BT-Drucksache 15/802

Opferentschädigung für deutsche Staatsangehörige, die bei vorübergehendem Aufenthalt im Ausland Opfer eines Gewaltverbrechens werden

Vom 8. April 2003


Deutscher Bundestag Drucksache 15/802
15. Wahlperiode 08. 04. 2003

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Norbert Röttgen, Siegfried Kauder
(Bad Dürrheim), Hartmut Koschyk, Dr. Jürgen Gehb, Tanja Gönner, Dr. Wolfgang
Götzer, Ute Granold, Michael Grosse-Brömer, Volker Kauder, Dr. Günter Krings,
Daniela Raab, Andreas Schmidt (Mülheim), Andrea Voßhoff, Marco Wanderwitz,
Ingo Wellenreuther, Wolfgang Zeitlmann, Thomas Strobl (Heilbronn), Günter
Baumann, Clemens Binninger, Hartmut Büttner (Schönebeck), Norbert Geis,
Roland Gewalt, Ralf Göbel, Reinhard Grindel, Martin Hohmann, Dorothee Mantel,
Erwin Marschewski (Recklinghausen), Stephan Mayer (Altötting), Beatrix Philipp,
Dr. Ole Schröder, Thomas Silberhorn und der Fraktion der CDU/CSU

Opferentschädigung für deutsche Staatsangehörige, die bei vorübergehendem
Aufenthalt im Ausland Opfer eines Gewaltverbrechens werden

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Bereits in den späten 60er Jahren lösten Pressemitteilungen in Deutschland eine
heftige Diskussion über die Notwendigkeit einer staatlichen Entschädigung für
Opfer von Straftaten aus. Die Diskussion rankte sich um die Frage, ob auf den
Staat jedes Risiko menschlichen Zusammenlebens abgewälzt werden könne.
Teilweise sah man keinen plausiblen Grund dafür, Opfer von Gewaltverbrechen
gegenüber Opfern von Unfällen oder Naturkatastrophen zu privilegieren. Ein
staatlicher Handlungsbedarf wurde auch deshalb verneint, weil das bestehende
Rechtssystem bereits ausreichend Entschädigung gewähre. Die Befürworter
knüpften ihre Forderung hingegen an das Gewaltmonopol des Staates: Wo es
dem Staate nicht gelinge, den Bürger im Einzelfall vor Straftaten zu bewahren,
solle er mit Entschädigungsleistungen den dem Opfer entstandenen Schaden
ausgleichen (siehe dazu Torsten Otte, Staatliche Entschädigung für Opfer von
Gewalttaten in Österreich, Deutschland und der Schweiz, Mainzer Schriften
zur Situation von Kriminalitätsopfern, hrsg. v. Weißen Ring, Mainz 1998,
S. 77 ff.). Die Diskussion mündete schließlich in das am 15. Mai 1976 im Bun-
desgesetzblatt verkündete Opferentschädigungsgesetz.
Dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) liegt der Territorialitätsgrundsatz zu-
grunde. Opfer von Gewaltverbrechen haben einen Anspruch auf Versorgung,
wenn die Schädigung im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen
Schiff oder Luftfahrzeug eingetreten ist. Nach der amtlichen Begründung kann
nur für diesenBereich den deutschenOrganen eineVerantwortung für die Sicher-
heit der Menschen zugeschrieben werden (vgl. Bundestagsdrucksache 7/2506,
S. 13). Aufgrund dieser gesetzlichen Vorgabe ist in einer Entscheidung des Bun-
dessozialgerichts vom 10. Dezember 2002 einer deutschen Staatsangehörigen,
deren Kinder vom Vater im Ausland ermordet wurden, unter dem Gesichtspunkt

