr. Dietmar Bartsch, Karin Binder, Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter,
Roland Claus, Sevim Dag˘delen, Diana Golze, Lutz Heilmann, Hans-Kurt Hill, Katrin
Kunert, Michael Leutert, Dorothee Menzner, Kersten Naumann, Wolfgang
Neskovic, Elke Reinke, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/9900, 16/9902, 16/10416, 16/10423, 16/10424, 16/10425 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009
(Haushaltsgesetz 2009)

hier: Einzelplan 17
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Der Bundestag wolle beschließen,

ein Sofortprogramm zur Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus
einzurichten und

1. die Mittel im Einzelplan 17 Kapitel 17 02 Titel 684 14 von 19 Mio. Euro auf
38 Mio. Euro zu verdoppeln;

2. die Mittel im Einzelplan 17 Kapitel 17 02 Titel 684 15 von 5 Mio. Euro auf
8 Mio. Euro zu erhöhen;

3. die Mittel im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern (BMI)
Einzelplan 06 Kapitel 06 35 Titel 532 02 (Bundeszentrale für politische Bil-
dung) um 2 Mio. Euro auf 21,723 Mio. Euro zu erhöhen;

4. im Geschäftsbereich des BMI eine „Unabhängige Beobachtungsstelle
Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus“ einzurichten. Als Betrag
und Anschubfinanzierung werden hierfür 5 Mio. Euro eingestellt;
5. die finanziellen Mittel für dieses Sonderprogramm zur Auseinandersetzung
mit dem Rechtsextremismus aus Einsparungen im Einzelplan 06 Kapitel 06 09
Titel 541 01 (Zuschuss an das Bundesamt für Verfassungsschutz) zu nehmen.

Berlin, den 24. November 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Drucksache 16/11044 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

Die rechtsextrem und rassistisch motivierten Straf- und Gewalttaten bewegen
sich seit Jahren auf einem besorgniserregend hohen Niveau. Gerade in der ersten
Jahreshälfte 2008 ist es zu einem signifikanten Anstieg rechtsextremer Straf-
und Gewalttaten gekommen, der zwischen 30 und 40 Prozent gegenüber dem
Vergleichszeitraum des Vorjahres liegt. In den Monaten Juli und August 2008
kam es zu vier Tötungsdelikten durch Anhänger der extremen Rechten (Temp-
lin, Berlin, Bernburg, Magdeburg). Diese Eskalation der Gewalt wird auch von
den Sicherheitsbehörden mit Besorgnis zur Kenntnis genommen und vom Prä-
sidenten des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, als „eine neue Qualität“
beschrieben (vgl. DER TAGESSPIEGEL vom 7. August 2008). Die von ver-
schiedenen Bundesregierungen seit 2001 geförderten Programme gegen Rechts-
extremismus sind eine prinzipiell richtige Antwort auf die Bedrohung durch die
extremen Rechten. Inhaltlich bedarf es hier wieder einer stärkeren Einbindung
zivilgesellschaftlicher Träger an verantwortlicher Stelle. Die von zahlreichen
Fachleuten kritisierte Umstrukturierung des Bundesprogramms, mit der die Ent-
scheidungen über Vergabe von Mitteln allein die Kommunen fällen, hat zu einer
deutlichen Schwächung der zivilgesellschaftlichen Arbeit in diesem Bereich
geführt. Hier bedarf es einer Umsteuerung und einer deutlichen finanziellen
Ausweitung des staatlichen Engagements. Die weitere Intensivierung der politi-
schen Bildungsarbeit zu diesem Thema und die Einrichtung einer „Unabhängi-
gen Beobachtungsstelle Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus“ sind
weitere Schritte zu einem umfassenden Konzept.

Um hier ein deutliches Zeichen für die Dringlichkeit der Auseinandersetzung
mit den extremen Rechten zu setzen, fordern wir ein Sofortprogramm der Bun-
desregierung, mit dem die Anstrengungen in diesem Bereich deutlich erhöht
werden. Ein solches Sofortprogramm kann nur ein erster Schritt der Bundes-
regierung sein, dem eine konzeptionelle Offensive folgen muss. Ob ein runder
Tisch für Demokratie und gegen Rechtsextremismus und/oder ein Bundesbeauf-
tragter für Demokratie und Toleranz sinnvolle Instrumente sein können, muss
geprüft werden. Die von uns vorgeschlagenen Sofortmaßnahmen sind Schritte
auf dem Weg zu einem umfassenden Konzept der Politik, zur Bekämpfung der
extremen Rechten.

