Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.04.2014, Az. 1 StR 612/13

1. Strafsenat | REWIS RS 2014, 6432

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Gegenstand

Hauptverhandlung im Strafverfahren: Umfang der gerichtlichen Mitteilungspflicht über vorangegangene Verständigungsgespräche


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 24. Juli 2013 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es ihn betrifft.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, jeweils in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in Tatmehrheit mit bewaffnetem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen. Es hat ihn hierfür unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und elf Monaten verurteilt. Zudem hat es gegen den Angeklagten Wertersatzverfall in Höhe von 4.500 Euro angeordnet. Die gegen diese Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

2

1. Die Revision macht zu Recht geltend, § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO sei verletzt worden.

3

a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4

Nach Verlesung der Anklageschrift und Feststellung der Haftdaten wurde die Hauptverhandlung für etwa vier Stunden unterbrochen. Bei Fortsetzung der Hauptverhandlung gab die Vorsitzende bekannt, dass zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und allen Verteidigern des Angeklagten und der Mitangeklagten in der [X.] Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung stattgefunden hätten. Hinsichtlich des Angeklagten sei eine Verständigung nicht zustande gekommen. Das Gericht unterbreitete sodann in der Hauptverhandlung für den Angeklagten einen [X.] mit einem für die Gesamtfreiheitsstrafe in Aussicht gestellten Strafrahmen mit einer Untergrenze von sechs Jahren und sechs Monaten und einer Obergrenze von sieben Jahren bei Teileinstellung des Verfahrens gemäß § 154 StPO. Dieser Vorschlag wurde von der Verteidigung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft nicht akzeptiert.

5

Nach einer erneuten Unterbrechung der Hauptverhandlung gab die Vorsitzende bekannt, dass zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigern weitere Gespräche „über eine einvernehmliche Verfahrensbeendigung" stattgefunden hätten. Abschließende Äußerungen hierzu seien aber insbesondere von Seiten der Staatsanwaltschaft nicht möglich, da Überprüfungen der Beweismittel noch stattfinden müssten. Im Hinblick auf diese noch laufenden Gespräche hätten die Verteidiger für ihre Mandanten erklärt, dass derzeit keine Einlassungen erfolgen sollten. Das Gericht werde versuchen, mit Staatsanwaltschaft und Verteidigern den weiteren Verfahrensablauf telefonisch zu klären und davon die jeweiligen Ladungen von Zeugen abhängig zu machen.

6

Im darauf folgenden Fortsetzungstermin gab die Vorsitzende bekannt, dass zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung in der Zwischenzeit über den vom Gericht am ersten Hauptverhandlungstag gemachten [X.] weitere Gespräche stattgefunden hätten. Im Hinblick hierauf unterbreitete das Gericht betreffend den Angeklagten einen neuen [X.], in dem es ihm für den Fall eines näher beschriebenen Teilgeständnisses wiederum eine Strafuntergrenze von sechs Jahren und sechs Monaten und eine Strafobergrenze von sieben Jahren in Aussicht stellte. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft verlangte ein weitergehendes Geständnis, der Verteidiger des Angeklagten lehnte demgegenüber ein Geständnis hinsichtlich des [X.] des bewaffneten Handeltreibens „definitiv" ab. Die Vorsitzende stellte daraufhin fest, dass eine Verständigung nicht zustande gekommen sei.

7

In [X.] hieran gab der Verteidiger des Angeklagten für diesen eine Erklärung ab, die dieser als die seine anerkannte. Der Verteidiger erklärte hierzu, er gehe davon aus, dass es bei dem [X.] des Gerichts verbleibe. Im Hinblick auf die Erklärung des Angeklagten stellte die [X.] das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft hinsichtlich einiger Tatvorwürfe gemäß §§ 154, 154a StPO ein. Zudem gab die Vorsitzende bekannt, „dass sich das Gericht im Hinblick auf die vom Angeklagten [X.] abgegebene Erklärung an den im [X.] gemachten Strafrahmen gebunden fühlt".

8

b) Die Rüge des Angeklagten, es liege eine Verletzung der mit [X.]n einhergehenden Mitteilungspflichten gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO vor, ist zulässig und begründet.

9

aa) Nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO teilt der Vorsitzende nach Verlesung des Anklagesatzes mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 StPO stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) gewesen ist, und wenn ja, deren wesentlicher Inhalt. Diese Mitteilungspflicht greift bei sämtlichen Vorgesprächen ein, die auf eine Verständigung abzielen (vgl. [X.], Urteil vom 13. Februar 2014 - 1 [X.] mwN). Sie ist gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO weiter zu beachten, wenn Erörterungen erst nach Beginn der Hauptverhandlung stattgefunden haben. Das Gesetz will erreichen, dass derartige Erörterungen stets in der Hauptverhandlung zur Sprache kommen und dies auch inhaltlich dokumentiert wird. Gespräche außerhalb der Hauptverhandlung dürfen kein informelles und unkontrollierbares Verfahren eröffnen (vgl. [X.], Beschluss vom 3. Dezember 2013 - 2 StR 410/13 mwN). Die Bestimmung des § 243 Abs. 4 StPO verlangt deshalb, dass in der Hauptverhandlung über den wesentlichen Inhalt erfolgter Erörterungen zu informieren ist. Hierzu gehört auch dann, wenn keine Verständigung zustande gekommen ist, jedenfalls der [X.] und die zu diesem abgegebenen Erklärungen der übrigen Verfahrensbeteiligten (vgl. [X.], Beschluss vom 23. Oktober 2013 - 5 StR 411/13).

