Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.08.2023, Az. 4 StR 467/22

4. Strafsenat | REWIS RS 2023, 5575

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Gegenstand

Bedingter Körperverletzungsvorsatz bei Flucht vor Polizeibeamten mit Kraftfahrzeug


Tenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 6. Mai 2022 mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen „vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr jeweils in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, fahrlässiger Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort, Sachbeschädigung und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis“ zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und einen [X.] von vier Monaten bestimmt. Weiterhin hat es eine Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von drei Jahren festgesetzt.

2

Hiergegen richtet sich die vom [X.] teilweise vertretene Revision der St[X.]tsanwaltschaft, die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts die Verurteilung des Angeklagten wegen weiterer tateinheitlich begangener Delikte – insbesondere wegen gefährlicher Körperverletzung – und die Verhängung einer höheren Strafe anstrebt. Das Rechtsmittel erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite; im Übrigen ist es unbegründet.

I.

3

1. Nach den Feststellungen des [X.]s war der Angeklagte seit dem 5. Oktober 2020 nach § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt untergebracht. Am 27. April 2021 gelang ihm gemeinsam mit dem gesondert verfolgten [X.]     die längerfristig vorbereitete Flucht aus dem Maßregelvollzug. Bereits am Vorabend der Flucht nahm er den in der Folgezeit regelmäßig praktizierten [X.] wieder auf, wobei er neben Kokain auch Marihuana und LSD konsumierte. Noch am [X.] erklärte er sich zudem bereit, an der Veräußerung von Betäubungsmitteln, die der [X.]      von Dritten erhalten hatte, mitzuwirken.

4

Am späten Vormittag des 5. Mai 2020 war der Angeklagte allein in einem durch einen Dritten im Auftrag des [X.]     angemieteten [X.] im Stadtgebiet von [X.]    unterwegs, um eine Bekannte zu besuchen. Derweil warteten ihn observierende Polizeibeamte auf eine günstige Gelegenheit, um ihn festzunehmen. Sämtliche eingesetzte Polizeibeamte befanden sich in [X.] und trugen zivile Kleidung. Der Zeuge [X.]führte einen Mercedes-Benz [X.] Kastenwagen, in dem der Zeuge [X.].  als Beifahrer saß. Der Zeuge [X.]     führte einen [X.], in dem der Zeuge [X.] K.    als Beifahrer saß. Die Zeugen [X.]       und [X.] Bä.       führten weitere Pkw.

5

Gegen 11.20 Uhr fuhr der Angeklagte, der zwar aufgrund des Konsums von LSD und THC enthemmt, jedoch weder in seiner Unrechtseinsicht noch in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt war, mit dem [X.] in [X.]    in die [X.], eine [X.] mit einer quadratförmig angelegten [X.], an die sich in südlicher und östlicher Richtung gepflasterte [X.] mit Parkmöglichkeiten anschließen, ein. Die observierenden Polizeibeamten entschlossen sich, diese Gelegenheit zur Festnahme zu nutzen.

6

Der Angeklagte fuhr in der [X.] in eine Grundstückseinfahrt, die sich in südlicher Richtung an die [X.] anschließt und wendete dort, um die [X.] in entgegengesetzter Richtung wieder verlassen zu können. Noch bevor er wieder die [X.] erreichte, fuhr [X.]mit dem [X.] in die [X.] hinein und brachte sein Fahrzeug frontal in max. zwei Metern Entfernung vor dem [X.] im Übergangsbereich von [X.] und Grundstückseinfahrt zum Stillstand. [X.]       , der als Zweiter nach dem [X.] in die [X.] gefahren war, fuhr währenddessen rechts an dem [X.] vorbei und stellte sein Fahrzeug auf Höhe des [X.] ab. Dann stieg er aus, lief zur [X.] des [X.], rief laut „Polizei“ und forderte den Angeklagten mit gezogener Dienstwaffe auf, die Hände hochzunehmen. Der Angeklagte erfasste die Situation zutreffend als Festnahmeversuch der Polizei und folgte der Anweisung. [X.]       versuchte, die Fahrertür zu öffnen, was ihm jedoch wegen der automatischen Türverriegelung nicht gelang. In diesem Moment entschloss sich der Angeklagte zu fliehen. Er senkte seine Arme wieder, legte einen Vorwärtsgang ein und manövrierte den [X.] sehr langsam, Schrittgeschwindigkeit nicht überschreitend, zwischen der Fahrerseite des Mercedes-Benz [X.] und einem in seiner Fahrtrichtung rechts auf dem Grünstreifen am Anfang der südlichen Grundstückseinfahrt befindlichen, etwa 50 cm großen Stein vorbei. Währenddessen lief [X.]        auf der Fahrerseite neben dem [X.] her und versuchte vergeblich, die Seitenscheibe der Fahrertür mit seiner Dienstwaffe einzuschlagen.

