Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.04.2011, Az. XI B 75/10

11. Senat | REWIS RS 2011, 7999

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Gegenstand

Ablehnung einer Vorlage an den EuGH im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde


Leitsatz

NV: Im Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision kommt eine Vorlage an den EuGH zur Frage der Bedeutung des Unionsrechts für die Anwendung des § 115 Abs. 2 FGO jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn diese Frage nicht entscheidungserheblich ist .

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] und Beschwerdeführers (Kläger) ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

2

1. Der Kläger ist selbständiger Krankenpfleger. Er betrieb im Streitjahr 1989 eine Pflegestation für Hauskrankenpflege. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) setzte im Umsatzsteuerbescheid für 1989 gegen den Kläger Umsatzsteuer nebst Zinsen fest. Einspruch, Klage und Nichtzulassungsbeschwerde blieben erfolglos (vgl. Beschluss des [X.] --[X.]-- vom 10. Juni 1997 [X.], [X.], 224).

3

Das [X.] hat den Antrag des [X.], die Umsatzsteuer für 1989 nebst Zinsen gemäß § 227 der Abgabenordnung ([X.]) zu erlassen, durch Bescheid vom 25. November 2004 und Einspruchsentscheidung vom 7. September 2006 abgelehnt. Das Finanzgericht ([X.]) hat die dagegen erhobene Klage als unbegründet abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.].

4

2. Die weitgehend im Stil einer Revisionsbegründung gehaltenen Ausführungen des [X.] in seiner Beschwerdeschrift richten sich im [X.] gegen die materielle Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Damit wird jedoch keiner der in § 115 Abs. 2 [X.]O abschließend aufgeführten Zulassungsgründe dargetan, sondern nur, dass das [X.] nach Auffassung des [X.] falsch entschieden habe. Die Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung vermag die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 [X.]O grundsätzlich nicht zu begründen (vgl. z.B. [X.] vom 25. Oktober 2004 III [X.]/03, [X.] 2005, 339; vom 17. Januar 2002 [X.]/01, [X.] 2002, 748; vom 2. November 2006 [X.], [X.] 2007, 424; vom 6. November 2008 [X.]/07, [X.] 2009, 617).

5

3. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O zuzulassen.

6

Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung (§ 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O) erfordert u.a. die Formulierung einer bestimmten Rechtsfrage sowie Ausführungen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die aufgeworfene Rechtsfrage umstritten ist (vgl. z.B. [X.] vom 10. Februar 2010 III [X.]/09, [X.] 2010, 881, m.w.N.; vom 31. März 2010 IV [X.]/08, [X.] 2010, 1487; vom 20. Oktober 2010 [X.]/10, [X.] 2011, 63, m.w.N.). Daran fehlt es weitgehend.

7

Soweit die Beschwerdeschrift diese Anforderungen erfüllt, sind die vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen bereits durch die [X.]-Urteile vom 23. November 2006 [X.] ([X.], 357, [X.], 436; die Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil wurde gemäß §§ 93a, 93b des Gesetzes über das [X.] --[X.]-- nicht zur Entscheidung angenommen) und vom 16. September 2010 [X.]/09 ([X.], 504, [X.], 151), denen sich der Senat angeschlossen hat (vgl. [X.]-Urteil vom 1. Dezember 2010 [X.], [X.] 2011, 411), sowie durch das [X.]-Urteil vom 29. Mai 2008 [X.]/06 ([X.] 2008, 1889; die Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil wurde gemäß §§ 93a, 93b [X.] nicht zur Entscheidung angenommen) geklärt (vgl. auch [X.] vom 29. Oktober 2010 [X.]/09, [X.] 2011, 294; vom 26. November 2010 [X.]/10, [X.] 2011, 409; vom 3. Dezember 2010 [X.]/10, [X.] 2011, 563).

8

Zwar macht der Kläger u.a. geltend, diese Urteile bzw. die in ihnen enthaltenen Rechtsausführungen beträfen Fallkonstellationen, die von dem vorliegend gegebenen Sachverhalt abwichen; im Streitfall stellten sich Fragen, die der [X.] ([X.]) und/oder der [X.] noch nicht entschieden habe. Dieser Vortrag verkennt aber, dass eine Rechtsfrage bereits dann nicht klärungsbedürftig ist, wenn sie sich --wie hier-- anhand der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lässt und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den [X.] geboten erscheinen lassen (vgl. z.B. [X.] vom 21. November 2007 [X.], [X.] 2008, 396; vom 10. Dezember 2007 [X.], [X.] 2008, 384, m.w.N.).

9

4. Soweit der Kläger eine Zulassung der Revision zur Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 [X.]O) begehrt, hat er nicht --wie erforderlich-- die behauptete Abweichung durch das Gegenüberstellen einander widersprechender abstrakter Rechtssätze aus der Entscheidung der Vorinstanz einerseits und der Divergenzentscheidung (hier Urteil des [X.] Hamburg vom 20. Mai 2008  4 K 28/08, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --[X.]--, Beilage 2008 zu Nr. 7, 23) andererseits i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O dargelegt (vgl. dazu z.B. [X.]-Beschluss vom 5. Oktober 2010 [X.]/10, [X.] 2011, 273).

