BT-Drucksache 14/806

Gegen den Einsatz von Kindern als Soldaten in bewaffneten Konflikten

Vom 21. April 1999


Deutscher Bundestag Drucksache 14/806
14. Wahlperiode
21. 04. 99
Antrag
derAbgeordneten Karin Kortmann, Brigitte Adler, Hermann Bachmaier, Dr. Hans-Peter Bartels, Ingrid Becker-Inglau, Rudolf Bindig, Anni Brandt-Elsweier, Bernhard Brinkmann (Hildesheim), Detlef Dzembritzki, Dieter Dzewas, Gabriele Fograscher, Hans Forster, Peter Friedrich (Altenburg), Arne Fuhrmann, Renate Gradistanac, Hans-Joachim Hacker, Christel Hanewinckel, Alfred Hartenbach, Reinhold Hemker, Frank Hempel, Monika Heubaum, Christel Hümme, Anette Kramme, Christine Lambrecht, Christine Lehder, Christa Lörcher, Dirk Manzewski, Tobias Marhold, Dr. Jürgen Meyer (Ulm), Michael Müller (Düsseldorf), Günter Oesinghaus, Albrecht Papenroth, Margot von Renesse, René Röspel, Marlene Rupprecht, Dagmar Schmidt (Meschede), Wilhelm Schmidt (Salzgitter), Richard Schuhmann (Delitzsch), Dr. R. Werner Schuster, Erika Simm, Rolf Stockei, Joachim Stünker, Adelheid Tröscher, Hedi Wegener, Hildegard Wester, Hanna Wolf (München), Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD sowie derAbgeordneten Dr. Angelika Köster-Loßack, Hans-Christian Ströbele, Rezzo Schlauch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gegen den Einsatz von Kindern als Soldaten in bewaffneten Konflikten
Der Bundestag wolle beschließen: Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der umfassende Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten gehört zu den zentralen Herausforderungen der Politik.
Kinder waren immer Leidtragende in bewaffneten Konflikten, doch in den kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte sind Kinder zunehmend nicht nur Opfer, sondern gleichzeitig auch Täter geworden. Sie schließen sich freiwillig Regierungsarmeen und Rebellenverbänden an oder werden zwangsrekrutiert. Nach Angaben von UNICEF und dem Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für Kinder in bewaffneten Konflikten beträgt die Zahl der derzeit weltweit in kriegerischen Konflikten eingesetzten Kinder 300000.
Ein Hauptgrund für diese Entwicklung liegt in dem veränderten Charakter von Kriegen und in dem veränderten Verhalten der Kriegsparteien. Bei den Auseinandersetzungen der heutigen Zeit handelt es sich vorwiegend um innerstaatliche Konflikte, in denen sich Regierungsarmeen und illegal bewaffnete Rebellenverbände unter Mißachtung jeglicher Kriegskonventionen aus ethnischen, religiösen oder politischen Gründen bekämpfen. Haupt-
leidtragende sind Zivilisten, vorwiegend Frauen und Kinder. Allein in den letzten 10 Jahren sind 8 Millionen Kinder getötet oder verwundet worden.
Die verstärkte Verwendung veränderter Waffentechnologien begünstigt den Einsatz von immer jüngeren Soldaten bei solchen Konflikten: Leichte, tragbare Automatik-Kleinwaffen, Granaten sowie Land- und Anti-Personenminen sind billig zu erwerben, leicht zu transportieren und einfach zu bedienen.
Neben dem Einsatz als Frontkämpfer in bewaffneten Konflikten werden Kinder auch als Handlanger, Spione, Wachen, Leibwächter, lebendige Schutzschilde oder Voraustrupp für Minenfelder mißbraucht. Die Ratifizierung des „Übereinkommens über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Anti-Personenminen und über deren Vernichtung" von Ottawa ist daher zu begrüßen, sind doch gerade Kinder Hauptbetroffene von Anti-Personenminen.
Das Alter der Rekrutierung liegt meistens zwischen 15 und 18 Jahren, jedoch wird zunehmend darüber berichtet, daß immer mehr Heranwachsende unter 15 Jahren und sogar Kinder unter 10 Jahren zum Dienst an der Waffe herangezogen werden.