7

In der Zwischenzeit hatte [X.] Bä.     , der als Dritter in die [X.] gefahren war, das von ihm geführte Zivilfahrzeug etwas nach rechts versetzt hinter dem des [X.]       abgestellt. Er war ausgestiegen und hinter dem Heck des [X.] vorbei auf die Beifahrerseite des [X.] gelaufen. Diese erreichte er, nachdem der Angeklagte den vorderen Teil des [X.] bereits an [X.] vorbeimanövriert hatte. Auch er versuchte nun, den Angeklagten zum Stehen zu bringen, indem er auf der Beifahrerseite neben dem Fahrzeug [X.], den Angeklagten durch die [X.] mit seiner Dienstwaffe bedrohte und gleichzeitig laut „Polizei, stehenbleiben, Motor ausmachen“ rief sowie mit der Hand gegen die [X.] schlug.

8

Inzwischen war auch [X.].   aus dem [X.] ausgestiegen und hinter dessen Heck vorbei zur Motorhaube des [X.] gelaufen, wo er sich in dessen Fahrtrichtung links direkt vor dem Angeklagten positioniert hatte. Während seine beiden Kollegen weiterhin versuchten, den Angeklagten unter Vorhalt der Dienstwaffe durch Rufen und Schlagen auf die Fensterscheiben zum Anhalten zu bewegen, bedrohte [X.].   den Angeklagten jetzt mit gezogener Dienstwaffe durch die Frontscheibe und rief laut „Polizei, Hände hoch“. Der Angeklagte erkannte auch den rechts von ihm befindlichen [X.] Bä.      und den vor ihm stehenden [X.].  als Polizeibeamte und nahm auch deren Einwirkungen wahr.

9

Währenddessen fuhr [X.]     mit einem [X.] als Vierter in die [X.] ein. Er brachte das Fahrzeug am Anfang des [X.] in der Mitte der Fahrbahn zum Stehen. [X.] K.   stieg aus und lief Richtung Fahrerseite des [X.], um [X.]       dort zu unterstützen.

Weil der Angeklagte den [X.] zuerst an [X.] hatte vorbeimanövrieren müssen und in seiner Fahrtrichtung ein Stück hinter dem Heck des [X.]s am rechten Fahrbahnrand ein [X.] war, musste er den [X.] sehr eng und in einem „flachen Winkel“ an dem [X.] vorbeiführen. Dadurch wurde der Zwischenraum zwischen der vorderen linken Fahrzeugseite des [X.] und der hinteren linken Ecke des [X.] immer enger. Infolgedessen wurde [X.]      zwischen den Fahrzeugen eingeklemmt. [X.]       konnte sich selbst aus dieser Situation befreien, indem er sich mit der linken Hand an der Fahrerseite des [X.] und der rechten Hand am [X.] aus der Einengung abstützte und nach oben herausdrückte. Die [X.] konnte nicht feststellen, an welcher Stelle an der Fahrerseite des [X.] dies erfolgte und ob der Angeklagte die für [X.]       bedrängte Situation vor dessen Einklemmen zwischen den Kraftfahrzeugflanken wahrnahm. Der Zeuge erlitt hierdurch ein Hämatom an der linken [X.]. Bei Anwendung der im Straßenverkehr erforderlichen Sorgfalt hätte der Angeklagte das Risiko einer solchen Situation und eine Verletzung des Zeugen [X.]       als deren Folge erkennen und ihren Eintritt vermeiden können.

