BT-Drucksache 16/1006

Gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution - Rechtsstellung der Opfer stärken

Vom 16. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1006
16. Wahlperiode 16. 03. 2006

Antrag
der Abgeordneten Karin Binder, Sevim Dagdelen, Dr. Lothar Bisky, Heidrun Bluhm,
Eva Bulling-Schröter, Dr. Martina Bunge, Dr. Dagmar Enkelmann, Diana Golze,
Heike Hänsel, Cornelia Hirsch, Inge Höger-Neuling, Dr. Barbara Höll, Ulla Jelpke,
Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping, Monika Knoche, Jan Korte, Katrin Kunert,
Ulla Lötzer, Dr. Gesine Lötzsch, Dorothee Menzner, Kornelia Möller, Kersten
Naumann, Petra Pau, Elke Reinke, Dr. Petra Sitte, Dr. Kirsten Tackmann, Sabine
Zimmermann, Dr. Gregor Gysi und der Fraktion DIE LINKE.

Gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution – Rechtsstellung
der Opfer stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Menschenhandel und Zwangsprostitution machen neben Waffengeschäften und
Drogenhandel einen großen Anteil des organisierten Verbrechens aus. Opfer des
Menschenhandels sind überwiegend Frauen. Schätzungen gehen von einer hal-
ben Million gehandelter Frauen allein in Europa jährlich aus. Die Bundesrepu-
blik Deutschland ist sowohl Ziel- als auch Transitland.

Das Problem des Menschenhandels kann nicht allein mit strafrechtlichen Mit-
teln bekämpft werden. Vielmehr müssen die Bedürfnisse der Opfer und Maß-
nahmen zu ihrem Schutz in den Vordergrund gestellt werden.

II. Der Deutsche Bundestag stellt des Weiteren fest:

Der Deutsche Bundestag sieht in Zwangsprostitution und Menschenhandel eine
Form schwerer Menschenrechtsverletzung. Der Deutsche Bundestag unterstützt
die Kampagne des Deutschen Frauenrats „Abpfiff – Schluss mit der Zwangs-
prostitution“. Er würdigt die vielfältigen Initiativen und die engagierte Arbeit
der Frauen- und Menschenrechtsorganisationen gegen Zwangsprostitution und
Menschenhandel.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Rechte der von Zwangsprostitution und Menschenhandel betroffenen
Frauen zu stärken. In diesem Zusammenhang ist:
a) von Zwangsprostitution betroffenen Frauen eine aufenthaltsrechtliche
„Bedenk- und Stabilisierungsfrist“ von sechs Monaten zu gewähren. § 50
AufenthG ist entsprechend zu ändern;

Drucksache 16/1006 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

b) den betroffenen Frauen ein befristeter Aufenthaltstitel in einen unbefriste-
ten Aufenthaltstitel umzuwandeln, sofern diese dauerhaft in der Bundes-
republik Deutschland bleiben möchten. Damit verbunden ist ihnen auch
das Recht auf Familienzusammenführung einzuräumen. In diesem Sinne
muss § 25 Abs. 4 AufenthG geändert werden;

c) den betroffenen Frauen kostenloser Zugang zu medizinischer Behandlung
und psychologischer Betreuung sowie die Finanzierung von Therapieplät-
zen zu gewährleisten;

d) den betroffenen Frauen während ihres Aufenthaltes in Deutschland eine
Arbeitserlaubnis zu erteilen, die Finanzierung von Sprachkursen zu
sichern sowie ausreichende Ausbildungsmöglichkeiten anzubieten;

e) die materielle Situation der betroffenen Frauen zu verbessern, indem sie
Leistungen analog SGB II bzw. SGB XII erhalten, um ihrer besonderen
Schutzbedürftigkeit aufgrund ihrer psychischen und physischen Schäden
als Opfer von Menschenhandel Rechnung zu tragen;

2. den Opferschutz strukturell zu verbessern und

a) Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel und Zwangsprosti-
tution finanziell besser auszustatten;

b) ausreichend Beratungs- und Unterbringungsmöglichkeiten sowie ein flä-
chendeckendes Schutz- und Betreuungsprogramm für die Opfer bzw. Zeu-
ginnen zu schaffen;

c) Fortbildungsprogramme und Sensibilisierungsmaßnahmen für die mit
dem Thema Menschenhandel befassten Berufsgruppen wie z. B. Polizist/
innen, Sachbearbeiter/innen der Ausländerbehörden und Richter/innen
anzubieten sowie auf die Aufnahme des Themas als verbindlichen Lehr-
inhalt in die Ausbildungsgänge der entsprechenden Berufsgruppen hinzu-
wirken.