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eines Schock-Schadens eine Opferentschädigung versagt worden (siehe Ent-
scheidung des 9. Senates des Bundessozialgerichts AZ B 9 VG 7/01 R).
Diese Entscheidung ist vor folgendem Hintergrund unbillig:
Wegen des im europäischen Recht geltenden Diskriminierungsverbotes erhal-
ten Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union selbst dann
nach dem deutschen Opferentschädigungsgesetz eine Entschädigung, wenn die
Tat auf deutschem Territorium von einem Ausländer begangen worden ist. Um-
gekehrt erhält ein deutsches Opfer einer Gewalttat, das von einem Bürger eines
Mitgliedstaates der Europäischen Union in dessen Heimatland geschädigt
wurde, nach dem deutschen Opferentschädigungsgesetz keine Entschädigung.
Einige europäische Länder haben überhaupt kein staatliches Entschädigungs-
system. Aber auch in den Ländern mit staatlichem Entschädigungssystem ist
ein Entschädigungsanspruch gegen das Tatortland oft nichts wert, weil seine
Durchsetzung durch komplizierte administrative Verfahren sowie Sprachbarrie-
ren erschwert wird.
Deutsche Opfer von im Ausland begangenen terroristischen Gewalttaten kön-
nen derzeit nur ausnahmsweise und ohne Rechtsanspruch aus dem Entschädi-
gungsfonds für Opfer terroristischer Gewalt entschädigt werden. Dieser Fonds
war in 2002 mit 10 Mio. Euro ausgestattet und ist in 2003 auf 9 Mio. Euro ab-
gesenkt worden (Kapitel 07 04 Titel 681 02 des Bundeshaushalts). Aus ihm
wurden Opfer der terroristischen Angriffe auf das World Trade Center sowie
auf Bali und auf Djerba in einer Höhe von insgesamt 1,7 Mio. Euro entschädigt.
Anders hat sich beispielsweise Österreich entschieden. Nach den Regelungen
des österreichischen Verbrechensopfergesetzes (VOG) knüpft die staatliche
Opferentschädigung an das Staatsangehörigkeitsprinzip an. Österreichische
Staatsangehörige erhalten eine Entschädigung somit unabhängig davon, wo die
Straftat erfolgte bzw. wo eine Opfersituation entstand. Deutschland sollte die-
sem Beispiel Österreichs folgen und zumindest im Hinblick auf deutsche
Staatsangehörige, die sich vorübergehend im Ausland aufhalten, eine Aus-
nahme vom Territorialitätsgrundsatz des OEG machen.
Der Entschädigungsanspruch nach dem OEG muss auf alle deutschen Staatsan-
gehörigen mit vorübergehendem Aufenthalt im Ausland ausgedehnt werden.
Alles andere wäre eine unangemessene Privilegierung der Opfer terroristischer
Gewalttaten, die schon jetzt aus dem Fonds für Opfer terroristischer Gewalt
entschädigt werden können. Für das Leid eines Opfers ist es aber gleich, ob es
einem terroristischen oder sonstigen Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist.
Einer entsprechenden Änderung des geltenden Rechts können lediglich fiskali-
sche Gründe entgegengehalten werden, die jedoch der spezifischen Situation
eines Gewaltopfers nicht gerecht werden. Der hier vorgeschlagene ausgedehnte
Entschädigungsanspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz wird die Län-
derhaushalte belasten. Soweit im Tatortland staatliche Entschädigungsvor-
schriften bestehen, ist an einen Ausgleich zwischen entschädigungsgewähren-
dem Land und Tatortland durch bi- und multilaterale Verträge zu denken.
Langfristig wird es vor dem Hintergrund des zusammenwachsenden Europas
ohnehin eine Angleichung der Opferentschädigungsvorschriften im euro-
päischen Raum geben. Diskussionsansätze hierzu finden sich sowohl im Grün-
buch der Kommission der Europäischen Gemeinschaft zur Entschädigung für
Opfer von Straftaten vom 28. September 2001 als auch in dem Richtlinienent-
wurf des Rates zur Entschädigung für Opfer von Straftaten vom 16. Oktober
2002. Die Umsetzung entsprechender Vorschriften in nationales Recht wird
aber noch einige Zeit in Anspruch nehmen. In der Übergangsphase dürfen deut-
sche Tatopfer aber nicht im Stich gelassen werden. Als Sofortmaßnahme
könnte die Bundesregierung die nicht abgerufenen Mittel aus dem Entschädi-

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gungsfonds für Opfer terroristischer Gewalt den Ländern für die Zwecke des
OEG zur Verfügung stellen.
Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG sollte künftig deutschen Staatsan-
gehörigen zuerkannt werden, die bei vorübergehendem Aufenthalt im Ausland
Opfer eines Gewaltverbrechens werden. Deutsche mit permanentem Wohnsitz
im Ausland müssen von einer Entschädigung nach dem OEG hingegen ausge-
nommen werden. Diese Differenzierung ist gerechtfertigt, weil der Tourist oder
Geschäftsreisende den territorialen Geltungsbereich des Opferentschädigungs-
gesetzes nur kurzzeitig verlässt, während sich der Deutsche mit ständigen
Wohnsitz im Ausland permanent dort aufhält. Ein Entschädigungsanspruch
auch für Auslandsdeutsche würde die deutsche Staatskasse überfordern.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,
den Entwurf eines Opferentschädigungsänderungsgesetzes einzubringen, der
vorsieht, dass auch deutschen Staatsangehörigen, die bei vorübergehendem
Aufenthalt im Ausland Opfer eines Gewaltverbrechens werden, der Zugang zu
den staatlichen Entschädigungsleistungen des Opferentschädigungsgesetzes ge-
währt wird.

Berlin, den 8. April 2003
Wolfgang Bosbach
Dr. Norbert Röttgen
Siegfried Kauder (Bad Dürrheim)
Hartmut Koschyk
Dr. Jürgen Gehb
Tanja Gönner
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Michael Grosse-Brömer
Volker Kauder
Dr. Günter Krings
Daniela Raab
Andreas Schmidt (Mülheim)
Andrea Voßhoff
Marco Wanderwitz
Ingo Wellenreuther
Wolfgang Zeitlmann
Thomas Strobl (Heilbronn)
Günter Baumann
Clemens Binninger
Hartmut Büttner (Schönebeck)
Norbert Geis
Roland Gewalt
Ralf Göbel
Reinhard Grindel
Martin Hohmann
Dorothee Mantel
Erwin Marschewski (Recklinghausen)
Stephan Mayer (Altötting)
Beatrix Philipp
Dr. Ole Schröder
Thomas Silberhorn
Dr. Angela Merkel, Michael Glos und Fraktion

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