bb) Gemessen hieran ist der Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht in hinreichendem Umfang entsprochen worden. Die Vorsitzende hat zwar über die Tatsache informiert, dass mehrfach außerhalb der Hauptverhandlung im Ergebnis erfolglose [X.] stattgefunden haben. Dies genügte jedoch nicht, denn die Mitteilungspflicht erstreckt sich auch darauf, welcher Verfahrensbeteiligte jeweils welchen [X.] gemacht hat. Da die Vorsitzende nicht mitgeteilt hat, von wem die ursprüngliche Initiative zu [X.]n ausgegangen ist und welchen Inhalt die in der [X.] erörterten Verständigungsvorschläge hatten, blieb letztlich offen, aus welchen Gründen es nicht zu einer Verständigung gekommen ist. Die Mitteilung des Inhalts dieser [X.] ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil das Gericht in der Hauptverhandlung weitere Verständigungsvorschläge gemacht hat, denn diese Vorschläge können sich aus den vorangegangenen [X.]n ergeben haben.

c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht.

aa) Bei Verstößen gegen die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO ist regelmäßig davon auszugehen, dass das Urteil auf dem Verstoß beruht; lediglich in Ausnahmefällen ist Abweichendes vertretbar (vgl. [X.], Urteil vom 13. Februar 2014 - 1 [X.] mwN). Wie das [X.] in seinem Urteil vom 19. März 2013 im Einzelnen dargelegt hat, hält der Gesetzgeber eine Verständigung nur bei Wahrung der umfassenden Transparenz-und Dokumentationspflichten für zulässig, weshalb das gesetzliche Regelungskonzept eine untrennbare Einheit aus Zulassung und Beschränkung von Verständigungen bei gleichzeitiger Einhegung durch die Mitteilungs-, Belehrungsund Dokumentationspflichten darstellt ([X.], Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10 und 2 BvR 2155/11, Rn. 96, [X.], 1058, 1066). Die Mitteilung des Inhalts sämtlicher auf eine Verständigung abzielender Gespräche dient dabei nicht nur der notwendigen Information der Öffentlichkeit, sondern auch der des Angeklagten, der - wie hier - bei derartigen Gesprächen außerhalb der Hauptverhandlung in der Regel nicht anwesend ist. Für die Willensbildung im Rahmen einer Verständigung ist für den Angeklagten auch von Bedeutung, dass er durch das Gericht umfassend über sämtliche vor und außerhalb der Hauptverhandlung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten geführten [X.] informiert wird ([X.], Urteil vom 13. Februar 2014 -1 [X.] Rn. 16).

bb) Der Senat kann hier das Beruhen des Urteils auf dem Verstoß gegen die Mitteilungspflichten aus § 243 Abs. 4 StPO auch nicht im Hinblick auf die (im [X.] vermerkte) Feststellung der Vorsitzenden, dass keine Verständigung stattgefunden habe, ausschließen. Denn auch im Falle einer im Ergebnis nicht zustande gekommenen Verständigung kann das Prozessverhalten des Angeklagten durch die vorangegangenen [X.] beeinflusst worden sein. Solches liegt hier im Hinblick auf den weiteren Verfahrensgang nach den [X.]n sogar nahe. So hat der Verteidiger des Angeklagten trotz gescheiterter Verständigung für diesen eine Erklärung abgegeben, die er mit der geäußerten Erwartung verbunden hat, dass es bei dem [X.] des Gerichts verbleibe. Im Hinblick auf diese als Teilgeständnis gewertete Erklärung beantragte der Sitzungsstaatsanwalt eine Teileinstellung des Verfahrens. Im [X.] an die Vornahme der beantragten Verfahrensbeschränkung gab schließlich das Gericht bekannt, es fühle sich im Hinblick auf die vom Angeklagten abgegebene Erklärung an den im [X.] gemachten Strafrahmen gebunden.

2. Ergänzend bemerkt der Senat: Sollte die neue [X.] wieder zu der Feststellung gelangen, dass das Leben des Angeklagten vor seiner Verhaftung in dieser Sache weitgehend durch seinen Drogenkonsum geprägt war und dass er danach noch für die Dauer von drei bis vier Monaten unter Entzugserscheinungen litt, wird sie diese Umstände bei der Prüfung, ob bei dem Angeklagten ein Hang i.S.d. § 64 StGB, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, gegeben war, in den Blick zu nehmen haben (zum Begriff des [X.]. § 64 StGB vgl. [X.], Urteil vom 11. März 2014 - 1 [X.] Rn. 11 mwN).

Raum                         Jäger                               Cirener

               [X.]

Meta

1 StR 612/13

09.04.2014

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG München I, 24. Juli 2013, Az: 7 KLs 388 Js 112150/12

§ 202a StPO, § 212 StPO, § 243 Abs 4 StPO, § 257c StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.04.2014, Az. 1 StR 612/13 (REWIS RS 2014, 6432)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6432

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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