Begründung zu Nummer 1

Im Rahmen des Programms „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – ge-
gen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ wurden
90 lokale Aktionspläne bewilligt, wohingegen 149 Anträge hauptsächlich auf-
grund fehlender Mittel abgelehnt werden mussten. Von 360 beantragten über-
regionalen Modellprojekten wurden 85 bewilligt, 34 stehen auf einer Warteliste
und 241 wurden abgelehnt. Auch hier ist die hohe Ablehnungsquote zum großen
Teil auf die eingeschränkten finanziellen Mittel zurückzuführen. Mit der Ver-
doppelung dieser Mittel können die vorhandenen Bedarfe wenigstens zu einem
größeren Teil abgedeckt werden. Darüber hinaus sollen die zusätzlichen Mittel
dazu genutzt werden, Voraussetzungen für eine Überführung der Modellpro-
gramme in eine Regelaufgabe von Ländern und Kommunen zu schaffen.

Begründung zu Nummer 2

Während im Jahr 2006 die Mobilen Beratungen und Opferberatungen in den ost-
deutschen Bundesländern plus Berlin mit Mitteln aus dem Bundesprogramm
CIVITAS von ca. 2,378 Mio. Euro unterstützt wurden, sollen die im Bundespro-
gramm „Förderung von Beratungsnetzwerken – Mobile Intervention gegen
Rechtsextremismus“ bereitgestellten 5 Mio. Euro für den Erhalt und die Aus-

weitung der Strukturen in Ostdeutschland und den flächendeckenden Aufbau
solcher Strukturen in Westdeutschland dienen. Faktisch bedeutet dies ein Ab-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11044

schmelzen der Mittel für solche Projekte, weshalb eine deutliche Erhöhung auf
8 Mio. Euro erforderlich ist.

Begründung zu Nummer 3

Die zusätzlichen Mittel sollen für den Aufgabenbereich „geistig-politische Aus-
einandersetzung mit Extremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemi-
tismus und damit in Zusammenhang stehende Gewaltphänomene sowie zu Be-
kämpfung von Vorurteilen“ eingesetzt werden.

Angesichts wachsender Demokratieverdrossenheit in Teilen der Bevölkerung,
zunehmender Erfolge rechtsextremer Wahlparteien und einer bedrohlichen Ent-
wicklung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus hat die poli-
tische Bildung einen enormen Stellenwert. Der politischen und politisch-histo-
rischen Bildung kommt bei der Auseinandersetzung mit einer anwachsenden
extremen Rechten besondere Bedeutung zu, die eine Ausweitung des Angebots
erforderlich machen. Insbesondere die immer stärkere Verankerung der rechts-
extremen Szene im jugendkulturellen Bereich erfordert zielgerichtete Gegen-
strategien. Für Beschäftigte in der Jugendarbeit, im pädagogischen und erziehe-
rischen Bereich müssen verstärkt Angebote zur Fortbildung gemacht werden.

Begründung zu Nummer 4

Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keine zentrale Stelle, die die verstreu-
ten Erkenntnisse zur Entwicklung der extremen Rechten unter gesellschafts-
politischen Gesichtspunkten zusammenfasst und einschätzt. Dies meint eine
Gesamtbetrachtung jenseits der eingeschränkten Aufgaben des Verfassungs-
schutzes. Im gemeinsamen Antrag „Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeind-
lichkeit, Antisemitismus und Gewalt“ der Fraktionen SPD, BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN, FDP und PDS aus der 14. Wahlperiode (Bundestagsdruck-
sache 14/5456) wird die Einrichtung einer solchen Beobachtungsstelle analog zur
Europäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
angeregt.

Aufgrund der besorgniserregenden Entwicklung der extremen Rechten aber
auch eines weit verbreiteten Rassismus ist eine solche unabhängige Beobach-
tungsstelle, die dem Deutschen Bundestag regelmäßig Bericht erstattet, nötig
und überfällig. Während der Sicherheitsdiskurs zum Thema islamistischer Ter-
rorismus allgegenwärtig ist, werden die ganz realen und alltäglichen Bedrohun-
gen für zahlreiche Menschen in diesem Land nur aus Anlass spektakulärer Über-
griffe erwähnt. Von 1990 bis heute sind nach Recherchen unabhängiger Projekte
und Journalisten über 140 Menschen von rechtsextremen Gewalttätern getötet
worden. Diese alltägliche Gewalt unabhängig zu dokumentieren, ein realisti-
sches Bild der Lage im Bereich Rechtsextremismus zu zeichnen und Vorschläge
zur Prävention zu machen, sollen Aufgaben der Beobachtungsstelle sein.

Begründung zu Nummer 5

Die für Parlament und Öffentlichkeit wahrnehmbare Arbeit des Bundesamtes
für Verfassungsschutz rechtfertigt in keiner Weise die Erhöhungen des Etats der
Behörde, wie sie in den letzten Jahren vorgenommen wurden. Aus diesem
Grund sollen diese Erhöhungen rückgängig gemacht und die Gelder in Höhe der
Kürzungen den oben angeführten Bereichen des Sonderprogramms zur Ausein-
andersetzung mit dem Rechtsextremismus zugeführt werden.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.