3. die Öffentlichkeit und insbesondere potenzielle Freier über Hintergründe und
Erscheinungsformen von Zwangsprostitution und Menschenhandel auf-
zuklären. Dazu soll bereits im Vorfeld und während der Fußball-WM eine
mehrsprachige Aufklärungskampagne über Zwangsprostitution und Frauen-
handel gestartet werden. Denkbar sind in diesem Kontext unter anderem
Informationsstände vor den Fußballstadien sowie TV- und Radiospots und
Anzeigen in Tageszeitungen und Fußballmagazinen, in denen potenzielle
Kunden sensibilisiert werden, Zwangsprostitution zu erkennen und zur
Anzeige zu bringen.

4. eine gebührenfreie bundesweite Hotline „Freier gegen Zwangsprostitution“
einzurichten, um Freiern die Möglichkeit zu geben, sich gegebenenfalls kon-
kreter zu informieren sowie Verdachtsfälle von Zwangsprostitution anonym
anzuzeigen.

Berlin, den 16. März 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1006

Begründung

Gesellschaftliche Großereignisse, wie z. B. die Fußballweltmeisterschaft 2006,
haben häufig eine steigende Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen zur
Folge. Aufgrund des hohen Profits in dieser Sparte ist leider auch mit einer
Zunahme von Frauenhandel und Zwangsprostitution zu rechnen.

Von Menschenhandel und Zwangsprostitution betroffene Frauen sind meist
schwer traumatisiert. Es ist nicht zu verantworten, den Opfern innerhalb von vier
Wochen die Entscheidung abzuverlangen, ob sie gegen die/ den Täter/innen aus-
sagen wollen oder nicht. Deshalb muss den Betroffenen wie z. B. in Italien eine
Bedenkzeit von sechs Monaten eingeräumt werden, in der sie sich erholen und
dem Einfluss der Täter entziehen können. In dieser Zeit können sie sich ent-
scheiden, ob sie mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten möchten oder
nicht. Hierfür muss der § 50 AufenthG entsprechend geändert werden, um eine
bundesweit einheitliche, klare und rechtsverbindliche Regelung zu schaffen.
Diese Regelung sollte das Verbot der Abschiebung während der Bedenkzeit be-
inhalten und einen verbindlichen Rechtsanspruch für die betroffenen Frauen
schaffen.

Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution muss aufgrund der erlitte-
nen Menschenrechtsverletzung ein Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen
unabhängig von ihrem Zeuginnenstatus erteilt werden. Ein Aufenthaltsrecht, das
an die Aussagebereitschaft der betroffenen Frau geknüpft wird und damit aus
rein strafprozessualen Gründen erteilt wird, ignoriert die Tatsache, dass Opfer
von Menschenhandel bei entsprechenden Aussagen mit Repressalien gegen sich
und/oder ihre Kinder und Angehörigen im Herkunftsland rechnen müssen. Aus
diesem Grund sowie aus humanitären Gründen und zum Schutz der Angehöri-
gen vor möglichen Repressalien der Menschenhändler müssen die Frauen das
Recht auf Familienzusammenführung erhalten. Nur so können sie eine Perspek-
tive der Lebenssicherheit bekommen. Erst durch die gewonnene Sicherheit und
Stabilität erhöht sich wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau als Zeugin
aussagt.

Die Forderung nach einer Stärkung der Position der Opfer von Frauenhandel
begründet sich zum einen aus dem Restitutionsanspruch der Frau wegen der er-
littenen Menschenrechtsverletzung und zum anderen aus dem Präventions-
gedanken. Denn das Risiko der Menschenhändler, strafrechtlich verfolgt zu wer-
den, steigt, wenn die Handlungsalternativen der Frauen zunehmen.

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