Im Folgenden gelang dem Angeklagten durch verschiedene weitere Fahrmanöver die Flucht aus der [X.].

Im Rahmen dieses weiteren Geschehens beschädigte der Angeklagte den [X.] und den [X.], indem er den von ihm gesteuerten [X.] bewusst als Rammmittel benutzte, um so seine Weiterfahrt zu ermöglichen. Der Angeklagte bemerkte die von ihm bewusst herbeigeführten Kollisionen mit diesen Fahrzeugen. Hinsichtlich des [X.] erfasste er aber nicht, hierdurch erheblichen Fremdschaden verursacht zu haben. Zudem steuerte er den [X.] auf [X.].  zu, um die Freigabe des [X.] durch diesen herbeizuführen, was ihm auch entsprechend seiner Erwartung gelang. [X.].  konnte sich, worauf der Angeklagte vertraut hatte, durch einen Sprung in den Bereich hinter das Heck des [X.] in Sicherheit bringen. Dagegen wurde [X.] K.    von dem vorbeifahrenden [X.] leicht am Knie berührt. Hierdurch „erlitt er weder eine Verletzung noch ein körperliches Unwohlsein“. Der Angeklagte hatte [X.] K.    nicht früh genug wahrgenommen, um rechtzeitig vollständig ausweichen zu können, zog aber den [X.] in einer reflexhaften Lenkbewegung von [X.] K.    weg in Richtung des seitlich vor ihm befindlichen [X.], wodurch dieser beschädigt wurde.

Der Angeklagte nahm auch den Zusammenstoß mit dem [X.] wahr und rechnete damit, dass an [X.], [X.] und [X.] erhebliche Schäden entstanden waren. Er hielt jedoch nicht an und setzte seine Flucht fort, ohne Feststellungen zur seiner Person und der Art seiner Unfallbeteiligung zu ermöglichen. Dem Angeklagten war zudem bewusst, dass er nicht über die für das Führen eines Kraftfahrzeuges erforderliche Fahrerlaubnis verfügte.

An den einzelnen Fahrzeugen entstanden durch die von dem Angeklagten verursachten Kollisionen Sachschäden. Die voraussichtlichen Reparaturkosten für diese Schäden hat die [X.] für den [X.] und den [X.] mit jeweils ca. 1.200 €, für den [X.] mit ca. 650 € und für den von dem Angeklagten gesteuerten, angemieteten [X.] mit etwa 23.000 € festgestellt.

Darüber hinaus verletzte sich [X.] Bä.      im Rahmen des Geschehens auf dem [X.], als er die Beifahrerseitenscheibe des [X.] mittels eines Nothammers einschlug, um so trotz der verriegelten Fahrzeugtüren in das Innere des Fahrzeugs zu gelangen, an einer Glasscherbe an der Hand.

Zur subjektiven Tatseite des Geschehens zum Nachteil des [X.]      hat das [X.] im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, dass es die [X.] „für plausibel“ halte, dass der Angeklagte mehrfach zu [X.]       [X.] habe. Dies liege nahe, da dieser – neben dem [X.] herlaufend – versucht habe, die [X.] mit seiner Dienstwaffe einzuschlagen. Andererseits habe es sich um eine hoch dynamische Situation gehandelt, in der eine „Vielzahl von Stressoren“, namentlich „allein vier von drei Seiten her attackierende Polizeibeamte“ auf den Angeklagten einwirkten. Gleichzeitig habe der Angeklagte die Verkehrssituation erfassen müssen, um seine Fluchtmöglichkeiten abschätzen zu können. „Naturgemäß sei sein Blick daher immer wieder nach vorne gerichtet gewesen“. Dies reiche für „zweifelsfreie Feststellungen“ zu „entsprechender Kenntnis des Angeklagten von der Zwangslage des [X.]       “ nicht aus. Schließlich „lasse sich vernünftigerweise auch nicht ausschließen, dass der Angeklagte ernsthaft darauf vertraute, dass [X.]       sich rechtzeitig vor dem Eintritt einer konkreten Gefahr für seine körperliche Unversehrtheit zurückziehen und nicht weiter neben dem [X.] herlaufen würde“.

