Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25.10.2018, Az. XI B 57/18

11. Senat | REWIS RS 2018, 2420

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Gegenstand

Steuerbefreiung für Schul- und Hochschulunterricht; Definition des Begriffs "Unterricht"


Leitsatz

NV: Die Steuerbefreiung für Umsätze eines Privatlehrers setzt voraus, dass die Unterrichtseinheiten zur Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten durch den Unterrichtenden an Schüler oder Studierende dienen. Dies ist nicht der Fall, wenn bei einer Leistung die Möglichkeit im Vordergrund steht, gemeinsam mit anderen Sport zu treiben .

Tenor

Auf die Beschwerde des Beklagten wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 9. Mai 2018  2 K 2112/17 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten im Verfahren wegen Nichtzulassung der Revision darum, ob Umsätze der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) umsatzsteuerfrei sind.

2

Die Klägerin bietet [X.]e für "Aquafitness" an, die sie in stundenweise angemieteten Schwimmbädern durchführt. Weitere tatsächliche Feststellungen zu Inhalt, Umfang und Ablauf der [X.]e hat das Finanzgericht ([X.]) nicht getroffen.

3

Die Klägerin trug zur umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung ihrer Leistungen zunächst vor, sie vermiete das Schwimmbad an die [X.]teilnehmer, denen es freistehe, an [X.]en für Wassergymnastik teilzunehmen oder selbst zu schwimmen, so dass § 12 Abs. 2 Nr. 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) eingreife. Ihre Leistungen unterlägen daher dem ermäßigten Steuersatz. Dass nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) ein "Aquafitness" [X.] nicht als "Verabreichung eines Heilbads" angesehen werden könne, sei daher unschädlich.

4

Später berief sich die Klägerin darauf, ihre [X.]e seien nach § 4 Nr. 14 UStG oder gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. j der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) umsatzsteuerfrei.

5

Das [X.] gab der Klage ohne eine vom Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt --[X.]--) beantragte Beweiserhebung statt und ließ die Revision nicht zu. Es führte aus, der konkrete Inhalt der [X.]e sei zwar aus den eingereichten Unterlagen nicht direkt nachvollziehbar. Es handele sich aber bei den [X.]en nicht um bloße Freizeitgestaltung. Die anders lautende Vermutung des [X.] sei eine Vermutung ins Blaue hinein. Das Gericht habe keinerlei Zweifel, dass die Leistungen der Klägerin belehrenden Inhalts gewesen seien.

6

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht das [X.] geltend, das [X.] habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) und die Grundsätze der Beweiserhebung (§ 81 Abs. 1 Satz 2 [X.]O) verletzt. Das [X.] habe beantragt, der Klägerin aufzugeben, das Konzept der [X.]e zu erläutern. Dem sei das [X.] zu Unrecht nicht nachgekommen. Außerdem sei die Revision zur Fortbildung des Rechts, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.

Entscheidungsgründe

II.

7

Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Der gerügte Verfahrensfehler liegt vor.

8

1. Das [X.] hat seine Sachaufklärungspflicht verletzt.

9

a) Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 [X.]O hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und dabei die erforderlichen Beweise (§ 81 Abs. 1 Satz 2 [X.]O) zu erheben.

b) Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung liegt u.a. vor, wenn das [X.] einen entscheidungserheblichen Beweisantrag übergeht (vgl. [X.] vom 1. Juni 2015 X B 6/15, [X.], 1265, Rz 12; vom 22. Juni 2016 III B 134/15, [X.], 1571, Rz 11). Ein solcher darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar bzw. unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. [X.] vom 12. Februar 2018 X B 64/17, [X.], 538, Rz 11; vom 23. Februar 2018 X B 65/17, [X.], 517, Rz 27 f.).

c) Nach diesen Grundsätzen liegt der gerügte Verfahrensfehler vor. Das [X.] hat die entscheidungserheblichen Feststellungen zum (von ihm bejahten belehrenden) Konzept der [X.]e nicht getroffen.