Neben dem direkten Anwerben kommt es auch zu Zwangsrekrutierungen durch Erpressung oder Entführung. Meistens stammen die Opfer aus sozial und wirtschaftlich benachteiligten Gruppen, aus Konfliktzonen (Vertriebene, Flüchtlinge), aus unvollständigen Familien oder aus Randgruppen.
Die Rekrutierung von Kindersoldaten kennt keine Geschlechtergrenzen. In zahlreichen Rebellengruppen sind Mädchen fester Bestandteil. Menschenrechtsorganisationen berichten, daß 13jährige Mädchen nicht nur wie die Jungen im Krieg eingesetzt werden, sondern häufig Opfer sexuellen Mißbrauchs und sexueller Ausbeutung werden.
Gründe für Heranwachsende, bewaffneten Gruppen freiwillig zu folgen, sind häufig der Einfluß von Familie oder Freunden, äußerliche Reize wie Uniform oder Waffe, regelmäßiger Sold, Versorgung mit Nahrung oder der Wunsch, erfahrene Gewalt zu rächen.
Kinder ohne ein gefestigtes Werte- und Normensystem sind manipulierbar und folgen dadurch eher Befehlen als Erwachsene. Auf der Suche nach Vorbildern haben sie den Wunsch, Erwachsenen zu gefallen. Wenn Kinder töten, ist dies meistens die Folge einer von Erwachsenen vermittelten Verhaltensweise. Kinder werden aber auch durch Drogen und Alkohol willig gemacht. Sie sind anspruchslos und beanspruchen weniger Sold.
Kindersoldaten lernen kein normales Leben kennen. Jungen und Mädchen, die demobilisiert wurden oder Untergrundgruppen entkommen konnten, weisen neben körperlichen Schäden oft seelische Störungen auf. Die häufigsten Merkmale traumatischer Belastungen sind Alpträume, Ängste, Depressionen, Aggression gegen andere oder sich selbst oder Apathie.
In seinem Vorwort zum Bericht der Organisation „Save the Children" im Jahre 1996 weist Erzbischof Desmond Tutu auf Kinder als Opfer und Täter hin: „Manchmal begehen sie die barbarischsten Gewalttaten. Doch gleich welche Schuld das Kind hat, die Hauptverantwortung liegt bei uns, den Erwachsenen."
Kinderrechte sind Menschenrechte. Die Entwicklungszusammenarbeit der Bundesregierung muß sich daher auch von den Kriterien „Schutz und Förderung der Kinderrechte" und „Hilfe zur Integration von Kindern nach Krieg und Verfolgung" leiten lassen.
Der Deutsche Bundestag begrüßt und unterstützt Bestrebungen, die darauf abzielen, daß die Rekrutierung und Einberufung von Kindern unter 18 Jahren in Armeen sowie ihre direkte und indirekte Teilnahme an bewaffneten Feindseligkeiten ausgeschlossen werden.
Der Deutsche Bundestag bekräftigt sein bei der Ratifikation der VN-Kinderrechtskonvention ausgesprochenes Bedauern, daß nach Artikel 38 Abs. 2 des Internationalen Übereinkommens über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention) bereits Fünfzehnjährige als Soldaten an Feindseligkeiten teilnehmen dürfen. Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, daß diese Altersgrenze mit dem Artikel 3 Abs. 1 dieses Übereinkommens (Kindeswohl) nicht zu vereinbaren ist. Der Deutsche Bundestag begrüßt und unterstützt die Bemühungen der Vereinten Nationen - insbesondere des Sonderbeauftragten Olara Otunnu -, der Bundesregierung und zahlreicher Nichtregierungsorganisationen, eine Schutzaltersgrenze von 18 Jahren zu erreichen und zu implementieren.
Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,
- sich bei den Verhandlungen über ein Zusatzprotokoll zur Konvention über die Rechte des Kindes betreffend Kinder in bewaffneten Konflikten für die Festlegung eines Mindestalters von 18 Jahren bei der direkten und indirekten Teilnahme an Kampfhandlungen einzusetzen. Es muß ein Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention verabschiedet werden, das die Rekrutierung und Einberufung von Kindern unter 18 Jahren in Armeen sowie ihre aktive Teilnahme an bewaffneten Feindseligkeiten grundsätzlich ausschließt;
- die Arbeit des zukünftigen Internationalen Strafgerichtshofes zur Verfolgung der wegen Kriegsverbrechen, Genozid, Aggression oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit Angeklagten zu unterstützen;
- dem Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für Kinder in bewaffneten Konflikten, Olara Otunnu, in seinen Bemühungen zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten weiterhin finanzielle Unterstützung zu gewähren und Möglichkeiten gemeinsamer EU-Aktivitäten zur Durchsetzung dieses Ziels zu vereinbaren;
- darauf hinzuwirken, daß minderjährige Flüchtlinge, die in ihrer Heimat als Kindersoldaten eingesetzt waren, bei ihrer Ankunft in Deutschland psychosoziale Betreuung erhalten;
- im Rahmen der bilateralen und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit die Achtung und den Schutz der Rechte der Kinder besonders zu fördern und bei den von den Bundesministerien und ihren zugeordneten Einrichtungen zu erstellenden Länderberichten die Problematik der Kindersoldaten besonders zu berücksichtigen,
- sich in Anlehnung an die von ihr initiierte Gemeinsame Aktion der EU vom 17. Dezember 1998 weiterhin für Maßnahmen zur Bekämpfung der
exzessiven und unkontrollierten Ansammlung und Proliferation von Kleinwaffen einzusetzen;
- gemäß des von ihr unterstützten EU Code of Conduct für Waffenexporte aus den EU-Staaten in Drittländer die Menschenrechtssituation im Empfängerland als ein wichtiges Kriterium für die Untersagung von Waffenexporten zu betrachten;
- sich aktiv an der Erarbeitung eines Übereinkommens über das Verbot und die unverzügliche Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit einzusetzen, das von der Allgemeinen Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation im Juni 1999 beschlossen werden soll. Nach vorliegendem Stand wird die Konvention den Einsatz von Kindern als Soldaten als eine der schlimmsten Formen von Kinderarbeit mit einschließen;
- mit allem Nachdruck auf internationaler Ebene darauf zu drängen, daß rechtliche Grundlagen geschaffen werden, um eine erneute Rekrutierung ehemaliger Kindersoldaten zu unterbinden sowie vertriebene Kinder von einer Rekrutierung auszuschließen;
- bei allen Gesprächen und Verhandlungen über die Rechte und den Schutz von Kindern darauf hinzuarbeiten, daß Kinder Dokumente erhalten, aus denen ihr Alter hervorgeht;
- sofortige Demobilisierung aller Kindersoldaten zu verlangen und durch Förderprogramme zur Rehabilitierung und Reintegration von ehemaligen Kindersoldaten Unterstützung zu leisten. Dabei ist darauf zu achten, daß die oft unter schweren psychischen Störungen leidenden Kinder Hilfe und Heilungsmöglichkeiten erhalten, um an die zivile Gesellschaft herangeführt zu werden, und ihnen eine Perspektive sozialer und wirtschaftlicher Art für ihre Zukunft zu bieten;
- die Situation von Mädchen als Kindersoldaten besonders zu berücksichtigen. Mädchen werden häufig aufgrund ihres Geschlechts doppelt diskriminiert: Neben dem Mißbrauch als Kindersoldaten werden sie auch als „Ehefrauen von Soldaten" sexuell ausgebeutet und mißbraucht;
- auch weiterhin darauf hinzuwirken, daß das Ottawa-„Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Anti-Personenminen und über deren Vernichtung", das am 1. März 1999 in Kraft getreten ist, Universalität erreicht und internationale Bemühungen zur Minenräumung gestärkt werden;
- eine für den Herbst von der „Coalition to Stop the Use of Child Soldiers" in Deutschland geplante „European Conference on the Use of Children as Soldiers" zu unterstützen.
Bonn, den 21. April 1999
Dr. Peter Struck und Fraktion
Kerstin Möller (Köln), Rezzo Schlauch und Fraktion

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