2. Die infolge der Einklemmung des [X.]      zwischen den Fahrzeugfronten des [X.] und des [X.] herbeigeführte Verletzung sowie die durch [X.] Bä.       bei Gelegenheit des Einschlagens der Fensterscheibe der Beifahrertür erlittene Verletzung hat die [X.] jeweils unter Verneinung eines Vorsatzes nach § 223 StGB als fahrlässige Körperverletzung gewürdigt. Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchter Körperverletzung durch Zufahren auf [X.] K.   hat sie aufgrund fehlenden [X.]es und – hilfsweise – wegen freiwilligen Rücktritts vom unbeendeten Versuch durch die spontane, von dem [X.] verneint. Gleichermaßen hat sie eine versuchte Körperverletzung zum Nachteil des [X.].   erwogen und wegen fehlenden [X.]es abgelehnt. In dem gezielten Auffahren auf den [X.] und den [X.], um die Weiterfahrt durch ein Freirammen zu erzwingen, hat das [X.] einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß §§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB gesehen. Die durch Zufahren auf den Zeugen [X.].  herbeigeführte provozierte Freigabe des [X.] durch das zur Seite Springen des Zeugen hat es als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie als tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 Alt. 2, § 114 Abs. 1, Abs. 2 StGB bewertet. Hinsichtlich der Polizeibeamten [X.]      , [X.] Bä.       und [X.] K.    hat sie diese Tatbestände mangels entsprechenden Vorsatzes nicht als verwirklicht angesehen. Hinsichtlich der vorsätzlichen Beschädigungen des [X.], des [X.] und des [X.] – nicht jedoch des [X.] – hat sie auf eine Sachbeschädigung erkannt. Das Fortsetzen der Flucht nach den von dem Angeklagten insoweit nach den Feststellungen wahrgenommenen Zusammenstößen mit erheblichen Beschädigungen mit dem [X.] und dem [X.] hat sie als unerlaubtes Entfernen vom Unfallort bewertet. Zudem hat sie den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig gesprochen.

Für sämtliche Delikte ist sie vom Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit aufgrund der ununterbrochenen Fluchtfahrt und damit von Tateinheit ausgegangen (§ 52 StGB).

II.

Die zuungunsten des Angeklagten unbeschränkt eingelegte Revision der St[X.]tsanwaltschaft hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Die Erwägungen, mit denen das [X.] einen bedingten [X.] hinsichtlich des Geschehens zum Nachteil von [X.]      verneint hat, halten auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 1. März 2018 – 4 StR 399/17, [X.]St 63, 88 Rn. 16 f.; Urteil vom 5. Dezember 2017 – 1 [X.], [X.], 206, 207) einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) [X.] Vorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Erfolg als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Erfolges abfindet, mag ihm der [X.] auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement; vgl. [X.], Beschluss vom 18. Februar 2021 ‒ 4 StR 266/20 Rn. 9; Urteil vom 18. Juni 2020 ‒ 4 StR 482/19, NJW 2020, 2900 Rn. 22; Urteil vom 1. März 2018 ‒ 4 StR 399/17, [X.]St 63, 88 Rn. 17; Urteil vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15 Rn. 12). Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen (vgl. [X.], Urteil vom 4. Februar 2021 ‒ 4 StR 403/20 Rn. 16; Urteil vom 7. Juli 2016 ‒ 4 StR 558/15 Rn. 14 mwN).

b) Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht. Sowohl der Ausschluss des [X.] ([X.]) als auch des Willenselements ([X.]) des bedingten Vorsatzes durch die [X.] begegnet vorliegend durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

