BT-Drucksache 14/9298

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -14/8586, 14/9264- Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung

Vom 6. Juni 2002


Deutscher Bundestag Drucksache 14/9298
14. Wahlperiode 06. 06. 2002

Änderungsantrag
der Abgeordneten Norbert Geis, Wolfgang Bosbach, Dr. Maria Böhmer, Erwin
Marschewski (Recklinghausen), Maria Eichhorn, Günter Baumann, Meinrad Belle,
Dr. Joseph-Theodor Blank, Sylvia Bonitz, Hartmut Büttner (Schönebeck),
Dr. Jürgen Gehb, Dr. Wolfgang Götzer, Martin Hohmann, Volker Kauder, Hartmut
Koschyk, Beatrix Philipp, Ronald Pofalla, Hans-Peter Repnik, Dr. Norbert Röttgen,
Dr. Klaus Rose, Dietmar Schlee, Dr. Rupert Scholz, Dr. Wolfgang Freiherr von
Stetten, Thomas Strobl (Heilbronn), Dr. Susanne Tiemann, Dr. Hans-Peter Uhl,
Andrea Voßhoff, Hans-Otto Wilhelm (Mainz), Bernd Wilz, Wolfgang Zeitlmann
und der Fraktion der CDU/CSU

zu der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksachen 14/8586, 14/9264 –

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen
Sicherungsverwahrung

Der Bundestag wolle beschließen:
1. In Artikel 1 Nr. 1 wird das Wort „Vorbehalt“ durch die Wörter „Nachträg-

liche Anordnung“ ersetzt.
2. Artikel 1 Nr. 3 wird wie folgt neu gefasst:

Nach § 66 wird folgende Vorschrift eingefügt:
㤠66 a

Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Ergibt sich während des Vollzugs der verhängten Freiheitsstrafe, dass der

Täter für die Allgemeinheit im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 gefährlich ist, so
kann das Gericht nachträglich die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn die
sonstigen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung
gemäß § 66 gegeben sind.“

3. In Artikel 2 Nr. 1 werden die Wörter „im Urteil vorbehaltene“ durch die
Wörter „nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der“ ersetzt.

4. In Artikel 2 werden die Nummern 2 bis 4 gestrichen.
5. Artikel 2 Nr. 6 wird wie folgt geändert:

a) In § 454c Abs. 1 werden die Wörter „im Urteil vorbehaltene“ durch die
Wörter „nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der“ ersetzt.

b) § 454c Abs. 3 Satz 1 wird wie folgt neu gefasst:

Drucksache 14/9298 – 2 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

„Das Gericht holt das Gutachten eines Sachverständigen über den Verur-teilten ein, wenn es erwägt, die Unterbringung des Verurteilten in der Si-cherungsverwahrung nachträglich anzuordnen.“
c) § 454c Abs. 4 wird gestrichen; der bisherige Abs. 5 wird Abs. 4.
d) In § 454c wird folgender Absatz angefügt:

„(5) § 453c Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 sind sinngemäß anzuwenden.“
6. In Artikel 3 Nr. 1 werden die Wörter „Entscheidung über die vorbehaltene“

durch die Wörter „nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der“ er-
setzt.

7. Artikel 4 Nr. 1 wird gestrichen.
8. In Artikel 4 Nr. 2 werden die Wörter „Entscheidungen über eine vorbehal-

tene“ durch die Wörter „die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in
der“ ersetzt.

9. In Artikel 5 werden die Wörter „im Urteil vorbehaltene“ durch die Wörter
„nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der“ ersetzt.

10. In Artikel 6 Nr. 1 werden die Wörter „Entscheidung über die vorbehaltene“
durch die Wörter „nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der“ er-
setzt.

Berlin, den 5. Juni 2002
Norbert Geis
Wolfgang Bosbach
Dr. Maria Böhmer
Erwin Marschewski (Recklinghausen)
Maria Eichhorn
Günter Baumann
Meinrad Belle
Dr. Joseph-Theodor Blank
Sylvia Bonitz
Hartmut Büttner (Schönebeck)
Dr. Jürgen Gehb
Dr. Wolfgang Götzer
Martin Hohmann
Volker Kauder
Hartmut Koschyk
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Hans-Peter Repnik
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Klaus Rose
Dietmar Schlee
Dr. Rupert Scholz
Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten
Thomas Strobl (Heilbronn)
Dr. Susanne Tiemann
Dr. Hans-Peter Uhl
Andrea Voßhoff
Hans-Otto Wilhelm (Mainz)
Bernd Wilz
Wolfgang Zeitlmann
Friedrich Merz, Michael Glos und Fraktion