aa) Zutreffend hat das [X.] erkannt, dass sich die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] vorgesehene Steuerbefreiung --entgegen ihrer [X.] [X.] nicht auf den "von Privatlehrern erteilten Schul- und Hochschulunterricht" bezieht, sondern --entsprechend den anderen Sprachfassungen der [X.] auf "Unterrichtseinheiten, die von Unterrichtenden ... erteilt werden und sich auf Schul- und Hochschulunterricht beziehen" (vgl. Urteil des Gerichtshofs der [X.] --EuGH-- Eulitz vom 28. Januar 2010 [X.]/08, [X.]:[X.], [X.], 583, Rz 21 bis 23, 32 und 33; [X.] vom 18. November 2015 XI B 61/15, [X.], 435).

bb) Dies setzt, was das [X.] nicht hinreichend beachtet hat, voraus, dass es sich um Unterrichtseinheiten zur Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten durch den Unterrichtenden an Schüler oder Studierende handeln muss (vgl. EuGH-Urteil [X.] vom 14. Juni 2007 [X.], [X.]:[X.], [X.] 2007, Beilage 4, 394, Rz 26; [X.] vom 16. März 2017 V R 38/16, [X.], 167, [X.], 1017, Rz 31, m.w.N.), d.h., um eine Aus- und Fortbildung, die nicht den Charakter bloßer Freizeitgestaltung hat (BFH-Urteil vom 20. März 2014 V R 3/13, [X.], 391, [X.] 2014, 1175, Rz 20).

cc) Die unter [X.] genannte Voraussetzung hatte das [X.] im Streitfall in Abrede gestellt und deshalb verlangt, dass die Klägerin das Konzept der [X.]e erläutert. Das [X.] geht in seinem Urteil ebenfalls davon aus, der konkrete Inhalt der [X.]e sei "aus den [eingereichten] Unterlagen ... nicht direkt nachvollziehbar". Der Inhalt der [X.]e ist folglich unklar.

dd) Vor diesem Hintergrund hätte das [X.] Feststellungen dazu treffen müssen, ob die [X.]e der Klägerin belehrenden Inhalt haben (s. dazu unten unter [X.]), und dies nicht auf ungesicherter Tatsachengrundlage ohne Beweiserhebung zugunsten der Klägerin einfach unterstellen dürfen.

d) Auf die Frage, ob das [X.] die Nichterhebung von Beweisen vor dem [X.] gerügt hat, kommt es im Streitfall nicht an (vgl. Beschluss des [X.] vom 13. April 2010  1 BvR 3515/08, [X.], 862, Rz 46 f.; [X.] vom 28. Februar 2018 V B 145/16, [X.], 636, Rz 15; vom 29. Juni 2018 VII B 189/17, [X.], 1159, Rz 10; [X.] in Gosch, [X.]O § 115 Rz 180), weil dem [X.] die Möglichkeit der Erhebung weiterer Beweise bewusst war und es erst im Urteil begründet hat, warum es davon ausgehe, es handele sich um eine Vermutung des [X.] "ins Blaue hinein". Das [X.] ist daher selbst nicht von einem Rügeverzicht des [X.] ausgegangen.

2. Auf den Umstand, dass das Urteil des [X.] außerdem i.S. des § 119 Nr. 6 [X.]O nicht mit Gründen versehen ist (vgl. dazu [X.] vom 30. Juli 2013 IV B 107/12, [X.] 2013, 1928), weil weder für die Beteiligten noch für den Senat überprüfbar ist, wie das [X.] zu seiner Vermutung gekommen ist, die [X.]e der Klägerin hätten belehrenden Inhalt, wenn es selbst angibt, der konkrete Inhalt der [X.]e sei "aus den [eingereichten] Unterlagen ... nicht direkt nachvollziehbar", kommt es deshalb nicht mehr an.

