Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.09.2012, Az. 5 B 32/12

5. Senat | REWIS RS 2012, 3373

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Gegenstand

Entschädigung wegen Diskriminierung; offensichtlich fachliche Ungeeignetheit des Bewerbers; öffentlicher Arbeitgeber


Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs [X.] vom 7. Februar 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 5 648,06 € festgesetzt.

Gründe

1

Die [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Die Revision ist weder wegen eines Verfahrensfehlers gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO noch wegen der grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

2

1. Ohne Erfolg rügt die [X.]eschwerde als verfahrensfehlerhaft, die Würdigung des [X.]erufungsgerichts, der Entschädigungsanspruch sei nicht nach dem Grundsatz von [X.] und Glauben unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs wegen mangelnder Ernsthaftigkeit der [X.]ewerbung ausgeschlossen, beruhe auf aktenwidrigen Feststellungen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

3

Mit der Rüge einer fehlerhaften Verwertung des dem Gericht vorliegenden Tatsachenmaterials wird zunächst nur ein - angeblicher - Fehler in der Sachverhaltswürdigung angesprochen. Ein solcher Fehler ist revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und kann deshalb einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen (vgl. [X.]eschlüsse vom 2. November 1995 - [X.]VerwG 9 [X.] - [X.] 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f. und vom 3. Dezember 2008 - [X.]VerwG 4 [X.] 26.08 - juris). Eine Ausnahme hiervon kommt unter anderem bei einer aktenwidrigen Sachverhaltsfeststellung in [X.]etracht (stRspr, vgl. [X.]eschluss vom 28. März 2012 - [X.]VerwG 8 [X.] 76.11 -[X.] 2012, 160 f. m.w.N.).

4

Tatsächliche Feststellungen sind aktenwidrig, wenn zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt ein Widerspruch besteht. Dieser Widerspruch muss offensichtlich sein, so dass es einer weiteren [X.]eweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts nicht bedarf. Die Aktenteile, die das [X.] nach Ansicht der [X.]eschwerde nicht oder fehlerhaft berücksichtigt haben soll, sind genau zu bezeichnen. Darüber hinaus ist darzulegen, welche Schlussfolgerung sich dem [X.], ausgehend von dessen materiell-rechtlicher Auffassung, aufgrund dieser Tatsachen hätte aufdrängen müssen ([X.]eschlüsse vom 23. Dezember 2011 - [X.]VerwG 5 [X.] - [X.] 2012, 98, vom 6. April 2009 - [X.]VerwG 6 [X.] 73.08 - [X.] 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 60 S. 24 f., vom 17. September 2002 - [X.]VerwG 9 [X.] - [X.] 406.11 § 133 [X.]auG[X.] Nr. 133 und vom 19. November 1997 - [X.]VerwG 4 [X.] 182.97 - [X.] 406.11 § 153 [X.]auG[X.] Nr. 1 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die [X.]eschwerdebegründung nicht.

5

Die [X.]eschwerde legt nicht schlüssig dar, dass die Annahme des [X.]erufungsgerichts, der Kläger habe sich "grundsätzlich bemüht (...), jedes ihm angetragene Vorstellungsgespräch wahrzunehmen oder sich - sofern ihm dies etwa wegen gleichzeitig stattfindender anderer Vorstellungsgespräche oder wegen Krankheit nicht möglich war - um einen Ersatztermin nachzusuchen" ([X.]), in offensichtlichem Widerspruch zum Inhalt der Akten stehe ([X.] der [X.]eschwerdebegründungsschrift). Dass die Würdigung des [X.]erufungsgerichts erkennbar an durch [X.] zumindest teilweise belegte Ausführungen des [X.] im erstinstanzlichen Verfahren anknüpft (Anlagen [X.] bis K 16 zum Schriftsatz seines damaligen Prozessbevollmächtigten vom 13. September 2009 <[X.]l. 239 bis 249 [X.]A I> sowie Anlagen zum Schreiben des [X.] vom 23. September 2010 <[X.]l. 305 bis 309 und 323 bis 333 [X.]A I>), bleibt außer [X.]etracht.

6

Ein offensichtlicher Widerspruch zu dem Inhalt der Akten wird auch nicht insoweit substanziiert dargetan, als die [X.]eschwerde im Hinblick auf das Vorbringen des [X.], "er habe immer eine [X.]eamtenstelle und nicht nur ein Angestelltenverhältnis angestrebt und bevorzuge räumlich eindeutig eine [X.]eschäftigung in [X.]aden-Württemberg" ([X.]), die Frage aufwirft, "welchen 'plausiblen Vortrag' des [X.] der Verwaltungsgerichtshof in [X.]ezug [nehme]" ([X.] der [X.]eschwerdebegründungsschrift). Hierbei bleibt das diesbezügliche Vorbringen in der Klageschrift vom 2. Juni 2010 ([X.]l. 5 [X.]A I) unberücksichtigt. Dass die [X.]eklagte dieses für unglaubhaft hält, vermag eine Aktenwidrigkeit der Sachverhaltswürdigung des [X.]erufungsgerichts nicht zu begründen.