[X.]) Das [X.] hat das Wissenselement des bedingten Vorsatzes betreffend einen falschen rechtlichen Maßstab angelegt. Denn anders als beim direkten Vorsatz ist beim bedingten Vorsatz ein sicheres Voraussehen des tatbestandlichen Erfolges durch den Täter nicht erforderlich (vgl. [X.], Urteil vom 14. Dezember 2000 – 4 [X.], juris Rn. 14; Urteil vom 12. Juli 2005 – 1 [X.], juris Rn. 16, jeweils zu § 226 Abs. 2 StGB; [X.]/[X.], § 15 Rn. 17; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], StGB, 30. Aufl., § 15 Rn. 72; [X.]/[X.], 5. Aufl., § 15 Rn. 44). Stattdessen reicht es aus, wenn der Täter die bloße Möglichkeit des [X.]s erkennt (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Februar 2021 ‒ 4 StR 266/20; Urteil vom 18. Juni 2020 ‒ 4 StR 482/19, NJW 2020, 2900 Rn. 22; Urteil vom 1. März 2018 ‒ 4 StR 399/17, [X.]St 63, 88 Rn. 17; Beschluss vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15, juris Rn. 12). Das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes kann daher nicht – wie vorliegend geschehen – allein mit der Begründung verneint werden, dass keine zweifelsfreien Feststellungen dazu getroffen werden konnten, dass der Angeklagte „die Zwangslage“ des Polizeibeamten und damit die den tatbestandlichen Erfolg auslösende Situation tatsächlich wahrnahm.

[X.]) Auch ist die Erwägung der [X.], der Angeklagte habe „vernünftiger Weise“ darauf vertrauen dürfen, dass sich [X.]       zurückziehe, ist nicht beweiswürdigend unterlegt. Der Ausschluss des voluntativen [X.] ist daher ebenfalls nicht tragfähig.

Auch bei der Prüfung des voluntativen Elements eines bedingten Vorsatzes ist eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände vorzunehmen (vgl. [X.], Urteil vom 7. Juli 2016 ‒ 4 StR 558/15 Rn. 14; Urteil vom 19. April 2016 ‒ 5 StR 498/15, [X.], 204 f. mwN; Urteil vom 25. April 2019 ‒ 4 [X.], [X.], 608, 609; Urteil vom 1. März 2018 ‒ 4 StR 399/17, [X.]St 63, 88 Rn. 19). Dabei müssen alle im Einzelfall in Betracht kommenden Umstände in den Blick genommen und erörtert werden (vgl. [X.], Urteil vom 18. Juni 2020 ‒ 4 StR 482/19, [X.], 602 Rn. 23; Urteil vom 25. April 2019 ‒ 4 [X.], [X.], 608 Rn. 16; Urteil vom 1. März 2018 ‒ 4 StR 399/17, [X.]St 63, 88 Rn. 19; Urteil vom 26. November 2014 ‒ 2 StR 54/14, [X.], 516 f.; Beschluss vom 27. August 2013 ‒ 2 StR 148/13, [X.], 35; Beschluss vom 10. Juli 2007 ‒ 3 [X.], [X.], 307).

Daran fehlt es hier. Eine vertrauensstiftende Tatsachenbasis, auf deren Grundlage der Angeklagte vorliegend vom Ausbleiben eines Körperverletzungserfolgs vernünftigerweise hätte ausgehen können, hat die [X.] nicht dargelegt. Diese liegt angesichts der auch aus [X.] dynamischen, von vielfachen Interaktionen geprägten [X.] nicht auf der Hand. Gleiches gilt vor dem Hintergrund der Erwägung des [X.]s, dass es „plausibel“ sei, dass der Angeklagte mehrfach zu dem mit seiner Dienstwaffe auf die Scheibe der Fahrertür einwirkenden Polizeibeamten [X.] habe und sich mithin dessen Position im Bereich zwischen den Fahrzeugflanken des [X.] und des [X.] im engen zeitlichen Kontext zu der verletzungsherbeiführenden [X.] grundsätzlich bewusst war. Angesichts dieser Umstände hätte es für die Annahme eines entsprechenden Vertrauens des Angeklagten auf einen glimpflichen Ausgang weiterer Darlegungen bedurft.