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 3 – Drucksache 14/9298

Begründung

I. Allgemeines
So sehr es einerseits zu begrüßen ist, dass im Anschluss an den Gesetzentwurf
der Fraktion der CDU/CSU zur Verbesserung des Schutzes der Bevölkerung
vor Sexualverbrechen und anderen schweren Straftaten (Bundestagsdrucksa-
chen 14/6709, 14/8779) nunmehr auch von Seiten der Bundesregierung und der
sie tragenden Fraktionen versucht wird, dem Problem drohender Entlassungen
hochgefährlicher Straftäter aus dem Vollzug der Freiheitsstrafe zu begegnen, so
sehr gilt andererseits, dass allein die von der Fraktion der CDU/CSU gewählte
Konzeption einer nachträglichen Sicherungsverwahrung geeignet ist, den
Schutz der Allgemeinheit in dem gebotenen Maße zu gewährleisten.
Der konzeptionelle Ansatz einer Vorbehaltslösung leidet an folgenden Defizi-
ten:
– Die Vorbehaltslösung erfasst nicht diejenigen Verurteilten, die derzeit Straf-

haft verbüßen oder bis zum Inkrafttreten des Gesetzes verurteilt werden.
Hinsichtlich dieser Täter wäre die Anordnung nachträglicher Sicherungsver-
wahrung weiterhin nicht möglich. Ein Sicherheitsgewinn für die Bevölke-
rung tritt bei der Vorbehaltslösung demzufolge erst mit erheblicher zeitlicher
Verzögerung ein.

– Die Vorbehaltslösung erfasst diejenigen Straftäter nicht, deren potenzielle
Gefährlichkeit vom Tatgericht nicht erkannt wird, da in diesen Fällen nicht
nur die vorbehaltslose Anordnung der Sicherungsverwahrung, sondern auch
der Ausspruch eines Vorbehalts unterbliebe.

– Es steht zu befürchten, dass von der Möglichkeit einer vorbehaltenen Siche-
rungsverwahrung auch in denjenigen Fällen Gebrauch gemacht würde, in
denen heute bereits Sicherungsverwahrung angeordnet werden könnte. Ei-
ner möglichen Tendenz, die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung
unnötigerweise hinauszuschieben, leistet gerade auch die Begründung des
Gesetzentwurfs Vorschub. Diese stellt sich nicht mit Nachdruck auf den Bo-
den des geltenden Rechts, wonach etwa auch in Fällen des § 66 Abs. 3 des
Strafgesetzbuches (StGB) die Feststellung der Straftätergefährlichkeit auf-
grund eines entsprechenden Hanges und dadurch bedingt die Anordnung
von Sicherungsverwahrung möglich ist. Stattdessen greift die Begründung
an dieser Gesetzesbestimmung geäußerte Kritik auf und rechtfertigt die Vor-
behaltslösung gerade mit dem Bedürfnis, dieser Kritik Rechnung zu tragen.
Die Einführung einer Vorbehaltslösung mit dem Ziel, die Anordnung von
Sicherungsverwahrung in den Fällen des § 66 Abs. 3 StGB zurückzudrän-
gen, ist jedoch im Hinblick auf das im Übrigen verfolgte Ziel, die Verbesse-
rung des Schutzes der Bevölkerung, erkennbar kontraproduktiv.

II. Im Einzelnen
1. Zu Artikel 1 Nr. 3 – § 66a StGB-E –
a) Es leuchtet bereits nicht ein, die Möglichkeit, die Anordnung von Siche-
rungsverwahrung vorzubehalten, auf diejenigen Fälle zu beschränken, in denen
der Verurteilung einer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Straftaten zu
Grunde liegt. Dies ist inkonsequent, weil sich auch in anderen Fällen während
des Vollzugs eine vom erkennenden Gericht nur für möglich erachtete Gefähr-
lichkeit als gegeben herausstellen kann. Wenn man denn die konzeptionell ver-
fehlte Vorbehaltslösung verfolgt, müsste diese zumindest für alle Fälle ermög-
licht werden, in denen Sicherungsverwahrung angeordnet werden kann.