7

Die Aktenwidrigkeit der Feststellungen wird auch nicht dadurch schlüssig dargetan, dass die [X.]eschwerde dem [X.]erufungsgericht vorhält, es hätte bei einer kritischen Prüfung der Einlassungen des [X.] nicht unterstellen dürfen, dieser habe nachvollziehbar dargelegt, warum er die Vorstellungsgespräche abgesagt habe, es hätte sich dem Gericht vielmehr aufdrängen müssen, dass sich bei dem Kläger innerhalb von sechs Tagen kein genereller Sinneswandel habe einstellen können. Allein der Umstand, dass die [X.]eschwerde das [X.]estehen der ernstlichen Möglichkeit eines anders gestalteten Geschehens beziehungsweise einer zu weiteren Fragen Anlass gebenden Sachverhaltskonstellation bezeichnet, zeigt noch keinen offensichtlichen, "zweifelsfreien" Widerspruch zwischen den Annahmen des [X.]s und der Aktenlage auf. Dies gilt umso mehr, als der unstreitige Akteninhalt, dem zufolge sich der Kläger am 31. Dezember 2009 bei der [X.]eklagten beworben hat und am 5. Januar 2010 ein Vorstellungsgespräch bei einem [X.] Landkreis im Hinblick auf die bevorstehende Aufnahme des [X.]eschäftigungsverhältnisses bei einer [X.] Gemeinde abgesagt hat, zwar die Folgerung rechtfertigt, dass die [X.]ewerbung bei der [X.]eklagten in Wahrheit auf die Schaffung der Voraussetzungen für eine Entschädigungsleistung abzielte (S. 6 f. der [X.]eschwerdebegründungsschrift), dieser Schluss indes nicht zwingend ist.

8

Mit der Rüge, das [X.]erufungsgericht habe entgegen seiner Verpflichtung aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht ernstlich erwogen, dass der Kläger die weiteren [X.]ewerbungen ebenso wie die Absagen der Vorstellungsgespräche lediglich im Hinblick auf die gewünschte beziehungsweise nicht mehr zu realisierende Entschädigung vorgenommen habe, wendet sich die [X.]eschwerde gegen die von ihr für falsch befundene Feststellung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts durch das [X.]erufungsgericht, ohne jedoch hiermit einen im Rahmen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beachtlichen Verfahrensfehler darzulegen.

9

2. Die Zulassung der Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der angesprochenen Rechtsfragen geboten (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Eine ausreichende Darlegung der rechtsgrundsätzlichen [X.]edeutung einer Rechtssache setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Frage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung bestehen soll (stRspr, vgl. [X.]eschlüsse vom 2. Oktober 1961 - [X.]VerwG 8 [X.] 78.61 - [X.]VerwGE 13, 90 <91> = [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 18 S. 21 f. und vom 2. Februar 2011 - [X.]VerwG 6 [X.] 37.10 - [X.] 421.2 Hochschulrecht Nr. 173). Diesen Anforderungen wird die [X.]eschwerde nicht gerecht.

Die [X.]eklagte hält es für grundsätzlich klärungsbedürftig,

ob "trotz des Vorliegens der geforderten fachlichen Abschlüsse die Einladung eines schwerbehinderten Menschen nach § 82 Abs. 3 SG[X.] IX wegen offensichtlichen Fehlens der fachlichen Eignung entbehrlich sein kann, wenn zusätzlich bekannt gewordene Umstände eine Untauglichkeit zur Wahrnehmung der ausgeschriebenen Stelle ergeben",

"ob es auch eine offensichtliche Ungeeignetheit bei einem weit gefassten Auswahlprofil geben kann, weil sich aus den [X.]ewerbungsunterlagen und den ggf. zusätzlich bekannt gewordenen Umständen eine offensichtliche Ungeeignetheit aufdrängt", und

"[a]b wann bei einem Anforderungsprofil der Rückgriff auf weitere Erkenntnisse wegen des [X.] trotz mangelnder Ausdifferenzierung (.) verwehrt ist".

Damit zeigt die [X.]eschwerde keinen fallübergreifenden und im vorliegenden Verfahren entscheidungserheblichen Klärungsbedarf auf. Es ist in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt, dass abgesehen von hier nicht entscheidungserheblichen Konstellationen einer aus Rechtsgründen ausgeschlossenen fachlichen Eignung (vgl. dazu Urteil vom 15. Dezember 2011 - [X.]VerwG 2 A 13.10 - NVwZ-RR 2012, 320 ) die Frage einer offensichtlichen fachlichen Ungeeignetheit auf der Grundlage eines Vergleichs zwischen dem vom Arbeitgeber aufgestellten Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle und dem Leistungsprofil des [X.]ewerbes zu beurteilen ist. Dabei muss der öffentliche Arbeitgeber das fachliche Anforderungsprofil vor [X.]eginn des Auswahlverfahrens dokumentieren, damit die Gründe für seine Entscheidung transparent sind und die Entscheidung nach den Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG überprüft werden kann. Ohne Dokumentation wäre es dem öffentlichen Arbeitgeber ansonsten in nahezu jedem Fall möglich, Eignungsmerkmale nachzuschieben, die das Absehen von der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch rechtfertigen (Urteil vom 3. März 2011 - [X.]VerwG 5 [X.] 16.10 - [X.]VerwGE 139, 135 = [X.] 436.62 § 82 SG[X.] IX Nr. 1, jeweils Rn. 21 ff.). Daher kann das Fehlen "ungeschriebener" fachlicher Fähigkeiten auch nicht das Urteil einer offensichtlichen fachlichen Ungeeignetheit begründen und die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nicht rechfertigen. Dessen ungeachtet würde sich die Frage einer mangelnden persönlichen Eignung wegen fehlender "[X.]" im vorliegenden Fall nicht stellen, weil eine diesbezügliche Untauglichkeit des [X.] nach den oben zitierten tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht belegt ist.

3. Von einer weiteren [X.]egründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

4. [X.] folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

5 B 32/12

10.09.2012

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 7. Februar 2012, Az: 4 S 1813/11, Urteil

§ 82 Abs 3 SGB 9, Art 33 Abs 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10.09.2012, Az. 5 B 32/12 (REWIS RS 2012, 3373)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3373

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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