3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen, insbesondere auch zum bisherigen Suchtverhalten des Angeklagten, zum Vortatgeschehen und zum äußeren Tatgeschehen sind hiervon nicht berührt und können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie zu den bindend gewordenen Feststellungen nicht in Widerspruch treten.

4. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Die Annahme eines Zusammenhangs i.S.d. § 46b Abs. 1 StGB der durch den Angeklagten offenbarten Tat des [X.] in nicht geringer Menge des gesondert verfolgten [X.]     nach der gemeinsamen Flucht aus dem Maßregelvollzug mit der dem Angeklagten hier zur Last liegenden Tat begegnet auf der Grundlage der Feststellungen rechtlichen Bedenken. Danach war der Angeklagte am Tattag mit dem durch einen Dritten angemieteten [X.], nachdem er zunächst in den Vormittagsstunden „ohne konkretes Ziel in der Gegend herum“ gefahren und dann den Zeugen L.      zwecks gemeinsamen [X.]s aufgesucht hatte, anschließend im Stadtgebiet von [X.]     unterwegs, um sich mit einer Bekannten zu treffen. Ein deliktischer Kontext zu etwaigen Betäubungsmittelgeschäften des [X.]     ergibt sich hieraus nicht. Der bloße Umstand, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt ein auf Rechnung des [X.]     von einem Dritten angemietetes Kraftfahrzeug nutzte und es bei Gelegenheit dieser Nutzung zu dem festgestellten objektiven Tatgeschehen kam, genügt für die Annahme eines Zusammenhangs i.S.d. § 46b Abs. 1 StGB nicht (zur Auslegung vgl. [X.], Beschluss vom 25. November 2014 – 5 StR 527/14, juris Rn. 5; Beschluss vom 3. Februar 2021 – 4 [X.], juris Rn. 6; Beschluss vom 21. Juli 2020 ‒ 3 [X.], juris Rn. 5; vgl. außerdem Beschluss vom 27. Januar 2015 ‒ 5 [X.]/14 [tatplangemäßer Weiterverkauf an einen Hehler]; Beschluss vom 15. Juli 2015 – 5 [X.]; Beschluss vom 28. Oktober 2015 – 5 [X.]/15).

b) Schließlich wird sich das neue Tatgericht, sollte es erneut zur Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB kommen, eingehender als bisher mit der Erfolgsaussicht der Maßregel zu befassen haben.

Dabei wird das [X.] die Umstände der längerfristig geplanten Flucht des Angeklagten aus dem Maßregelvollzug und insbesondere auch seines Verhaltens nach der Flucht in den Blick zu nehmen haben (zur Berücksichtigung prognoseungünstiger Faktoren vgl. [X.], Beschluss vom 13. April 2021 – 4 StR 506/20, juris Rn. 10; Beschluss vom 17. Januar 2023 – 5 [X.], juris Rn. 14 mwN). Welchen positiven Einfluss eine erneute Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf das durch die bisherige Therapie offenbar unbeeinflusste Konsum- und Delinquenzverhalten des u.a. wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vorgeahndeten Angeklagten haben und weshalb diese im Gegensatz zur vorausgegangenen Anordnung nunmehr Aussicht auf Erfolg haben soll, bedarf der Darlegung.

Quentin     

  

      Bartel     

  

Rommel

  

Ri[X.] Dr. M[X.]tsch ist
wegen Urlaubs gehindert
zu unterschreiben.

  

[X.]-Pflanz     

  

  

Quentin

  

  

  

Meta

4 StR 467/22

03.08.2023

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hanau, 6. Mai 2022, Az: 1 Ks - 3355 Js 8240/21

§ 223 StGB, § 224 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 03.08.2023, Az. 4 StR 467/22 (REWIS RS 2023, 5575)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5575

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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