3. Der Senat weist zur Förderung des Verfahrens im zweiten Rechtsgang auf folgende Punkte hin:

a) Nach Aktenlage und auf Basis des Vortrags der Beteiligten ist noch nicht ersichtlich, dass die Leistungen der Klägerin belehrenden Inhalts sein könnten (a.A. Urteil des [X.] Münster vom 15. August 2017  15 K 2689/14 U, Entscheidungen der Finanzgerichte 2017, 1699).

aa) Die Klägerin hat dazu erstens angegeben, es stehe den [X.]teilnehmern frei, ob sie am [X.] teilnehmen oder lieber selbst schwimmen, was schon gegen einen belehrenden Inhalt der [X.]e der Klägerin spricht.

bb) Zweitens umschreibt die Klägerin ihre Leistung selbst als "Wassergymnastik" bzw. "Aquafitness", ohne dass ersichtlich ist, dass der Schwerpunkt dieser Leistung der Klägerin darin liegen könnte, die [X.]teilnehmer darin zu unterrichten, wie Wassergymnastik durchzuführen ist, um diese zu befähigen, später alleine Wassergymnastik zu betreiben oder entsprechende [X.]e zu leiten. Vielmehr spricht der Vortrag der Beteiligten, der Vertragsinhalt und das allgemeine Verständnis der von den Beteiligten verwendeten Begriffe dafür, dass die Klägerin [X.]e anbietet, bei denen die [X.]teilnehmer als Trainingsgruppe gemeinsam und unter Anleitung durch einen Trainer (Übungsleiter) ein [X.], bestehend aus Kraft- bzw. Konditionsübungen (ggf. mit Geräten), absolvieren, d.h., gemeinsam Sport treiben. Dabei mögen die Teilnehmer zwar in der (oder den) ersten [X.]stunde(n) vom Trainer (auch) darin unterwiesen werden, wie bestimmte Übungen richtig durchzuführen sind. Dass dies jedoch in den nachfolgenden [X.]stunden, die ebenfalls Gegenstand der Leistung der Klägerin sind, oder bei Personen, die den [X.] zur Verbesserung ihrer Fitness zum [X.] absolvieren, immer noch der Fall sein könnte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

b) Sollte das [X.] im Rahmen der erneuten Verhandlung und Entscheidung nach Feststellung des [X.]inhalts zu der Auffassung gelangen, dass die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. [X.] darauf nicht anzuwenden ist, wird das [X.] weitere Feststellungen zu der von der Klägerin geltend gemachten Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG (vgl. dazu BFH-Urteile vom 7. Juli 2005 V R 23/04, [X.], 69, [X.] 2005, 904; vom 30. April 2009 V R 6/07, [X.], 248, [X.] 2009, 679; vom 26. August 2014 XI R 19/12, [X.], 276, [X.] 2015, 310; vom 1. Oktober 2014 XI R 13/14, [X.], 367, [X.], 451; [X.] vom 4. Oktober 2012 XI B 46/12, [X.] 2013, 273; vom 12. Februar 2014 V B 100/13, [X.] 2014, 739) zu treffen haben.

c) Außerdem wird das [X.] wegen der Vorschrift des § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG Feststellungen dazu treffen müssen, ob und ggf. wie die Klägerin, die in den Streitjahren davon ausging, ihre Leistungen unterlägen überwiegend dem ermäßigten Steuersatz, ihre Leistungen gegenüber den [X.]teilnehmern abgerechnet hat.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

5. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O). Diese Vorschrift ist auch im Verfahren des § 116 Abs. 6 [X.]O anwendbar (vgl. [X.] vom 11. Mai 2015 XI B 29/15, [X.], 1257, Rz 23, m.w.N.).

Meta

XI B 57/18

25.10.2018

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 9. Mai 2018, Az: 2 K 2112/17, Urteil

§ 4 Nr 14 Buchst a UStG 2005, § 12 Abs 2 Nr 9 UStG 2005, § 14c Abs 1 S 1 UStG 2005, Art 132 Abs 1 Buchst j EGRL 112/2006, UStG VZ 2014, UStG VZ 2015, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 81 Abs 1 S 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 25.10.2018, Az. XI B 57/18 (REWIS RS 2018, 2420)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 2420

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