Des Weiteren ist für diesen Zulassungsgrund darzulegen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt (vgl. z.B. [X.]-Beschluss vom 13. Oktober 2009 [X.]/09, [X.] 2010, 168, m.w.N.). Der Kläger führt aber selbst aus, dass die von ihm angeführte Entscheidung des [X.] Hamburg ([X.] Beilage 2008 zu Nr. 7, 23) die Auslegung des § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes betrifft, während es vorliegend um einen [X.] nach § 227 [X.] geht.

5. Der ferner vom Kläger geltend gemachte [X.] der Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht schlüssig dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O).

Soweit der Kläger rügt, das [X.] habe nicht zur Kenntnis genommen, dass er bereits im Oktober 1994 einen Erlassantrag gestellt habe, führt er selbst aus, dass dieser Umstand nach der --für die Prüfung eines Verfahrensmangels maßgeblichen-- Rechtsauffassung des [X.] nicht entscheidungserheblich war, weil es die Frage der rechtzeitigen Antragstellung ausdrücklich offengelassen hat.

Mit der weiteren Rüge, das [X.] habe fehlerhaft eine andere Entscheidung "umgeschrieben", macht der Kläger nicht die Verletzung rechtlichen Gehörs, sondern fehlerhafte Rechtsanwendung geltend.

6. Soweit der Kläger meint, die Revision sei zuzulassen, damit dem [X.] in dem angestrebten Revisionsverfahren bestimmte Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt werden könnten, hält der Senat die vom Kläger aufgeworfenen Fragen --soweit sie entscheidungserheblich sind-- durch die bereits vorliegende Rechtsprechung des [X.], die in den [X.]-Urteilen in [X.], 357, [X.], 436; in [X.], 504, [X.], 151, und in [X.] 2008, 1889 im Einzelnen wiedergegeben worden ist, für geklärt.

Unter diesen Umständen besteht für den Senat keine Vorlagepflicht (vgl. zu den Voraussetzungen [X.]-Urteile vom 6. Oktober 1982 Rs. [X.]/81 --Cilfit--, [X.]. 1982, 3415, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1983, 1257, Rz 21; vom 6. Dezember 2005 Rs. [X.]/03 --Gaston [X.], [X.]. 2005, [X.], [X.] --[X.]-- 2006, 416; vom 15. September 2005 Rs. [X.]/03 --Intermodal [X.], [X.]. 2005, [X.], [X.] 2005, 1236; Beschluss des [X.]s vom 30. August 2010  1 BvR 1631/08, [X.], 288, unter B.II.1.).

7. Die Aussetzung des Beschwerdeverfahrens gemäß § 74 [X.]O und die Vorlage der vom Kläger formulierten Vorlagefragen an den [X.] kommen nicht in Betracht.

a) Der Kläger hält es nach seiner ersten Vorlagefrage für unionsrechtlich zweifelhaft, ob § 115 Abs. 2 [X.]O nach den Vorgaben des unionsrechtlichen Äquivalenz- und Effektivitätsprinzips so auszulegen sei, dass die Zulassung stets erfolgen müsse, wenn der [X.] eine unionsrechtliche Zweifelsfrage noch nicht entschieden habe. Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte der Kläger durch den [X.] klären lassen, ob der [X.] als letztinstanzliches Gericht --wenn in einem Streitfall eine unionsrechtliche [X.] aufgeworfen [X.], nur dann von der Zulassung der Revision absehen dürfe, mithin in allen anderen Fällen die Revision stets zulassen müsste, wenn die Voraussetzungen der sog. acte clair-Doktrin des [X.] (vgl. [X.]-Urteile --Cilfit u.a.-- in [X.]. 1982, 3415, NJW 1983, 1257, Rz 21; --Gaston [X.] in [X.]. 2005, [X.], [X.] 2006, 416; --Intermodal [X.] in [X.]. 2005, [X.], [X.] 2005, 1236) nicht erfüllt seien.

b) Die Aussetzung des Verfahrens und die Anrufung des [X.] im Wege des [X.] kommen im Streitfall nicht in Betracht, da die vorgenannten [X.]n nicht entscheidungserheblich sind. Eine Vorabentscheidung des [X.] nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] über eine unionsrechtliche [X.] ist nicht einzuholen, wenn die aufgeworfene [X.] nicht streiterheblich ist (vgl. die [X.]-Urteile --Cilfit-- in [X.]. 1982, 3415, NJW 1983, 1257, Rz 21; --Gaston [X.] in [X.]. 2005, [X.], [X.] 2006, 416; --Intermodal [X.] in [X.]. 2005, [X.], [X.] 2005, 1236).

So ist es im Streitfall. Wie die Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 [X.]O am Maßstab des Unionsrechts auszulegen sind, ist im Streitfall nicht erheblich. Selbst wenn der [X.] zu dem Ergebnis käme, dass die Voraussetzungen der Zulassungsgründe gemäß § 115 Abs. 2 [X.]O im Sinne der Auffassung des [X.] zu verstehen wären, wäre die Revision nicht zuzulassen. Die vom Kläger aufgeworfenen unionsrechtlichen Zweifelsfragen sind bereits geklärt, sodass jedenfalls wegen dieser [X.]n die Revision auch nach dem Maßstab des [X.] nicht zuzulassen wäre.

8. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 116 Abs. 5 Satz 2 [X.]O).

Meta

XI B 75/10

01.04.2011

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 29. Juni 2010, Az: 5 K 2292/06 B, Urteil

§ 74 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 227 AO, Art 267 Abs 3 AEUV, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 01.04.2011, Az. XI B 75/10 (REWIS RS 2011, 7999)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7999

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1 BvR 1631/08

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