Drucksache 14/9298 – 4 – Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode

b) Sowohl der in dem Gesetzentwurf vorgesehene Entscheidungstermin als
auch das Fehlen der Möglichkeit, die Entscheidung bis zum Zeitpunkt der Ent-
lassung zu verschieben, sind bedenklich. Zu den unhaltbaren Auswirkungen
dieser Regelung sei beispielhaft eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von
zwei Jahren genannt, bei der bereits nach sechs Monaten Strafhaft endgültig
über die vorbehaltene Sicherungsverwahrung entschieden werden müsste mit
der Folge, dass die Strafvollstreckungskammer unmittelbar nach dem Urteil des
erkennenden Gerichts mit der Vorbereitung der endgültigen Entscheidung über
die Anordnung der Sicherungsverwahrung beginnen müsste. Regelmäßig
dürfte es sich anbieten, eine erstmalige Prüfung der nachträglichen Anordnung
der Sicherungsverwahrung zeitgleich mit der Entscheidung nach § 57 Abs. 1
StGB vorzunehmen, weil in der Praxis für den Zeitpunkt der Zweidrittel-Verbü-
ßung ohnehin ein Sachverständigengutachten eingeholt wird. Allein die von der
Fraktion der CDU/CSU gewählte Konzeption eines § 66a StGB-E ermöglicht
es zudem, die Sicherungsverwahrung bis zum Ende des Vollzugs der verhäng-
ten Freiheitsstrafe anzuordnen, sofern sich die Gefährlichkeit des Verurteilten
im Verlaufe des Strafvollzugs erweist.
c) Vom Ausgangspunkt der Vorbehaltslösung, nämlich bei Zweifeln über die
Gefährlichkeit des Verurteilten die Entscheidung über die Anordnung der Si-
cherungsverwahrung hinauszuschieben und die Erkenntnisse des Strafvollzugs
zu nutzen, leuchtet es des Weiteren nicht ein, wenn die Anordnung der vorbe-
haltenen Sicherungsverwahrung nach anderen Gefährlichkeitsmaßstäben er-
folgt als denen, nach denen ursprünglich das erkennende Gericht zu entschei-
den hatte.
d) Allein die von der Fraktion der CDU/CSU gewählte Konzeption wird daher
dem von den Bürgerinnen und Bürgern zu Recht erhobenen Anspruch gerecht,
dass die Interessen der Täter zurücktreten müssen, wenn anderenfalls der
Schutz potenzieller Opfer in unvertretbarer Weise geschmälert würde.
2. Zu Artikel 2 Nr. 6
a) Streichung des § 454c Abs. 4 der Strafprozessordnung (StPO) i. d. F. des
Koalitionsentwurfs
Der gemeinsame Termin, in dem die Beteiligten zu hören sind, ist keine Haupt-
verhandlung. Für die Beweiserhebung gilt daher nicht der Strengbeweis mit
dem Beweisantragsrecht der §§ 244 bis 256 StPO unter Beachtung der Münd-
lichkeit und Öffentlichkeit, sondern das Freibeweisverfahren, das für alle Be-
weiserhebungen außerhalb der Hauptverhandlung maßgeblich ist. Zudem ist
die Ermittlung des wahren Sachverhalts ohnehin das zentrale Anliegen des
Strafprozesses. Die Amtsaufklärungspflicht hat in § 244 Abs. 2 StPO ihren ge-
setzlichen Ausdruck gefunden. Diese gesetzliche Regelung findet sich zwar im
Zweiten Buch der StPO, das sich mit der Hauptverhandlung befasst; es ist aber
unbestritten und ständige Praxis, dass sie auch im Siebten Buch der StPO gilt,
dessen Gegenstand die Strafvollstreckung ist. Die besondere Hervorhebung der
Amtsaufklärungspflicht in § 454c Abs. 4 StPO könnte nun zu dem Trugschluss
verleiten, dass sie in den zahlreichen anderen Fällen des Siebten Buchs der
StPO nicht gilt. Als materiell-rechtliche Voraussetzung für die Anordnung der
vorbehaltenden Sicherungsverwahrung knüpft der Entwurf zudem an die Ge-
samtwürdigung des Täters und seiner Taten an, die auch Grundlage für die An-
ordnung der Sicherungsverwahrung im Erkenntnisverfahren ist. Für diese aber
ist, soweit sie sich auf rechtskräftig festgestellte Taten bezieht, anerkannt, dass
Feststellungen, die den Sachverhalt der früheren Urteile ändern können, unzu-
lässig sind. Ebenso unzulässig ist es, die Vortat rechtlich anders zu würdigen als
in dem früheren Urteil angenommen. Dies muss hier auch für die Anlasstat und
das Nachverfahren gelten, in dem über die vorbehaltende Sicherungsverwah-
rung entschieden wird.

Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 5 – Drucksache 14/9298

b) Sicherungshaft (§ 454c Abs. 5 StPO i. d. F. dieses Änderungsantrages)
Zum Schutze der Bevölkerung dringend geboten und in dem Gesetzentwurf der
Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bezeichnenderweise
nicht vorgesehen ist die Möglichkeit der Sicherungshaft für solche Fälle, in de-
nen die Strafvollstreckungskammer bei Strafende zwar mit der Prüfung der
nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung begonnen hat, aber noch
keine rechtskräftige Entscheidung vorliegt. Hier müssen Sicherungsmaßnah-
men entsprechend § 453c Abs. 1 StPO zulässig sein, sofern hinreichende
Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass das Gericht die Sicherungsver-
wahrung anordnen wird. Zweck der Sicherungshaft – ein der Untersuchungs-
haft ähnliches Rechtsinstitut – ist die Sicherung der späteren Unterbringung des
Verurteilten in der Sicherungsverwahrung und die Verhinderung einer etwaigen
Flucht vor Rechtskraft der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung.
3. Zu den übrigen Anträgen
Es handelt sich um Folgeänderungen.

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